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ADB:Witelo

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Artikel „Witelo“ von Robert Knott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 556–558, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Witelo&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:15 Uhr UTC)
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Witelo: W. (auch Vitello, Vitellio), Magister, ein sonst unbekannter Mönch. Ueber sein Leben konnte bereits Friedrich Risner, der 1572 zu Basel Witelo’s Hauptwerk, eine Optik, herausgab, in der zu dieser Ausgabe geschriebenen Vorrede sich nur vermuthungsweise äußern, gestützt auf einige wenige Andeutungen, die sich in dem Werke selbst finden. Danach war W. von Geburt ein Pole; er sagt nämlich im 74. Theorem des 10. Buches seiner Optik: „… in nostra terra, scilicet Polonia, habitabili …“. Nun nennt er sich aber auch selbst im Titel seines Buches „Thuringo-polonus“, auch „Filius Polonorum et Thuringorum“; es findet sich ferner von Regiomontan in seiner Vorrede zu Alphragan die Stelle: „Vitellio autem noster Thuringus“; ebenso bezeichnet ihn ein Schüler Regiomontanus Gualtherus in seinen „astronomischen Beobachtungen“; hält man endlich damit zusammen, daß er in den ältesten Handschriften stets Witelo heißt, welcher Name (auch Witilo, Witulo oder Widilo, Widelo, Widulo von Wito oder Wido herkommend) aber ein deutscher ist und gerade in Thüringen im 13. Jahrhundert häufig vorkommt, so wird man ihn mit Poggendorff für einen Deutschen, nämlich Thüringer erklären müssen. Nicht unwahrscheinlich ist die Annahme Risner’s, daß eines der beiden Eltern aus Thüringen gestammt habe, während das andere polnischer Abkunft gewesen sei.

Ueber seine Lebenszeit sind wir auch nicht genau unterrichtet; falsch ist jedenfalls die Annahme G. Tanstetter’s, der den W. in einem Briefe, welcher der von ihm 1535 zu Nürnberg herausgegebenen Optik desselben vorgedruckt ist, ins 10. Jahrhundert setzt (Vitello … annis ut conjicio ab hinc plus, minus DC vixit). Denn W. widmete seine Optik einem Dominikanermönche Wilhelm von Morbeta, der nach eigener Angabe in seiner Geomantia, deren Handschrift Risner vorgelegen hat, 1269 lebte. In dieselbe Zeit setzen ihn auch nach Risner Erasmus Reinhold (Prof. der Mathematik an der Universität Wittenberg, 1511–1553), Kaspar Peucer (1525–1602) und nach Bayle (Dictionnaire historique et critique) Gaurico (Prof. der Mathematik zu Bologna, Ferrara, Venedig und Rom, 1476–1558), der Jesuit Biancani (Blancanus, Prof. der Mathematik zu Parma, 1566–1624) und andere.

[557] Aus mehreren Stellen seiner Optik geht hervor, daß er längere Zeit in Italien lebte; so sagt er z. B. liber 10, theorema 42, er sei zuerst „in Italien bei Cubale (einem Orte zwischen Padua und Vincentia)“, ferner liber 10, theorema 67 „bei Viterbo“ durch die Beobachtung der Lichterscheinungen, die durch die Sonne in dem feinen Wasserstaube eines Wasserfalls hervorgerufen wurden (Regenbogen), zu optischen Studien veranlaßt worden. Ferner bemerkt er in der Einleitung, daß er vornehmlich auf Anrathen und Zureden des Morbeta sein Werk zu schreiben Veranlassung genommen habe. Morbeta aber war um 1270 päpstlicher Poenitentiar (Bußpriester) zu Rom. So hat die Annahme viel für sich, daß er sein Werk überhaupt in Italien geschrieben habe, da er dazu, wie selbst eine oberflächliche Durchsicht desselben lehrt, sicherlich viele Litteraturstudien hat machen müssen, wobei ihm die reichhaltigen Bibliotheken Italiens offenbar die besten Dienste leisten konnten.

Die mehrfach erwähnte Optik ist das einzige Werk Witelo’s, das auf uns gekommen ist. Sie wird in den ältesten Handschriften als „Perspectiva magistri Witelonis“ citirt und ist mehrfach gedruckt worden, allein herausgegeben von Georg Tanstetter und Petrus Apianus unter dem Titel: Vitellionis mathematici doctissimi περὶ ὀπτιϰῆς, id est de natura, ratione et proiectione radiorum visus, luminum, colorum atque formarum, quam vulgo Perspectivam vocant, libri X. Norimbergae apud Jo. Petreium, 1535, und unter demselben Titel nochmals ebendaselbst 1551. 1572 gab sie F. Risner zusammen mit Alhazens Optik zu Basel heraus als Vitellonis Thuringopoloni opticae libri X. Letztere Ausgabe ist bei weitem besser als die beiden erstgenannten. Nach eigner Angabe Risner’s hat er 3645 Versehen verbessert, viele Figuren berichtigt, mehrere neu hinzugefügt.

Das Verdienst Witelo’s besteht nicht sowol darin, durch eigne Forschungen das Gebiet der Optik erweitert zu haben, als vielmehr darin, daß er mit Fleiß und Umsicht die Ansichten der älteren Physiker und Mathematiker, wie des Euklid, Ptolemäus, Apollonius, Theodosius, Menelaus und vieler anderer über diesen Wissenszweig sammelte, bezüglich klarer und ausführlicher darlegte, wie z. B. die Lehren Alhazens. W. spricht u. a. von der Vergrößerung, welche durch einen Kugelabschnitt hervorgebracht wird, kannte jedoch die Erscheinung, um welche es sich handelte, aus eigner Erfahrung ebenso wenig wie Alhazen. Er beschäftigte sich ferner mit der Lichtbrechung, indem er die Brechungswinkel bei verschiedenen Medien und für verschiedene Einfallswinkel nachmaß. Dabei fand er, daß die Winkel bei denselben Medien dieselben bleiben, gleichgültig ob das Licht aus dem dünneren Mittel in das dichtere oder aus dem dichteren in das dünnere übergeht. Er giebt eine Tabelle für die Lichtbrechung in verschiedenen Medien, die sich indeß von der des Ptolemäus wenig unterscheidet. Er bezieht sich dabei auf Strahlen, welche aus Luft in Wasser oder Glas, aus Wasser in Glas, aus Wasser in Luft, aus Glas in Luft und aus Glas in Wasser gehen. Die Daten Witelo’s sind zwar hinreichend genau, indeß dort, wo von dem Uebertritt des Lichtstrahles aus einem optisch dichteren in ein optisch dünneres Medium die Rede ist, kommen einige unrichtige und selbst unmögliche Winkel vor, es sind dies die Fälle der totalen Reflexion, wie sie bei großem Einfallswinkel vorkommen, wobei der Lichtstrahl das dichtere Mittel gar nicht verläßt. Der Fehler Witelo’s stammt daher, daß er den Satz Alhazens, welchem zufolge der Lichtstrahl in entgegengesetzter Richtung denselben Weg zurücklegt, unrichtig anwendet. Da z. B. bei einem Einfallswinkel von 10 Graden der Brechungswinkel im Wasser 73/4 Grade, also um 21/4 Grade weniger beträgt, als jener, so schloß er hieraus, daß im umgekehrten Falle, beim Uebergang des Strahles aus Wasser in Luft, der Brechungswinkel um 21/4 Grade [558] mehr betragen müsse, als der Einfallswinkel von 10 Grad, sodaß jedesmal die Summe der beiden Brechungswinkel dem Doppelten des Einfallswinkels gleich sein müsse.

In der Theorie des Regenbogens machte W. über Aristoteles hinaus den Fortschritt, daß er bemerkte, der Regenbogen könne nicht durch alleinige Reflexion des Sonnenlichtes entstehen, es müsse vielmehr der Lichtstrahl, weil der Regentropfen durchsichtig sei, bei seinem Durchgang durch den Tropfen auch gebrochen werden; eine genaue Beschreibung der Erscheinung giebt er indeß nicht. Auch die Lichtbrechung in wassergefüllten Kugeln und Prismen ist ihm bekannt. Er ist es auch, der den Rath giebt, den Brennspiegeln eine paraboloidische Gestalt zu geben. Bemerkt sei übrigens noch, daß kein Geringerer als Johannes Keppler sich mit diesem Werk Witelo’s beschäftigte in seiner Schrift: Ad Vitellionem Paralipomena etc. Francof. 1604.

Außer diesem Hauptwerk Witelos kennen wir wenigstens noch die Titel mehrerer anderer von ihm verfaßter Schriften, die er selbst in seiner Optik citirt; so eine Philosophia naturalis (de ordine entium), ferner De elementatis conclusionibus, endlich eine Scientia motuum coelestium.

Moreri, Dictionnaire historique. Paris 1759. Tome X. – Bayle, Dictionnaire historique et critique. 5. édition. Tome IV. 1740. – Rosenberger, Geschichte der Physik. Braunschweig 1882. – Heller, Geschichte der Physik von Aristoteles bis auf die neueste Zeit. Stuttgart 1882. – Poggendorff’s Biographisch-Litterarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exakten Wissenschaften. Leipzig 1863. – Joannis Kepleri astronomi opera omnia ed. Frisch. Band 2. Frankfurt und Erlangen 1859. – Eingesehen wurden endlich die drei oben citirten Ausgaben der Optik Witelo’s.