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ADB:Weiß, Samuel Ami

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Artikel „Weiß, Samuel Ami“ von Bernhard Münz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 641–643, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wei%C3%9F,_Samuel_Ami&oldid=- (Version vom 19. Dezember 2024, 22:34 Uhr UTC)
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Band 45 (1900), S. 641–643 (Quelle).
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Weiß *): Samuel Ami W. ward am 19. Januar 1858 in dem österreichisch-schlesischen Städtchen Hruschau geboren, erlangte in Wien den philosophischen Doctorgrad und starb am 21. Juni 1896. Kurz war mithin sein Erdenwallen und tragisch verlief es. Es war zwischen schwerem Kampf ums Dasein und qualvollem Siechthum getheilt. Und nicht genug daran mußte er, fast schon ein Abgeschiedener, „den besten Theil von seinem Leben“, sein einziges Kind, seinen Trost und seine Augenweide, die sein hoffnungsloses Krankenlager erhellte und verklärte, in die Grube fahren sehen. So gemahnt sein Schicksal an das der wilden Rose, der er folgendes Lied geweiht:

Wilde Ros’ im grünen Hag,
Einsam durch den Sommertag
Träumst Du hin Dein Leben,
Wilde Ros’ !

Viele, die am Weg’ Dich seh’n,
Achtlos weiter an Dir geh’n,
Strahlst im Glanz nicht eben,
Wilde Ros’ !

Sonnenbrand und Wetter schier
Nehmen Schmelz und Krone Dir,
Wirst gar bald verderben,
Wilde Ros’ !

Wilde Ros’ im grünen Hag,
Nur ein Vöglein schluchzt wie zag
Um Dein frühes Sterben,
Wilde Ros’ !

Ja wol, sein schwankes Lebensschiff war dem Sonnenbrande und Wettern aller Art preisgegeben, achtlos ging man an ihm vorüber, denn er war bescheiden, konnte sich nicht zur Geltung bringen und blühte im Verborgenen wie ein Veilchen, und nur seine Lebensgefährtin, die „hochgesinnt zu treuem Lebensbunde dem Leidbedrückten Herz und Hand zu weihen entsagungsfreudig“ vor Gott gelobt hatte, schluchzte um sein frühes Sterben, denn sie kannte seinen Werth, sie hatte in seiner Seele wie in einem offenen Buche gelesen und sich zur Höhe seines Sinnens, Singens und Sagens emporgerungen, welches erst jetzt unter Dach und Fach gebracht wurde.

Des Dichters Liederquell ist nur spärlich geflossen; war es ihm doch überhaupt nicht lange vergönnt, aus dem castalischen Quell zu schlürfen. Zudem ward seine Muße dadurch eingeschränkt, daß er des Lebens bitteren Kelch bis auf die Neige leeren mußte. Aber das Wenige, was er geschaffen, ist gediegen. Es lassen sich auf ihn gewissermaßen die Worte anwenden, welche Leisewitz’ „Julius von Tarent“ Lessing abgerungen hat, – die Worte: „Leisewitz hat nur ein Junges geworfen, aber einen Löwen“. – Einer der bedeutendsten deutsch-österreichischen Dichter, Adolf Pichler, läßt sich über die modernsten Poeten in seiner schneidigen Weise nicht ganz unzutreffend vernehmen: „Sie erinnern mich [642] an jene mythischen Phorkyaden, die auch Goethe im Faust anführt. Sie haben zusammen nur Einen Zahn, mit dem sie kauen: eine leiht ihn der anderen; nur Ein Auge, mit dem sie sehen: eine borgt es von der anderen; wenn nun gar der Eine Zahn falsch, das Eine Auge nur ein Glasaug’ wäre?“ Der Dichter, der uns hier beschäftigt, hat es nicht nöthig gehabt, ein Anlehen zu machen, denn er war eine ausgesprochene, ausgeprägte Individualität. Er war kein Schablonenmensch, er duckte sich nicht vor den Schrullen der herrschenden Mode, er schloß sich keiner Schule an, sondern wandelte seinen eigenen von ursprünglicher Kraft und ernster Schönheit umsäumten Weg. Nie war sein Streben dahin gerichtet, durch schimmernde und schillernde, durch leicht sich einschmeichelnde Weisen rasch welkende Kränze der Volksgunst zu pflücken; nie geizte er nach Ruhm und Beifall, wol aber erfüllte ihn des Mannes höchster Stolz, sich von Verständigen verstanden zu sehen. Seine Lyrik ist gedankentief, von weit aus- und überschauenden Gesichtspunkten getragen. Und dies können wir ihm in einer Zeit, in welcher Gedankendichtungen aufs strengste verpönt sind und als der alleinseligmachende Born der Lyrik die Stimmung gepriesen wird, nicht hoch genug anrechnen. Giordano Bruno, der berühmte Philosoph der Liebe, hat sehr richtig bemerkt: Non est philosophus, nisi qui fingit et pingit. Unser Dichter war sich dessen voll bewußt, daß dieser Spruch auch im umgekehrten Sinne seine Geltung hat: „Nur der bildet und malt, der ein Philosoph ist“. Die Dichtung ist ihrem Wesen nach Dichtung und Wahrheit. Enträth sie der Wahrheit, so wird ihr der reale Untergrund entzogen.

W. lebte aber auch als Philosoph. Sein Lied erklingt wie ein hohes Lied des Optimismus. Er war ein Märtyrer und blieb doch aufrecht und ungebrochen. Er wurde nicht weltmüde, er murrte und grollte nicht, denn er lebte in dem Einen, der Alles ist, und dieser Eine, Einzige ist Gott. Sich in dem Unendlichen und das Unendliche in sich findend, schloß er seinen honigsüßen Mund nicht eher, als bis aus der Brust der letzte Odem zog, bis sein Herz, das viel und schwer geduldet, so viel geduldet, ruhig stand. Der Gedanke an die Einheit von Denken und Sein, Gott und Welt, Geist und Natur schützte ihn vor dem so nahe liegenden Weltschmerz. In der innigen und selbstlosen Hingebung an die Mutter Natur erprobte er an sich den Segen der in dem hoheitsvollen Gedichte „Der Zug des Todes“ ertheilten Lehre:

Darum sei stets in Liebe der Natur,
Gleichwie ein Kind der Mutter, zugethan
Und folge sinnend ihrer lichten Spur,
Dann schaust Du ihr ins Herz. Der stumme Bann,
Der sonst sie fesselt, weicht: sie spricht mit Dir,
Sie freut sich mit Dir, und sie lächelt Dir
Der Schöpfung herrlichste Gedanken zu,
Wenn Du Dich freust. Und so Dich Trauer faßt,
Empfindet sie mit Dir das herbe Weh
Und schmeichelt Dir den trüben Kummer weg,
Den sie Dir lind zu sanfter Wehmuth dämpft,
Eh’ Du es selber weißt.

Die „sanfte Lehre“, die ihm Ruhe und Frieden zufächelte, gipfelt darin, daß das Schicksal nichts Anderes ist als die Natur, nur subjectiv angeschaut. Objectiv oder sub specie aeternitatis betrachtet, gehört es zu den Ergebnissen einer unverbrüchlichen, ehernen Nothwendigkeit, zur Unausbleiblichkeit alles Geschehenden. Das ursprünglich Eine fällt in einzelne, gesonderte Momente auseinander, in deren Beziehungen zu einander sich ihre Zusammengehörigkeit abspiegelt. Höhe und Tiefe mit Allem, was darin sich regt, ist dem Ursprunge nach Alles – Eins, Alles ist gleich wichtig oder unwichtig, Alles tritt mit gleicher Nothwendigkeit als Sein, Werden, Veränderung in die Erscheinung. [643] Alles Eins! Der Tiefsinn der deutschen Sprache hat mit diesem Ausdrucke eine Wahrheit geschaffen, die zugleich Metaphysik und Lebensklugheit ist. Alles Eins – und welche Gemüthsstimmung kann erhabener sein über die Qualen und Unbilden des Daseins, als diejenige, der Alles Eins ist! Gott ist als absolutes Sein auch alles Sein, es gibt kein Sein außer ihm, er ist zugleich die bewirkende und die bewirkte Natur. Gott wohnt der Welt inne, er ist in ihr und sie in ihm. Alles Endliche taucht in ihm auf, taucht in ihm unter, es hat nur relative, vorübergehende Existenz. Da Gott das Vollkommene ist, so löst sich das Böse in bloßen Schein auf. An sich, in seinem Verhältniß zu Gott ist Alles gut; böse wird es durch die Beziehung, welche ihm die Einbildungskraft für unsere Wünsche, Gefühle, Affecte überhaupt verleiht. Diese überwindet die beseligende Erkenntniß der Alleinigkeit, welche die Liebe Gottes in sich birgt. So ist die „sanfte Lehre“ im Grunde ein Preis auf Spinoza, den selbst Jacobi voll Verzückung den großen, ja heiligen Benedictus nennt und dem Schleiermacher den Tribut seiner Bewunderung in den Worten: „Opfert mit mir ehrerbietig eine Locke den Manen des heiligen, verstoßenen Spinoza! Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang und Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe; darum steht er auch da allein und unerreicht, Meister in seiner Kunst, aber erhaben über die profane Zunft, ohne Jünger und ohne Bürgerrecht“ darbringt. Die intellectuelle Liebe Gottes, der amor Dei intellectualis war es, welcher unserem unglücklichen Dichter den Stempel eines Uebermenschen aufdrückte, ihn zu den ergreifenden Versen begeisterte:

Dein Sinn erhebt sich; f1ücht’ges Erdenleid,
Das kurz zuvor die Brust Dir noch beengt,
Es sinkt wie Schatten vor dem Sieg des Lichts,
Und heil’ge Schauer weh’n Dich mächtig an:
Du ahnst, Du fühlst, Du denkst und glaubst jetzt – Gott.
.....................
.....................
.... Du selbst, Du lernst
Nachgiebigkeit und Milde und Verzeih’n
Und Frömmigkeit und Demuth und Geduld,
Auch Seelenstärke, Großmuth und Verzicht
Auf tausend Dinge, die nur äuß’rer Schein,
Aus denen erst das Ew’ge sich verklärt,
Wenn sie zerstört und todt.

Angesichts dieser tiefsinnigen Verse fühlen wir erst recht, wie zutreffend die schönen Worte Heine’s sind: „Nur Unverstand und Böswilligkeit konnten der spinozistischen Lehre das Beiwort ‚atheistisch‘ beilegen. Keiner hat sich jemals erhabener über die Gottheit ausgesprochen wie Spinoza. Statt zu sagen, er leugne Gott, könnte man sagen, er leugne den Menschen“. Wir haben unseren Hiob vorhin einen Uebermenschen genannt. Ja wol, er strahlt in übermenschlichem Lichte, drängt es ihn doch in dem erschütternden Gedichte „An das Schicksal“, geradewegs und unangekränkelt von jeder Skepsis seinem unsäglichem Mißgeschicke die fromme Deutung zu geben, Gott habe ihn durch strenge Prüfungen von den ihm anhaftenden Schlacken reinigen wollen, sein Herz zu sich emporgeläutert, die Seele ihm gestimmt „zu ernster Feier, zu guter Thaten heil’ger Andachtübung, der Tugend Pfad, des Rechtes Bahn zu wandeln“. Seine Theodicee lautet: Wen der Herr liebt, den züchtigt er.


[641] *) Zu Bd. XLI, S. 583.