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ADB:Wazo

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Artikel „Wazo, Bischof von Lüttich“ von Pieter Lodewijk Muller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 277–279, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wazo&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:06 Uhr UTC)
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Wazo: Bischof von Lüttich, von völlig unbekannter Herkunft, war schon im ersten Decennium des elften Jahrhunderts, zu Zeiten des Bischofs Notker Kapellan, nachher Vorsteher der Domschule in Lüttich, dann unter Bischof Wolbodo Decan des Domcapitels. Ein höchst begabter und gelehrter Mann, zeichnete er sich schon damals durch seine Sittenstrenge und hierarchischen Tendenzen aus. Als Decan mit der Führung der Geschäfte des Capitels beauftragt, zog er durch seine Strenge sich den Zorn der auf den Capitelgütern angesessenen Bauern dermaßen auf den Hals, daß sie ihm nach dem Leben standen. Doch nicht bloß gegen seine Untergebenen zeigte er Unnachgiebigkeit, auch seinen Oberen wich er nicht, wenn er meinte, sie thäten Unrecht. Das zeigt sein Brief an den Dompropst Johannes, dem er Machtüberschreitung vorwarf. Wahrscheinlich ist dieser Conflict, der wol in der dem damals unter Bischof Regenhard in Lüttich vorwaltenden milden Geist widerstrebenden streng kirchlichen Auffassung Wazo’s seinen Ursprung hatte, die Ursache gewesen, daß er 1030 Lüttich verließ und, wol durch Einfluß des bekannten Abtes Poppo von Stablo, des Führers der Cluniacenser Partei in Lothringen, als Capellan am Hofe des Kaisers Konrad II. angestellt wurde. Dort hatte [278] er sich bald eine so angesehene Stellung erworben, daß Konrad einen Augenblick nahe daran war ihm die Nachfolge Aribo’s auf dem Mainzer Erzstuhl zu verleihen. Namentlich seine Gelehrsamkeit und Schlagfertigkeit in Disputationen scheinen am Hofe Aufsehen erregt zu haben. Sein Biograph Anselm erzählt, wie er den sehr gelehrten jüdischen Leibarzt des Kaisers in einem Streit inbezug auf die Auslegung einer Stelle des alten Testaments nicht allein überwand, sondern ihn zwang sich selbst als überwunden, und seinen Finger, den er zum Pfande gesetzt hatte (wogegen W. ein Ohm Wein stellte) als verwirkt zu erkennen, den W. ihm jedoch großmüthig, wol unter allgemeiner Heiterkeit der Höflinge, bis er denselben einfordern sollte, zur Nutznießung überließ. So, sagt Anselm, erfocht dieser Streiter Christi einen glänzenden Sieg zur Ehre des christlichen Namens! Wie diese Anecdote zeigt, war W. bei aller Strenge keineswegs ein Feind der Freude und Geselligkeit, und wenn auch ohne Familie, doch recht gut am Platze am Kaiserhofe, wie er denn auch seine Ascese nie zur Schau trug und seine Kasteiungen eher verheimlichte, was in jenen Zeiten nur allzu selten bei den strengeren Geistlichen der Fall war. Und ebenso war W. der Ketzerverfolgung abgeneigt und rieth noch in seinen letzten Jahren, im J. 1046, als ihn ein französischer Bischof um Rath fragte, wie die manichäischen Sectirer zu bekämpfen seinen, aufs dringendste ab, dieselben mit Gewalt zu bestrafen. Er vertraute felsenfest auf die Wahrheit der von der Kirche gepredigten Lehre und stellte dieselbe viel zu hoch um weltlicher Mittel zu bedürfen, während er den Sündern immer Zeit zur Bekehrung lassen wollte. Das war freilich ein Standpunkt, auf den nur Wenige in jenen Zeiten sich stellen konnten. Denn wie hoch W. die Kirche schätzte zeigt seine berühmte Antwort an Kaiser Heinrich III., die Salbung des Priesters stehe viel höher als die des Kaisers, jener sei gesalbt damit er das ewige Leben spende, dieser nur um das Recht der Tödtung der Missethäter ausüben zu können. Zwei Jahre nach seinem Abgang aus Lüttich wurde W. wieder dahin berufen, und zwar als Dompropst an Stelle seines verstorbenen Gegners Johannes. Als dann 1037 Regenhard gestorben war, wollten viele ihn zum Bischof. Er weigerte sich aber entschieden aus politischen Gründen, wie Breßlau vermuthet, oder wie Anselm versichert, aus christlicher Demuth, da er den Custos und Schatzmeister des Capitels Nithard für den würdigsten erachtete. Freilich wenn er wirklich den Bischofstab nicht begehrte, hat er sich bald aufs neue überwinden müssen, denn schon nach vier Jahren starb Nithard, und wurde W. mit allen Stimmen der Cleriker sowie der Laien gewählt und von Heinrich III., der, kirchlich streng wie er war, den Vorkämpfer der Cluniacenser Richtung gewiß gerne hatte, bestätigt, wenn auch nicht ohne daß sich bei Hofe viele widersetzten. Schon im Winter des Jahres 1043 zeigte W. seinen Unterthanen was er werth sei, indem er zu Zeiten des ungemein strengen Winters sowol die darbenden Lütticher Armen als auch namentlich die Bauern mit reichlichen Kornspenden unterstützte. Auch später als beim Aufstand des Herzogs Gottfried und der Grafen von Flandern und Holland, die lothringischen Länder schrecklich verwüstet wurden, hat er aus eigenen und kirchlichen Mitteln vieles gethan um die Noth zu lindern und nicht allein die Wiederherstellung der eigenen sondern auch von fremden Kirchen namentlich der von Verdun, aufs kräftigste unterstützt.

Auch Heinrich III. verspürte bald, welch eine Stütze er an W. in Lothringen besaß. Herzog Gottfried hatte dort keinen kräftigen Gegner, und als sich 1047 König Heinrich von Frankreich anschickte bei Abwesenheit des Kaisers in Lothringen einzufallen, nahm W., dem die Mittel fehlten Gewalt mit Gewalt zu begegnen, seine Zuflucht zu einem außerordentlichen Schritt. Zwei Mal schrieb er dem König mit der Bitte, oder besser mit der Aufforderung, Frieden zu halten, und das zweite Mal redete er ihm so ins Gewissen, daß derselbe von seinem Vorhaben [279] abstand. Wenigstens erzählt Anselm so, wahrscheinlich hat aber, wie Steindorff bemerkt, eine Fehde mit den Grafen von Anjou mehr als Wazo’s Briefe dazu beigetragen die Entwürfe des Königs zu verhindern. Aber auch dem eigenen Oberherrn wagte W. zu widerstehen, wenn es die Würde der Kirche galt. Das Einschreiten Heinrich’s in Rom mißbilligte er öffentlich. Er wagte es, ganz im späteren Gregorianischen Geist die Beschlüsse der Synode zu Sutri und die Absetzung Gregor’s VI. ungesetzlich zu nennen, und verneinte auch als die Sache des Erzbischofs von Ravenna von deutschen Bischöfen entschieden werden sollte, daß ihm und seinen Amtsbrüdern irgend ein Recht zustehe über denselben zu Gericht zu sitzen. So wirkte dieser merkwürdige Kirchenfürst, der zugleich ein treuer Diener seiner Herrn und ein Vorkämpfer der kirchlichen Unabhängigkeit zu sein wußte. Freilich es waren damals noch Zeiten, wo das möglich war. Bevor es anders wurde ist W. aus dem Leben geschieden. Denn schon nach sechsjähriger Amtsführung starb er am 8. Juli 1048 nach kurzem aber schmerzlichem Leiden. Seine letzten Tage und wie er den Tod furchtlos und fromm erwartete, ist ausführlich von Anselm beschrieben worden, der sein Buch der Fortsetzung von Herigers Leben der Tungrischen, Mastrichter und Lütticher Bischöfe mit einem wenn auch etwas pomphaften doch nicht zu sehr übertrieben lobpreisenden Nachruf an seinen verehrten Bischof beschloß, von dem die Anregung dasselbe zu schreiben gekommen war. Und so weit wir ersehen können, ist das Lob nicht unverdient und gehört W. zu einem der edelsten Männer seiner an hochsinnigen Kirchenfürsten reichen Zeit.

Die Hauptquelle über W. ist Anselmus, De rebus gestis episc. Leodiensium in M. G. Scriptores VIII, dem in der Hauptsache alle, die über ihn geschrieben haben, gefolgt sind. Vgl. namentlich Breßlau, Konrad II. und Steindorff, Heinrich III. – Giesebrecht, Geschichte der d. Kaiserzeit II. – Blok, Geschichte v. h. Nederl. volk. I.