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ADB:Würtz, Felix

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Artikel „Würtz, Felix“ von Hermann Frölich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 352–354, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:W%C3%BCrtz,_Felix&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 21:41 Uhr UTC)
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Würtz: Felix W. (oder Wirtz, wie ihn Billroth schreibt), Wundarzt, geboren 1518 (nach Pagel 1514) in Basel als Sohn eines Wundarztes, † 1574 oder 1575, erlernte die Wundheilkunst in Nürnberg und übte sie in seiner Vaterstadt Basel aus. Hier wurde er mit Paracelsus (geb. am 17. December 1493) und mit Konrad Gesner (geb. am 26. März 1516) befreundet und von diesen wissenschaftlich beeinflußt. Seine Erfahrungen, die er in aller Herren Ländern, namentlich in Frankreich, Holland und Italien (Padua) gesammelt, hat er als Frucht einer 37jährigen Thätigkeit in seinem Werke „Practica der Wundartzeney“ niedergelegt. Das Buch ist unvollendet, d. h. nur in seinem ersten Theile, 1563 in Basel, erschienen. Vor Vollendung des zweiten Theiles ereilte ihn der Tod. Es ist weiterhin in zahlreichen Auflagen erschienen: so 1576 in Basel von Würtz’ jüngstem Sohne Adolf (nach Häser’s Angabe) durchgesehen, dann 1595 und 1596 in Basel. Die letztere, dem Kaiser Rudolf II. gewidmete Ausgabe hat Billroth für seine „Historischen Studien“ vorgelegen. Die nächste, dem Markgrafen Johann Georg zu Brandenburg gewidmete, von Rudolf Würtz, einem Bruder des ersten Verfassers, ergänzte und von Sebastian Henric Petri in Basel gedruckte Ausgabe hat Häsern und mir die Bekanntschaft mit F. Würtz vermittelt. Dieser Rudolf ist also der Oheim jenes Adolf Würtz gewesen, der das Buch 1576 herausgegeben und der mindestens noch zwei Brüder gehabt hat: Felix Würtz, der nach Billroth die Ausgabe von 1596 besorgt hat, und einen zweiten, der nach Häser Maler gewesen ist. Weitere Ausgaben der „Practica“ sind folgende: Basel 1616, 1620; Leipzig 1624; Wolfenbüttel 1627; Stettin 1649, 1659; Breslau 1651; Basel 1670, 1675, 1687; Holländisch 1647; Französisch von Sauvin: Paris um 1646 (nach Häser), 1672 und 1689. Die Lehren, die Würtz in diesem litterarischen Vermächtnisse hinterläßt, gehören nicht bloß zeitlich, sondern ganz besonders auch inhaltlich einer neuen Zeit an. Betreffs der Art, wie Wunden ärztlich zu untersuchen sind, eifert er gegen die Beunruhigung der Wunden mit Sondirungen und räth er, sich hauptsächlich auf die Besichtigung zu beschränken. Die Stillung von Blutungen bewirkt er in volksthümlicher Weise durch Druck, durch zusammenziehende Mittel, wie Umschläge aus Salpeter in Essig, und durch stopfende Pulver, die auf die Wunde gestreut und mit Bovist, Schwamm und endlich Heftpflaster bedeckt werden. Die Aderunterbindung erwähnt er nicht; das Glüheisen will er nur bei Blutungen aus Schlagadern (und bei Amputationen) angewendet wissen. Den Aderlaß übt er nur ausnahmsweis bei schweren Kopfverletzungen und bei Fiebern aus. Von den Wundverbänden verlangt er, daß sie rasch angelegt werden, und daß der Luft der Zutritt zur Wunde (mit Pflastern und Binden) verwehrt werde. Breiumschläge verwendet er selten, weil sie Fäulniß begünstigen. Auch wendet er sich gegen die für die Erweiterung der Wundcanäle damals gebräuchlichen Meißel und gegen die für die Reinigung der Wundcanäle bestimmten Haarseile (Durchzüge), weil solche Mittel, wie er meint, die Wunden verstopfen, den Eiter zurückhalten und die Vereinigung der Wundränder hintanhalten. Selbst Salben gestattet er nur bei Gelenkwunden zur Hinderung des Luftzutritts, und von Wundermitteln will er gar nichts wissen. Die unmittelbare Vereinigung der Wundränder ist ihm in der Wundbehandlung die Hauptaufgabe; ist diese unmöglich, so gilt ihm der Eiter, da er das die Vereinigung herstellende Fleisch begünstige, als bester Wundbalsam. Nach diesem Grundsatze verwirft er die regelmäßige Wundheftung (blutige Naht), die die Wundreinigung und den Eiterabfluß erschwere, und will diese Naht nur bei Wunden des Antlitzes, des Bauches, bei durchdringenden Brustwunden, bei Lappenwunden und bei einigen Operationswunden, z. B. nach Hasenschartenoperationen, angewendet wissen unter der Voraussetzung, daß sie den Eiteraustritt unbehindert läßt. Die (accidentellen) [353] Wundkrankheiten faßt W. in den Begriff „Wundsucht“ zusammen; er unterscheidet 1. Wundfrost oder Wundfeuer oder Wundfieber, d. i. die große Wundsucht, die durch Schüttelfrost mit folgender Hitze gekennzeichnet ist, dann „Schauder“ oder „Wundgallen“ mit Schüttelfrost ohne Hitze und endlich „Zocken“ oder „Unruh“, eine nur örtlich in der Wunde vor sich gehende Veränderung. Den Hospitalbrand kennt W. unter dem Namen „Bräune“ – eine Bezeichnung, die wahrscheinlich dem schmutzig-braunen Ansehen krankhaft veränderter Wundflächen entlehnt ist. Auf dem Gebiete der Knochenbruchlehre zeigt sich W. besonders erfahren; denn er ist der erste, der die Längsbrüche beschreibt. Die „Schlitzbrüche“ – das sind unsere heutigen complicirten Fracturen – behandelt W. so, daß er um das gebrochene Glied zunächst Pflaster legt, auf dieses bindet er genau angepaßte Eisen- oder Holzschienen, so daß dieser Verband, die Wunde selbst frei lassend, unverrückbar und die Bruchstücke feststellend, wochenlang liegen bleibt; über diesen festen Verband legt er einen zweiten beliebig entfernbaren Schienenverband. In der Amputationsfrage zeigt sich W. sehr conservativ, obschon er vielleicht der erste ist, der eine Amputation im Oberschenkel ausgeführt hat; er entschließt sich nur schwer zu dieser verstümmelnden Operation und will sie vor Ablauf von zwölf Tagen seit der Verletzung nicht vorgenommen wissen; die zeitige (primäre) Amputation gilt ihm nur im äußersten Nothfalle angezeigt. Mit besonderer Vorliebe handelt W. die Schußwunden ab, obschon aus nichts hervorgeht, daß er Feldarzt gewesen sei. Von den damals noch nicht außer Gebrauch gesetzten Pfeilen und Bolzen spricht er nicht mehr, sondern nur von Kugeln. Die Schußwunde gilt ihm vergiftet, wenn infolge der Quetschung durch das Geschoß und infolge der Verbrennung durch das Pulver heftige Entzündung eintritt; eine eigentliche Vergiftung der Wunde nimmt er also nicht an; Schüsse, die in die großen Körperhöhlen eindringen, hält er für tödtlich. Das Geschoß ist vor allem auszuziehen, aber nur auf die einfachste Weise, nicht mit Haarseilen und Schrauben. In den Wundcanal wird eine Brandsalbe aus Honig, Hauswurzsaft u. s. w. eingespritzt, dann wird ein dünner, eingesalbter Meißel aus Tragacanthgummi in die Wundöffnung eingelassen und darüber Heftpflaster gelegt. Blutiger Wunderweiterung gedenkt er nicht; bisweilen ist ein Aderlaß am Platze; innerlich wird in Brunnenwasser gelöster Salpeter dargereicht. Nach diesen Auslassungen zu urtheilen ist W., gestützt auf seine umfassende Erfahrung, seine eigenen Wege gegangen. Diese Wege führten ihn abseits von den meisten bis dahin herrschenden Lehren des Alterthums und Mittelalters und ließen ihn nur das anerkennen, was schon vermöge seiner Einfachheit den Stempel der Richtigkeit an sich trug, und was mehr aus der eigenen Beobachtung des kranken Mitmenschen als aus Büchern geschöpft wurde. Wenn er nun auch seiner Wissenschaft und Kunst nicht selbst neue Bahnen angewiesen hat, so hat er doch seinen Kunstgenossen ein Beispiel gegeben, wie mit dem gedankenlosen Schlendrian und der sklavischen Nachahmung veralteter Mißbräuche aufzuräumen sei. Mit dem Feuereifer eines Paracelsus hat er die von den Bedürfnissen einer wissenschaftlichen Naturforschung bereits erfüllten Gemüther der Zeitgenossen für den Fortschritt entzündet und mit berechtigtem Selbstbewußtsein hat er sich in die vorderste Reihe der Verkünder des naturwissenschaftlichen Beobachtens, Denkens und Handelns gestellt.

Billroth, Historische Studien 1859. – Trélat, Conférences historiques 1865 und Union. méd. 1865: 50, 53. – Häser, Geschichte der Medicin 1875. – Baas, Grundriß der Gesch. d. Med. 1876. – Wolzendorff, Die Feldchirurgie des Felix Würtz, d. Militärarzt 1877, Nr. 7. – Wernher, Archiv f. Gesch. d. Med. 1878. – Häser, Uebersicht der Gesch. d. Chirurgie [354] 1879. – Courvoisier im Corresp.-Bl. der Schweizer Aerzte 1880, X. – Pagel, Biograph. Lexik. d. hervorr. Aerzte VI, 1888. – Baas, Die geschichtl. Entwickelung des ärztl. Standes. 1896. – Dict. hist. IV, S. 423.