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ADB:Ulrich II. (Graf von Ostfriesland)

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Artikel „Ulrich II. (Graf von Ostfriesland)“ von Paul Wagner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 229–231, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ulrich_II._(Graf_von_Ostfriesland)&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:21 Uhr UTC)
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Ulrich II., Graf von Ostfriesland, der zweite Sohn des Grafen Enno III. und der Walburgis von Rietberg, war geboren am 16. Juli 1605. Er wurde am Hofe in Aurich erzogen; die Bildung aber, die er hier erhielt, war, wie er später selbst anerkannte, eine nur mangelhafte. Im Alter von 21 Jahren ging er auf Reisen, besuchte Frankreich und England und war noch nicht lange wieder heimgekehrt, als er durch den unerwarteten Tod seines älteren Bruders Rudolf Christian am 17. April 1628 zur Regierung gelangte. Die Verhältnisse, unter denen er die Herrschaft des Landes antrat, waren überaus schwierige und verworrene. Trotz seiner entfernten Lage hatte auch Ostfriesland die Schrecken des dreißigjährigen Krieges über sich ergehen lassen müssen. Es war infolge seiner gänzlichen Wehrlosigkeit eine beliebte Zufluchtsstätte beutesüchtiger und quartierbedürftiger Kriegsvölker geworden. Erst hatten hier die Scharen des Grafen Ernst von Mansfeld in einer Weise gehaust, daß die Erinnerung daran den Leuten so bald nicht verging, dann waren 1627 kaiserliche Völker gefolgt, die noch im Lande lagen, als U. zur Regierung gelangte. Die Einwohner seufzten unter der Last dieser Einquartierung schwer, aber die gräfliche Regierung war den Einfällen gegenüber machtlos, da sie keine Truppen zur Abwehr besaß. Wol hatten die ostfriesischen Stände einige Gelder bewilligt, doch lagen die Angeworbenen in Emden und standen ausschließlich zur Verfügung dieser Stadt, die sie allein für ihre Zwecke benutzte. Emden überhaupt hatte eine Stellung im Lande, nicht wie eine dem Grafen untergebene Landstadt, sondern wie ein fast unabhängiges Gemeinwesen. Der Graf bedeutete hier sehr wenig, dafür um so viel mehr die Generalstaaten der Niederlande, die in allen ostfriesischen Angelegenheiten das entscheidende Wort sprachen. Der fortwährende Hader der Stände unter sich und mit dem Grafen hatte ihnen hauptsächlich diese überlegene Stellung verschafft, von der sie nicht zum wenigsten zu ihrem eigenen Vortheil Gebrauch machten. Es bedurfte also eines kraftvollen, zielbewußten und umsichtigen Herrschers, wenn diesen Zuständen ein Ende gemacht, die Unabhängigkeit des Landes und die ohnehin sehr beschränkte Autorität des Grafen einigermaßen wiederhergestellt werden sollte. Ulrich II. war nichts weniger [230] als ein solcher Herrscher. Er besaß eine nur mäßige Begabung, war eine träge, lässige, dem Genuß ergebene Natur, ohne Willenskraft, ohne Lust an den Geschäften, ließ am liebsten seine Räthe für sich arbeiten und war ungehalten, wenn sie ihn bei seinen Schmausereien, die er außerordentlich liebte, mit Regierungssorgen quälten. Von einem thatkräftigen Eingreifen, von Zielen und Plänen, die über das Gewöhnliche, von der Noth des Augenblicks Geforderte hinausgingen, ist bei ihm keine Rede. Man gewinnt daher von seiner Regierung kein sehr erfreuliches Bild; Ohnmacht und Schwäche kennzeichneten sie; Hülflosigkeit und Wehrlosigkeit zogen ihm fortgesetzt Demüthigungen zu, bald von den Fremden, bald von seinen eigenen Ständen. Zuweilen lag die Regierung mehr bei diesen und den Generalstaaten, als bei ihm. – Gleich im Anfange seiner Herrschaft gerieth er in Feindschaft mit der Stadt Emden, die ohne Rücksicht auf ihn Schatzungen im Lande eintreiben ließ zum Unterhalt ihrer Garnison und sich an gräflichen Beamten und Unterthanen vergriffen hatte. Erst 1631 verglichen sich die Streitenden unter Vermittlung der Generalstaaten, worauf dann Emden dem Grafen die bisher verschobene Huldigung leistete. Damals gelang es auch erst U. die Entfernung der kaiserlichen Völker aus Ostfriesland zu erwirken. Wol hätte er, um sein Land vor ähnlichen Einfällen zu bewahren, jetzt gern Truppen geworben, allein die Stände, die immer noch die Emder Garnison zu unterhalten hatten, verweigerten anfänglich alle hierzu erforderlichen Mittel und bewilligten sie später (1635) in so geringem Umfange, daß damit nicht viel ausgerichtet werden konnte. So stand denn U. wieder wehrlos da, als der Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel, durch die kaiserlichen Heere aus seinem Lande verdrängt, 1637 mit etwa 7000 Mann in Ostfriesland einfiel, die rasch zusammengerafften Streitkräfte des Grafen zurückwarf und sich auf Kosten des Landes hier häuslich niederließ. Die Einquartierung sollte zunächst nur sechs Monate dauern. Während dieser Zeit starb Wilhelm V. Seine Gemahlin aber, die bekannte Landgräfin Amalie, war nicht gewillt, nach Ablauf dieser Zeit die Truppen abzurufen; sie fand es vielmehr nützlich, sie noch länger hier liegen und zu ihrem Unterhalt sich von den ostfriesischen Ständen eine monatliche Contribution von 15 000 Reichsthalern zahlen zu lassen. Allen Aufforderungen und Bitten des Grafen, der Stände und schließlich auch der Generalstaaten um Entfernung der hessischen Völker wußte sie, unterstützt von den Mächten Frankreich und Schweden, immer neue Gründe für deren Verbleiben entgegenzustellen. Während das Land unter diesen Umständen nicht wenig litt, hatte es die Stadt Emden verstanden, sich in einem Sondervertrage mit den Hessen günstigere Bedingungen zu verschaffen und die volle Last der Einquartierung auf ihre Mitstände abzuwälzen. – Graf U. spielte bei diesen Ereignissen eine wenig hervorragende Rolle. An den Einfall der Hessen hatte er trotz erhaltener Warnungen nicht glauben wollen, und als er es endlich mußte, und nun die näheren Bedingungen für das vorläufige Verbleiben der Hessen vereinbart werden sollten, überließ er die Verhandlungen hierüber allein den Ständen und weigerte sich nachträglich lebhaft, von seinen Ländereien zu den allgemeinen Umlagen beizusteuern. Alle Versuche, die er unternahm, die Hessen wieder los zu werden, blieben erfolglos. Der Einfall hatte ihm jedoch von neuem die Nothwendigkeit gezeigt, eine größere Truppenmacht aufzustellen, zumal die Landgräfin Amalie für den Abzug ihrer Völker aus Ostfriesland zuweilen eine Garantie dafür forderte, daß das Land nicht in die Hände ihrer Gegner, der Kaiserlichen, fiel. Er nahm daher 1644 einige Compagnieen abgedankter staatischer Truppen in Sold, erreichte damit aber nur, daß die Hessen, denen diese ostfriesischen Rüstungen bedenklich vorkamen, ihre Truppen vermehrten und bei Jemgum im Reiderlande Schanzen errichteten. Es kam sogar im Laufe [231] dieser Dinge zu einigen unbedeutenden Zusammenstößen zwischen den Söldnern des Grafen und dem hessischen General Eberstein, allein die Generalstaaten schritten ein und vermittelten den Abschluß eines Vertrages, in dem das vorläufige Verbleiben der Hessen einerseits und die Beibehaltung der ostfriesischen Truppen andrerseits zugestanden wurde (20. October 1644). Dieser Interimsvertrag war nur bis zum März 1645 geschlossen, wurde aber von Jahr zu Jahr verlängert, da die Hessen nicht daran dachten, abzuziehen, so viel darüber auch verhandelt wurde. U. begab sich zu diesem Zwecke wiederholt persönlich nach dem Haag, sowie nach Arnheim, um dort die Generalstaaten und hier die Staaten von Geldern zu veranlassen, zu seinen Gunsten einzuschreiten, stets mit dem gleichen Mißerfolge. Er ist damals sogar eine Zeit lang auf den Gedanken gekommen, seine Grafschaft den Generalstaaten in Sequester zu geben. Zu allem bisherigen Unglück erfolgte jetzt am Ende des dreißigjährigen Krieges (1647) ein neuer Einfall kaiserlicher Völker unter dem Befehl des Generals Lamboy, der theils die Absicht hatte, die Hessen zu vertreiben, theils auf den niedersächsischen Kreis ausgeschriebene, von Ostfriesland noch nicht gezahlte Reichssteuern eintreiben wollte. Schon hatte er mehrere Aemter besetzt, als die Ankunft hessischer und schwedischer Truppen ihn zum Rückzuge zwang. Die von U. angeworbenen Völker waren nicht im Stande gewesen, weder die Hessen zu vertreiben, noch den Einfall der Kaiserlichen abzuwehren, hatten sich damit als völlig zwecklos erwiesen. Daher drangen die Stände, die sie mitzuunterhalten hatten, erneut auf ihre Abdankung. U. entschloß sich dazu endlich in einem Vertrage vom 18. September 1648. Es war einer der letzten Acte seines an Ergebnissen so armen Lebens. Als er bald darauf am 1. Novbr. 1648 starb, hinterließ er seinen damals noch unmündigen Söhnen und seiner Gemahlin, einer Tochter des Landgrafen Ludwig V. von Hessen-Darmstadt, mit der er seit dem 5. März 1631 in nicht immer glücklicher Ehe vermählt war, das Land in schlimmerer Verfassung, als er es übernommen hatte. Keine von den Aufgaben, die er einst vorgefunden, hatte er gelöst. Der Einfluß der Generalstaaten, sowie die Unabhängigkeit Emdens waren stärker denn je, und die Macht der Stände nicht im mindesten gebrochen; die gräfliche Gewalt hingegen hatte an Bedeutung nichts gewonnen, und das Land war durch die fortgesetzten Einquartierungslasten, durch die kriegerischen Einfälle, durch Wasserfluthen erschöpft und noch immer in der Hand der Hessen. – Daß eine Persönlichkeit, wie die Ulrich’s auch für die Förderung der Cultur seines Landes ohne größere Bedeutung gewesen, zumal in einer der Cultur ohnehin so feindlichen Zeit, wie der des dreißigjährigen Krieges, wird man begreifen. Zwar tragen die unter ihm reformirten Schulen von Aurich und Norden den Namen Ulrich’s, zwar wurden unter seiner Regierung eine Reihe von Verordnungen erlassen, die einzelne Zweige der weltlichen und geistlichen Verwaltung des Landes verbesserten, aber es ist nicht bekannt, daß gerade er dabei außergewöhnlich betheiligt gewesen ist. So ist es ihm nicht gelungen, als er verhältnißmäßig früh starb, in der dankbaren Erinnerung der Ostfriesen fortzuleben.

Wiarda, Ostfriesische Geschichte IV.