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ADB:Studemund, Wilhelm

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Artikel „Studemund, Wilhelm“ von Leopold Cohn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 721–731, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Studemund,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:13 Uhr UTC)
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Studemund: Wilhelm Friedrich Adolf St., berühmter Philologe, geboren am 3. Juli 1843 zu Stettin, † am 8. August 1889 in Breslau. Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, besuchte St. anfangs, da er vom Vater für die industrielle Laufbahn bestimmt war, die Realschule seiner Vaterstadt, ging aber bald, da er frühzeitig die Neigung zu wissenschaftlichen Studien in sich fühlte, zum königl. und Stadtgymnasium (jetzigen Marienstifts-Gymnasium) über. Er genoß hier unter der Leitung ausgezeichneter Lehrer eine vortreffliche Ausbildung und tüchtige Vorbereitung für seinen künftigen Beruf. An der Spitze der Anstalt stand damals A. G. Heydemann, der nach Studemund’s eigener Aeußerung durch seinen vorzüglichen Unterricht in Latein und Geschichte entscheidenden und nachhaltigen Einfluß auf seine Studienrichtung hatte. Demnächst verdankte er sehr viel dem griechischen Unterricht des gelehrten K. E. A. Schmidt. Zu seinen Lehrern zählten außerdem der geistreiche Ludwig Giesebrecht, der Neuphilologe Calo und der Mathematiker und Sanskritist Graßmann. Allen hat St. in seinem Beitrag zu H. Lemcke’s Nekrolog auf Heydemann (Zeitschr. f. Gymnasialwesen [722] XXXII, 762 ff.) ein schönes Denkmal seiner Dankbarkeit gesetzt. Seine hohe Begabung und eine gewisse Selbständigkeit des Urtheils traten schon auf der Schule in auffallender Weise hervor. Im Herbst 1860 mit dem Zeugniß der Reife entlassen, bezog er die Universität Berlin, um classische Philologie zu studiren, und belegte hauptsächlich Vorlesungen von August Boeckh und Moriz Haupt. Die meiste Anregung empfing er von Haupt, bei dem er mit großem Eifer ein Colleg über Tacitus’ Germania hörte. Zu Ostern 1861 verließ er Berlin und studirte die nächsten drei Semester in Halle, wo er bei Bernhardy und Bergk philologische und daneben germanistische Vorlesungen hörte. Am meisten regte ihn hier Bergk an, mit dem er in nähere persönliche Beziehungen trat, die später zu einem regen wissenschaftlichen Verkehr und Briefwechsel führten. Im Herbst 1862 kam er wieder nach Berlin und hörte dort zwei Semester lang philologische, germanistische, historische (bei Mommsen, Droysen und Nitzsch) und philosophische Vorlesungen, kehrte aber im nächsten Jahre nach Halle zurück und wurde am 4. Februar 1864 zum Doctor der Philosophie promovirt. Die Promotionsschrift De canticis Plautinis legte von der philologischen Schulung und dem selbständigen Urtheil des 20jährigen Verfassers glänzendes Zeugniß ab. Dem Widerstreit der Meinungen über die metrische Composition der lyrischen Partien des Plautus suchte St. ein Ende zu machen, indem er die Forderung aufstellte, aus der handschriftlichen Ueberlieferung, namentlich aus der Versabtheilung im Ambrosianischen Palimpsest, sichere Anhaltspunkte für die Bestimmung der zweifelhaften Metra zu gewinnen. Diese Erstlingsschrift gab St. die Richtung für das, was die Hauptaufgabe seines Lebens geworden ist. Bei seinen Untersuchungen über die plautinische Metrik kam ihm oft die Unsicherheit der Angaben über die Ueberlieferung der Handschriften zum Bewußtsein. Die hierdurch gewonnene Ueberzeugung, daß ohne genaue Kenntniß des Mailänder Palimpsestes ein Fortschritt in der Plautuskritik nicht zu erhoffen sei, führte ihn nach Italien, wo er Aufgaben fand, in denen sich seine wissenschaftliche Individualität voll entfalten konnte.

Nachdem St. am 30. Juli 1864 in Halle das Examen pro facultate docendi glänzend bestanden hatte, trat er noch im Sommer desselben Jahres die Reise an und arbeitete mit kurzen Unterbrechungen bis zum Sommer 1868 in den Bibliotheken Italiens. Sein Plan ging vor allem dahin, den Ambrosianus des Plautus von neuem zu vergleichen. Nebenbei wollte er handschriftliches Material sammeln für eine neue Ausgabe der griechischen Metriker und Musiker, auf deren Studium ihn sein ungewöhnliches musikalisches Talent geführt hatte. In Mailand ging er sofort an den Palimpsest und faßte bald den Entschluß, ein vollständiges Apographum der äußerst schwer lesbaren Handschrift anzufertigen und zu veröffentlichen. Mit einem unglaublichen Aufwand von Arbeitskraft, Ausdauer, Sorgfalt und Scharfsinn unterzog er sich der Ausführung dieser Aufgabe. Indem er in unermüdlicher Uebung sich in den Schriftcharakter der Handschrift einlebte, alle Zeilen- und Buchstabenabstände und Lücken maß, jeden Rest und Schatten eines Buchstabens immer wieder genau prüfte und alle Möglichkeiten und Vermuthungen immer aufs neue streng erwog, förderte er allmählich überraschende Resultate für den Text des Plautus zu Tage. Die Frucht seiner mühevollen Arbeit blieb lange der Welt vorenthalten. Nur gelegentlich in einzelnen Aufsätzen (in den Jahrbüchern für Philologie, im Hermes, im Rheinischen Museum für Philologie, im Festgruß der philologischen Gesellschaft zu Würzburg an die XXVI. Philologenversammlung 1868, in der zum 60. Geburtstag Th. Mommsen’s veranstalteten Festschrift Commentationes philologae in honorem Theodori Mommseni 1877) und später in Arbeiten seiner Schüler gab St. Mittheilungen aus seiner Vergleichung des Ambrosianus. [723] Im Greifswalder Lectionsprogramm für das Wintersemester 1870/71 veröffentlichte er die von ihm entzifferten Ueberreste der Vidularia, eines im Ambrosianus allein überlieferten Stückes von Plautus. Dieselben Bruchstücke machte er später zum Gegenstande eines Vortrages, den er auf der 36. Philologenversammlung zu Karlsruhe 1882 hielt (Ueber zwei Parallelcomödien des Diphilus), worin er auf Grund einer neuen Entdeckung im Ambrosianus, die als das griechische Original der Vidularia ein Stück des Diphilus ergab, den Nachweis lieferte, daß Diphilus einen und denselben Stoff in zwei Parallelcomödien bearbeitet habe. Das Apographum, das den vorhandenen Bestand des Palimpsests Blatt für Blatt und Zeile für Zeile in diplomatischer Treue wiedergiebt, den verschiedenen Grad der Lesbarkeit jedes einzelnen Buchstaben kenntlich macht und an zweifelhaften Stellen die verschiedenen Möglichkeiten angibt, war bei seiner Abreise aus Italien abgeschlossen und wurde später von ihm wiederholt in Mailand revidirt. Der Druck, der alsbald begann, zog sich sehr lange hin und auch nachdem dieser beinahe vollendet war, verschob St. die Herausgabe immer wieder, weil er die Absicht hatte, einzelne Blätter nochmals zu revidiren, vielleicht auch, weil er gleichzeitig den Anfang seiner Plautusausgabe liefern wollte. Er sollte die Vollendung und das Erscheinen des Apographum nicht mehr erleben. Als er nach seiner Erkrankung die traurige Gewißheit seines baldigen Todes erlangt hatte, lag ihm vor allem der Abschluß dieses Werkes am Herzen. Auf seinem Schmerzenslager in Berlin arbeitete er mehrere Wochen von früh bis spät, um eine Reihe von Blättern, auf denen sich ihm Aenderungen ergeben hatten, für den Druck fertig zu machen. Professor Oskar Seyffert in Berlin, der ihn schon bei dieser Arbeit getreulich unterstützt hatte, unterzog sich mit gewissenhafter Sorgfalt der Fertigstellung der von St. unvollendet hinterlassenen Theile und der Correctur des Druckes. Das Apographum erschien einige Monate nach Studemund’s Tode („T. Macci Plauti fabularum reliquiae Ambrosianae. Codicis rescripti Ambrosiani Apographum confecit et edidit Guilelmus Studemund.“ Berolini 1890.) Wenn das Werk auch nicht den Grad von Vollendung an sich trägt, den ihm St. zu geben gedachte, so ist es doch eine gewaltige Leistung, die ihm den Namen des größten Entzifferers von Palimpsesten eingetragen hat.

Schneller kam eine andere Aufgabe zum Abschluß, zu welcher die Beschäftigung mit dem Ambrosianus und die rasch bekannt gewordene Begabung Studemund’s für Entzifferung von Palimpsesten den Anstoß gaben. Auf Veranlassung von Th. Mommsen, der St. in Italien kennen und schätzen gelernt hatte, ertheilte ihm die kgl. Akademie der Wissenschaften in Berlin den Auftrag, den Veroneser Palimpsest der Institutionen des Gaius neu zu vergleichen. Durch eingehendes Studium des Gaius und der älteren juristischen Litteratur der Römer aufs sorgfältigste vorbereitet, kam St. im Mai 1866 nach Verona. Der Ausbruch des Krieges aber führte bald eine Unterbrechung seiner Arbeit herbei, nachdem er sie kaum begonnen hatte. St. nahm in dieser Zeit thätigen Antheil an der Politik, er hatte sich vom Grafen Usedom, dem preußischen Gesandten am italienischen Hofe in Florenz, bestimmen lassen, seine Feder in den Dienst der Diplomatie zu stellen und die preußische Politik in den größeren italienischen Tagesblättern publicistisch zu vertreten; seine stilistische Gewandtheit und die Sicherheit und Eleganz, mit der er die italienische Sprache im mündlichen wie im schriftlichen Verkehr handhabte, befähigten ihn für diese Aufgabe in hohem Maaße. Eines Tages erhielt er von einem Mitglied des geheimen italienischen Comités die warnende Mittheilung, daß er von den Oesterreichern beobachtet werde. Es blieb ihm nichts übrig, als schleunigst aus Verona zu entfliehen, die Abreise erfolgte so plötzlich, daß er seine Papiere über Gaius auf der Capitularbibliothek zurücklassen mußte – darunter befanden sich Aufzeichnungen über die österreichischen [724] Truppen in Verona. Er ging über die Schweiz nach Mailand, wo er für einige Zeit die Vertretung des preußischen Consuls übernahm. Erst mit Beginn des folgenden Jahres konnte er die Arbeit in Verona wieder aufnehmen, die ihn den größten Theil der Jahre 1867 und 1868 beschäftigte, wobei er zeitweilig von befreundeten Juristen, die sich in Italien aufhielten, namentlich von Th. Mommsen und P. Krüger unterstützt wurde. Die neue Vergleichung lohnte reichlich die aufgewendete Mühe. Das Apographum, das im J. 1874 erschien, gab dem Studium des Gaius eine ganz neue Grundlage und machte der willkürlichen Behandlung des Textes, die bis dahin geherrscht hatte, für immer ein Ende. In der von St. in Verbindung mit P. Krüger veranstalteten kritischen Ausgabe des Gaius (1877) wurden die Ergebnisse der Neuvergleichung für die Gestaltung des Textes nutzbar gemacht; die zweite Auflage dieser Ausgabe (1884) brachte noch einige Nachträge zum Apographum, die St. bei später wiederholten Prüfungen des Palimpsests gewonnen hatte. Mit der Entzifferung des Veroneser Palimpsests hat sich St. um die Jurisprudenz sehr verdient gemacht. Die juristische Facultät der Universität Greifswald ehrte ihn hierfür durch Verleihung der juristischen Doctorwürde honoris causa (1874).

Mit demselben Erfolge beschäftigte sich St. mit der Entzifferung einiger anderer Palimpseste lateinischer Schriftsteller. So verglich er in Mailand in den Mußestunden, die ihm der Ambrosianus des Plautus übrig ließ, den Palimpsest des Fronto. Die Ergebnisse seiner Collation stellte er R. Klußmann für seine Emendationes Frontonianae (1874) zur Verfügung. Vom Fronto-Palimpsest in der Vaticanischen Bibliothek fertigte er während eines späteren Aufenthaltes in Rom ein Apographum, das jedoch, wie vieles andere, bis zu seinem Tode unbenutzt in seinem Pulte liegen blieb. In Turin verglich er einige Palimpsestblätter mit Bruchstücken aus dem 27. und 29. Buche des Livius, auf die ihn Th. Mommsen hingewiesen hatte; eine Bearbeitung derselben ist in den in Gemeinschaft mit Mommsen veröffentlichten Analecta Liviana (1873) enthalten. Der Ambrosianus des Plautus enthält auf einigen Seiten Bruchstücke aus zwei Tragödien des Seneca, auch diese schrieb St. ab und lieferte mit ihrer Bearbeitung einen Beitrag zu Fr. Leo’s Ausgabe der Tragödien[WS 1] des Seneca (1879). Für die Wiener Akademie der Wissenschaften verglich er die im Palimpsest des Gaius enthaltenen Bruchstücke aus Schriften des hl. Hieronymus.

Seine Thätigkeit beschränkte sich aber nicht bloß auf die Entzifferung von Palimpsesten. Trotz der vielen Mühe, die er auf die Ausführung dieser Aufgaben verwendete, fand er noch Muße für andere Arbeiten. In allen größeren Bibliotheken Italiens hielt er sich einige Zeit auf, um ihre Schätze kennen zu lernen, untersuchte und beschrieb alle Handschriften, die ihm von Interesse schienen, griechische wie lateinische, und verglich und copirte für sich und andere. Am meisten richtete er sein Augenmerk auf Handschriften der griechischen Metriker und Musiker, bei deren Durchforschung er eine Zeit lang von seinem Freunde Rudolf Schöll unterstützt wurde. Ebenso durchmusterte er Handschriften der griechischen Grammatiker und Rhetoren und Sammelcodices griechischer Dichter, wie den Vaticanischen Codex des Theognis. Auch wichtige Handschriften der altchristlichen Litteratur erregten seine Aufmerksamkeit, wie die Petrusakten in Vercelli (die kürzlich von R. Lipsius herausgegeben sind) und das unter dem Namen des Eustathius von Antiochia überlieferte Hexaemeron. Trotz dieses reichen eigenen Arbeitsstoffes war er stets gern bereit, die Arbeiten anderer zu unterstützen. Seinem Lehrer Bergk besorgte er verschiedene Collationen für die dritte Auflage der Poetae lyrici graeci sowie eine Abschrift des in einer Mailänder Handschrift damals entdeckten Gedichts des Theokrit, welches Bergk dann [725] im Hallenser Programm für das Wintersemester 1865/66 zum ersten Mal herausgab. Für C. Halm’s Ausgabe des Quintilian (1868) verglich er die wichtige Mailänder Handschrift u. dgl. Mit seltener Uneigennützigkeit überließ er vielfach Collationen und Abschriften, die er für sich angefertigt hatte, anderen zur Benutzung.

Die außerordentlichen Erfolge seiner Arbeiten und die gediegenen Publicationen, die St. von Italien aus seiner Promotionsschrift folgen ließ, machten ihm rasch einen Namen in der Gelehrtenwelt und verhalfen ihm in kurzer Zeit zu einer gesicherten Lebensstellung. Neigung und Befähigung wiesen ihn auf die akademische Laufbahn hin. Er schwankte noch, an welcher Universität er sich habilitiren sollte, da erhielt er im Juli 1868, während er noch in Italien weilte, auf Veranlassung C. Halm’s einen Ruf als außerordentlicher Professor und Mitdirector des philologischen Seminars an die Universität Würzburg. Im October desselben Jahres trat er die Stelle an und entwickelte sofort eine so fruchtbare Lehrthätigkeit, daß er schon nach einem Semester, am 11. April 1869, zum ordentlichen Professor befördert wurde und somit in einem Alter von 25 Jahren die höchste Stufe der akademischen Laufbahn erreichte. Ein Jahr darauf, im März 1870, wurde er nach Greifswald berufen als Nachfolger Franz Bücheler’s. St. pflegte gern zu erzählen, wie es bei dieser Berufung zuging: der damalige Decernent für das Universitätswesen im preußischen Cultusministerium Geh. Oberregierungsrath Olshausen kam nach Würzburg und wohnte einer Vorlesung von St. bei, ohne daß dieser ihn kannte; dann erst ging er zu St. und gewann ihn nach kurzer Verhandlung für die Stelle in Greifswald. Hier gewann St. rasch großen Einfluß auf die Studirenden der Philologie, ein Kreis von Schülern sammelte sich um ihn, die nicht nur durch sein glänzendes Lehrtalent angeregt und gefesselt, sondern auch zu selbständiger Arbeit von ihm angeleitet wurden. Aber auch in Greifswald war seine Wirksamkeit nur von kurzer Dauer. Bei der Wiedererrichtung der Universität Straßburg wurde St. zur Vertretung der philologischen Wissenschaft ausersehen. Schon im December 1871 richtete Freiherr v. Roggenbach, der die Vorverhandlungen führte, ein anerkennendes Schreiben an ihn, worin er ihn ersuchte, mit seiner bewährten Kraft bei der Gründung der Kaiser-Wilhelms-Universität mitzuwirken. Am 20. April 1872 erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Straßburg, gleichzeitig wurde er provisorisch mit der Direction des philologischen Seminars beauftragt; im April 1875 wurde er definitiv alleiniger Director des Seminars. Außerdem war er seit dem 1. Januar 1873 Vorsitzender der wissenschaftlichen Prüfungscommission für Schulamtscandidaten. Dreizehn Jahre, die Glanzzeit seines Lebens, hat er dem Dienste der Straßburger Universität und der Reichslande gewidmet und während derselben nach den verschiedensten Richtungen hin eine überaus fruchtbare Thätigkeit entwickelt. Die schnelle Befestigung der Verhältnisse an der neuen Universität ist nicht zum geringsten Theil St. zu verdanken. Sein praktischer Blick wußte überall rasch das herauszufinden, was Noth that; bei schwierigen Verwaltungsfragen bewährte sich sein ungewöhnliches Organisationstalent aufs glänzendste, sein Urtheil gab oft den Ausschlag. Die philologischen Studien blühten unter seiner Meisterhand rasch auf und erhielten tüchtige Stützen: das philologische Seminar und das Institut für Alterthumswissenschaft wurden mit den reichen Mitteln, die dafür ausgeworfen waren, musterhaft eingerichtet, die Bibliotheken der beiden Institute den Studirenden den ganzen Tag geöffnet. Als akademischer Lehrer entfaltete er in seinen Vorlesungen und noch mehr in den Uebungen des philologischen Seminars eine bedeutende Wirksamkeit. In den Vorlesungen beschränkte er sich auf wenige Disciplinen, er las hauptsächlich über griechische [726] und lateinische Metrik, historische Grammatik und Syntax der lateinischen Sprache, Geschichte der griechischen Sprache und römische Litteraturgeschichte. Die Uebungen des Seminars erstreckten sich auf einen großen Kreis von Schriftstellern beider Sprachen. Seine frische und lebhafte Art der Behandlung eines wissenschaftlichen Gegenstandes fesselte ungemein. Ganz besonders aber wirkte er anregend im persönlichen Verkehr mit den Studirenden, die jederzeit freien Zutritt zu ihm hatten und einen großen Theil seiner Zeit in Anspruch nahmen. Er besprach oft stundenlang den Gegenstand, den sie sich als Arbeitsgebiet entweder selbst gewählt oder von ihm zugewiesen erhalten hatten, und arbeitete mit ihnen nicht selten bis tief in die Nacht hinein. Mit Interesse folgte er dem Fortschritt einer jeden Arbeit und überwachte die Ausführung sorgfältig bis in alle Einzelheiten. Geschickt wußte er jeden auf ein seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechendes Gebiet hinzulenken und, wenn einer auf Schwierigkeiten stieß und muthlos wurde, ihn immer wieder auf den richtigen Weg zurückzuführen und zu ermuthigen. Auch um die persönlichen Verhältnisse der Studirenden kümmerte er sich, jeder fand in ihm allzeit einen treuen Berather und Helfer. So wurde Straßburg eine blühende Stätte der philologischen Studien, aus der eine große Anzahl tüchtiger Philologen und Schulmänner und eine Reihe gediegener wissenschaftlicher Leistungen hervorging. Die zehn stattlichen Bände der „Dissertationes philologicae Argentoratenses selectae“ (1879–1886) sind ein sprechendes Zeugniß für die segensreiche Thätigkeit Studemund’s als akademischer Lehrer; die meisten dieser Arbeiten sind von ihm angeregt und gefördert. Einen Theil der Schüler führte St. in sein eigenes Arbeitsgebiet, die Plautusstudien, ein, indem er einzelne Probleme der Plautinischen Metrik und Textkritik im Zusammenhang mit der Grammatik des ältesten Lateins bearbeiten ließ. Diese Arbeiten gab er in einem besonderen Sammelwerke heraus, den „Studien auf dem Gebiete des archaischen Lateins“, von welchen zu seinen Lebzeiten nur das erste Heft des ersten Bandes erschienen ist (1873), ein zweites Heft aber und ein zweiter Band bald nach seinem Tode (1890, 1891).

Als Vorsitzender der wissenschaftlichen Prüfungscommission erhielt St. maßgebenden Einfluß auf die Gestaltung des höheren Schulwesens in Elsaß-Lothringen. Das Prüfungsreglement für die Schulamtscandidaten vom 28. October 1872 ist zum größten Theil sein Werk. Seinen Bemühungen gelang es durchzusetzen, daß eine Anzahl deutscher Regierungen sich zu gegenseitiger Anerkennung der von den Prüfungscommissionen ausgestellten Zeugnisse verpflichtete. Welch hohen Werth St. darauf legte, kann man daraus ersehen, daß er im J. 1877 einen sehr ehrenvollen Ruf nach Heidelberg bloß aus dem Grunde ablehnte, weil die Anerkennung der badischen Prüfungszeugnisse durch die preußische Regierung damals nicht erreicht werden konnte. Das große Geschick, das er bei der Einrichtung der höheren Schulen in den Reichslanden gezeigt hatte, bewog auch fremde Nachbarregierungen, sich an ihn zu wenden. Die luxemburgische und die belgische Regierung zogen ihn bei der Reorganisation ihres höheren Schulwesens zu Rathe und ehrten seine verdienstvollen Bemühungen durch Verleihung hoher Orden, die niederländische Akademie der Wissenschaften in Amsterdam ernannte ihn zu ihrem auswärtigen Mitgliede. In Elsaß-Lothringen erstreckte sich sein Einfluß auf alle Zweige der Unterrichtsverwaltung. Als im April 1882 der Oberschulrath für Elsaß-Lothringen errichtet wurde, ward St. ordentliches Mitglied desselben und nahm an allen wichtigen Arbeiten, die ihm oblagen, hervorragenden Antheil. Nicht nur die „Allgemeinen Vorschriften für die höheren Schulen Elsaß-Lothringens“ vom 20. Juni 1883 entstanden unter seiner Mitwirkung, auch den Berathungen über die Töchterschulen und das Elementarschulwesen kam seine Einsicht und Erfahrung in schultechnischen Dingen [727] zugute. Er verstand es in seltenem Maße auch in Gebiete, die ihm fremd waren und eigentlich fern lagen, sich rasch einzuarbeiten, und wußte für alle Fragen die richtige Methode der Bearbeitung zu finden. Der Statthalter Generalfeldmarschall Freiherr Edwin v. Manteuffel wußte seine Eigenschaften und Fähigkeiten zu schätzen und zog ihn vielfach auch in andern Fragen der Verwaltung (z. B. in den kirchenpolitischen Verhandlungen mit dem Bischof Räß von Straßburg) zu Rathe, wie er es überhaupt liebte, Männern seines persönlichen Vertrauens über die Köpfe der Verwaltungsbeamten hinweg wichtige administrative Aufgaben zu stellen. Dieses Vertrauensverhältniß zum Statthalter führte große Unzuträglichkeiten für St. herbei. Man beschuldigte ihn, daß er seine Stellung als unverantwortlicher Rathgeber mißbrauche, und schrieb ihm für alle möglichen Maßnahmen des Manteuffel’schen Regiments die Verantwortung zu. Er ertrug alle Anfeindungen mit dem Gleichmuth des zielbewußten Mannes, da sie größtentheils auf Irrthum beruhten. Sein selbstbewußtes Auftreten aber verschaffte ihm immer mehr Gegner, so daß er schließlich an der Universität fast ganz isolirt war. Diese unerquicklichen Verhältnisse mußten ihm natürlich mit der Zeit lästig werden, alle äußeren Ehren und Auszeichnungen, die ihm zu theil wurden, konnten ihn nicht entschädigen. Nachdem der Statthalter v. Manteuffel im Juni 1885 gestorben war und Rudolf Schöll, beinahe der einzige Freund, der ihm unter den Collegen in Straßburg geblieben war, einen Ruf nach München angenommen hatte, war seines Bleibens in Straßburg nicht mehr. Als daher an Schöll’s Stelle A. Reifferscheid nach Straßburg gekommen war und das preußische Cultusministerium ihm dessen Professur in Breslau anbot, zögerte er nicht sie anzunehmen. Am 28. September 1885 erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Breslau; zugleich wurde ihm die Mitdirection des philologischen Seminars, das Curatorium der Studentenbibliothek und ein Theil der Functionen der Professur der Eloquenz übertragen.

Bei der großen Arbeitslast, die St. in Straßburg zu bewältigen hatte, mußte die wissenschaftliche Thätigkeit etwas in den Hintergrund treten. In den ersten Jahren wurde das Apographum und die kritische Ausgabe des Gaius vollendet. Im übrigen beschränkte sich seine wissenschaftliche Arbeit auf einige Aufsätze, hauptsächlich über Plautus, und auf die stille Mitarbeit an den Promotionsschriften der Schüler. Mit der Uebersiedelung nach Breslau kehrte St. zur Wissenschaft zurück, ihr wollte er fortan ausschließlich leben. Seine Lehrthätigkeit begann er sofort mit demselben Erfolge wie in den früheren Stellungen. Der Kreis seiner Vorlesungen war hier ausgedehnter, er las historische Grammatik und Syntax der lateinischen Sprache, lateinische Stilistik, Geschichte der griechischen Sprache, griechische Staatsalterthümer, Römisches Staatsrecht und Sacralwesen und ein Colleg über Plautus. Größere Anziehungskraft als die Vorlesungen hatten die Uebungen der jeweilig von ihm geleiteten Abtheilung des philologischen Seminars. Gleich im ersten Semester, wo er die Leitung des Proseminars hatte, strömten selbst die ältesten Studenten und Candidaten, die längst den Besuch von Vorlesungen aufgegeben hatten, zu den Uebungen, um als Gäste seinen Unterricht zu genießen. Bald auch wußte er die Studirenden in persönlichem Verkehr an sich heranzuziehen. Seine nächsten Fachcollegen haben es neidlos anerkannt, daß er das Centrum wurde, um welches sich die begabtesten und strebsamsten Studirenden namentlich der älteren Semester schaarten. Die meisten der während seiner Wirksamkeit und bald nach seinem Tode in Breslau erschienenen philologischen Dissertationen sind unter seiner Anregung und sorgfältigen Controlle entstanden. Einige dieser Dissertationen sind mit Arbeiten jüngerer Breslauer Fachgenossen vereinigt in den „Breslauer philologischen Abhandlungen“, die von ihm ins [728] Leben gerufen und nicht bloß wissenschaftlich, sondern auch materiell unterstützt wurden; die ersten fünf Bände dieser Sammlung (1886–1890) sind von ihm herausgegeben und jeder einzelne Druckbogen sorgfältig von ihm durchcorrigirt. Er selbst war in diesen Jahren wissenschaftlich überaus thätig. Zuerst wollte er das weitschichtige Material, das er für die griechischen Metriker gesammelt hatte, verarbeiten. Kurz nach der Uebersiedelung nach Breslau erschien der erste Band der in Gemeinschaft mit Rudolf Schöll herausgegebenen „Anecdota varia Graeca et Latina“ (1886), dessen Druck schon in Straßburg begonnen hatte und in Breslau vollendet wurde. Er brachte Anecdota varia Graeca musica metrica grammatica und sollte als Vorläufer eines Corpus metricorum graecorum angesehen werden, das er in Verbindung mit Wilhelm Hoerschelmann herauszugeben gedachte. Außer einer mit Studemund’s Hülfe von Hoerschelmann ausgeführten Bearbeitung des gelehrten Commentars des Grammatikers Georgius Choeroboskus zu dem metrischen Handbuch des Hephästion enthält der Band eine reiche Fülle von Mittheilungen Studemund’s über wichtige metrische Handschriften, die er namentlich in Mailand und Venedig mit großer Sorgfalt theils verglichen theils vollständig abgeschrieben hatte. Dieselbe Akribie und Gewissenhaftigkeit, die man in dem Apographum des Gaius bewundern mußte, zeigte er auch in diesem Bande, was ihm freilich nicht ganz ungerechtfertigten Tadel bei manchen Fachgenossen eintrug, die der Ansicht waren, daß diese byzantinischen Schriften einen solchen Aufwand von Zeit, Mühe und Gelehrsamkeit nicht verdienten. Seine Stellung als Professor der Eloquenz gab ihm Gelegenheit, in mehreren Universitätsschriften weitere Beiträge zur metrischen und grammatischen Litteratur zu liefern und verschiedene eigenartige Dichtungen aus spätgriechischer und byzantinischer Zeit textkritisch und litterarhistorisch zu behandeln („Menandri et Philistionis comparatio“, 1887; „Tractatus Harleianus qui dicitur de metris“, 1887; „Pseudo-Castoris excerpta rhetorica“, 1888; „Damocratis poetae medici fragmenta“, 1888). Anderes dieser Art veröffentlichte er in philologischen Zeitschriften. Als Professor der Eloquenz hatte er auch zweimal Gelegenheit, als Universitätsredner in der Aula Leopoldina aufzutreten. Am 22. März 1886, am Geburtstage des Kaisers Wilhelm I., sprach er über die staatsrechtlichen Verhältnisse Elsaß-Lothringens, schilderte die Verwaltung des Oberpräsidenten v. Moeller und des Statthalters v. Manteuffel und vertheidigte die Verwaltungsprincipien Manteuffel’s warm gegen die Angriffe, die in der Presse dagegen erhoben waren. (Die Rede ist abgedruckt in dem Buche „Das Leben des Generalfeldmarschalls Edwin von Manteuffel“, von Karl Heinrich Keck, Bielefeld und Leipzig 1890, S. 260–275.) Die andere Rede hielt er am 24. Juni 1888 bei der Universitätsfeier zum Gedächtniß des Kaisers Friedrich III.; in tiefer Bewegung gab er dem allgemeinen Schmerz über den Verlust des geliebten Fürsten Ausdruck, der „noch in den Tagen schwersten Leidens als Held des Entsagens fast bewundernswerther erscheint denn als Held auf dem Schlachtfeld“, und entwarf ein vortreffliches Bild von der hohen Begabung, den vielseitigen Talenten und den edlen Tugenden des königlichen Dulders. Damals ahnte Niemand, der den blühenden und von Gesundheit strotzenden Mann sah, daß er bald einem ähnlichen Schicksal unterliegen werde wie Kaiser Friedrich.

Seine große Sachkenntniß und Gewandtheit in administrativen Dingen bethätigte St. auch in Breslau; nur wurde er dadurch nicht in seiner wissenschaftlichen Arbeit behindert. In den Sitzungen der philosophischen Facultät verhielt er sich anfangs zurückhaltend. Aber seine glänzenden Eigenschaften verschafften ihm auch hier und im akademischen Senat, in den er im J. 1888 berufen wurde, bald Einfluß: seine Ansicht drang fast immer durch und die [729] Abfassung von Berichten und Gutachten wurde gewöhnlich ihm übertragen. Ebenso wurde er vom Ministerium oft zu Gutachten in wichtigen Universitäts- und Schulangelegenheiten aufgefordert und mit Abfassung von Reglements und dergl. beauftragt. Auch eine auswärtige Mission wurde ihm übertragen, deren glückliche Ausführung ihn mit besonderer Genugthuung erfüllte. Als im Frühling 1887 bekannt wurde, daß ein Theil der reichen Handschriftensammlung des Sir Thomas Phillipps in Cheltenham verkauft werden solle, richtete die preußische Regierung ihr Augenmerk auf die aus der Meerman’schen Bibliothek stammenden Handschriften, und St. erhielt zusammen mit dem Director der Handschriftenabtheilung der königl. Bibliothek in Berlin Valentin Rose von dem Cultusminister v. Goßler den Auftrag, die Meerman’schen Handschriften zu prüfen und abzuschätzen. In der kurzen Zeit von kaum vier Wochen wurde der Auftrag vollzogen, St. fertigte ein beschreibendes Verzeichniß der griechischen Handschriften an, während Rose eine Prüfung der lateinischen vornahm, und auf Grund ihres Berichts wurden die Handschriften für die königl. Bibliothek in Berlin erworben. St. interessirte sich aufs lebhafteste für die Katalogisirung der Handschriftenschätze der Bibliotheken. Seiner Initiative ist es zu verdanken, daß der von seinem Freunde Joseph Staender verfaßte Katalog der Handschriften der Paulinischen Bibliothek in Münster auf Kosten des preußischen Cultusministeriums herausgegeben wurde. Auf seine Anregung hin entstand der Katalog der griechischen Handschriften der Breslauer Stadtbibliothek, der als Festschrift zur 40. Philologenversammlung in Görlitz (1889) erschien. Hervorragenden Antheil hatte er auch an den Ministerialverhandlungen über die Katalogisirung der Handschriften der preußischen Bibliotheken, die zu einem entsprechenden Auftrage für Professor Wilhelm Meyer (Göttingen) führten.

Mitten in seinen Arbeiten und Arbeitsplänen überfiel St. die tückische Krankheit, die ihn im kräftigsten Mannesalter dahinraffte. Im Juli 1888 erkrankte er an einem Leiden, das schon einmal in Straßburg aufgetreten war, aber durch eine glückliche Operation damals beseitigt schien. Er begab sich, auf das Schlimmste gefaßt, zu seinem ehemaligen Schulfreunde Professor Küster nach Berlin und unterzog sich einer schmerzhaften Operation. Nachdem er sich während der Ferien in Kreuznach, wo er mit Frau und Kindern bei Verwandten weilte, von den Folgen erholt hatte, kehrte er Ende September nach Breslau zurück und nahm in gewohnter Weise seine Arbeiten und seine Vorlesungen wieder auf. Aber im Beginn der Weihnachtsferien kam das Leiden mit erneuter Heftigkeit wieder, eine zweite Operation stellte sich als nothwendig heraus, die wiederum von Küster in Berlin vollzogen wurde. Im Februar 1889 kehrte er nach Breslau zurück und brachte mit Aufbietung aller Kräfte, seiner Schmerzen nicht achtend, die Vorlesungen zu Ende. Eine dritte Operation während der Osterferien brachte vorübergehend eine kleine Linderung, aber an Rettung war nicht mehr zu denken. St. wußte jetzt, daß seine Tage gezählt seien. Er ertrug diese Gewißheit mit heldenhafter Resignation und hatte nur den einen Gedanken, in der kurzen Frist, die ihm noch zu leben verstattet war, möglichst viel zu Stande zu bringen und wenigstens einen Theil seiner Arbeitspläne zu verwirklichen. Aus den furchtbarsten Schmerzen, die ihn zeitweise bewußtlos machten, raffte er sich immer wieder auf, um zu arbeiten, und gönnte sich keine Ruhe und Erholung. Allen Vorstellungen, sich zu schonen, setzte er die Antwort entgegen: „der Tod wartet nicht.“ Es ist unglaublich, wieviel der todkranke Mann in dieser Zeit geleistet und zu Stande gebracht hat. Zuerst wurde der Plautus in Angriff genommen. Gleich nach der letzten Operation kurz vor Ostern 1889 ließ er sich das Apographum und das ganze Plautusmaterial nach Berlin kommen und machte sich mit Professor Oskar Seyffert an [730] die Arbeit und hörte nicht eher auf[WS 2], als bis alles (bis auf die Prolegomena) für den Druck fertig war. Auf dem Schmerzenslager in Berlin schrieb er auch den Aufsatz „Ueber die sacra Argeorum“ (Philologus N. F. II, 168–177), wobei ihm Professor O. Richter mit seiner genauen Kenntniß der römischen Topographie bereitwillig Hülfe leistete. Sodann war er eifrig bemüht, die Katalogisirung der Meerman’schen Handschriften in die rechten Wege zu leiten. Er hatte die Absicht gehabt, sein kurzes Verzeichniß der griechischen Handschriften genauer auszuarbeiten und herauszugeben. Da er selbst nicht mehr die Kraft dazu hatte, aber doch den Wunsch hegte, daß der Katalog nach seinen Intentionen und unter seiner Controlle angefertigt werde, so setzte er es durch, daß der Schreiber dieser Zeilen mit dieser Aufgabe betraut wurde und die Anweisung erhielt, die Katalogisirung sofort in Angriff zu nehmen. Den Fortgang der Arbeit verfolgte St. bis zuletzt mit unverändertem Interesse. Die Vollendung erlebte er nicht mehr. Vor mir liegt der erste Correcturbogen des Katalogs, den er noch wenige Tage vor seinem Tode gesehen und in den er mit zitternder Hand einige Correcturen einzutragen versucht hat. Der Katalog war im Sommer 1890 im Druck vollendet und erschien 1892 im Gesammtverzeichniß der für die königl. Bibliothek erworbenen Meerman’schen Handschriften.

Mannichfache Ehren und Auszeichnungen, die wie Lichtstrahlen auf sein Krankenlager fielen, wurden ihm in dieser Leidenszeit zu theil: so die Ernennung zum Geheimen Regierungsrath und zum correspondirenden Mitgliede der königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin. Die größte Freude aber bereitete ihm die Festschrift (Commentationes in honorem Guilelmi Studemund, 1889), die ihm die zahlreichen Schüler von nah und fern zu seinem 25jährigen Doctorjubiläum (8. Februar 1889) widmeten, das er selbst still auf seinem Krankenbette in Berlin begehen mußte. Mit Beginn des Sommersemesters 1889 kehrte er nach Breslau zurück. Mit staunenswerther Energie und mit seltenem Heroismus bemühte er sich, trotz der qualvollsten Leiden, seine amtlichen Pflichten zu erfüllen und die begonnenen Arbeiten fortzusetzen. In diese Zeit fällt die Ausarbeitung der Prolegomena zum Apographum des Plautus und ein Aufsatz „Zum Mosaik des Monnus“, der nach seinem Tode im Jahrbuch des Kaiserl. Deutschen Archäologischen Instituts, Bd. V (1890), erschienen ist. Die letzte Arbeit von seiner Hand, die er buchstäblich auf dem Todtenbette fertiggestellt hat, erschien wenige Tage vor seinem Tode im Lectionsprogramm für das Wintersemester 1889/90 („De Theognideorum memoria libris manu scriptis servata“): sie enthält eine Abschrift der Vaticanischen Handschrift und eine Abhandlung über die allmähliche Entstehung der Theognidea. Von den Vorlesungen mußte er sich dispensiren lassen. Aber die Uebungen des Seminars leitete er mit Todesverachtung bis zum Schlusse des Semesters, hielt Prüfungen ab und nahm an den Sitzungen des akademischen Senats und der philosophischen Facultät theil. Eine zu seinem Leiden hinzugetretene Lungenentzündung beschleunigte den Tod. Am 8. August 1889 Abends 7 Uhr entschlief er sanft, mit seinem letzten Programm in der Hand, das er sich kurz vorher hatte geben lassen. Die Nachrufe, die ihm gewidmet wurden, und das unabsehbare Leichengefolge, das seine irdischen Ueberreste zur letzten Ruhestätte geleitete, bezeugten, welche Achtung und Verehrung der Verstorbene sich in Breslau erworben hatte. Mit der geliebten Gattin, die er mit zwei lieblichen kleinen Mädchen zurückließ, trauerten zahlreiche Freunde und Fachgenossen um den frühen Heimgang des verdienten Mannes.

Ueberblickt man die Summe dieses Lebens, so muß man staunen über die reiche Fülle dessen, was er in der kurzen Zeit geschaffen und geleistet hat. Aber [731] wieviel hätte er noch für die Wissenschaft gethan, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, alle seine Pläne zur Ausführung zu bringen. Das schmerzlichste für ihn war, daß er nicht mehr zur Vollendung der Hauptaufgabe seines Lebens, der kritischen Ausgabe des Plautus, gelangte. Er wollte an diese in einer Weise vorbereitet herangehen wie keiner vor ihm, sie sollte seine Plautusstudien abschließen und krönen. Er hatte zu diesem Zwecke alle Plautushandschriften aufs sorgfältigste neu verglichen und eine Reihe wichtiger Specialuntersuchungen über plautinische Grammatik und Metrik theils selbst begonnen theils von Schülern vornehmen lassen. Die meisten und wichtigsten seiner Pläne sind mit ihm ins Grab gesunken, aber ein ungeheures Material, das er in unermüdlicher Arbeit zusammengebracht hat, befindet sich in dem litterarischen Nachlaß und harrt der Verarbeitung. Es ist zu hoffen, daß dieses nicht ganz für die Wissenschaft verloren ist. Außer den Collectaneen zu den Institutionen des Gaius und dem Facsimile des Fronto, die der königl. Akademie der Wissenschaften geschenkt und von dieser der Handschriftenabtheilung der königl. Bibliothek in Berlin überwiesen sind, wurde auf Antrag seines Freundes des Oberbibliothekars Prof. J. Staender die kostbare Bibliothek und der schriftliche Nachlaß Studemund’s für die königl. und Universitätsbibliothek in Breslau angekauft und dadurch das reiche Material, das er hinterlassen, der Gelehrtenwelt zugänglich gemacht. Ein neuplatonischer Commentar zu Platon’s Parmenides, den St. im April 1878 aus einem Turiner Palimpsest abgeschrieben hatte und den er im dritten Bande der Anecdota varia herauszugeben gedachte, ist vor kurzem von W. Kroll veröffentlicht worden (Rhein. Museum XLVII, 599 bis 627). Prof. O. Seyffert unterzieht das Plautusmaterial einer genauen Durchsicht und hofft einige Abhandlungen, die St. begonnen hatte, zu vollenden und herauszugeben. Die Collationen zu den griechischen Musikern benutzt C. v. Jan (Straßburg) zu den von ihm geplanten Ausgaben. Die Schrift des Theodoret περὶ πνευμάτων, die St. in einer Vaticanischen Handschrift entdeckte, wird in dem von G. Uhlig geleiteten Corpus grammaticorum graecorum von seinem Schüler P. Egenolff herausgegeben werden. Hoffentlich werden ebenso andere Theile des Nachlasses die richtige Verwerthung finden. So wird sein Andenken in der Wissenschaft stets unvergeßlich bleiben.

Nekrolog von Prof. Dr. August Roßbach in der Chronik der königl. Universität zu Breslau für das Rechnungsjahr 1889/90 (Breslau 1890), S. 111–132. – Nekrolog von Rudolf Schöll im Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik VI (1889), 599–604. – Wilhelm Studemund. Ein Lebensabriß von Dr. Leopold Cohn. Separatabdruck aus Iwan v. Müller’s Biographischem Jahrbuch für Alterthumskunde. Berlin 1891.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Tragögien
  2. Vorlage: anf