ADB:Stölzel, Gottfried Heinrich
Mattheson für seine Ehrenpforte sandte und die Gerber im alten Lexikon wieder abdruckt, gibt uns genaue Kunde über seinen Lebenslauf, der in Kürze folgender ist. Sein Vater war Organist und Bergmann und letzteres nährte die Familie besser als der Kirchen- und Gottesdienst. Schon früh hielt er den Sohn zur Musik an, schickte ihn um 1703 auf das Lyceum nach Schneeberg, wo er ihn beim Cantor Christ. Umlaufft unterbrachte, der ihn in alle Künste der Theorie und Praxis in der Musik einweihte. Nachdem er dann in Gera das Gymnasium besucht hatte, wo er bereits mit eigenen Compositionen hervortrat, die am gräflichen Hofe beifällig aufgenommen wurden, bezog er 1707 die Universität in Leipzig, wo er an Telemann und Hofmann[WS 1] Anregung und Belehrung zu weiteren Studien fand. Gegen 1710 ging er nach Breslau, erwarb sich durch Musikunterricht den nöthigen Lebensunterhalt und trat als Componist mit größeren Werken hervor, die sich des Beifalls erfreuten. Zu einer kleinen Operette „Narcissus“ schrieb er Text und Musik. Auf einer Reise nach der Heimath erhielt er in Naumburg und Gera Aufträge, einige Opern zu liefern und verfaßte deren vier, wobei er Dichter und Componist in einer Person vereinigte. In Gera wollte man ihn sogar als Capellmeister behalten, jedoch eine Reise nach Italien zog ihn so an, daß er alle Anträge ausschlug. 1713 zog er nach Italien und machte in Venedig, Florenz und Rom Bekanntschaft mit den damals berühmten Componisten Gasparini, Vivaldi, Polaroli, Buononcini u. A. Auf der Rückreise hielt er sich in Prag drei Jahre auf und trat wieder mehrfach als Operncomponist auf, erhielt dann einen Ruf nach Baireuth, trat 1719 in Gerasche Dienste und bald darauf ernannte ihn der Herzog von Gotha zu seinem Capellmeister, während er auch für den Fürst von Sondershausen übernahm, alle nöthigen Compositionen zu liefern, denn in damaliger Zeit griff man bei Musikaufführungen nicht zu alten bekannten und bewährten Werken, sondern es wurde irgend ein namhafter Componist beauftragt, die Musik dazu zu schreiben. St. bekleidete den Posten bis zu seinem Lebensende. – Da er ein Zeitgenosse Joh. Sebastian Bach’s war, ist es von besonderem Interesse, die Ausdrucksweise Beider zu untersuchen. Von einem Vergleiche kann man gar nicht sprechen, denn Bach steht so einzig da, daß ihm Keiner sich auch nur von [430] ohngefähr nähert. Der Vergleich kann allein den instrumental und harmonisch verwendeten Mitteln gelten und hier ist allerdings eine Gleichheit vorhanden. Nur ein einziges Mal fand ich bei der Durchsicht der Werke eine melodische Verwandtschaft bei Beiden, nämlich in einem Chore aus dem Oratorium Jesus, welcher in den ersten sechs Noten des Themas genau mit der Arie Bach’s „Mein gläubiges Herz“ übereinstimmt. St. ist ein sehr begabter und gut geschulter Componist, jedoch ein Kind seiner Zeit, in der er völlig aufgeht, sowol in der Form als im Ausdrucke. Das Einzige, was ihn von der großen Masse unterscheidet, sind die hübschen und melodischen Einfälle, die aber stets bald im Platten und Landläufigen sich verlieren und die hin und wieder hervortretende geschickte, contrapunktische Arbeit. Wenn er sorgsamer, prüfender und langsamer gearbeitet hätte und den Beifall des großen Haufens und der hohen Herren, die damals der Kunst die Wege wiesen, verschmähte, so konnte er bei seiner Begabung Hervorragenderes leisten. Ueberall trifft man Stellen, die man bewundert, doch weit öfter geht er ausgetretene Wege und verschmäht nicht den billigsten Contrapunkt. Er schrieb z. B. eine „Missa canonica“ (Kyrie und Gloria) für 13 „reelle“ Stimmen: 8 Singstimmen, 2 Violinen, 2 Bratschen und Baß (gedruckt bei Steiner in Wien; königl. Bibl. Berlin), und man bewundert seine technische Fertigkeit in der Behandlung des Canons, dessen er sich mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit bedient, wie der größte Contrapunktiker. Dabei klingt der Satz vortrefflich, ist voller Leben und Abwechslung. Ein 4stimmiges Miserere mit Streichinstrumenten (Ms. 21405a; königl. Bibl. Berlin) dagegen, welches aus Chören, Arien und Duetten besteht, ist wieder sehr oberflächlich behandelt, nur die Fuge ist trefflich und das Gegenmotiv geschickt benutzt, doch glaube man nicht den hohen Bach’schen Ernst, oder Händel’s feurig dramatische Chöre zu finden. Stölzel’s Instrumentation ist wie bei seinen Zeitgenossen einfach und beschränkt sich außer dem Baß bei den Arien meist nur auf 1 Instrument, doch finden sich auch wieder Sätze, wo er recht voll und wirkungsvoll instrumentirt und durch Imitationen den Eindruck erhöht. Auch im theoretischen Fache hat er mehrere Arbeiten hinterlassen; die eine über den „Canon perpetuus“ ist gedruckt ohne Ort, 1725, nur mit G. H. S. gezeichnet (Bibl. Berlin, auch im Ms., kl. Fol., 19 S.), eine andere im Ms., ebendort: „Anleitung zur musikalischen Setzkunst“ und eine dritte im Ms. „Unterricht im Contrapuncto simpliciter mit 4 Stimmen“ (ebendort). Seine Compositionen findet man in großer Menge auf den Bibliotheken in Berlin, Sondershausen (342 Kirchencantaten und 11 weltliche), im Archiv der Thomasschule in Leipzig, auf der Staatsbibliothek in München, in Königsberg und der Bibliothek des Joachimsthalschen Gymnasiums, auf der sich auch einige Sonaten und Trios, sowie auch in Upsala, befinden. Eine Cantate für eine Sopranstimme mit begleitendem Generalbaß, der ausgesetzt ist, habe ich als Beilage in den Monatsheften XVI, 17 veröffentlicht; sie gibt eine Einsicht in die hübsche Erfindungsgabe Stölzel’s. Erwähnenswerth ist noch, daß selbst J. Seb. Bach in das „Clavierbüchlein vor Friedemann Bach“ eine Suite von St. aufgenommen hat. (Spitta’s Seb. Bach I, 663, N. 13.)
Stölzel: Gottfried Heinrich St., ein tüchtiger Musiker der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, geboren am 13. Januar 1690 zu Grünstädtel bei Zwickau, † am 27. November 1749 in Gotha. Eine Selbstbiographie, die St.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Melchior Hoffmann (um 1679–1715)