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ADB:Spiker, Samuel Heinrich

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Artikel „Spiker, Samuel Heinrich“ von Heinrich Pröhle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 164–166, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spiker,_Samuel_Heinrich&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:57 Uhr UTC)
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Band 35 (1893), S. 164–166 (Quelle).
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Spiker: Samuel Heinrich S., Journalist, Geograph. Er war geb. am 24. Dec. 1786 zu Berlin, studirte 1806 mit Varnhagen v. Ense zusammen in Halle und wurde Dr. phil. Mit F. Rühs gab er 1814 und 1815 den 1.-4. Bd. der Zeitschrift für die neueste Geschichte heraus, auch redigirte er, einer der besten Kenner von Afrika für jene Zeit, von 1819–27 das „Journal für Land- und Seereisen“, Band XXI-LVII, dessen Mitarbeiter er schon früher gewesen war. Er hatte Beziehungen zu England und wurde als Lebemann von seinen Freunden, aber auch in der gegnerischen Presse scherzweise „Lord Spiker“ genannt. Die Reise durch England und Schottland, die er 1816 gemacht und 1818 in zwei Bänden beschrieben hatte, wurde 1820 ins Englische übersetzt. Dagegen übersetzte S. Arbeiten von Shakespeare und W. Scott in’s Deutsche und führte Washington Irving so geschickt in Deutschland ein, daß dieser eine Zeit lang ebenso bekannt war als jetzt kaum noch Walter Scott. 1827 kaufte er von den Spenerschen [165] Erben die „Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“ (Haude und Spenersche Zeitung). Nach und nach gab er diesem zweiten größeren Blatte der Hauptstadt den Charakter einer gemäßigt liberalen Zeitung, deren selten versagte Dienste der Regierung wegen der Unabhängigkeit des Blattes um so schätzbarer waren. S. nützte der Zeitung bei seiner cameralistischen Bildung vorzugsweise als Nationalökonom und durch Artikel nach englischen Quellen und über englische Litteratur. Durch seine Kenntniß der Reisen und der englischen Litteratur konnte er auch der kgl. Bibliothek gute Dienste leisten, bei der er schon von früher her Bibliothekar war. Es lag an der Geringfügigkeit der damaligen Berliner Verhältnisse und auch an den Eigenthümlichkeiten, zumal an der Kränklichkeit Wilken’s, daß S. im Gedächtnisse mancher Berliner als Oberbibliothekar fortlebt, was er nicht war. Als einige Jahre nach Wilken 1848 Pertz Oberbibliothekar wurde, hatte S. an seinem Amte wenig Freude mehr. Der Herausgeber der Monumenta Germaniae, der Biograph Stein’s und Begründer eines Regierungsblattes in Hannover ließ sich durch einen Berliner Zeitungseigenthümer nicht imponiren. Am wenigsten war S. noch zur Repräsentation nöthig, denn Pertz übte dieselbe stets würdevoll. Die gemeinsamen Beziehungen beider zu England und zum Hofe (S. war Ritter des rothen Adlerordens mit der Schleife und des Ordens der Ehrenlegion) machten das Verhältniß nicht besser. Es konnte in der That nicht zum Frieden dienen, wenn S. erzählte, wie Prinz Albrecht im engeren Kreise sich gegen ihn über eine große steife Gesellschaft lustig gemacht habe, die er einen Tag vorher gegeben hatte und dann sich herausstellte, daß Pertz an derselben theil genommen hatte. Indessen verlor S. die Hofgunst durch das Jahr 1848. Er hatte das Unglück, daß ohne seine Schuld ein Artikel über den Prinzen von Preußen in der Spenerschen Zeitung gedruckt wurde, der sich nicht über das Niveau der damaligen gewöhnlichen Denkungsart mit Bezug auf den nachmaligen Kaiser Wilhelm erhob. Unwiderruflich zogen sich daher die Brüder des in England weilenden hohen Herrn von S. zurück. Zwar konnte man ihm ebensowenig als zur Zeit der Fremdherrschaft seinem Freunde und nahen Verwandten (nicht Bruder) Christian Wilhelm Spieker (s. d.) eine äußerlich anständige politische Haltung absprechen, aber politischer Charakter und eine politische Prophetengabe waren ihnen nicht eigen. – 1821 hatte S. im kgl. Schlosse ein Singspiel mit Tanz aufführen lassen. Seit 1835 war er Mitglied des dramaturgischen Comité’s der Hofbühne. Ein entschiedenes Verdienst erwarb er sich durch die Anstellung des Professor Rötscher als Dramaturgen bei seiner Zeitung, obgleich damals J. L. Klein diesem auf Schritt und Tritt in den Weg trat. Rötscher war es, der dem Schauspieler Dessoir eine bleibende Anstellung am kgl. Theater verschaffte. Auch wußte S. Tieck und den Minister Eichhorn für einen Plan zur Hebung der Schauspielkunst zu gewinnen. Dieser Plan scheiterte, weil Eichhorn 1848 gestürzt wurde, vielleicht auch weil die Spenersche Zeitung ihren Einfluß bei Hofe verlor. Dieselbe hatte 1847 liberale Leitartikel von F. A. Märcker gebracht, aber auch von Alexis Schmidt; beide waren Hegelianer. Alexis Schmidt war als Gegner Schelling’s und als Mitarbeiter nicht bloß an den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik sondern auch an den Jahrbüchern der Gegenwart von Neander verhindert worden, sich in der theologischen Facultät zu habilitiren. Er bestimmte 1848 die Tendenz der Zeitung von Frankfurt am Main aus anfänglich ganz als Anhänger Gagern’s. 1849 wurde er von S. in die Redaction aufgenommen. S. starb 72 Jahre alt nach längeren Leiden am Montag Abend den 24. Mai 1858. Er war ein ziemlich großer hagerer Mann. Am 26. Mai zeigte die Zeitung an, daß sie von denjenigen Personen, die seit einer langen Reihe von Jahren an ihrer Leitung betheiligt gewesen seien, ganz im bisherigen Sinn und Geiste fortgeführt werden solle. S. hatte testamentarisch [166] sein Vermögen, welches aus dem Gebäude hinter dem Gießhause Nr. 1 und aus der Zeitung bestand, unter Curatel von Stadtgerichtsrath Prose, Buchdruckereibesitzer Unger und Chefredacteur Alexis Schmidt als Vorsitzenden gestellt. Nur von sittlichen Grundsätzen ausgehend war die von dem Berliner noch immer „Onkel Spener“ genannte Zeitung nun bemüht, sich über den Parteien zu halten. Sie war niemals irreligös und nie chauvinistisch, in Friedenszeiten voller Rücksichten für Oesterreich, in den Kriegsmonaten von 1864, 1866 und 1870 suchte sie die Stimmung selbst durch politische Gedichte zu heben. So war die Zeitung ein Cartellblatt für mehrere Parteien. Zu den eifrigsten Lesern der Spenerschen Zeitung hatte von Jugend auf der nunmehrige König Wilhelm I. gehört, der sogar durch seinen Hofrath Louis Schneider einmal einen Leitartikel sandte, welchen er selbst „Dem königlichen Bruder“ überschrieb und worin er darauf hinwies, daß schon der „königliche“ Bruder Friedrich Wilhelm IV. die Militärreorganisation begonnen und dadurch zu Preußens Größe den Grund gelegt habe. Neben Alexis Schmidt, welcher zugleich Secretär der Börse war, und bis 1891 deren Jahresbericht herausgab, war Dr. Kayßler, jetzt Chefredacteur der „Post“, in die Redaction eingetreten und 1870 auf den Kriegsschauplatz gereist. Die Redaction des Blattes blieb trotz großer Sparsamkeit doch stets eine rühmlich sorgfältige. Arglos hatte S. ein Eingreifen seiner Erben in die Besitzverhältnisse gestattet, wenn die Kinder seines Schwiegersohnes, des Majors von Schmeling, mündig sein würden. Dies war im J. 1872 der Fall. Major von Schmeling verkaufte nun, allerdings zu hohem Preise und sehr zum Vortheile seiner Familie, aber ohne Rücksicht auf das meist noch von S. eingesetzte Redactionspersonal die Zeitung an eine Actiengesellschaft, durch welche die Spenersche Zeitung in ein nationalliberales Parteiblatt verwandelt wurde. Wenn nun auch die Wahl des neuen Chefredacteurs Wehrenpfennig, eines Schleiermacherianers, von dem ein Buch über die christliche Ethik erwartet wurde, eine treffliche und gerade für die Spenersche Zeitung wohlüberlegte war, so konnte die Veränderung doch nur zum Untergange der Zeitung führen, da weder die bisherigen Leser derselben ein strenges Parteiblatt wünschten noch die Nationalliberalen Berlins, die kurz vorher die „Berliner allgemeine Zeitung“ von Julian Schmidt hatten fallen lassen, neben der „Nationalzeitung“ ein zweites großes Blatt hinlänglich unterstützten. So ging denn die Spenersche Zeitung im Herbst 1874 ein.

Mündliche Mittheilungen von Dr. Alexis Schmidt in Friedenau u. Geh. Rechnungsrath und Archivar der kgl. Bibliothek a. D. Kunstmann in Berlin. – Koner’s Berliner Gelehrtenlexikon unter Spiker und Alexis Schmidt. – Wilken’s Gesch. der Berliner Bibliothek S. 183. – Ueber Spiker und Washington Irving H. Pröhle, Heine und der Harz S. 22. – Nähere Mittheilungen über die kgl. Bibliothek zu Spiker’s Zeit in dem „nutrimentum spiritus“ überschriebenen Artikel von H. Pröhle in den „Grenzboten“ von 1890 Quartal 3 unter „Maßgebliches und Unmaßgebliches“, wo indessen S. selbst unerwähnt bleibt.