ADB:Seidel, Christoph Timotheus
[615] Kühne war die Tochter eines Justizbeamten in Dippoldswalde. Da der Vater 1708 als Pastor und Inspector nach Tangermünde versetzt wurde und 1715 in gleicher Eigenschaft nach (Neu-)Brandenburg an der Havel kam, so besuchte der Sohn die Schulen dieser Städte, die er dann mit dem Gymnasium zu (Alt-) Brandenburg vertauschte. Schon im Jahre 1719 konnte S. die Universität Jena beziehen, wo er vorzüglich den Unterricht des Theologen Buddeus und des Orientalisten Danz, bei dem er wohnte, genoß. Sehr gegen seine Neigung mußte er sich 1721 auf Befehl seines Königs, der die neue Hochschule in Halle zu heben suchte, dorthin begeben. Er schloß sich hier hauptsächlich an Francke und Breithaupt an und blieb der pietistischen Richtung, in die er hier eingeführt wurde, auch später treu; seine erste Disputation hielt er hier „de immortalitate animae ex lumine naturae demonstrata“. Sein Wunsch, sich ganz der akademischen Laufbahn zuzuwenden, wurde durch die Krankheit des Vaters vereitelt, der seit 1717 als Pastor zu St. Nicolai, Propst und Inspector in Berlin wirkte, und dem er in seiner letzten Lebenszeit bei seinen Amtsgeschäften als Stütze zur Seite trat. Nach dem Tode des Vaters, der am 8. Juni 1723 erfolgte, ging S. zu seinem älteren Bruder nach Schaumburg in der Neumark, um sich im Predigen zu üben. Er brachte es hierin zu großer Fertigkeit und fand als Redner vielen Beifall. Schon in seinem 20. Jahre wurde ihm das Diakonat in Küstrin angeboten, doch schlug er es aus und übernahm erst Mitte des Jahres 1724 die ihm von einem Herrn v. Burgdorf übertragene Pfarre zu Görlsdorf bei Frankfurt a. Oder. Da er das ihm angetragene Pastorat zu Starsiedel in der Unterlausitz auf Befehl des Königs ablehnen mußte, so erhielt er 1726 zur Entschädigung die königliche Pfarre zu Vehlefanz in der Mittelmark. Nicht lange darauf machte er in Familienangelegenheiten eine Reise nach Wolfenbüttel, wo er eine ad fiscum genommene Erbschaft der Frandorf’schen Familie reclamirte. Da er hier vor dem Herzog August Wilhelm mit gutem Erfolge predigte, so wurde ihm zur Entschädigung für seine Ansprüche unterm 10. April 1727 eine Anwartschaft auf die Generalsuperintendentur und die theologische Professur, die beide der hochbetagte Professor Friedrich Weise in Helmstedt inne hatte, ertheilt. Im Jahre 1729 begann S. hier seine Vorlesungen, bald nachher wurde ihm die Abtei Königslutter verliehen, in die ihn Abt Mosheim in Gegenwart des fürstlichen Hofes am 18. Mai 1730 einführte. Schon am 14. März 1730 war er zum Doctor der Theologie promovirt worden. Am 1. October 1730 wurde er als Adjunct des Generalsuperintendenten Weise eingeführt und Ende des Jahres zum ordentlichen theologischen Professor ernannt. Seine Aufnahme in die theologische Facultät geschah am 9. Januar 1731. Doch erhielt er den Gehalt dieser Professur erst nach Weise’s Tode († 30. Sept. 1735). Von da an entfaltete er nun als ordentlicher Professor, Generalsuperintendent und erster Prediger zu St. Stephani eine sehr erfolgreiche Thätigkeit. Leider nöthigte ihn jedoch Kränklichkeit schon früh dieselbe zu beschränken. Er erhielt im Predigtamt, das ihn zu sehr angriff, bereits 1744 in W. Ch. J. Chrysander einen Gehülfen, 1750 ward er ganz davon dispensirt und E. A. Bertling ihm mit der Anwartschaft auf die Nachfolge zur Seite gestellt. Seine Collegien wie seine litterarischen Arbeiten setzte S. dagegen mit Eifer fort. Zu Ende des Jahres 1747 übernahm er auch die Direction der Herzoglich deutschen Gesellschaft und unterm 27. Sept. 1749 erhielt er den Auftrag, dem Abte Schubert in der Leitung des theologischen Seminars hilfreiche Hand zu leisten. Am 21. Juli desselben Jahres bekam er den Titel eines Consistorialraths. Den Ruf der Universität, an der er zwar den 1747 nach Göttingen verzogenen Mosheim in keiner Weise ersetzen konnte, suchte er durch verschiedene Maßnahmen zu heben, durch Gründung einer „Gesellschaft der Schriftforschenden“, in der unter seiner Leitung Lehrende und [616] Lernende zu gemeinsamem Studium der heiligen Schrift vereinigt werden sollten und zu der unterm 21. Juli 1749 die fürstliche Zustimmung ertheilt wurde, durch Herausgabe eines Helmstedtschen gelehrten Wochenblatts, das unterm 9. Januar 1751 genehmigt wurde u. a. Auch die neue Schulordnung für die Stadt Helmstedt vom 18. Juli 1755 ist nicht ohne Mitwirkung Seidel’s entstanden. Im Jahr 1756 that S. einen schweren Fall, dessen Folgen er nie ganz verwunden hat. Dennoch übernahm er im Anfange des Jahres 1758 zum vierten Male das Prorectorat. Er sollte dies Amt nicht mehr zu Ende führen; am 30. Mai 1758 erlag er der Gelb- und Wassersucht; am 11. Juni wurde er beerdigt und am 3. Juli fand mit großem Prunke für den verstorbenen Prorector die Leichenfeier statt, bei welcher Professor Wernsdorf die Trauerrede hielt. S. hinterließ eine Wittwe und zahlreiche Kinder in sehr traurigen Vermögensverhältnissen; er war zwei Mal verheirathet. Im Jahre 1724 führte er Katharina Sophie Kalbersperger, die Tochter eines Kgl. Beamten in Lebus, heim. Als diese nebst zwei Kindern nach zwei Jahren bereits verstorben war, vermählte er sich 1728 mit Anna Eleonore Lizmann, der Tochter des Amtmanns (?) in Groß- und Klein-Ziethen, welche ihm 13 Kinder schenkte, von denen beim Tode des Vaters 6 Söhne und 2 Töchter am Leben waren. Sein ältester Sohn war Christoph Matthias S. (geb. am 2. Juni 1729), der sich später als Bürgermeister und Syndicus um seine Vaterstadt Helmstedt sehr verdient gemacht hat und hier am 27. Februar 1797 gestorben ist.
Seidel: Christoph Timotheus S., Theologe, wurde am 20. Sept. 1703 zu Schönberg in der Mark Brandenburg als jüngster Sohn der kinderreichen Familie des Pastors Christoph Matthäus Seidel geboren; seine Mutter Christine- Vgl. Memoria Chr. Tim. Seidelii perscripta ab Jo. Chr. Wernstorfio. Helmst. [1758]. 4°. – Wiederholt mit anderen auf Seidel’s Tod bezüglichen Schriften in: Parentalia quibus memoriam Ch. T. Seidelii celebravit academia Julia Carolina. Helmst. 1758. Fol. Hier sind auch die zahlreichen Schriften Seidel’s aufgeführt. – Hille in dem Gedenkbüchlein der Säcularfeier der Reformation Helmstedts (Helmstedt 1843) S. 95 ff. – Herzogl. Landeshauptarchiv in Wolfenbüttel.