ADB:Schwerdt, Heinrich
Theodor Hell in seiner „Abendzeitung“ und verschiedene Tagesblätter ließen sich den jugendlichen Mitarbeiter gefallen; nur für größere Arbeiten, wie Romane und dramatische Versuche, wollte sich trotz Ludwig Storch’s warmer Fürsprache zu jener Zeit noch kein Verleger finden. Gleichwohl setzte er die liebgewonnene schriftstellerische Thätigkeit, bald auch mit zunehmender äußerer Anerkennung, in seiner Heimath Neukirchen fort, wo ihn das gothaische Oberconsistorium 1833 seinem alternden Vater als Gehülfen zur Seite stellte und ihm nach dessen Tode 1842 das Pfarramt zu selbständiger Führung übertrug. In diesem Dorfe, dessen Geistliche seine Vorfahren gegen 200 Jahre gewesen waren, entfaltete er seitdem bis 1861 eine rührige und für seine Gemeinde höchst ersprießliche Wirksamkeit. Auf der Kanzel wie außerhalb ihres Bereiches suchte er seinem Grundsatze: „Volksbildung ist die Mutter der Volkswohlfahrt“ gerecht zu werden und bemühte sich mit seltener Ausdauer, die geistige Bildung seiner Umgebung zu heben und immer weitere Kreise für dieselbe zu gewinnen. Zu diesem Zwecke veranstaltete er Leseabende für die strebsamen Ortsbewohner, gründete eine Volksbibliothek (1838), rief eine Fortbildungs- und Handwerkerschule ins Leben und regte sinnige Feste an, darunter eine selbst auswärts nicht unbemerkt gebliebene Gutenbergfeier (1840). Nicht lange nach seiner Anstellung, in dem jugendlichen Alter von 23 Jahren, verheirathete er sich mit Henriette Mende, der Tochter eines Hofmusikus in Gotha, und als er diese nach kurzer Frist wieder verlor, führte er in Marie Karoline Christiane Jentsch am 26. September 1837 eine zweite Gattin heim, die ihm in mehr als fünfzigjähriger Ehe zur Seite gestanden hat und ihm sieben blühende Töchter schenkte, „die sieben Mädchen in Uniform“, wie er wohl scherzend zu sagen pflegte. Zweimal, in dem Sturmjahre 1848 und wieder von 1865–1869, [418] gehörte er dem gothaischen Landtage an und trat hier energisch für die Bildung und Wohlfahrt des Volkes ein, wie er denn namentlich die Einführung einer Kirchenverfassung eifrig betrieb. – Mit dem zunehmenden Alter sehnte er sich nach einem weniger beschwerlichen Pfarrdienst – er hatte vier Dörfer zu besorgen und in Festzeiten wöchentlich zwölf- bis sechzehnmal zu predigen – und ließ sich daher nach Gräfentonna versetzen, wo er von 1861–1872 die Stelle eines Oberpfarrers versah, um sodann einem Rufe als Superintendent und Oberpfarrer der Ephorie Tenneberg nach Waltershausen zu folgen. Mit der ihm eigenen Frische und Thatkraft widmete er sich diesen neuen Aemtern und machte sich besonders in dem letzteren durch gemeinnütziges Wirken verdient. Zunächst wandte er dem Gewerbeverein seine Aufmerksamkeit und rege Förderung zu. Fünf Jahre stand er an dessen Spitze und trug wesentlich dazu bei, daß sich derselbe zu einer vorher nicht erreichten Blüthe erhob. Ferner gründete er 1872 noch in Tonna mit dem Beistande zweier seiner Töchter eine Bildungs- und Erziehungsanstalt für junge Mädchen, die er in Waltershausen fortführte und 1879 aus seiner Amtswohnung in ein neues, stattliches Haus beim Bahnhof verlegte. In freundlicher Umgebung, den Vorbergen des Thüringer Waldes nahe und von einem geräumigen Garten begrenzt, bekundet sie schon äußerlich das ihrem Stifter vorschwebende Ziel: „mit dem Lernen das Leben und zwar ein gemüthlich heiteres Jugendleben zu verbinden“. Die Reize der Natur und ein kindlicher Verkehr sollten nach seiner Ansicht den Mädchen die Genüsse und Zerstreuungen der großen Welt ersetzen. Er gedachte ihre Augen und Herzen jenen Reizen zu öffnen und ihnen den kindlichen Sinn, den schönsten Schmuck des Weibes, zu bewahren. Jede Ueberbürdung mit geistiger Arbeit schloß er grundsätzlich aus, ja er beschränkte diese aus Gesundheitsrücksichten auf das geringste Maß. Die Gemüthsbildung und die körperliche Kräftigung durch häufigen Aufenthalt in dem benachbarten großen Garten, sowie durch Spaziergänge und Ausflüge in das Gebirge betrachtete er mit Recht als eine Hauptaufgabe der Erziehung. Bei einer solchen Einrichtung gewann die neue Anstalt, an welcher S. selbst Religion, deutsche Sprache und verwandte Fächer lehrte, bald Zutrauen und Anerkennung, und noch heute genießt sie, von seiner Tochter Laura im Geiste des Vaters fortgeführt, eines unverminderten guten Rufes. – Neben reichlicher Arbeit brachte ihm dieser letzte Abschnitt seines Lebens einige Ehrentage, an denen er sich einer vielseitigen Theilnahme erfreuen durfte. Wie er schon in Neukirchen am 27. Juni 1858 die fünfundzwanzigjährige Führung seines Kirchendienstes gefeiert hatte, so beging er in Waltershausen am 13. Febr. 1880 sein fünfzigjähriges Jubelfest als Schriftsteller und am 12. Juli 1883 das gleiche seines Pfarramtes. Bei diesem Anlasse verlieh ihm Herzog Ernst II. den Titel eines Kirchenrathes und die theologische Facultät in Jena das Ehrendiplom eines Doctors der Theologie; zudem ernannten ihn das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt a. M., der Deutsche Schriftstellerverband und die Gesellschaft für Verbreitung der Volksbildung in Berlin zu ihrem Ehrenmitgliede. Endlich war ihm noch vergönnt am 26. September 1887 die Feier seiner goldenen Hochzeit zu begehen. Etwa ein Jahr später, am 2. September 1888, Abends 101/2 Uhr, während die lichten Feuer des deutschen Siegestages auf den Höhen flammten, schied der bald Neunundsiebzigjährige nach schmerzvoller Krankheit aus dem Leben. Am 14. Januar 1889 huldigte der dankbare Gewerbeverein vor einer zahlreichen Trauerversammlung dem rühmlichen Andenken seines verstorbenen Ehrenmitgliedes. – S. gehörte unter den Schriftstellern Thüringens zu jener älteren Gruppe, als deren Vertreter außer ihm besonders Ludwig Bechstein, Ludwig Storch, Adolf Bube, Phil. Heinrich Welcker, Alexander Ziegler und Friedrich Hofmann zu nennen sind. Wie diese war er ein echter Sohn seiner engeren Heimath und derselben mit allen Fasern seines Herzens zugethan. Ihrer Geschichte, [419] dem Leben ihres Volkes und ihrer landschaftlichen Natur entnahm er mit Vorliebe seine Stoffe, ohne sich jedoch immer auf dieses Gebiet zu beschränken. Zur litterarischen Thätigkeit befähigte ihn eine scharfe Beobachtungsgabe, eine lebendige Frische der Auffassung, eine seinem Wesen eigenthümliche Mischung von Ernst und Humor und eine immer neue „Lust zu fabuliren“. Die Zahl seiner Einzelschriften und zerstreuten Aufsätze ist eine ungemein große. Von jenen sind 50 umfänglichere erschienen; als Mitarbeiter hat er sich an wenigstens 80 Zeitschriften und Tagesblättern betheiligt. Bei der Fülle seiner geistigen Mittel vermochte er mannichfach wechselnde Pfade zu betreten. Er dichtete sangbare Lieder und ein Oratorium: „Die heilige Nacht“, das von Fr. Nohr und von Jul. Schneider in Musik gesetzt wurde, versuchte sich in den Fächern der Theologie und der Erziehungslehre, ja schrieb sogar ein Buch über naturgemäße Lebensordnung und heilsame Krankenpflege; doch leistete er das Beste in seinen volksthümlichen Schriften und in denjenigen, welche sich mit der Schilderung Thüringens im ganzen oder einzelnen befassen. Das erste von ihm bearbeitete und herausgegebene Buch waren „Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen durch einen Theil von Europa, Asien und Afrika in den Jahren 1830 bis 1836“ (2 Bde., 1837–40); von den nachher erschienenen mögen hier genannt werden: „Allgemeines Volksblatt der Deutschen. Eine belehrend unterhaltende Zeitschrift für den Bürger und Landmann“ (3 Jahrgänge, 1844–46; gemeinsam mit Karl v. Pfaffenrath herausgegeben); „Feierabendstunden“ (1847), eine Reihe von Erzählungen für das Volk; „Eisenach in seinen Merkwürdigkeiten und Umgebungen“ (um 1850; 2., in Verbindung mit H. Jäger bearbeitete Auflage: „Eisenach und die Wartburg“ u. s. w., 1871); „Thüringens Bäder nach ihrer Lage, ihren Heilkräften, ihren Einrichtungen und ihren Umgebungen“ (6 Hefte, 1854–60); „Beiträge zur Volkswohlfahrt in belehrenden Erzählungen“ (4 Bde., 1856–59); „Der Feierabend. Illustrirtes Volks- und Familienblatt“ (1., einz. Bd., 1857); „Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendlitteratur. Ein kritisches Organ“ (2 Jahrgänge, 1857–58); „Daheim ist doch Daheim. Nordamerikanische Bilder aus dem Munde deutscher Auswanderer. Ein Volksbuch“ (1858); „Aus alter Zeit. Wartburggeschichten: Die heilige Elisabeth und Martin Luther“ (1858); „Aus neuer Zeit. Zwei Handwerkergeschichten“ (1858); „Thüringer Dorfgeschichten. Die Spinnstube. Das Vogelschießen“ (1859); „Album des Thüringer Waldes“ (1859); „Schiller’s Geburtstag, oder: Ich habe gelebt und geliebet. Biographische Erzählung“ (1859); „Zum Feierabend. Mancherlei Geschichten zur Lehr’ und Kurzweil“ (2 Jahrgänge, 1859–60); „Schatzkästlein für Land- und Hauswirthschaft. Ein Kalender“ (1860); „Die Rädelsführer. Bilder aus dem thüringischen Bauernkriege“ (1863); „Neuestes Reisehandbuch für Thüringen“ (1864; von S. und Alex. Ziegler bearbeitet; 3. Aufl. von S. allein, 1879); „Die Hannoveraner in Thüringen. Eine Episode aus der neuesten Kriegsgeschichte“ (1. u. 2. Aufl., 1866); „Das industrielle und kommerzielle Thüringen“ (1867; 1. Bd. von Ed. Amthor’s „Das industrielle und kommerzielle Deutschland“); „Jahrbuch der neuesten und interessantesten Reisen. Für die Jugend bearbeitet“ (6 Bdchn., 1868–71) und: „Der Thüringer Wald, dargestellt in seinen malerischen Landschaftspunkten nach Aquarellen von C. P. C. Köhler mit Schilderungen von H. S.“ (1880). – Zum Schlusse sei noch erwähnt, daß der bekannte Geograph A. Petermann in Anerkennung der Jugendschrift „Deutsche Nordfahrt“ (3. Bdchn. des vorher genannten „Jahrbuches der Reisen“) einen Gletscher auf der Edge-Insel, östlich von Spitzbergen, mit dem Namen Schwerdt’s bezeichnet hat.
Schwerdt: Georg Heinrich S., evangelischer Theolog, Schulmann und Volksschriftsteller, geb. am 7. Januar 1810 in dem gothaischen Dorfe Neukirchen bei Eisenach, der jüngste und nachher einzige Sohn des dortigen Pfarrers Georg Heinrich S., verbrachte die ersten elf Lebensjahre im elterlichen Hause, besuchte dann die Gymnasien zu Eisenach und Gotha und widmete sich von 1828–1831 in Jena und Leipzig der theologischen Laufbahn. Bereits als vierzehnjähriger Schüler und hierauf als Student beschäftigte er sich in freien Stunden angelegentlich mit schöner Litteratur. Ein erstes Gedicht von ihm wurde 1830 in dem „Kahlaischen Nachrichtsblatt“ gedruckt; auch- J. B. Heindl, Galerie berühmter Pädagogen, verdienter Schulmänner u. s. w. aus d. Gegenwart, 2. Bd., München 1859, S. 459–462. – [420] Frz. Brümmer, Deutsches Dichter-Lexikon, 2. Bd. (1877), S. 345 a. – Deutscher Geographen-Almanach, begründet u. herausgegeben von Adf. Mießler, 1. Jahrg., Hagen i. W. (1884), S. 424. – Thüringer Verkehrs-Zeitung, III. Jahrg., Ausgabe für die Zeit vom 31. Jan. bis 13. Febr. 1886, Gotha, Nr. 3, S. 1 a b. – Frz. Brümmer, Lexikon d. deutschen Dichter u. Prosaisten des 19. Jahrh., 3. Ausg., 2. Bd.; Leipzig (1888), S. 311 a. – Gothaisches Tageblatt, Nr. 209 vom 5. Sept. 1888, S. 3 ab. – Waltershäuser Kreisblatt, Nr. 72 vom 8. Sept. 1888, S. 2 c–3 a u. Nr. 5 vom 16. Jan. 1889, S. 1 c – 2 a. (Charakteristik von A. Trinius u. Gedächtnißrede von Pfr. Köllein in Gossel.) – Außerdem vgl.: Gothaische Zeitung, Nr. 154 vom 5. Juli 1858, S. 3 ab. – Eisenacher Tagespost, Nr. 39 vom 16. Febr. 1883, Feuilleton, S. 1 a–d. – Thüringer Post. (Erfurter Tageblatt.) Nr. 163 vom 17. Juli 1883, S. 2 c. – Waltershäuser Kreisblatt, Nr. 78 vom 28. Sept. 1887, S. 2 ab u. Nr. 71 vom 5. Sept. 1888, S. 1 a u. 1 c–2 a. (Die Mittheilung der weniger zugänglichen Quellen verdanke ich der zuvorkommenden Güte von Fräulein Ida Schwerdt in Waltershausen.)