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ADB:Schummel, Johann Gottlieb

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Artikel „Schummel, Johann Gottlieb“ von Max Hippe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 59–61, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schummel,_Johann_Gottlieb&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:13 Uhr UTC)
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Schummel: Johann Gottlieb S. wurde am 8. Mai 1748 in Seitendorf bei Hirschberg als Sohn eines Schullehrers geboren, † am 23. December 1813. Im Alter von etwa 11 Jahren kam er auf das Gymnasium zu Hirschberg, das er acht Jahre lang unter drückenden äußeren Verhältnissen besuchte. Schon frühzeitig mußte er sich hier als Mitglied des Singechors, der in der Kirche und vor den Häusern seinen Dienst hatte, seinen Lebensunterhalt erwerben. Auch innerlich aber fühlte er sich hier nicht wohl. Da der Vater ihn sehr streng hielt und seine Lehrer es nicht verstanden, ihn mit aufrichtiger Neigung zu den Studien zu erfüllen, so reifte in dem Fünfzehnjährigen, als sich zufällig eine Schauspielertruppe in Hirschberg aufhielt, der Entschluß, sich der Schule gänzlich zu entziehen und jener Truppe beizutreten. Schon nach wenigen Tagen aber, als er soeben zum ersten Male in Landshut öffentlich aufgetreten war, holte ihn der erzürnte Vater zurück und führte ihn der Schule wieder zu. Um das Jahr 1767 begann S. seine Studien auf der Universität Halle. Ueber den Gegenstand derselben steht nur so viel fest, daß er sich ernstlich mit Wolffischer Philosophie beschäftigt hat. Daß er indessen schon in Halle auch ernste litterarische Studien getrieben, läßt sich billig aus den stark und vielseitig entwickelten litterarischen Neigungen schließen, die S. schon früh zeigte und in bemerkenswerthem Umfange bethätigte.

Als er seine Universitätsstudien beendet hatte, begann er 1771 als Hauslehrer bei einem Oberamtmann Benneke in Aken seine schriftstellerische Thätigkeit. Er führte den von einem anderen begonnenen Roman „Geschichte des Herrn Redlich und seines Bedienten“ zu Ende und schrieb in drei Theilen (1771–1772) seine „Empfindsamen Reisen durch Deutschland“, eine schwache Nachahmung Sterne’s, welche der junge Goethe in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen einer vernichtenden Kritik unterzog. Doch ließ sich S. hierdurch keineswegs entmuthigen. Als er 1772 Präceptor, bald darauf Conventual an der Klosterschule zu Unserer Lieben Frauen in Magdeburg geworden war, entwickelte er alsbald auf den verschiedensten Gebieten eine überraschend fruchtbare litterarische Thätigkeit. Neben gelegentlichen Aufsätzen in wissenschaftlichen und unterhaltenden Zeitschriften veröffentlichte S. während seines Aufenthalts in Magdeburg folgende Schriften: „Lustspiele ohne Heirathen“ (1772), die gleichfalls von Goethe scharf getadelt wurden, „Lehrreiches und angenehmes Buch für den Bürger und Landmann“ (1772); „Uebersetzerbibliothek zum Gebrauche der Uebersetzer, Schulmänner und Liebhaber der alten Litteratur“ (1774), „Neue Beyträge zum teutschen Theater“ (1774), sowie eine Reihe von Jugendschriften: „Der Würzkrämer und sein Sohn“ (1773), „Fritzgens Reise nach Dessau“ (1776), „Kinderspiele und Gespräche“ (1776–77), „Schach Sadis persisches Rosenthal nebst Locmans Fabeln“ (1775), „Recueil des plus jolis contes tirés de mille et une nuits“. In Magdeburg verlebte S. nach seinen eigenen Worten acht [60] glückliche Jahre. Er „wohnte mitten unter den Schülern, aß mit ihnen, ging mit ihnen spazieren, und war nicht bloß ihr Lehrer auf dem Katheder, sondern gewissermaßen ihr Vater, suchte ihre Liebe und ihr Vertrauen zu gewinnen, um sodann den Kanal zu ihrem Herzen zu finden“. Schon in dieser ersten Phase seiner pädagogischen Wirksamkeit zeigte S. eine gewisse, ihm auch später eigenthümlich gebliebene Abneigung gegen die humanistischen Tendenzen der Zeit; er war von der hohen erziehlichen Bedeutung, welche viele seiner Fachgenossen der Vertiefung in das classische Alterthum beilegten, ebenso wenig überzeugt wie später von der Vorzüglichkeit philanthropischer Grundsätze.

Als S. im J. 1778 dem Gedanken näher trat, sich zu verheirathen, faßte er, um sich eine auskömmlichere Einnahme zu sichern, als sie ihm am Kloster zu Magdeburg geboten wurde, den Entschluß, seine Lehrthätigkeit aufzugeben und sich ausschließlich dem Schriftstellerberufe zu widmen. Der Minister v. Zedlitz aber, der S. gelegentlich einer Inspection der Klosterschule und aus einer dreijährigen Correspondenz kennen und als Lehrer schätzen gelernt hatte, wußte ihn durch Verbesserung seiner Stelle zunächst in Magdeburg zu halten, bis er ihn im nächsten Jahre als Professor der Geschichte an die Ritterakademie nach Liegnitz berief. In die Zeit seines neunjährigen Liegnitzer Aufenthaltes fällt der wichtigste Theil von Schummel’s litterarischer Thätigkeit. S. schrieb hier drei Romane: „Spitzbart. Eine komi-tragische Geschichte für unser pädagogisches Jahrhundert“ (1779), „Wilhelm von Blumenthal oder das Kind der Natur“ (1780–81) und „Der kleine Voltaire. Eine deutsche Lebensgeschichte für unser Freygeistisches Jahrhundert“ (1782). Der „Spitzbart“, das weitaus bedeutendste Werk Schummel’s, ist ein in der breiten, geschwätzigen, selbstgefälligen Manier jener Zeit geschriebener pädagogischer Roman, dessen Satire sich im einzelnen gegen die Philanthropen, im ganzen aber gegen die Verstiegenheiten und Uebertreibungen jener pädagogischen Theorien, welche alles versprechen und wenig leisten, wendet. S. will im „Spitzbart“, wie er selbst sagt, „die Idealenkrämer im Erziehungswesen in ihrer Blösse darstellen“ und hat zu diesem Zwecke eine Fabel ersonnen, deren Grundzüge ihm vielleicht durch thatsächliche Vorgänge am Kloster Berge geliefert wurden. Der Held der Geschichte, Spitzbart, ein pädagogisch interessirter Pastor, hat ein bei wenigen Schwärmern Aufsehen erregendes, in Wahrheit aber recht verkehrtes Buch „Ideal einer vollkommenen Schule“ geschrieben, erhält durch diese litterarische That das Directorat eines Gymnasiums, erweist sich aber sehr bald als ein gänzlich untüchtiger Lehrer und Erzieher und geht schließlich an seiner eigenen lächerlichen Unfähigkeit zu Grunde. Das Buch verräth trotz mancher Mängel in der Composition und zahlreicher Uebertreibungen und Abgeschmacktheiten Gewandtheit in der Darstellung, treffende Charakteristik in der Zeichnung mancher Figuren, vor allem aber ein gesundes pädagogisches Urtheil – ein Umstand, dem S. zweifelsohne die allgemeine Beachtung, die das Werk zur Zeit seines Erscheinens fand, zu danken hatte.

Im J. 1788 wurde S. als Prorector und Professor der Geschichte an das Gymnasium zu St. Elisabeth in Breslau berufen, an dem er 25 Jahre lang in hohem Ansehen und mit bestem Erfolge wirkte. Die französische Revolution, welche damals die Gemüther zu bewegen begann, fand in S. einen warmen Vertheidiger, einmal weil er stets eine besondere Neigung für die ihm geistesverwandten Franzosen fühlte, ferner weil er nach Menzel’s Urtheil von jeher gewisse Lieblingsideen des Jahrhunderts, von deren Verwirklichung ein goldenes Zeitalter erhofft wurde, mit großer Vorliebe getheilt hatte. Auch als der Sturm der Revolution vorüber und Napoleon an die Spitze des neuen Staatswesens getreten war, trug S. offen seine Sympathien dem fremden Eroberer auch dann noch entgegen, als derselbe längst der grimmigste Feind seines preußischen [61] Vaterlandes geworden war. Nicht ohne Grund hat man daher wohl behauptet, daß die unpatriotische Gesinnung Schummel’s die Ursache war, weshalb der sonst verdiente Schulmann im J. 1810, als der Magistrat von Breslau ihn zum Rector des Gymnasiums zu St. Elisabeth designirt hatte, die Bestätigung der Regierung nicht erhielt. Daß er nämlich in jeder anderen Rücksicht durchaus geeignet gewesen wäre, die Schule, deren Verhältnisse er aus 22jähriger Wirksamkeit genau kannte, erfolgreich zu leiten, hebt Menzel in seiner Biographie ausdrücklich hervor, wie er S. denn überhaupt als einen bei großer Gelehrsamkeit anspruchslosen, von trefflichen methodischen Grundsätzen geleiteten, einsichtsvollen Pädagogen schildert.

Ohne Zweifel hat die bittere Enttäuschung, welche S. die Nichtbestätigung seiner Wahl zum Rector brachte, seinen Lebensabend noch wesentlich trüber gestaltet, als er es ohnehin schon war. Seine Gattin hatte er 1802 durch den Tod verloren; und wenn er auch im folgenden Jahre eine neue Ehe eingegangen war, so vollzogen sich doch in seinen geselligen Verhältnissen manche Veränderungen, die ihn schließlich in immer größere Vereinsamung brachten. Garve und Fülleborn, seine beiden Freunde, waren gestorben, und sein einseitiger, von geringem vaterländischem Empfinden zeugender politischer Standpunkt, den er übrigens nirgends verbarg, trug immer mehr dazu bei, ihn allmählich aus all den Kreisen, in denen er vorzugsweise zu verkehren pflegte, herausfallen zu lassen. Auch während der Zeit seiner Breslauer Wirksamkeit hat S. seine litterarischen Arbeiten mit Eifer fortgeführt. So übersetzte er: „Ueber die preußische Monarchie unter Friedrich dem Großen von dem Grafen von Mirabeau“ in zwei Theilen (1790–91) und veröffentlichte folgende Schriften: „Reise durch Schlesien im Julius und August 1791“ (1792), „Breslauer Almanach für den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. I. Theil“ (1801), „Garve und Fülleborn“ (1804), „Kleine Weltstatistik“ (1805), „Apologie der Gräfin Lichtenau gegen die Beschuldigungen mehrerer Schriftsteller“ (zwei Theile, 1808). Neben seiner pädagogischen und litterarischen Wirksamkeit war S. in Breslau noch als erster Inspector des Stadtschullehrerseminars und als pädagogischer Examinator thätig. Einen großen Theil seiner Zeit und Kraft widmete er in seinen letzten Lebensjahren überdies der Verwaltung und Neuordnung der jetzt der Stadtbibliothek zu Breslau einverleibten werthvollen Rehdiger’schen Bibliothek zu St. Elisabeth, deren Aufsicht ihm der Magistrat zu Breslau nach dem Tode des Rectors und Bibliothekars Scheibel übertragen hatte. S. starb am 23. December 1813. Er war, wie sein Zeitgenosse und erster Biograph Menzel berichtet, „ein Mann voll Geist und Wärme und, soviel er sonst geirrt haben mag, schon als solcher ein natürlicher Feind der Gefangennehmung unter dem Gehorsam des Buchstabens: er verstand es, den Geist anzusprechen und das Herz zu erwärmen; deß sind seine Schüler Zeuge, die trotz ihrer stillen Trauer, daß der geliebte Lehrer sich mit ihnen über die Siege der Deutschen nicht freuen wollte, doch mit großer Liebe und Treue an ihm hingen.“

C. A. Menzel, Johann Gottlieb Schummel – in den Schlesischen Provinzialblättern, Februar 1814, S. 129–161. – H. Kämmel in der „Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens“, 2. Aufl. VIII, 298–304. – Waldemar Kawerau, Aus Magdeburgs Vergangenheit, Halle a. S. 1886, S. 141–176. – Eine reiche Sammlung der Correspondenzen Schummel’s befindet sich auf der Stadtbibliothek zu Breslau.