ADB:Schumann, Valentin (Schriftsteller)
*): Valentin S. wurde zu Leipzig, gewiß am Ende des zweiten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts geboren. Er war ein (jüngerer) Sohn des gleichnamigen Leipziger Buchhändlers und -Druckers (s. A. D. B. XXXIII, 57–59), der 1542 in keineswegs glänzenden Verhältnissen starb. Schumann’s Bruder Joachim führte das Geschäft noch fort, bis 1545 das Haus verkauft wurde oder verkauft werden mußte; das bekannte Valentin Schumann’sche evangel. Gesangbuch von 1539 (1540, 1542) erschien noch 1543 in 4. Aufl. bei Joachim S. (Exemplar in der Hamburger Stadtbibliothek). S. selbst war in Leipzig aufgewachsen und erzogen und bewahrte seiner Vaterstadt, deren reges öffentliches, gewerbliches und Verkehrsleben sein lebhaftes Naturell vielseitig anregte, später in der unfreiwilligen Abwesenheit ein treues und dankbares Gedächtniß. Seine sächsische Landsmannschaft hat er in Süddeutschland nie verleugnet, wohin er nämlich schon früh kam, jedenfalls bevor er politisch selbständig denken gelernt hatte und überhaupt ein fertiger Mensch geworden war. S. hatte die Schriftgießerei erlernt und möglicherweise noch vor der Auflösung der väterlichen Officin für sie gearbeitet. Dann zog er aber bald auf Wanderschaft und hielt sich im wesentlichen im Süden und Südwesten des Reiches auf; in Franken, in Nürnberg, in Augsburg, in württembergischen Reichsstädten, in Basel war er augenscheinlich in Stellung, mag wohl auch tiefer in die Schweiz gestreift und die französische Grenze überschritten haben, bis er in Nürnberg zwischen 1550 und 1558 Rast machte. 1542 und 1543 hat er als Landsknecht in Ungarn mit gegen die Türken gefochten. Er hat auf diesen Fahrten mit scharfem Auge mancherlei Vorgänge und Zustände geschaut, auch Lücken seines Wissens gefüllt. Gern hätte S., der 1533 mit Joachim S. in Leipzig immatriculirt wurde, einen gelehrten Beruf ergriffen, aber der gerade in sein Jünglingsalter fallende Niedergang des väterlichen Unternehmens scheint die Wahl eines Handwerks, das rasch zu Brot führt, erzwungen zu haben, was ihn „offt hat ubel gerawen“. S. hat sich trotzdem eine Ueberdurchschnittsbildung erworben, wenigstens eine in jenem freilich viellesenden Zeitalter achtenswerthe Bücherkenntniß. Genau beherrschte sein ehrlich frommes Gemüth die Bibel, die ihm häufig als untrügliche Beweisinstanz dient, Livius und Ovid stellten ihm Beispiele der Vorzeit, besonders aber war er in den weiten Gefilden der romantischen Novellistik des Spätmittelalters und der Reformationszeit bewandert und bezog hier in der humanistischen Schwanklitteratur die Stoffe der eigenen Schriftstellerei. Von Werken wirklicher Vorgänger nennt er namentlich „Rollwagen, Schimpff vnnd Ernst, Schertz mit der Warhait, Rast-Büchlein, Wegkürtzer“, citirt einmal als Typus den „Vlenspiegel“, bringt eine Unterhaltung zwischen einem Ehepaar über ein „Büchlein, das heyßt deß Ehelichen Ordensspiegel“, u. s. w. Seine Lieblingsberichterstatter für „schöne vnnd liebliche Historien“ zählt er einmal hintereinander auf, wobei er gleich beifügt, daß er nicht wage, sich mit jenen „wolerfahrnen Geschichtschreybern vnnd Studiosi“ zu messen. Gleichwohl habe er, da er von Jugend auf Lust und Liebe zur „Poeterey“ gehabt, beim ersten verfügbaren Zeitpunkte und Anlasse theils früher theils neuerdings gehörte „Fablen vnnd Hystorien“ nacherzählt. Als zweite Entschuldigung für den Abstand von seinen Vorbildern führt er ein ander Mal an: „ich bin noch nicht gar wol gegründet vnd gefasset, Teutsche Historien zu schreiben, das macht mein wunderbarliche sorg vnd angst.“ Die anspruchslose Selbstkritik seiner Schriftstellerei, deren Ausgang ohne Zweifel materielle Noth, deren Zweck laut Buchtitel bloß Zerstreuung für den Abend und leichte Unterhaltung auf der Reise war, kennzeichnet die ganze Art des Mannes selbst. Denn der angeborenen Harmlosigkeit und gutmüthigen Laune [753] entsprangen Schumann’s wohl wenig hausväterische Lebensgrundsätze mit ihrem Anstrich von Leichtsinn und Vergnügenstrieb, die allenthalben durch die persönlichen Jeremiaden und die ausgelassenen Späße durchschimmern; sie haben gewiß sein „Vnglück“ geschaffen, insbesondere den Ausschlag zu dessen Hauptstoß gegeben, als er in der Unüberlegtheit einer Zechstunde falschen Freunden gegenüber allzu offenherzig gestand, was er über seine Ehehälfte meine und was er hinter ihrem Rücken treibe. S. bejammert seine Lage oft und stark genug, bald mit unverhülltem Klagewort, bald versteckter in den allgemeinen Schlußgedanken lehrhaft zugeschnittener Geschichten. Welcher Gestalt aber sein Verhängniß eigentlich war, läßt sich nirgends mit voller Deutlichkeit ersehen. Schumann’s Frau scheint, wahrscheinlich als Inhaberin einer leidlichen Mitgift, die Schlüssel in fester Hand gehalten zu haben und, als der von der Xanthippe nicht gefesselte Springinsfeld einmal gar über den Strang haute, ihm Ende November 1558 kurzab die Thüre gewiesen zu haben. Sein Verleger und Drucker, Gabriel Heyn der Jüngere in Nürnberg, nahm sich Schumann’s freundschaftlich an; doch war hier seines Bleibens nicht lange mehr. Anfang Februar 1559 schreibt er Heyn’s Gattin, einer feinen und gebildeten Dame, seine Bearbeitung des Magelone-Romans wohl noch von Nürnberg aus zu. Am 25. März scheint er in Augsburg vorübergehend wohnhaft zu sein, wo er seinem Landsmann Erhart Hüller aus Plauen, einem höheren Angestellten des dortigen Buchhändlers Jörg Wüller, den 2. Band seiner Schwanksammlung widmet. Gegen Ende der bezüglichen Blätter bemerkt er: „ich wils Gott auff den dritten tage Aprylis von hinnen, vnnd an einem andern ort, mich auch ein zeyt halten, vnd bleyben, biß mein sach besser, oder gar böser werde.“ Dies die letzte lebensgeschichtliche Aeußerung über den begabten und geplagten Litteraten, über dessen fahrendes Dasein nur die drei – von Dankbarkeit und erneuter Noth dictirten – Widmungen in den beiden Bänden seiner einzigen, in wenigen Exemplaren überlieferten literarischen Arbeit, des im ersten Viertel von 1559 zu Nürnberg gedruckten „Nachtbüchlein“, bis zu den Daten der drei Unterschriften das wenige Wesentliche halbwegs thatsächlicher Angaben gewähren. Dazu kommen einige eingestreute Andeutungen innerhalb der Erzählung und mancherlei was ziemlich klar zwischen den Zeilen zu lesen ist, doch sammt und sonders mit Vorsicht zu prüfen. Schumann’s weitere Schicksale liegen in völligem Dunkel. Trog ihn sein Hoffen auf eine Wendung seines Looses? Sicherlich starb er bald als einfacher Schriftgießergehilfe einer südwestdeutschen Officin. Mitteldeutschland und die bairischen Lande waren ihm verleidet, und hätte er länger gelebt, so wäre seiner Freude an belletristischer Darstellung sogar in düsteren Tagen eine neue Frucht (vgl. II, 188 b und 194 b) entsprossen, von der noch ein Hinweis jüngerer begünstigterer Genossen melden könnte, wie z. B. S. selbst, Fischart und die lateinischen Facetien des ausgehenden 16. und des anhebenden 17. Jahrhunderts seine Zeit- und Geistesgenossen Frey, Montanus, Lindener u. a., deren lebensgeschichtliche Einzelheiten ebenfalls gänzlich verschollen sind, mit dem Namen oder dem der Werke erwähnen.
SchumannDie völlige Vergessenheit, der S. anheimfiel, die selbst im Kreise der Litteraturkundigen bis in unsere Zeit anhält, darf auch den nicht wundern, der sieht, wie wenig schüchtern binnen kurzem mehrere Bücher derselben Richtung als seine litterarischen Rechtsnachfolger auftraten, ohne an ihn zu erinnern. Allerdings galt damals ja im betreffenden Schriftthume der Standpunkt des lachenden Erben fast unangefochten, und S. selbst verfuhr bei Herstellung seiner Sammlung nicht mit größerer Scheu. Deren Reclametitel widerspricht einer solchen Auffassung vom Recht in Preßerzeugnissen nur scheinbar. Er heißt (nach dem Exemplar der Stadt-Bibliothek zu Leipzig Po. R. 171 α): 1) „Nachtbüchlein, der [754] Erste theyl. Darinnen vil seltzamer, kurtzweyliger Hystorien vnd Geschicht, von mancherley sachen, schimpff vnd schertz glück auch vnglück, zu Nacht nach dem Essē, oder auff Weg vnd Strassen, zulesen, auch zu recitiern begriffen, allen denen zu Lieb vnd gunst, die gern schimpflich bossen, lesen oder hören, vormals nye im Truck außgangē, vñ[WS 1] jetzt durch Valten Schumann, Schrifftgießer, der Geburt von Leyptzig, beschriben.“ 2) „Nachtbüchlein der Ander thail. Neun vnd zweintzig Schöner Hystorien, von Kriegen, Liebe, Frewd Layd, Angst, Noth, Vntrew, vnd sonst mancherley gutte Bossen, darunder fünff grober Zotten, doch gantz kurtzweillig zulesen, auff Weg vnd Strassen, zu recitieren, vnd zu erzölen, auch bey Gastungen, vñ sonst Gesellschafften, vormals nye im Truck gesehen, vnd jetzt mit vil gutten schwencken beschriben, durch Valten Schumañ schrifftgiesser, der Geburt von Leiptzig.“ (Der realistische Titelholzschnitt, der wohl ohne bestimmtere Bezüge die Hauptelemente des Stoffkreises vorführen soll, stimmt auf beiden Bänden überein). – Die Quellen und Parallelen der Schumann’schen Novelletten untersuchen: L. Fränkel, Vierteljahrschr. für Litteraturgesch. V, 457–80; Bolte in seiner Ausgabe. Außer den paar guten Nachweisen Goedeke’s war bis dahin darüber nichts Förderliches gesagt worden. Die vermuthlichen Beziehungen Schumann’s zu Hans Sachs und Nicodemus Frischlin waren noch unaufgedeckt, ja sogar seine Abhängigkeit von älteren bekannten typisch ausgeprägten Motiven war nicht festgestellt. Bobertag, der allein S. einer längeren Aufmerksamkeit würdigte, hat für die Abgrenzung seiner stofflichen Eigenart ebenso wenig geleistet, wie für die der stilistischen. Denn S. verdient ein tieferes Eingehen auf die Erzeugnisse seiner redlichen Bemühung. Trotz seines Ergötzens an mancher unsalonfähigen Schnake ist er ein lustiger Fabulist voll prüderielosem Mutterwitz alten Schlags und frischem Humor, dessen dichterische Phantasie – man beobachte diese bei der prächtigen Gleichnißvision in der Eingangswidmung – in der Entwicklung gehemmt ward, als ihm widrige Begegnisse den Vollgenuß seiner natürlichen Heiterkeit vergällten. S. befolgt nicht ein Recept, das irgend eine naturalistische Doctrin verordnet, er wühlt nicht im Schmutze mit dem kitzelnden Wohlbehagen einer raffinirten Uebercultur, die sich am Gemeinen weidet. Solche Gefühle würden ihm Ekel erregen, sofern er sie überhaupt begreifen könnte. Gerade daß er z. B. das Geschlechtliche ganz unverhüllt beim Namen nennt, erhebt ihn hoch über einer späteren Zeit niedrige Speculation auf künstlich gereizte Triebe, die Schumann’s und seiner Genossen unnachahmliche Naivetät des Unbewußten nie vorzuspiegeln vermag. Er besitzt auch eine scharfe satirische Ader, die er besonders, darin seinem trefflichen Lehrmeister Heinrich Bebel (s. A. D. B. II, 195) nachwandelnd, gegen die gesunkene Pfaffenschaft verwendet, meist im allgemeinen, wenn auch schlimm ausartende Mißbräuche der römischen Kirche, wie Tetzel’s Ablaßkrämerei (die er ins Jahr 1500 nach Berlin verlegt) bei dem überzeugten Protestanten und aufgeklärten Humanisten am schlechtesten wegkommen. Der Stil ist flüssig, der Ausdruck deutlich und malt oft so anschaulich, daß man Genrebildchen aus kleinbürgerlichen und ländlichen Volkskreisen des bunten lebens- und kampfesfreudigen 16. Jahrhunderts zu erblicken wähnt. Roh wird er nirgends, wenn auch eben viel Gepfeffertes mit unterläuft. Daß er einen sehr gesunden Realismus sein eigen nennt, zeigt z. B. die kräftig auftragende Schilderung der Folgen von Verliebtheit II, 32 b. Was Composition u. A. anlangt, so liebt er es, ausführliche Excurse und zwar insbesondere verwandte Geschichtchen einzuflechten, während die angehängten moralischen Nutzanwendungen, einigemal in unregelmäßige fünffüßige Jamben gebracht, meist oberflächlich angeflickt werden; man spürt da recht sehr, wie wenig er mit dem Herzen dabei ist. Durch Sprichwörter seinen Vortrag zu verstärken, hat er den großen Predigern der kirchlichen Reform abgelauscht. Alles in allem: [755] ein trefflicher Erzähler mit entschiedener Anlage für muntere Unterhaltung, der nur leider der bloß einer ausgereiften Persönlichkeit gehörige individuelle charakteristische Kern fehlt.
- Goedeke, Grundriß II², 469 f. (vgl. S. 20, 458, 560); ders., Schwänke (1879) S. XXV f. – Hub, Die komische Lit. der deutsch. Prosaisten II, 349. – Bobertag im Archiv f. Litteraturgesch. VI, 129–142; derselbe, Geschichte des Romans I, 140; derselbe, Vierhundert Schwänke des 16. Jahrh. (Kürschners „Deutsche Nationallitt.“ Bd. 24) S. V u. VIII f. – Gervinus, Gesch. d. dtschn. Dichtg. 5 II, 536 u. 354 Anm. 431. – Scherer, Anfänge des dtschn. Prosaromans S. 20, 21, 22, 26. – W. Menzel, Gesch. d. dtschn. Dichtg. II, 72 und I, 427–30. – Wackernagel-Martin, Gesch. d. dtschn. Litt. II, 130. – Goedeke (und W. M[enzel]) in Pfeiffers Germania I, 359 f. – Ulrich im Archiv f. Litteraturgesch. XI, 554 u. 557 f. (vgl. 628). – Hauptarbeit: Fränkel in d. Vierteljahrschr. f. Litteraturgesch. V, 453–480 (dazu Krauß’ Nachträge, 1893).
- Ein Neudruck des Schumannschen Werkes in der Art von Lichtenstein’s vorzüglicher Ausgabe M. Lindener’s (s. d.) war angebracht, zumal die erhaltenen Exemplare zu zählen sind; der Unterzeichnete trat vom Plane eines solchen zu Gunsten des nun fast abgeschlossenen J. Bolte’s zurück, der demnächst erscheint (Stuttgarter Litt. Verein). Einzelne Schwänke sind aufgenommen in die bezüglichen Anthologien von Hub (1857, II, 349–361), Goedeke (1879), Merkens (1879 u. 1891), Bobertag (1888; einer auch an obengenannter S. 143–49). Der Titel von Schumann’s Nachtbüchlein ward früher anscheinend überall nach Heyse, Bücherschatz 119 gegeben; nachdem Goedeke’s Fassung (Grundriß § 159, 7) in den kleinen Abweichungen von der oben mitgeteilten auf Richtigkeit beruht, so ist eine zweite Ausgabe vorhanden.
[752] *) Zu Bd.. XXXIII, S. 59.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ ñ steht für n mit Überstrich