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ADB:Schmid, Hermann von

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Artikel „Schmid, Hermann von“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 664–670, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmid,_Hermann_von&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 05:39 Uhr UTC)
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Band 31 (1890), S. 664–670 (Quelle).
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Schmid: Hermann v. S., Dichter, wurde am 30. März 1815 zu Waizenkirchen in dem damals noch zu Baiern gehörigen Theile des jetzt österreichischen Innviertels geboren. Sein Vater (welcher als Oberappellationsgerichtsrath zu München starb) hatte kurz zuvor seine juridische Laufbahn als Landgerichtsactuar begonnen und sich mit Constanze Stöger, einer Rentbeamtenstochter aus Traunstein, vermählt. Leider verlor der frühreife Knabe seine Mutter schon im fünften Jahre; ihr blieb der Dichter zeitlebens mit innigster Liebe zugethan, da er den ihm innewohnenden Quell der Poesie auf ihren Einfluß zurückleitete, während der scharf beobachtende Vater seinen Sohn in die juridische Laufbahn lenkte, obwol er dessen „Quecksilbernatur und Erzählertalent“ zeitig erkannte. Der Junge lernte immer gut, inzwischen sang und plauderte er aus Herzensgrund und erdachte ganz merkwürdige Geschichten, welche er dann mit Pathos und Action declamirte. Daß derselbe schon im achten Jahre, angeregt durch die Lectüre des Sallustius, den Plan zu einer Tragödie „Catilina“ gefaßt und ausgearbeitet habe, wollen wir getrost dem späteren Gymnasiasten zuweisen, welcher in Straubing die classischen Studien durchlief, dann bei Anselm Rixner im Amberg Philosophie hörte und 1835 die Universität München bezog, um gegen seine, auf die Arzneikunde gerichtete Neigung nach dem Willen des Vaters das Studium der Rechtswissenschaft zu beginnen. Er vollendete dasselbe in der üblichen Zeit von sechs Semestern, löste dann eine Preisfrage und wurde als Doctor juris utriusque rite promovirt. Nach dem Staatsexamen (1840) prakticirte S. an verschiedenen Stellen der Verwaltung und Justiz zu Würzburg, wobei er als Poet und Sänger sich bemerklich machte, in Dachau, wo er in den Gerichtsacten reichliche Stoffe zu „Dorfgeschichten“ entdeckte, in Tittmoning, wo sein Herz seine nachmalige erste Frau fand, und anderen Orten des Chiemgaues, überall das Volksleben studirend und viel Material für künftige Novellen sammelnd. Vorerst aber überwog das Interesse am Drama. Zwei Erzeugnisse dieser Art, „Camoens“ und „Bretislav“ gingen 1843 in München mit Erfolg über die Bretter und verschafften dem jungen Dichter, für welchen König Ludwig I. ein warmes Interesse zeigte, die erste freie Stelle, welche freilich nicht ganz nach dem Sinne des Poeten war. Indessen blieb S. nicht lange Polizeiactuar, sondern avancirte bald zum Stadtgerichtsassessor. Daraus erwuchs dem Dichter der doppelte Vortheil, in München zu bleiben und sich weiterzubilden durch das Studium einer guten Bühne, an welcher S. außerdem noch als dramaturgischer Beirath eine erfreuliche Verwendung fand. Als weitere Producte seiner dramatischen Muse reifte ein Schauspiel „Herzog Christoph der Kämpfer“ (1847), dessen geschichtlichen Hintergrund das Widerstreben Christoph’s gegen die Einführung der Primogenitur unter Albert IV. bildete – ein des volksthümlichen, vielgefeierten Helden wegen höchst dankbarer, vaterländischer Stoff, welcher sich indessen nicht lange auf den Brettern hielt. Dann arbeitete S. an einem romantischen „Theuerdank“, worin er die Aventuren behandelt, unter welchen der als Troubadour verkleidete Maximilian zur deutschen Königswahl nach Aachen wandert. Das Lustspiel blieb liegen und ging erst 1861 in Berlin und dann 1863 zu München mit einem mäßigen succès d’estime vorüber. Auch ein Trauerspiel „Karl Stuart I.“ erwarb 1845 keine weitere Bedeutung und sein dramatisches Gedicht „Raphael“ wurde niemals inscenirt. Dagegen schlug sein Schauspiel „Straßburg“ (oder „Eine deutsche Stadt“) 1849 zündend ein und erwarb dem Dichter ein höchst anerkennendes Handbillet König Ludwig’s I., welcher indessen damals schon der Regierung entsagt hatte. Inzwischen erfuhren die persönlichen Verhältnisse unseres Dichters eine sehr ungünstige Gestaltung. Der enthusiastische Antheil, welchen S. an Ronge’s deutschem Kirchenthum nahm, ebenso der Umstand, daß S. seine Ehe plötzlich trennte und ein anderes Verhältniß einging, [665] zogen ihm 1850 die Versetzung in den Ruhestand unter Belassung der gesetzlichen, nach damaligen Verhältnissen kaum nennenswerthen Pension zu. Der Fall wirbelte vielen Staub auf und wurde zu einer Parteisache ausgeklügelt, wobei man nur vergaß, daß die Staatsgewalt nicht anders verfahren konnte, da Ronge’s Gemeinde keine anerkannte kirchliche Genossenschaft war und eine (nur als Concubinat betrachtete) Civilehe jeglichen Rechtsschutzes entbehrte. Nach dem Stande der damaligen Gesetzgebung war keine andere Lösung möglich, insbesondere bei einem Richter, welcher täglich in die Lage kommen konnte, in einer ähnlichen Situation strafrechtlich einschreiten zu müssen. Was den Dichter am schmerzlichsten berührte, war, daß ihm auch seine dramaturgische Stellung am Hoftheater entzogen wurde. Den doppelten Ausfall zu decken, arbeitete S. des täglichen Brodes wegen bei einem Rechtsanwalt und lieferte kritische Referate für ein Localblatt über die Leistungen der Bühne; dabei passirte ihm wol auch der Lapsus, daß er einen ihm mißliebigen Mimen für eine Rolle geißelte, welche mit dem kurz vorher vom Repertoire abgesetzten Stücke gar nicht gespielt worden war. S. desavouirte zwar diese Thätigkeit, galt aber doch allgemein als der nicht bloß intellectuelle Urheber. Außerdem feilte er seine dramatischen Erzeugnisse zu einer Gesammtausgabe (Dresden 1853, bei Arnold) in zwei Bänden. Seine Lage besserte sich, als S. bei Hofrath Dr. Henle als Concipient eintrat, welcher seine Leistungen freigebig bezahlte und nur für die Hälfte des Tages beanspruchte. In dieser Zeit entwarf S. eine Menge von Dramen, von Erzählungen und Novellen, welche von dem standhaften Dichter fleißig angeboten, aber ebenso beharrlich immer wieder „dankend“ zurückgesendet wurden. Erst im Sommer 1857 erhielt er den von der Mannheimer „Tonhalle“ ausgesetzten Preis für den besten Operntext, doch hatte der „Liebesring“ weder als Dichtung noch durch den Componisten einen nennenswerthen Erfolg. Dagegen kam nach Dingelstedt’s Abgang Schmid’s „Columbus“ (am 3. November 1857) auf das Hoftheater (vgl. Julius Grosse in Nr. 266 der Neuen Münchener Ztg. 1857) und errang rasch weitere Erfolge, wobei freilich die nach dem bekannten Bilde von Ch. Ruben gestellte Schlußscene des zweiten Actes, wie der kühne Segler von seinem Schiffe aus das entdeckte Land erblickt, den Hauptausschlag gab, während die folgenden Acte in ermüdender Weise abfielen – eine empfindliche Achillesferse, welche auch durch die spätere Umarbeitung (1875) nicht gehoben wurde, da der Poet zwischen idealen Coulisseneffecten und plattem Naturalismus keine kunstvollendete Mitte fand. Indessen machte das etwas larmoyante Stück doch eine Rundfahrt über Leipzig, Breslau, Altona, Hamburg, Stuttgart und andere Orte und trug dazu bei, die Aufmerksamkeit auf Schmid’s Namen zu richten, welcher nun plötzlich mit einigen von Edmund Höfer in dessen Hausblättern (herausgegeben mit Hackländer, Stuttgart 1855 ff.) aufgenommenen Erzählungen („Unverhofft“, „Der Greis“ und „Das Todtengesicht“) die Augen der Lesewelt auf sich richtete. Durch sie lenkte Ernst Keil, der Verleger der damals frisch aufblühenden Gartenlaube, seine Aufmerksamkeit auf S. und gewann den bereitwilligen Autor zu Beiträgen. Daraus entstand ein inniges Freundschaftsverhältniß zwischen den Beiden, welches auch nicht getrübt wurde, als S. sich durch Pustet in Regensburg zu einem ähnlichen, „Heimgarten“ (1864) betitelten, alsbald wieder aufgegebenen Unternehmen bewegen ließ. Mit seiner „Huberbäuerin“, dieser packenden Räuber- und Dorfgeschichte (1860) eroberte S. sein neues Publicum, welches nun nach weiteren Producten dieses Genres Begehren trug. „Mit ihr war plötzlich das Eis gebrochen und S. mit einem Schlage ein populärer Mann.“ Noch höheren Ruhm erwarb sein durch tiefinnerliches Gemüth ausgezeichneter Bauernroman „Das Schwalberl“ (1860); ein echt lyrischer, herziger Zug durchweht das Ganze, dessen reiner Eindruck nur durch [666] eine brutale Scene beeinträchtigt wird, ein Mißstand, welchen S. mit einer zu Eugene Sue hinneigenden Effecthascherei nie völlig verwinden konnte. Später ging derselbe Stoff, von H. Neuert als „Volksstück“ dramatisirt, über das Theater am Gärtnerplatz (1877). Die Durchführung einer Handlung zum harmonisch abgetonten Kunstwerk gelang S. nie völlig, entweder lockerte sich sein Werk in’s Breite, oder sein Deus ex machina explodirte mit allzu hurtigem Gepolter. Damals erschienen Schmid’s frühere Erzählungen (Das Todtengesicht, Der Greis, Falkenstein, Eigener Herd, Unverhofft, Die Huberbäuerin, Mohrenfranzel) unter dem Titel „Alte und Neue Geschichten aus Bayern“ (München 1861, bei Rohsold); rasch folgten darauf, da der Dichter jetzt jede juridische Thätigkeit beseite legte, in Buchform die Romane „Mein Eden“ (1862), „Der Kanzler von Tirol“ (1863 in 3 Bänden), „Im Morgenroth“ (Berlin 1864), „Der Jägerwirth von München“ (1864), „Almenrausch und Edelweiß“ (1864), die „Baierischen Geschichten aus Dorf und Stadt“ (Berlin 1864, in 2 Bänden), „Friedel und Oswald“ (1866, in 3 Bänden), „Sankt Barthelmä“ (1868), „Mütze und Krone“ (Leipzig 1869, in 5 Bänden), welchen alsbald die „Gesammelten Schriften“ (Leipzig 1867–1869, in 19 Bänden) zur Seite gingen; sie boten eine überarbeitete Auslese seiner unterdessen theils in der Gartenlaube oder in Otto Janke’s Romanzeitung u. s. w. publicirten Arbeiten. Der zur Zeit des Kurfürsten Karl Theodor in München spielende Roman „Mein Eden“ – so benannte der junge Freiherr v. Meggenhofen, die Hauptfigur dieses Buches, sein neugebautes Heim – repräsentirt alle Licht- und Schattenseiten der bisweilen einen etwas bunten Farbenauftrag und eine scharfaccentuirte, beinahe an Caricatur streifende Charakterzeichnung liebenden Schmid’schen Muse. Der Roman gibt in breiter Entfaltung ein höchst interessantes Nachtstück des im vorigen Jahrhundert meist als so gemüthlich geltenden Münchener Lebens, seiner Bürger und Handwerker, seines Adels und Hoftreibens. „Eine gewitterschwüle unheimliche Inquisitionslust schwebt über diesem Bilde, vergleichbar mit den schlimmsten Zeiten des venetianischen, geheimnißvollen Tribunals; es gleicht einer zweiten Lagunenstadt.“ Nach Schmid’s Darstellung hätte es seine Bleidächer und Folterkammern, seine Seufzerbrücken und geheimen Gesellschaften gehabt (vgl. Julius Grosse in Nr. 209 der Baierischen Zeitung vom 16. August 1862). Mit forcirter Behaglichkeit umfaßt und fesselt der Autor seinen Leser mit einem gewissen leihbibliotheklichen Gruseln, ganz im Sinne eines seligen Karl v. Eckartshausen oder Maximilian von Klinger, aufgehöht durch eine Dosis aus den „Mysterien von Paris“. „Im Morgenroth“ schildert S. den Kampf der Finsterniß, des Aberglaubens und des Jesuitismus mit der Illuminatenbildung und Aufklärung, wie sie unter der Regierung des Kurfürsten Maximilian Joseph III, des Vielgeliebten, im dritten Viertel des XVIII. Jahrhunderts sich zu entwickeln begann. Der Roman „Concordia“ (Leipzig 1875, in 5 Bänden) spielt um ein Menschenleben früher, in der Regierungsperiode des Kurfürsten Karl Albert, welcher als Karl VII. zum zweiten Male die Kaiserkrone (1742–45) an das baierische Haus brachte. Mit beredter Kraft läßt der Dichter immer jene Episoden erglänzen, in welchen die baierischen Stammeseigenschaften der Tapferkeit, Treue und Anhänglichkeit an die Dynastie sich bewährten. Alle Seiten des Culturlebens treten der Reihe nach hervor, wie überhaupt S. das achtzehnte Jahrhundert mit besonderer Vorliebe zum Tummelplatz seiner Phantasie erwählte, mit dem deutlichen Hinweise, daß auch das neunzehnte Säculum von denselben, nur in anderen Costümen sich bewegenden Ideen und Bestrebungen, Kämpfen und Leidenschaften durchsäuert und durchgährt werde. Wenn man dabei überrascht und erstaunt die Fülle des verarbeiteten und inscenirten Materiales, die wechselnde Menge der Charaktermasken und des ganzen historisch-dramatischen [667] Apparates bewundert, welchen S. mit raffinirter Geschicklichkeit in Verwendung brachte, so fühlt man doch über dem drängenden Reichthume des Stoffes die ästhetische Seite beeinträchtigt. „Durch die häufige Einschaltung ausführlicher geschichtlicher Episoden und Schilderungen, die mit dem Gang der Erzählung nichts zu thun haben, verlor die Composition an Einheit und Geschlossenheit, der Aufbau war zu sehr in die Breite gedrückt und in den Fugen gelockert“ (vgl. Beil. 327 Allgemeine Zeitung vom 23. Nov. 1875). Weniger glücklich war S. mit dem „Kanzler von Tirol“; er gab Land und Leute mit der ihm eigenen Anschaulichkeit und Lebendigkeit und schilderte den Kanzler Biener, der im Kampfe für Humanität, Bildung und Toleranz seine edle Gesinnung mit dem Tode büßen mußte, gewiß aus ganzer, gleichgestimmter und mitempfindender Seele; er kann, wie überhaupt beinahe jeder der Haupthelden Schmid’s, als das echteste Glaubensbekenntniß des Dichters gelten, welcher sich indessen räumlich nicht zu beschränken wußte und wie ein boshafter Kritiker sagte, allzuwillig seine Feder spazieren ließ, seit die Verleger nach Seiten- und Bogenzahl mit erhöhten Honoraren wetteiferten. Auch der den Tendenzen des Dichter ferner abliegende „Friedel und Oswald“ krankt unter diesem Mißverhältnisse. S. empfing die Anregung dazu auf einigen kurzen Sommerfrischexcursionen, durch die Bekanntschaft mit den darauf bezüglichen Monographien Beda Weber’s und insbesondere des Innsbrucker Historikers Dr. Alfons Huber. Später betheiligte sich unser Dichter auch an dem Prachtwerk „Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg“ (Stuttgart 1878, Gebr. Kröner). Die Geschichte des Herzogs Friedrich „mit der leeren Tasche“, seine Kämpfe mit dem Tiroler Adel und dem König Sigmund, sein aventüren- und sagenreiches Leben in der Verbannung während der über ihn verhängten Reichsacht und seine Rückkehr in die mit Hülfe der Bauern wiedereroberten Erblande, reizten die Phantasie des Poeten, dazu die Gestalt des minnesingerlichen, in allen Wassern und Welttheilen herumgeworfenen Oswald v. Wolkenstein. Dazwischen entstanden eine Menge kleinerer Geschichten, welche fast zwei Decennien lang die Spalten der damals renommirtesten Zeitschriften füllten. Daß bei dieser Massenproduction viel mindergewichtige Waare mit unterlief, war unvermeidlich. Weit besser gelangen ihm die in der Gegenwart spielenden, aus dem modernen Bauern- und Volksleben geschöpften Stoffe, welche mit einer unvergleichlichen Frische uns anmuthen, obwohl auch hier die ganze Situation und Sprechweise dem kundigen Auge und Ohr oft outrirt scheinen und jene Bauernromantik anbahnen, welche heute noch in „echten Volksstücken“ gerne über die Bretter der Bühne geht. In ihnen lebt ebenso eine gesuchte Kraftmaierei wie weinerliche Iffländerei – ideale Geschöpfe der Stubendichter, welche wahre Popanze an heroischer Tugend oder absoluter Bösewichterschaft, immer aber im sentimentalen Rühr- oder Zugstile darzustellen lieben. Dazu mußten viele Stoffe unseres Dichters die Hand bieten; die Folge war, daß S. selbst sich bewegen ließ, manches davon bühnengerecht umzuarbeiten. Zu den vorgenannten, zuerst meist in der Gartenlaube niedergelegten Erzählungen gehören z. B. „Das Bombardement von Schärding“ (1861), „Der Holzgraf“, „Blut um Blut“ (1862), „Der Kranz am Marterl“ (1864), „Der Dorfcaplan“ (1865), „Der baierische Hiesel“ (die reiche Litteratur über diesen heute noch gefeierten Wildschützen mit Namen Mathias Klostermayer 1736–71 hat K. Th. Heigel in Westermann’s Monatsheften, October 1887, S. 122 ff., zusammengestellt), „Der Dommeister von Regensburg“ (1866), „Die Brautschau“ (1867), „Der Habermeister“, „Die Gasselbuben“ (1869), „Der Bergwirth“ (1870), „Die (nachmals mit größtem Beifall dramatisirte) Z’widerwurz’n“ (1871), „Der Loder“ (1873), die „Geschichte vom Spötterl“ (1874) und dergleichen mehr, welche meist in die achtbändige Sammlung „Alte und neue Geschichten aus [668] Baiern“ übergingen. Hierher gehören auch die „Goldsucher“ (im Heimgarten 1864), „Süden und Norden“ (1866), der „Bauernrebell“, „Hund und Katz“, „Ledige Kinder“, „Die Türken in München“ u. s. w. Ein Theil davon, namentlich alle auf einem entschieden historischen Hintergrunde aufgebauten, entstand auf besonderen Wunsch des unserem Dichter überaus wohlgeneigten Königs Maximilian II.; gleiche Huld bewahrte ihm auch König Ludwig II.; letzterer durch Verleihung des Michaelsordens (1869), welchem 1876 der Verdienstorden der Baierischen Krone und damit die Verleihung des persönlichen Adels folgte. Auch übertrug ihm der König 1870 die Direction des königl. Volkstheaters am Gärtnerplatz. Die Stelle entsprach anfänglich den Wünschen des Poeten, welcher aber im weiteren Verlaufe der Praxis in Collision mit den Musen, dem Personal und den übrigen gleichzeitigen Bühnendichtern gerieth, von deren Leistungen S. eine kaum oberflächliche Kenntniß hatte. Ebensowenig war unser Poet zur Uebernahme und Redaction einer Zeitschrift veranlagt, da seine eigene Production das Studium der zeitgenössischen Litteratur auf’s äußerste beschränkte. In dieser doppelten Beziehung blieb S. immerdar höchst naiv und meist nur auf fremde Berichte beschränkt. Als nun die mit ausübenden Künstlern unvermeidlichen, immer neuen und unentwirrbaren Verdrießlichkeiten und die Empfindlichkeiten der ignorirten dramatischen Poeten, Schmid’s guten Humor gefährdeten und insbesondere die Rücksicht auf das eigene dichterische Schaffen, namentlich die Vollendung der begonnenen umfassenden Arbeiten im Felde der Novelle und des Romans eine Enthebung von der – Zeit und Kraft ganz absorbirenden – Stelle überaus wünschenswerth erscheinen ließen, war es die unermüdliche Huld des königlichen Mäcen, welche ihm durch Fortgewährung seines Functionsgehalts, als eines den Verdiensten des vaterländischen Dichters gespendeten Ehrensoldes, ein otium cum dignitate zu unbeengter geistiger Production bereitete. Mit den Worten: „Es gibt Capitel im Leben, die man am liebsten überschlägt“, pflegte S. Jeden um Schweigen zu bitten, welcher später die Sprache auf diese Jahre seiner Bühnenleitung, vielleicht auch auf frühere Verhältnisse, bringen wollte. Obwohl nicht in erster Reihe zum Drama veranlagt, beschäftigte ihn doch dieser Zweig der Dichtung zeitlebens. Er cultivirte alle dramatischen Gattungen: „das historische und bürgerliche Trauerspiel, das feinere und volksthümliche Schauspiel, das romantische und historische, das höhere und niedere Lustspiel, das Märchendrama, das lyrisch-dramatische Operngenre, das Dialekt- und Gelegenheitsstück: an Fruchtbarkeit wird sich keiner der gleichzeitigen dramatischen Autoren mit ihm vergleichen können.“ Wiederholt ging er bei den, von König Maximilian II. angeregten Preisbewerbungen als der Sieger hervor, ohne jedoch den ausgesetzten Preis zu erhalten, da bei den jeweiligen Aufführungen der Erfolg zweifelhaft verblieb, wie denn überhaupt seinen, einen historischen Stoff behandelnden Dramen „die zu bleibendem Werthe nothwendige Originalität und Meisterschaft nicht vindicirt werden kann“. Sie „verrathen Bühnenkenntniß, technisches Geschick, dramatisches Verständniß; der Dialog ist sachlich, fließend und die Charakteristik, in den späteren Stücken mehr als in den früheren, psychologisch richtig. Es fehlt ihnen aber der eigentlich dramatische Nerv, die Kraft der Unmittelbarkeit, die gleichmäßig packende Wirkung“. Die Exposition derselben ist immer musterhaft, so daß die ersten Acte meist die besten sind; die Scenerie wird mit einer Genauigkeit und in’s Einzelne gehenden Sorgfalt ausgearbeitet; dann aber fällt, nach der spannendsten Gipfelung, der vierte Act häufig ermüdend ab und nur die geschickte Schlußwendung hält das Stück über dem Wasser. Die nachhaltigsten Erfolge erzielte S. auf dem 1865 eröffneten neuen Volkstheater (Actientheater) am Gärtnerplatz. Seine Volksstücke „zogen“ alle und ergaben für einige Zeit immer ein volles Haus. Dazu gehören „Der [669] Tatzelwurm“ (1866) und das nach seiner eigenen Erzählung dramatisirte „Almenrausch und Edelweiß“ (1867); Beifall fanden seine „Münchener Kindeln“, ein schon 1858 unter dem Titel „Fürst und Stadt“ zur siebenten Säcularfeier der Stadt München verfaßtes, dann überarbeitetes ziemlich gespreiztes Schaustück. Viel Glück machte das reich ausgestattete Zaubermärchen „Vineta oder die versunkene Stadt“ (mit welchem S. aus einer Wiener Concurrenz den Preis davontrug und Suppé die Musik schrieb), weniger mit seinem „Beethoven“ und den „Auswanderern“ (gesammelt in der Klassikerbibliothek bei Hoffmann, Stuttgart). Als ein wahres Zugstück wirkte die Dramatisirung seiner „Z’widerwurz’n“ und der ebenso bearbeitete „Loder“, weniger „machte“ die in Raimund’s Manier behandelte Allegorie „Der Stein der Weisen“ (sämmtlich in Reclam’s Universalbibliothek). Die „Z’widerwurz’n“ ist eine etwas im Freskostil gehaltene, aber nach der Natur gezeichnete und in’s Ländliche übersetzte „Zähmung der Widerspenstigen“, ein Stück, welches auch auswärts Triumphe errang. Eine ganze Schaar von Nachahmern folgte dieser volksthümlichen Dramatik, deren Hauptreiz in der freilich oft ziemlich problematischen Wahrheit liegt, womit die Sitten, Gewohnheiten, Ansichten, Empfindungen und Charakterzüge des behandelten Volksschlages verarbeitet und auch – mißhandelt werden.

S. verfügte über eine staunenswerthe Thätigkeit und unermüdliche Arbeitskraft. Er hatte schon 1854 ein im äußersten Südosten der Stadt, am Ende der Tegernseeer Landstraße abgelegenes, unscheinbares, aus zwei Stockwerken bestehendes Häuschen erworben, welches er sich zu einem echten Dichterheim gestaltete. Die Façade überzog eine wahre Wildniß von Weinranken, im Vorgärtchen war jeder Baum und Strauch unter seinen pflegenden Händen gesetzt und zu einem poetischen Chaos zusammengewachsen, an welchem seine ganze Seele hing. In einem Mansardenkämmerchen hatte S. seine Dichterwerkstätte etablirt, kaum groß genug, um dem Dichter neben einem Arbeitstische, einem schweren Lehnsessel und einem Miniatur-Ofen noch Platz zu gewähren; dagegen bot sich aus dem Fenster eine, die ganze Alpenkette, von der Zugspitze bis zum Watzmann und weiter ostwärts bis in die fernsten Salzburger Berge reichende, wunderbare Fernsicht, welche unseren Poeten immerdar fesselte und mit dem unermüdlichen Wechsel von Stimmung und Beleuchtung erfrischende Ueberraschung bot. Hier in diesem seinen „Eden“ entstanden alle seine Werke und Schöpfungen. Er hatte die Gewohnheit, jede anfliegende Idee zur weiteren Reife, Ausarbeitung und Gestaltung auf weiten, tagelangen einsamen Spaziergängen herumzutragen. War dann alles erwogen, klargelegt und ausgearbeitet, dann saß er ausdauemd oben in seinem Stübehen und schrieb mit seiner perlenklaren, deutlichen Schrift, meist ohne zu ändern, seinem Gedankenstrome den vollen Schuß lassend, als „ob ihm eine unsichtbare Macht die Worte in die Feder dictire“. Dieser erste Entwurf wurde später fleißig gefeilt, polirt und geglättet und ging dann in sauberem Gewande in die Welt. Die ländliche Abgeschiedenheit bot ihm den neidenswerthen Vortheil, nur selten durch Besuche gestört oder beeinträchtigt zu werden. Freilich kostete der meist erst Nachmittags oder Abends bewerkstelligte Verkehr mit der Stadt und der häufig spät in der Nacht angetretene Rückweg viele Zeit. Dafür entschädigte aber an jedem Morgen der Blick auf das unschätzbare Panorama. Später, als die Anlage zu rundlichen Formen dem Dichter die zweimalige Promenade, namentlich über den steil hinziehenden Giesinger Berg, erschwerte, bediente er sich wenigstens zur nächtlichen Heimkehr eines sehr ländlichen Vehikels, welches bald einem eigenen Wagen wich, als das mit den Jahren wachsende Embonpoint und die Last seiner zeitraubenden Obliegenheiten und Verpflichtungen am Gärtnerplatztheater, an der Musikschule und im Rathhause der Stadt ihn vollauf in Anspruch nahmen. S. hatte sich in den letzten Jahren, [670] um ja in allen Zweigen seine Wirksamkeit zu erproben, auch als Lehrer bethätigt und hielt in der Musikschule Vorträge für die Eleven über Aesthetik, Litteratur und Theatergeschichte. Sodann hatte S. von Seite der liberalen Bürgerschaft der Stadt als besondere Ehrung die Wahl zum bürgerlichen Magistratsrath angeboten erhalten und angenommen. Als solcher erhob er gern seine Stimme, wenn es sich um verschönernde Anlagen, Bauten oder Kunstbethätigung handelte; von ihm ging auch der Vorschlag aus zu einer Regeneration des herkömmlichen Octoberfestes, wobei dann auf einer colossalen Bühne à la Ammergau vor dem ganzen versammelten Volke dramatische Scenen aus der baierischen Geschichte aufgeführt werden sollten. Der Antrag fand ebenso rasche Zustimmung, wie schnelle Vergessenheit, da S. die darauf bezüglichen Pläne niemals ausarbeitete und über die Wahl der Mittel und die dazu verwendbaren Kräfte keine weiteren Vorlagen einbrachte. Was er nebenbei an Gelegenheits- und Festdichtungen leistete, ist unzählbar. Zuletzt brachte er, als Spiegel seines Seelenlebens und seiner geistigen Entwickelung, ein seit Jahrzehnten geplantes lyrisches Epos „Winland oder die Fahrt um’s Glück“ zur Vollendung (Stuttgart 1876, bei Hallberger). In der mittelalterlich costümirten, übrigens frei componirten Handlung wollte er den ganzen Schatz seiner Erfahrungen niederlegen; er versprach sich von diesem modernen „Faust“ eine große Wirkung, welche sich auf eine knappe Reihe von wohlwollenden Besprechungen und emphatischen Kritiken seiner nächsten Freunde concentrirte. Indessen begann S. einen neuen „Zum grünen Baum“ betitelten Roman, welcher die Zeit vom Tode des Kurfürsten Max Joseph’s III. und dem Regierungsantritt Karl Theodor’s (1778 bis ungefähr 1790) abschildern und gewissermaßen ein Bindeglied zwischen „Im Morgenroth“ und „Mein Eden“ bilden sollte. Doch machten sich Alter und Krankheit geltend; das Werk blieb ein Fragment. Der Dichter starb am 19. October 1880 und wurde im Auer Friedhofe beerdigt, wo ein von seinen Freunden errichtetes Grabmal die von Anton Heß gemeißelte Büste Schmid’s schmückt. Seine Schauspiele warten noch auf eine Auswahl oder Gesammtausgabe; seine Novellen und Romane liegen in zweiter Volks- und Familienausgabe (Leipzig, bei Keil’s Nachfolger) in fünfzig Bänden vor.

Vgl. Heinrich Kurz, Geschichte der neuesten deutschen Litteratur. 1873. IV, 658 ff. – Wurzbach 1875. XXX, 262. – Franz Trautmann in Beil. 159 und 160 der Allgemeinen Zeitung, 1880.[1] – Nekrolog im Sammler Nr. 145 ff., Augsburg 1880 (woselbst auch die Fragmente aus Schmid’s letztem Roman).

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 670. Z. 20 v. u.: Verfasser des hier angeführten, in der Biographie Herm. v. Schmid’s mehrfach benützten Artikels in der Allg. Zeitg. ist nicht Dr. Frz. Trautmann, sondern Geh. Legationsrath Dr. Ludwig Trost, welcher dem Dichter nahe stand und sich auch im Besitze seines litter. Nachlasses befand. [Bd. 33, S. 800]