ADB:Schleich, Martin (Dramatiker)
Saphir und Heine, die alten classischen Satyriker und die neueren französischen und englischen Humoristen. Natürlich platzte dann aus dem kunterbunten Hexenbrei bisweilen auch den Lehrern etwas an den Kopf. Im Herbste 1846 betrat S. die Universität und besuchte selbe in seiner Manier, d. h. sporadisch; er kam in jedes Colleg, meist aber nur einmal und birschte sich bisweilen noch während des Vortrags mit ostensibler Stille hinaus. Nach den sog. philosophischen Studien inscribirte S. auf die Jurisprudenz, trieb sich aber überall herum ohne an einer Gesellschaft bleibend theil zu nehmen, besuchte fleißig das Theater, hielt humoristische Vorträge z. B. in der Museumgesellschaft, welche damals einzig das fashionable München repräsentirte, trollte wohl auch einmal sporenklirrend in „Burschenwichs“ zu einem Commers oder Fackelzug. Um seinem nimmermüden Witz Abfluß zu verschaffen und seine Finanzen zu verbessern, griff er instinctiv zur Feder. Der journalistische Boden lag noch ziemlich brach. Unter dem Pseudonym „M. E. Bertram“, welches er sich der [398] halb Mephistophelischen Rolle wegen aus Meyerbeer’s „Robert der Teufel“ beilegte und dann längere Zeit mit Vorliebe beibehielt – junge Genies, welche noch keinen Namen haben, scheuen sich immer die eigene Haut zu Markte zu tragen – erschien im December 1846 in dem von Vanoni redigirten „Münchener Tagblatt“ der erste Artikel, womit unser Humorist antichambirte, nachdem er vielleicht schon längere Zeit bei der in diesem Blatte stehenden Rubrik von „Tageslügen“ mitgewirkt hatte. Dann folgten beinahe täglich unter dem Titel „Glockenspiel“ allerlei drollige Antithesen, in welchen S. zeitlebens zu glänzen wußte. Diese erste litterarische Thätigkeit zieht sich durch den ganzen folgenden Jahrgang mit wahrer Faschingslaune, in Prosa und Versen, mit dramatischen „Seelengemälden“ und Theater-Recensionen, alles im tollsten Humor: eine Turnschule des Witzes als Vorspiel zum nachfolgenden „Punsch“. S. hatte gelegentlich auch die Frage aufgeworfen „wie viel ein deutscher Schriftsteller Quellen der Phantasie, Quellen des Humors und Thränenquellen zusammenthun müsse, bis eine Erwerbsquelle daraus werde?“ Der „Punsch“ gab bald darauf eine sehr befriedigende Antwort. Die erste Nummer erschien am 30. Januar 1848. Anfänglich sollte es nur ein Carnevalblatt sein, bloß aus sechs Nummern bestehen und, wie jedes richtige Glas Punsch, achtzehn Kreuzer kosten, jede Nummer aber beliebig auch einzeln um einen Groschen zu haben sein. Der Erfolg in dieser bleischweren, gewitterschwülen Zeit schlug, alle Erwartung übertreffend, glücklich ein; die nachfolgenden Februar- und Märzereignisse halfen nach. Die ersten Nummern wurden mehrfach in immer zahlreicheren Auflagen nachgedruckt; schon in der fünften Nummer (am 27. Februar) wird „das fernere Fortbestehen Münchens ohne Punsch für absolute Unmöglichkeit erklärt und also – noch ein Abonnement für sechs weitere Nummern eröffnet“, nach deren Ablauf die Quartal-, halb- und ganzjährigen Bestellungen sich also drängten, daß der „Punsch“ schon bei der zwanzigsten Nummer eine neidenswerte Zahl von Abonnenten hatte, abgesehen von dem Detailverkaufe der Colportage. In Nummer 13 verkündete der „Punsch“ sein Programm: „Er will Wohlstand – seiner Abonnenten, damit sie pünktlich zahlen; Sicherheit – vor einem Preßgesetz der jetzigen Kammer; Bildung – der Polizeibehörde, damit sie ihn nicht confiscirt. Nehmt der Redaction ein feierliches Handgelübde ab, daß sie nie aufhören wird, auf der betretenen Bahn der Originalität und des Humors fortzufahren; dann, nur dann erreicht ihr das Ziel, weßhalb ihr euch abonnirt habt.“ S. schrieb alles selbst, allein, ohne Mitarbeiter. Anfangs kam es öfter vor, daß der Redactor am Abend vor der Ausgabe der neuen Nummer ohne Manuscript in der Druckerei erschien, Papier und Feder verlangte und nun dem in seinem Haupte angestauten Strome die Schleußen öffnend und die nassen Blätter bruchstückweise dem Setzer übergebend, sein Werk auf einen Sitz abmachte. Bald fügte er auch selbstgezeichnete Holzschnitte hinzu, auch hier eine unnachahmbare Urkomik offenbarend. S. hatte während seiner Gymnasialzeit auch beim Zeichnungsunterricht, aber in seiner Manier, hospitirt und, bei erstaunlicher Begabung, zur Verzweiflung des wohlwollenden Lehrers durch fleißige Abwesenheit geglänzt, da sein eminentes Talent zur Caricatur hier keinen erwünschten Boden fand. – Später beliebte er seine formlosen Einfälle doch von Künstlerhand umzeichnen zu lassen, wobei etwa von 1856–1865 Eduard Ille, dann Jos. Resch und von 1869 an, meist Karl Baumeister artistische Gevatterdienste leisteten. Zu jeder Illustration zeichnete S. selbst seine Idee, meist ziemlich groß, immer hudelig, aber mit so drastischer Komik hingeworfen, daß der mit der Formgebung betraute Künstler mit Lust folgen konnte. Auch war charakteristisch dabei, daß S. nie früher kam, als bis die Zeit schon aufs höchste drängte; er pochte den nahe wohnenden Maler Resch noch spät am Abend oder in der Nacht aus seiner Ruhe, immer mit dem stricten [399] Beisatz, den Holzstock ja gleich am frühesten Morgen dem Xylographen zu überliefern. Dabei beobachtete er streng die Sitte, dem Künstler nie ein Wort der Anerkennung, aber auch keine Silbe des Tadels zu spenden. – Der „Punsch“ hatte eine vielbewegte Geschichte. Er spielte durch mancherlei Farben und Schattirungen, wurde vielfach confiscirt, ohne je zu einem Preßproceß zu gelangen, welcher für Richter und Geschworene, für Autor und Publicum zu einem wahren Lustspiel gedient hätte. Die bis 1871 reichenden vierundzwanzig Bände repräsentiren ein gut Stück deutscher Geschichte mit allen ihren Phasen. S. schlug mit der Pritsche seines Witzes nach allen Dimensionen, nach oben und unten, rechts und links; er schrieb nicht allein mit dem Kopf und Verstand, auch das Herz hatte sein Recht dabei: Zorn, Wuth, Laune und Uebermuth führten ihm die leidenschaftlich gallige Feder. Meist aber war es doch nur der harmlose, echt süddeutsche Mutterwitz, der mit gemüthlicher Derbheit etwas ungeschlacht herauspolterte, wie denn auch die Liebe nicht immer mit zuckerner Süßigkeit ihre Gefühle manifestirt. Sein Kern war immer grunddeutsch, bisweilen zog er auch ein blauweißes Fähnlein auf, welches er mit der jedem Stamm angeborenen Heimathliebe eifersüchtig bewachte und vertheidigte. Nach dreijähriger Pause erschien 1875 noch einmal der „Punsch“ und zwar unter dem besonderen Titel als „Glossirte Wochenchronik der Gegenwart“, machte aber im vergrößerten Gewande und ohne die gewohnten Bilder so wenig Glück, daß er beinahe unbemerkt am Schlusse des Jahres mit der 52. Nummer wieder verschwand. – Wahrscheinlich war S. auch bei den von Alexander Ringler 1848–1850 redigirten „Leuchtkugeln“ betheiligt; der „Nürnberger Trichter“ (herausgegeben von Franz Trautmann) enthält mehrfach den Namen „M. E. Bertram“. Es lag sehr nahe, daß von dem ununterbrochenen Raketen- und Feuerwerk-Sprühregen seines Geistes manch’ Schwärmer in andere, verwandte Organe hinüberblitzte, zumal da S. damals mit allerlei ähnlichen Genies, darunter auch so proteus-artigen Naturen wie Herbert König, C. L. Kaulbach und Anderen intim verkehrte. Auch für die „Fliegenden Blätter“ lieferte S. interimistische Beiträge (z. B. noch in Nr. 1893 die jocose Verballhornung der modernen Plastik). Vom Mai 1849 bis October 1852 gab der Unermüdliche die „Volksbötin“ heraus, ein loses politisches Tagblatt als äußersten Gegensatz zu Ernst Zander’s Zeitung „der Volksbote“, worin S. den großen Bullenbeißer mit unablässigem Gekläff ironisirte, äffte, ärgerte und verhöhnte. Schließlich ließ er diese nutzlose Polemik fahren, um freiere Hand für eigene dramatische Schöpfungen zu gewinnen. Den ersten dramatischen Versuch hatte S. als M. E. Bertram in Compagnie mit Leopold Feldmann gewagt; allein das Lustspiel verschwand spurlos ohne Erfolg. Allerlei dramatischer Schnickschnack war vorher schon im obgenannten „Münchener Tagblatt“ und im „Punsch“ abgelagert. Dann nahm er eine schon am Gymnasium geplante Tragödie „Nero“ vor, welche 1852 „als Manuscript“ erschien (München 1852 bei Dr. Wild 74 S. 8°). Ob dieselbe je irgendwo über die Bretter ging? Es wäre wenigstens heute noch einer Probe werth. Die fünf Acte sind, was junge Poeten sonst hartnäckig vermeiden, in origineller Prosa und mit einer Wucht geschrieben, welche das nicht anziehende Thema vergessen läßt und, wie man glauben sollte, doch das Publicum ergreifen und mitreißen müßte. Die achte Scene des 2. Acts, wo der Dichter die neue Kaiserin Poppäa mit Nero’s Mutter Agrippina einander gegenüber stellt, erinnert etwas an den Streit der Königinnen in Schiller’s „Maria Stuart“; sonst ist das Ganze eigenartig[WS 1] und die Charaktere sind mit sicherer Hand herausgemeißelt. Als lustige Person ist ein Narr als Nero’s Historiograph beigegeben. Doch macht sich der Fehler bemerkbar, daß außer der Schauspielerin Epicharis und deren treugeliebtem Julius Piso keine weitere Person das Interesse bleibend erwärmt. [400] – In der am Faschingsdienstag üblichen Vormittagsvorstellung ging Schleich’s „Bürger und Junker“ 1855 zum ersten Mal und zwar mit so glücklichem Erfolg über die Bretter, daß sich dieses „altbürgerliche Charakterbild“ nicht allein in der Gunst der Münchener bleibend festsetzte, sondern auch auswärts ähnliche Aufnahme fand und den Namen seines Verfassers im dramatischen Fach begründete. Der zweite Act entschied; er ist ein Meisterstück, so rund und sicher im Wurf, dabei voll echten, tiefen Gemüths, wie S. später nimmer erreichte. Der vierte Act fällt indessen schon etwas ab und ist sichtlich mit geringer Kunst, zur befriedigenden Lösung nur angeschweißt. Anfangs 1856 brachte S. „das Heirathsversprechen“, ein am sächsischen Hofe zur Zeit der Gräfin Cosel agirendes Lustspiel, sehr geschickt und diplomatisch gebaut und jedenfalls eines besseren Schicksals werth, als jetzt schon den vergessenen beigezählt zu werden. Rasch folgte darauf, wieder am Faschingsdienstag „Die letzte Hexe“ und noch im October desselben Jahres „Die Bayern in Italien“, ein „Volksschauspiel“ in vier Aufzügen. Letzteres hatte so wenig Erfolg, daß es S. nicht in die Reihe seiner gesammelten Schaustücke aufnahm. Desto glänzender bewährte sich die „letzte Hexe“, welche trotz allerlei Gebrechen, z. B. einer possenhaften Carikirung einzelner Charaktere und der offenbaren Unglaublichkeit mancher Scenen, dennoch jahrelang ein beliebtes Zugstück blieb und auch auswärts (z. B. in Weimar, durch A. Rost umgearbeitet) gute Aufnahme erzielte. Nachdem 1861 auch noch das Lustspiel „Ansässig“ verdienten Beifall und Aufnahme gefunden, veröffentlichte S. eine Sammlung seiner „Lustspiele und Volksstücke“ (München 1862 bis 1863 bei G. Beck) in zwei Bänden, welche 1874 in neuer (Titel-)Ausgabe erschienen und auch einige mindere Arbeiten enthielten. Für Frhrn. v. Perfall dichtete S. den Text zu der romantisch-komischen Oper „Das Conterfei“ (1863). Ganz spurlos ging das Lustspiel „Eine falsche Münchnerin“ (1864) vorüber; ihr Schicksal verleidete dem Autor eine Zeitlang die Bühne, deßungeachtet ermüdete S. nicht neue Stoffe und Projecte zu erwägen, welche jedoch, trotz der gewandten Dialogisirung und den fortdauernden Aggregaten von Witz und Humor, an einem bedenklichen Mangel von Handlung oder an offenbarer Unbedeutendheit des Stoffes leiden. Während S. auf dem Gebiete der dramatischen Kunst seine Kräfte zersplitterte, versuchte er sich auch im Gebiete der Politik, wo es ihm gleichfalls, obwohl nur vorübergehend gelang, eine Rolle zu spielen. Daß dabei an eine so vielseitig begabte Natur die strenge Anforderung einer stereotypen Festigkeit des Charakters nicht gestellt werden dürfe, ist selbstverständlich. Wer mit einem Clown über die größten Principien des Lebens rechten wollte, würde die Wette verlieren. Die Frage bleibt nur, ob derselbe in der Zeit der Noth und Gefahr die übliche Schellenkappe herabzunehmen und die Situation würdig und richtig zu erfassen vermöge. Und das hat S. gethan. Nachdem er lange im Irrgarten der jeweiligen Tagesmeinung gefackelt und verschiedenen Parteien gedient hatte, trat er mannhaft und fest für Deutschlands Ehre in die Schranken, sowohl mit seiner im Künstlerhause gehaltenen Rede bei der nach langer Vergessenheit 1860 wieder aufgenommenen Feier der Leipziger Befreiungsschlacht (vgl. Nr. 908 Illustr. Ztg. 24. November 1860 mit einer Portraitzeichnung von C. E. Döpler), wie auch am 19. Juli 1870 in der baierischen Kammer, als er für die Bewilligung der Kriegscredite sprach und mit zornbebender Stimme und mit Thränen im Auge erklärte, wie man es von Paris her den baierischen und großdeutschen Patrioten zuzumuthen wage, mit Frankreich gegen die nationale Sache zu gehen. – Nachdem S. kurz vorher im ultramontanen Lager einen Gastrollencyklus abgespielt hatte, sprang er mit dem anonymen „Büchlein von der Unfehlbarkeit“ (1872) in sein altes Fahrwasser zurück und bekannte sich mit derselben Leichtigkeit, wie ehedem zum Deutsch- so [401] jetzt zum Altkatholicismus, nachdem er inzwischen seinen blauweißen Wählern, im klerikalen Costüm eines römisch-katholischen Patrioten, Sand in die Augen gestreut und durch sie einen Sitz in der baierischen Kammer der Abgeordneten von 1869–1875 errungen hatte. Im November 1873 bildete S. die aus – sieben Mitgliedern bestehende „Freie Vereinigung“, aus welcher bald darauf eine „Gemäßigte Partei“ hervorging, als deren publicistischer Herold er dann am 1. Juli 1881 „Den Gemäßigten“ in’s Leben rief, eine Zeitung, welche er gleichsam zu seinem Vergnügen, ganz légèrement, einfädelte und mit ironisch-moquanter Bonhommie also „redigirte“, daß er, alsbald selbst davon gelangweilt, den Stand verließ und seinen Nachfolgern das Problem stellte, das zerschnittene Zeug bestmöglichst wieder zusammenzuflicken und in genießbare Gestalt zu bringen. Zuletzt excellirte S. durch seine Essays in der „Allgemeinen Zeitung“, indem er bald mit der ernsthaften Miene eines Theologen oder dem wissenschaftlichen Feuer eines Juristen, im gelehrten Tone des Culturhistorikers oder als leichter Tourist (wir erinnern nur an die „Römischen Apriltage“, welche bald darauf unter dem gleichen Titel auch in Buchform München und Leipzig 1880 bei Hirth erschienen) alle Leser erheiterte, ärgerte oder entzückte. Er hatte ein schönes Stück Erde gesehen und frühzeitig schon allerlei Fahrten nach drei Himmelsgegenden unternommen, den Süden aber fast nur allzulange sich vorenthalten. Hier wurde der in ihm versteckte Poet wieder lebendig; doch nur stoßweise und vorsichtig gönnte er ihm bisweilen freie Luft zu schöpfen. Ihm war von dieser prächtigen Himmelsgabe eine tüchtige Portion als Erbtheil zugefallen. Aber er wucherte nicht damit, sondern vergrub lieber sein Pfund oft lang und hartnäckig. Es gibt problematische Naturen, welche sich tieferer Empfindungen schämen und, obgleich sehr weichherzig angelegt, ihre Gemüthstiefe doch lieber mit Brutalität maskiren. So affectirte S. einen lächerlichen Abscheu gegen alles Ideale; in seiner Angst davor schlug er mit kaustischer Drastik um sich und rettete sich hinter eine cynische Derbheit. Im „Verein für deutsche Dichtkunst“ und im „Lustigen Krokodil“ ging er, wie überhaupt in allen Gesellschaften, nur als dilettirender Hospitant ab und zu. Zu den Perlen seiner Lyrik gehört „Ein Spaziergang auf dem Gasteig bei München“, woraus die tiefgefühlte Klage über das unerwartete Abscheiden König Maximilian II. erklingt. Wahre Meisterwerke sind auch seine Nachdichtungen Jacob Balde’s. Von 1869–74 bethätigte er sich an den von Johannes Schrott ins Leben gerufenen Balde-Festen und -Ausflügen; seiner Natur gemäß zog ihn die humoristische Seite dieses Dichters besonders an. Zu der mit Johannes Schrott unter dem Titel „Renaissance“ herausgegebenen Auswahl von Balde’s Dichtungen (1870 bei Lindauer) lieferte S. 25 Uebertragungen, welche von einem tiefen, eingehenden Studium des Originales zeugen. Aus dieser Zeit stammte auch die Vorliebe für den Kurfürsten Maximilian I., dessen Bildniß er in Thalerform an seiner Uhrkette trug. Die Erträgnisse seiner fleißigen Feder gaben ihm die Mittel zum Ankauf eines stattlichen Hauses, welchem auch eine Villa in Starnberg folgte. Ersteres vertauschte er wieder und wechselte noch öfter seinen Besitz in mancherlei Form; er hatte überhaupt etwas Unstätes und das Bedürfniß oftmaliger Veränderung. Eine feine Renaissancestube, ein „unterirdisches Kaffeehaus mit Billard“ und eine langjährig aufgestapelte Bibliothek wurden bei guter Gelegenheit wieder losgeschlagen und alsbald durch neue noble Passionen ersetzt. Seine gute „Hausmannskost“ soll auch den Beifall hochwürdiger Kenner erhalten haben. S. schlug bei Tisch immer eine wackere Klinge, deßhalb pflegte er auch eine gute Köchin weitaus über die größte Clavierkünstlerin zu setzen. Seit 1858 glücklich verheirathet, genoß er ein schönes Familienleben und noch die Freude, einer [402] Tochter den Myrthenkranz für einen braven Mann aufzusetzen. Sein einziger Sohn, welcher das Talent der Mutter erbte und deßhalb einen Beleg zu Levin Schücking’s Geneanomischen Studien bietet, widmete sich dem Ballet, wozu der etwas schwerfällige Herr Papa, außer einer persönlichen Inclination in früheren Jahren, nicht das geringste Ingenium besaß. Seine Erscheinung hatte nie etwas Graciöses, wenn er, die mit einem schweren Stock bewaffneten Hände meist auf den Rücken gelegt, sich breitspurig dahin schob. Auch sein Antlitz mit dem sinnlichen, einem Bonvivant oder einem Volksredner passenden Munde, aus welchem nie eine wohltönige Rede, sondern ein gehackter mühevoller Auswurf mit einer verrosteten, schartigen Stimme, kam, schien meist völlig affectlos, bei einer Anrede oder Begrüßung erstaunt und mit einem Ausruf der Ueberraschung aufschauend. Dann wetterleuchtete aber gleich der Witz über das ganze Gesicht und zeigte den Meister des blitzenden Aperçu. Den philosophischen Doctorhut erhielt S. als besondere Auszeichnung und honoris causa; seine charitativen Bestrebungen während des französischen Krieges wurden durch den Verdienstorden von 1870/71 gelohnt. S. starb nach kurzer Krankheit am 13. October 1881. Kurz vorher hatte er sich eine Grabstätte gekauft, und dafür folgende Inschrift bestimmt: „Hic Dr. Martinus Schleich jacet, tacet, placet“. Ein nachgelassener Roman „Der Jude von Caesarea“ erschien in M. G. Conrad’s Zeitschrift „Die Gesellschaft“ 1885, und dann, bearbeitet und abgeschlossen als „Der Einsiedler“ von M. G. Conrad, München 1886.
Schleich: Martin S., Dramatiker und humoristischer Schriftsteller, geb. am 12. Februar 1827 zu München, stammte aus einer freiherrlichen Familie, welche zuletzt auf ihren Adelstitel verzichtete. Da der Vater unseres Dichters, ein kgl. baier. Forstmeister, früh starb, so mochte der Sohn unter allerlei herben Erfahrungen aufgewachsen sein. Deßungeachtet lachte der Schalk schon aus den Zügen des kleinen Lateiners, welcher am Wilhelmsgymnasium bald den Mittelpunkt eines erlesenen Kreises bildete; er sprühte damals schon von tollen, muthwilligen Einfällen und Witzen, welche er ungesucht und mit der trockensten Miene losließ. Dabei nahm er das Studium sehr ernst, blieb immer unter den Besten und den steten Preiseträgern, die wie eine untrennbare Phalanx zusammenhielten, hart auf den Fersen. S. las alles Mögliche durcheinander: Bibel, Koran, Talmud, überall Material für seinen Witz suchend, dazu Romane, Theaterstücke, die Schriften von- Vgl. Nekrolog in Beilage Nr. 330 Allgemeine Zeitung vom 26. November 1881.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: eingenartig