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ADB:Scheurl, Christoph

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Artikel „Scheurl, Christoph“ von Ernst Mummenhoff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 145–154, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scheurl,_Christoph&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:26 Uhr UTC)
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Scheurl: Christoph S., geboren am 11. November 1481 in Nürnberg als Sohn des 1467 aus Schlesien dahin ausgewanderten Christoph Scheurl und der Helena Tucher, empfing seine Gymnasialbildung von März 1496 bis Herbst 1498[1][2] in Heidelberg; für den geistlichen Stand bestimmt, wandte er sich doch 1498[1][3] in Bologna dem Studium der Rechtsgelehrsamkeit zu. Im October 1500 reiste er nach Venedig, Loretto und Rom, wo er dem großen Jubiläum beiwohnte und die Weihe erhielt. Von seinen Reisen, die er auf fast ganz Italien ausgedehnt hatte, kehrte er nach Bologna zurück, wo er 1504 durch die Wahl zum Syndicus der deutschen Station ausgezeichnet wurde, ein höchst ansehnlicher Posten, den er zwei Jahre lang ehrenvoll bekleidete. Am 23. December promovirte er zum Doctor beider Rechte. Seine Einführung in das politische Geschäftsleben fand wenige Jahre später statt, als er einer Gesandtschaft Kaiser Maximilian’s, welche dessen Romzug in Italien vorbereiten sollte, als Dolmetscher und Unterhändler für den Verkehr an den italienischen Höfen beigegeben wurde. Nicht durch Empfehlung Staupitzens, als Scheurl’s „Studienfreund“, wie v. Soden und nach ihm Andere mittheilen, sondern auf jene des Propstes Dr. Sixt. Tucher und dessen Bruders Anton Tucher und unter Mitwirkung des kurfürstlichen Raths Degenhart Pfeffinger, wozu eine persönliche Verwendung von Scheurl’s Vater auf dem Reichstage zu Köln im Jahre 1505 hinzukam, berief ihn Kurfürst Friedrich von Sachsen als Lehrer der Rechte mit einem Jahresgehalt von 80 Goldgulden an die neugegründete Universität Wittenberg. Erst im folgenden Jahre, nachdem S. schon Herbst 1505 Schritte gethan hatte, um die Einwilligung des Nürnberger Raths zum Eintritt in kursächsische Dienste zu erlangen, wurde Staupitz, der damals in Italien war, um die päpstliche Bestätigung für die Universität Wittenberg zu erholen, mit S. bekannt, dessen Promotionsact und Doctorschmauß er beiwohnte, offenbar, weil S. schon für Wittenberg bestimmt war. 1497, in welchem Jahre S. als sechzehnjähriger seine Studien in Bologna begann, war Staupitz bereits magister artium und lector theologiae in Tübingen. S. nennt ihn freilich seinen „praeceptor“, aber durchaus im allgemeineren Sinne. 1507 verhandelte Staupitz in Weimar mit ihm im Auftrag des Kurfürsten über die Bedingungen, unter welchen er die Professur in Wittenberg übernehmen sollte und ließ ihn durch zwei Mönche dorthin geleiten. Am 8. April 1507 traf S. in Wittenberg ein. Schon am 1. Mai, als er kaum zwölf Vorlesungen über den usus feudorum gehalten hatte, übernahm er das Rectorat, das er mit großem Erfolg und zu allgemeinem Beifall führte. Auch sonst wurde er durch Ehren ausgezeichnet. 1508 wurde er zum herzoglichen Rath, weiterhin zum Assessor des herzoglich-sächsischen Gerichts zu Leipzig und Altenburg ernannt. Der Kurfürst und die Herzöge von Sachsen bedienten [146] sich seiner wiederholt zu diplomatischen Sendungen, auch in Angelegenheiten und als Gesandter der Stadt Wittenberg ließ er sich verwenden. Ohne Zweifel wäre S. in sächsischen Diensten zu noch höheren Stellen und Ehren emporgestiegen. Schon war er als Kanzler in Ostfriesland in Aussicht genommen, als der Wunsch seiner Eltern, welche ihren Sohn in der Vaterstadt angestellt zu sehen wünschten, seinem Leben eine ganz andere Richtung gab. Durch die Einwirkung des vordersten Losungers und Reichsschultheißen Anton Tucher, dessen Beistandes sich die Mutter versichert hatte, geschah es, daß S. als Rathsconsulent in die Dienste seiner Vaterstadt gezogen wurde. Schon am 9. December 1511 war seine Berufung im Rathe beschlossene Sache, am 5. Januar 1512 war er schon in Nürnberg, wo er auf des Raths Befehl den Wein geschenkt erhielt, wenige Tage später schloß er mit ihm seinen Vertrag zunächst auf fünf Jahre mit einem Jahresgehalt von 200 fl. ab, am 12. April trat er seine neue Stellung an. Er wurde zugleich auch als Assessor am Stadtgerichte mit noch 40 fl. Besoldung angestellt. Unterschiedliche Vergünstigungen wurden ihm zugestanden: so durfte er für seine Verwandten advocieren und selbst in peinlichen Sachen Rathschläge ertheilen.

So war denn S. von dem rein wissenschaftlichen Beruf des Rechtslehrers zu dem geschäftsmäßigen des reichsstädtischen Beamten übergetreten. Dieser mochte ihm nicht stets behagen, wie er sich denn auch einmal dahin ausspricht, die Obliegenheit eines Rathsconsulenten bestehe darin, den ganzen Tag und zuweilen auch noch einen Theil der Nacht zu arbeiten, niemals habe er Ruhe. Ein anderes Mal beklagt er sich, er könne nicht mit Sicherheit außerhalb der Stadt übernachten, zu jeder Stunde müsse er sich bereit halten, er könne nicht ärger gebunden sein. Allerdings wisse er, fügt er hinzu, daß der Mensch nicht zur Muße, sondern zur Arbeit geboren sei. Scheurl’s Stellung war übrigens eine höchst ehrenvolle. Seine Bedeutung fand volle Anerkennung im Rath. 1514, als dieser eine Verbesserung des unter dem Namen der Nürnberger Reformation bekannten Civilgesetzbuches veranstaltete, zog er S. zu Rathe. Das Vertrauen in seine Tüchtigkeit berief ihn weiter zu den schwierigsten diplomatischen Geschäften und Sendungen. Verweilen wir zunächst bei diesem Theile seiner Thätigkeit. Im Jahre 1513, wenige Wochen nach seiner Hochzeit mit der Katharina Fütterer, wurde er zugleich mit Niklas Haller zu einer Mission nach Spanien ausersehen, um dem neuerwählten König Karl V. Glück zu wünschen, dann aber auch in verschiedenen Angelegenheiten, wie in der Weinzollstreitigkeit der Stadt mit Markgraf Kasimir von Brandenburg, wegen Bestätigung der im baierischen Krieg eroberten Besitzungen, wegen Abhaltung des ersten Reichstags in Nürnberg und anderer Punkte halben am königlichen Hofe zu verhandeln. Am 18. October langten die Gesandten in Barcelona an. Ihr Empfang war ein höchst ehrenvoller. S. war der Wortführer und erntete als geschickter Redner allgemeinen Beifall. Während der sechzig Tage, welche die Gesandtschaft bei Hofe zubrachte, wurde sie durch große Ehren ausgezeichnet und ihr eine günstige Erledigung ihrer Angelegenheiten in Aussicht gestellt. 1522 war er unter den Gesandten, die das Reichsregiment an Erzherzog Ferdinand nach Wien und den König von Ungarn nach Neustadt abschickte, um wegen der Rüstungen zu dem Türkenkrieg zu verhandeln. Nach Abfertigung der Gesandtschaft hielt ihn der Erzherzog noch allein zurück, um sich seiner bei einem Rechtsstreit zu bedienen. Im Auftrag der Reichsstadt Windsheim begab sich S. noch im selben Jahre als Anwalt zu einem Tage nach Ansbach, dann im Anfang des folgenden Jahres nach Augsburg behufs Vertretung seiner Vaterstadt in einem Rechtsstreit, der zwischen ihr und Wolf Ketzel schwebte. Das Jahr 1523 führte ihn an den kaiserlichen Hof. Der Nürnberger Reichstagsabschied vom [147] Februar dieses Jahres war nicht nach den Wünschen der Reichsstädte ausgefallen. Sie hielten daher einen Tag zu Speier ab, an dem sie die Entsendung einer Botschaft an den Kaiser beschlossen. Straßburg, Metz, Augsburg und Nürnberg wurden mit der Ausführung dieses Beschlusses betraut. Nürnberg ernannte als Vertreter Clemens Volkamer und Christoph S. Aufgabe der Gesandtschaft war es, wegen der Zollbesteuerung und der Monopole, sowie weiterhin wegen der Unterhaltung des Kammergerichts und des Sicherheitszustandes im Reich in Unterhandlung zu treten. Bei der feierlichen Audienz, die Kaiser Karl V. am 9. August zu Valladolid in einer glänzenden Versammlung von Großen, Bischöfen und Botschaften der Gesandtschaft ertheilte, fiel S. die Rolle des Redners zu. Auf der Rückreise wurde er auch von König Franz I. zu Lyon in Audienz empfangen. Am 6. September schiffte er sich ein, mußte aber die Seereise wegen heftiger Stürme aufgeben und langte erst am 10. December wieder in Nürnberg an. Als im J. 1524 durch den Augustinerprior Wolfgang Volbrecht, dann in den beiden Hauptpfarrkirchen durch die Pröpste Georg Peßler und Hector Pömer eine Reihe wichtiger Kirchenceremonien abgeschafft und mehrfache Neuerungen im Gottesdienst eingeführt worden waren, ließ der Rath, der dieses Vorgehen schon wegen der entgegenstehenden kaiserlichen Mandate nicht billigen konnte, den Pröpsten ernstliche Vorstellungen machen. Diese aber zeigten sich keineswegs geneigt, die getroffenen Maßregeln wieder zurückzunehmen, sie erklärten, daß sie damit gegen ihr Gewissen handeln würden. Um sich zu entschuldigen, schickte nun der Rath eine Botschaft, wozu Christoph Kreß, Clemens Volkamer und Christoph S. gehörten, an den kaiserlichen Statthalter Erzherzog Ferdinand, der damals auf Veranlassung des Cardinallegaten Campeggi mit mehreren Bischöfen und den Herzögen von Baiern eine Zusammenkunft in Regensburg hielt. S. benahm sich außerdem noch mit dem Cardinallegaten in längerer, vertraulicher Unterredung, bei welcher Gelegenheit er den Rath auf das nachdrücklichste in Schutz nahm. Weiterhin entsandte der Rath in derselben Angelegenheit S. mit Christoph Kreß und Martin Tucher an Bischof Weigand von Bamberg. S., der das Wort führte, suchte den Rath mit Glimpf aus der Sache zu ziehen. Jene Aenderungen seien gegen dessen Wissen und Willen eingeführt worden, er könne aber solange dagegen nicht einschreiten, bis die Prediger des Irrthums überwiesen seien. Auch wegen der nach dem Evangelium begierigen Bürgerschaft könne er nichts unternehmen, ohne sich üble Nachreden und Beschwerden zuzuziehen. Er stelle sich auf den Boden der Beschlüsse des letzten Nürnberger Reichstags. Der Bischof selbst möchte die Pröpste und Prediger als Ordinarius kraft seines Amts verhören, da der Rath in Bezug auf Kirchen- und Hirtenamt ihr Richter nicht sein könne. So blieb es bei den eingeführten Aenderungen. An den Reichstagsverhandlungen zu Augsburg im J. 1530 hat S., entgegen der v. Soden’schen Darstellung, nicht theilgenommen„ Aus seinem „Reisbuch“ ergiebt sich nämlich, daß er erst im Herbst 1530 dort verweilte „denen von Augsburg zu guten“ in Sachen Stephan Peurlein’s am Hofgericht, das damals in Augsburg tagte.

S. war der reformatorischen Bewegung in ihren Anfängen nicht nur nicht abgeneigt, sondern ein eifriger Anhänger derselben. Schreibt er doch 1519 an Johann Eck, er sei mit den Meisten der Ansicht Amstorff’s, welcher sich in seinen Briefen darüber beklage, er, ja die ganze Welt sei von Thomas und Scotus hintergangen und sei nicht den Ecclesiastikern gefolgt, ihre und Luther’s Lehre sei fest, lauter, katholisch, unüberwindlich, unzerstörbar. An Luther schreibt er damals: „Ich möchte sterben, wenn Jemand bei uns Christum predigen sollte außer unserem Wenzeslaus und Einigen, die ihm folgen“. Mit Luther und den übrigen Reformatoren stand er um diese Zeit in lebhaftester Correspondenz, er stellt sich zunächst ganz auf ihre Seite, berichtet unablässig [148] über den Fortgang der Bewegung, ermuthigt und ermuntert und bekundet seine Freude. Aber nicht lange hält diese Regung vor, sie erschlafft, hört ganz auf, verkehrt sich in ihr Gegentheil. S. vermochte einmal nicht mit dem lebhaften Gang, den die Bewegung nahm, Schritt zu halten, ebensowenig, wie Christoph Fürer, der ältere, und Wilibald Pirkheimer. Allerdings zeigt sich in dem Verhalten dieser Männer ein in die Augen fallender Unterschied. Fürer sowohl wie Pirkheimer mochten vor den Consequenzen, die die neue Lehre nach sich zog, erschrecken, sie mochten die Auswüchse fürchten, die bei einer so gewaltigen, alle Verhältnisse erschütternden Bewegung nothwendig zu Tage treten mußten, aber sie verließen nicht – von Pirkheimer kann das mit Bestimmtheit behauptet werden – den Boden der Reformation und den Standpunkt des Protestes. Anders dagegen S., der die Sache der Reformation aufgab und zur Fahne der alten Kirche zurückkehrte. Sein Eindringen in die große Bewegung ging nicht weit unter die Oberfläche hinab. Trotz aller Liebes- und Freundschaftsbetheuerungen, von denen seine Briefe an Luther, Melanchthon, Spalatin u. a. überfließen, dringt er doch nirgends in das Wesen der Sache ein. Fast gewinnt es den Anschein, als habe er mehr die Beziehungen zu den berühmten Männern, als zu den Reformatoren des kirchlichen Lebens aufgesucht und unterhalten. Es zeugt von nicht geringer Eitelkeit, wenn er diese Männer ebenso zu seinen Correspondenten und näheren Freunden zählen will, wie andererseits einen Johannes Eck, den er schon früher kennen gelernt hatte. Sein Verhältniß zu Eck war ein viel vertraulicheres wie jenes, das ihn mit den Reformatoren verband. Es ist, als ob er auf die Freund- und Gönnerschaft dieses Mannes ein ganz besonderes Gewicht gelegt hätte. Ueberschwengliche Freundlichkeit, sich selbst erniedrigende Bescheidenheit und schmeichlerische Unterwürfigkeit treten immer wieder in den zahlreichen Briefen hervor, die er an den späteren Hauptgegner Luther’s richtet. Er will zwischen beiden Parteien vermittelnd und versöhnend wirken. Und es mag ja in der That der Fall sein, daß ihn die aufrichtigsten Absichten beseelten, wie es auch hervorgehoben zu werden verdient, daß er nirgendwo bei der einen Seite sich über die andere beklagt oder auch nur in leisester Andeutung mißliebig ausläßt. Eck, der Mißtrauen in ihn setzte und glaubte, er neige zur Lutherischen Partei, erwidert er am 10. April 1519, wenn dies wirklich der Fall wäre, so würde er sich mit Vielen in der gleichen Lage befinden. Wenn Eck annehme, daß er Luther mehr als ihm gewogen sei, so möge er Folgendes beherzigen. Mit den Predigern sei er aufgewachsen, unter den Augustinern erzogen, mit diesen nach Wittenberg gekommen und mit ihnen verbinde ihn die größte Vertraulichkeit. Mit Rechtlichkeit vereinigten die meisten von ihnen ausgezeichnete Gelehrsamkeit. Luther selbst habe seine Freundschaft nicht verschmäht. Mit Eck andererseits habe er nicht so sehr Freundschaft als vielmehr Brüderschaft geschlossen. „Du hast mein Haus“, fährt er fort, „das sich um dich in keiner Weise verdient gemacht, … der Gastfreundschaft eines so großen Mannes, wie du bist, gewürdigt, was mir bei den Vornehmsten zur Ehre gereichte; du hast dich gegen uns stets so bewiesen, wie ich es bei meiner Geringfügigkeit nicht einmal wünschen durfte. Deßhalb habe ich es längst bei mir beschlossen, die Freundschaft beider Theile zu vermehren, um nicht zu sagen, zu erhalten, keinen so hoch zu schätzen, als daß ich daran denken könnte, dem anderen Abbruch zu thun. Jedem bin ich wohl, Jedem bin ich geneigt und gewogen und wünsche Gleiches von Anderen. Ihr selbst möget sehen, was ihr durch diese euere Streitigkeiten nützen, daß ihr nur Haß ernten werdet. Euere Zänkereien, Streitigkeiten und Mißhelligkeiten gehen mich nichts an. Ich war der Herold euerer Trefflichkeit und der Stifter euerer Freundschaft, ich habe nichts mehr gewünscht als die geschlossene Freundschaft zu befestigen; wenn es anders kommt, [149] so schmerzt mich das. Diesen Entschluß legen mir die einen als Schwachheit aus, die andern stempeln mich zum Zwischenträger. Schwer ist es, Männern zu gefallen, die von feindlich sich gegenüberstehenden Meinungen beseelt sind, ich selbst aber bin mir meiner unverbrüchlichen Treue bewußt“. War S. bei Eck schon in den Verdacht der Unzuverlässigkeit gekommen, in welchem Lichte mußte er erst einem Luther und Melanchthon erscheinen! Seine innige Freundschaft mit Eck war eine allgemein bekannte Thatsache. Hatte dieser doch sogar auf seiner Rückreise von der Leipziger Disputation am 29. August 1519 zur Hochzeit Scheurl’s sich eingefunden, wo er sich auch an dem Tanze betheiligte und zwar nicht, ohne Glück bei den Damen zu finden (non invita Venere). Das mußte S. nothwendig bei den Reformatoren in den Verdacht der Zweideutigkeit, der Achselträgerei und Unredlichkeit bringen. Kein Wunder, daß er sich hier reinzuwaschen sucht. Dies geschieht in einem Brief an Melanchthon vom 1. April 1520, dem letzten, den er an ihn richtete. Er spielt darin auf eine ihn treffende Stelle im Eccius dedolatus an, welche ihn als Spion in Auskundschaftung der Luther’schen Händel und als den falschen Freund Luther’s hingestellt hatte, wenn er in die Worte ausbricht: „Welche Geheimnisse von euch konnte ich verrathen, oder was sollte Eck bei mir auskundschaften?“ Dann entschuldigt er sich wegen Eck’s Anwesenheit auf seiner Hochzeit. Es sei Zufall gewesen, daß Eck gerade damals, von der Leipziger Disputation heimreisend, in Nürnberg eingetroffen sei. Und wenn nicht die Aussicht auf die bevorstehende Botschaft nach Spanien die Hochzeit beschleunigt hätte, so würde er gewiß auch die Wittenberger als willkommene Gäste erwartet haben. … „Keiner der Anführer“, schreibt er weiter, „wird durch meinen Beitritt bereichert, keiner bewirbt sich um mich, ja begehrt mich nicht einmal. Erasmus hält sich neutral, er haßt die Namen der Parteiungen als etwas wahrhaft hassenswerthes, weil wir alle Christi sind. Unsere Vornehmen und fast auch die Leute aus dem Volke, sowie auch alle Gelehrten sind dem Herrn Martin günstig gesinnt. Die Klosterleute treten aus ihren Orden, einige schreiben Bücher von wenig Werth, während doch nichts weniger als dies ihre Aufgabe sein kann. Wir trennen uns und es bilden sich innere Parteiungen. Wie sehr wünschte ich, die einfache Lehre kehrte zurück! Laßt die gegenseitige Liebe walten! Ich bin der allerruhigste Mensch. Zwietracht, Zank, Beleidigungen und Verspottungen sehe ich den Meisten mißfallen. Dr. Martinus habe ich stets von Herzen geliebt, Eck, meinen alten und wohlverdienten Freund, stoße ich in keinem Fall zurück. Ich höre viele Köpfe, viele Meinungen und schwöre nicht auf die Worte des Einen zum Nachtheil des Andern. Ich wünsche nur, wir wären eins in Christo und kämen uns brüderlich entgegen. Daher komme ich bei Einigen in den Verdacht der Schwäche, werde zum Stadtgespräch und durch wunderbare Märlein verspottet“. Man sieht hier bereits den Umschwung bei S. beginnen und dies merkwürdiger Weise nur wenige Monate später, als er in einem Brief an Luther als dessen eifrigen Anhänger sich gezeigt und bei Eck sich wegen seiner Beziehungen zu den Reformatoren so energisch vertheidigt hatte. Nachdem ihm die Augen aufgegangen, daß der Bruch zwischen der alten Kirche und den Reformatoren unvermeidlich geworden, zieht er sich von diesen zurück. Dies ist ohne Zweifel der Punkt, von dem aus sein ganzes Verhalten erst die richtige Beleuchtung erhält. S. hat im Grunde genommen der katholischen Kirche nie aufgesagt. Er spricht sich darüber nicht aus, ja er wirkt als Beauftragter des Raths noch im Dienst der Reformation, so bei dem Religionsgespräch im Jahr 1524 zwischen der alten und neuen Richtung auf dem Rathhaussaal, bei welcher Gelegenheit er den Vorsitz führte und den einleitenden Vortrag hielt. Aber jener eben angeführte Brief und sein sonstiges Verhalten, wie der Abbruch seiner Beziehungen zu den Reformatoren [150] um diese Zeit sprechen durchaus dafür. Wie tief dieser Riß ging, zeigte sich, als er 1533 auf der Rückreise von Schlesien, das er besucht hatte, Wittenberg berührte. Er begrüßte zwar die Fürsten, im übrigen aber hatte er, wie er sich ausdrückt, für Wittenberg, sonst die Pflegerin der Wissenschaften und der Frömmigkeit, keine Neigung mehr, ja er verabscheute es vielmehr „als den Herd der Irrthümer und die Hölle aller Ketzerei“. Aber so ganz konnte er doch dem Reize nicht widerstehen, die Stadt wiederzusehen, in der er einst als Lehrer des Rechts gewirkt hatte. Er blieb einen Tag dort. Luther besuchte er nicht, weil er, wie er sich ausdrückt, aller Heuchelei abhold war. Melanchthon sah er die Rede pro Milone vorlesen. Die Studenten empfingen ihn mit Geschenken und einer äußerst glänzenden Rede, seiner Dienste eingedenk. … Am Schluß seines Berichts bemerkt er in einer Weise, die für seine Stellung zur Reformation charakteristisch ist: „Bei uns erkalten die Angelegenheiten der Lutheraner und dienen zum Gespött, denn die Meisten beklagen die Noth der Zeit und sehnen die wahre Verehrung Gottes und die reine Erkenntniß des Wortes Gottes herbei“. 1536 schreibt er an Otto Beckmann, an den auch der eben angezogene Bericht sich gewendet hatte: „Ich werde mit der Gnade Gottes bis zum letzten Lebenshauch in der Einheit der katholischen Kirche verharren, denn ich bin dahin gelangt, daß ich Gunst und Haß der Lutheraner wenig achte, es gehe wie es wolle“ und im folgenden Jahre an Georg Witzel, der ihn zum Verharren bei der alten Kirche ermahnt hatte: „Es war schon lange bei mir beschlossen, und ich vertraue der Güte Gottes, es werden auch Andere in die Gnade der allgemeinen Kirche zurückkehren. Viel ließe sich über Jene schreiben“. An Haß und religiösen Fanatismus aber streift es fast, wenn er am 4. December an einen ungenannten Prälaten schreibt: … „Von Leipzigk hab ich von einem der Luthers wurmbische instruction gelesen hat des lauts, das er alle seine artikel stracks gehalten haben, veterem ecclesiam ganz idolatram machen, vitam monasticam austilgen, universitates sinagogas satane achten und den seinen der kloster gutter zueignen wil, hoc dicit in summa, nit weis ich, was unser doctor Eck nachgeben und letzlich draus werden wil“.

Zur näheren Erkenntniß des Charakters Scheurl’s ist auch sein Verhältniß zu Wilibald Pirkheimer ins Auge zu fassen. In einem Briefe vom 26. Juni 1527 an Hutten stellt Pirkheimer ihn unmittelbar nach Reuchlin, Melanchthon und Luther, und mit Spengler in eine Linie. Aber dies Urtheil beweist nur, wie wenig Pirkheimer Scheurl’s Gesinnungen und Ueberzeugungen kannte, der damals längst in das alte Lager zurückgekehrt war. Ueberdies darf man das Lob, das ihm hier gespendet wird, nicht gar zu hoch anschlagen: ist es doch derselbe S., den Pirkheimer im gehobelten Eck den dolor beider Rechte genannt und als ruhmredig, abgeschmackt, stolz und anmaßend hingestellt hatte. Zwischen beiden Männern bestand ein grundsätzlicher Gegensatz in der ganzen Charakterbildung. Pirkheimer offen und entschieden, wahrheitsliebend und für das als recht Erkannte mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit einstehend, dabei reizbar und gewaltthätig, S. dagegen geschmeidig und hofmännisch, unentschieden in seiner ganzen Haltung, zurückhaltend und kühl, und nicht wenig eitel – das waren freilich Naturen, die sich vertrugen wie Wasser und Feuer. Daß der Bruch erst so spät eintrat, hatte wohl darin seinen Grund, daß sie allem Anschein nach, weil sie sich eben abstießen, den persönlichen Verkehr auf das nothwendigste beschränkten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Pirkheimer’s Abneigung schon lange vor dem eigentlichen Bruche Nahrung fand. 1513 hatte S. auf den gestorbenen Propst Anthoni Kreß von St. Lorenzen eine sogenannte Parentation im Druck erscheinen lassen, die das Mißfallen des Raths in höchstem Grade erregte, weil darin die Ernennung des neuen Propstes Georg Beheim aus [151] der bürgerlichen Familie dieses Namens in vorlauter Weise, die von den patricischen Geschlechtern vielleicht als beleidigend empfunden wurde, gerühmt worden war. „O göttlicher Rathschluß, o himmlische Gnade, o glückliches Volk!“ ruft er am Schlusse des Schriftchens aus. „Jüngst erließ der Rath dem Volke den Marktzoll; sterben möchte ich, wenn ich glaubte, daß die Väter durch diese Ernennung nicht mehr gefallen hätten, als durch jenen Nachlaß des Marktgeldes. Dann ist der Markt billig, wenn der Magistrat Gottesfurcht mit der Macht verbindet. Bei dieser Wahl wurden weder der Blutsverwandtschaft, noch dem Ehrgeiz, noch der Fürsprache Concessionen gemacht, nur der Gelehrsamkeit, nur der Unbescholtenheit, nur dem lauteren Lebenswandel wurde Rechnung getragen, wenn auch die Familie Beheim bei unseren Vorfahren in Ehren steht, alt und tüchtig ist, in welcher zu unserer Zeit mehr Gelehrte zu finden, als in irgend einem anderen Hause, weß Namens auch immer. …“ Der Rath fand, daß das Büchlein viel schimpfliche Punkte und Artikel bezüglich der Vordersten vom Regiment und anderer Personen und Sachen enthalte und ließ S. sagen, er trage dieses Gedichts und daß er es also habe drucken und ausgehen lassen, ein Mißfallen, denn es gereiche einem Rath und besonders den Personen des Regiments mehr zur Unehre, als zu Lob und Ehre und ihm selbst als einem Patron und Dichter desselben zu Schmach und Unglimpf. Es sei eines Rathes ernstlicher Befehl und Meinung, er solle zur Vermeidung weiteren Unraths seinethalben alle solche Büchlein sofort zu seinen Handen nehmen, sie abthun, sie weder verkaufen noch verschenken. Auch dem Drucker wird der fernere Verkauf untersagt. S. entschuldigt sich darauf, er habe das Büchlein in guter Meinung geschrieben und sich nicht versehen, daß Jemand deßhalb sollte Beschwerde gehabt haben, er wolle indeß dem Befehle des Raths Folge leisten. Es ist dies, soweit uns bekannt, der einzige Fall, daß S. mit dem Rath in ernstlichen Conflict kommt, aber dieser eine Fall wiegt viele andere auf. So kleinlich die Sache auch an und für sich erscheinen mag, so gewährt sie doch in den Charakter des Rathsconsulenten einen mehr als oberflächlichen Blick. Er hatte hier in vorwitziger Weise über Maßnahmen des Raths ein Urtheil gefällt, das ihm herben Tadel zuzog. Ohne Zweifel hatte ihn das Bestreben, sich wichtig zu machen, zur Verfassung dieser Schrift bestimmt. Es läßt sich nicht erkennen, wer im Rath das schroffe Vorgehen gegen ihn inscenirt hat. Wenn man aber bedenkt, daß Pirkheimer wohl der competenteste Beurtheiler der in lateinischer Sprache geschriebenen Parentation im Rathe war und ihm am allerwenigsten das Vordrängen des Consulenten behagen mochte, so erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß gerade er das Verfahren gegen S. eingeleitet oder doch befürwortet hat, er, der ihn später mit den Titeln: abgeschmackt, stolz, hochfahrend belegte. Scheurl’s Urtheil in dieser Sache mußte um so unleidlicher erscheinen, als er ja weder zu den patricischen noch auch ehrbaren Geschlechtern der Stadt gehörte, sondern der Sohn eines Eingewanderten war. Sein Bruch mit Pirkheimer trat erst viel später – im J. 1528 – ein. Allerdings geht schon aus einem Rathsverlaß vom Beginn des Jahres 1527 hervor, daß das Verhältniß zwischen Beiden ein gespanntes war. Der Rath hatte Pirkheimer in dem am Kammergericht anhängigen Freischprozeß „als den, so in disen sachen vil gehandelt und der vor andern wissens hat“ um seinen Rathschlag ersuchen lassen. Pirkheimer hatte sich dann darüber beschwert, daß ihm einer der Artikel in seinem Rathschlag anders gedeutet werden wolle, „dann er den ins werk gezogen“. Er hatte zwar niemanden mit Namen genannt, muß aber doch deutlich auf S. angespielt haben, da der Rath sofort an diesen denkt, als den, „mit dem er in uneinigkeit ist“. Der Rath läßt dann Pirkheimer in längerer Auseinandersetzung mittheilen, es sei ihm an der Sache viel gelegen, er solle sich durch niemand beirren lassen, man habe nicht vor, ihm in [152] diesem Handel Jemand zuzuordnen, der ihm mißfällig sei. Der offenbare Bruch erfolgt dann etwa ein Jahr später in folgender Weise. Luther hatte am 14. Februar 1528 an den Prediger beim Spital zu Nürnberg Wenzeslaus Link geschrieben, er hege den Verdacht, daß die unter dem Namen des Packischen Bündnisses bekannte Vereinigung katholischer Fürsten gegen die Protestanten in der That bestehe. Den Brief, der in den freiesten Ausdrücken sich erging, der den Herzog Georg von Sachsen den größten aller Narren nannte und auch Beleidigungen gegen die Bundesmitglieder enthielt, las Link unbedachter Weise öffentlich von der Kanzel seiner Gemeinde vor. Luther, vom Herzog zur Rede gestellt, gab eine ausweichende Antwort. Herzog Georg sandte darauf seinen Secretär Thomas von der Haiden an den Nürnberger Rath um Aufklärung, zugleich wandte sich Haiden, um seinen Zweck besser zu erreichen, auch an S. Was man nicht für möglich halten sollte, geschah jetzt. S., dem Ansinnen des sächsischen Gesandten willfahrend, entlockt seinem Freunde Link den Brief, den er Jenem übergiebt. Der Rath, dem die Sache zu Ohren kommt, zieht S. zur Verantwortung. In seiner Vertheidigung bringt er nun vor, sein Gevatter Zang habe ihm erzählt, wie er von Link selbst erfahren, sei jener Brief schon durch Pirkheimer an Cochläus geschickt worden, worauf Pirkheimer erklärt, er habe den Brief nie gesehen, viel weniger abgeschrieben, noch dem Cochläus geschickt. Wie sich S. auch wenden mag, so kann er dem Vorwurf der eilfertigen und leichtsinnigen Handlungsweise nicht entgehen. Den Freund bringt er dadurch in eine widerwärtige Lage, den Gegner bezichtigt er ohne nähere sachliche Prüfung einer Handlung, die dieser gar nicht begangen hatte, die zwar an und für sich durchaus nicht unehrenhaft war, aber ihm selbst als Schild für die eigene Handlungsweise dienen sollte. So konnte denn Pirkheimer mit Recht erwidern, S. habe seine Angabe über ihn nur deßhalb gemacht, um seine sträfliche Handlung zu beschönigen, ihn selbst mit Link zu verfeinden und seinen Muthwillen mit ihm zu treiben. … S. könne sich nicht mit Link entschuldigen; denn habe dieser auch jene Aeußerung über ihn gethan, so sei S. dadurch nicht gerechtfertigt, denn der Nachsager sei nicht besser als der Urheber. S. möge lieber über Anderer Fehler schweigen, damit sein Benehmen auch vergessen werde, aber sein „großer Stolz, Pracht und Muthwille“ ließe ihn die Splitter Anderer in den Augen sehen, während er „daneben als ein plinder sein selb thromb“ vergesse. Es ist ein Zeichen von bedeutender Charakterschwäche, daß S. den Werth der Fürstengunst höher anschlägt, als die Rücksichten, die ihm Discretion und Ehrgefühl hätten auferlegen sollen. Aber so war einmal sein Charakter. Die Gunst der Fürsten und Großen ging ihm über Alles, mit ihnen zu verkehren und zu correspondiren war ihm eine hohe Freude, von ihnen ausgezeichnet zu werden, ein großes Glück. Noch im Jahre 1536 schreibt er an Otto Beckmann, „in meinem ganzen Leben hat mich über die Maßen erfreut der Umgang mit den Fürsten und höchsten Männern. … Mich haben anerkannt Kaiser Karl und König Ferdinand und mich mit Ehren und Titeln geschmückt. Die Erzbischöfe von Mainz und Trient und der Ruhm der Fürsten, Herzog Georg, schreiben unablässig an mich … Eck, Cochläus und Vicelius verkehren mit mir als Freund und Bruder. Ich liebe und verehre alle Großen, auch die Lutherischen.“ – Wie Luther über jene unerquickliche Angelegenheit dachte, läßt ein Brief erkennen, den er Ende December an Link schrieb. Haiden nennt er darin einen Dieb, während er betreffs Scheurl’s sein Erstaunen ausdrückt, nicht so sehr deßhalb weil er den Brief auslieferte, sondern weil er mit den schlimmsten Feinden Luther’s auf so vertrautem Fuße lebte. Höchst bemerkenswerth ist noch das Urtheil, das der um die Reformation hochverdiente Spengler über S. nach dessen Anwesenheit in Wittenberg im J. 1533 in einem Brief an Luther fällt. „Daß [153] unser Jurisconsultus“, schreibt er, „nach Wittenberg gekommen ist, das ist vor Euerem Schreiben auch an uns gelangt, aber Viele von uns haben es nicht glauben können. Denn ist es von diesem Manne nicht eine große, unverschämte Leichtfertigkeit, daß er zu seiner hiervor geübten närrischen und ungeschickten Handlung und zudem, daß er einer der höchsten Verfolger evangelischer Wahrheit hier ist, daß ihn auch männiglich für einen öffentlichen Delator seines Vaterlandes achtet gegen den, dem er nicht ungleich sieht, eben an den Ort reisen soll, wo ihm billig kein Mensch vertraut? Ich für meine Person hab in Einem, der sehr weise und geschickt sein soll, kaum einen närrischeren Mann erkannt, weiß auch nicht, was ihm seinem ganzen Wesen nach besser ansteht, als durch überaus geschwinde Händel groß Geld zu sammeln und keinem Menschen damit zu dienen, ja sich selbst nicht nutz zu sein. Aber das geh seine Wege! Man spricht gewöhnlich, es sei selten ein Osterspiel, es müsse denn ein Teufel darin sein, also möcht ich auch sagen, es ist kein Gemeinwesen, es müssen ungeschickte Leut darin sein. Wahr ist’s, daß Herzog Georgen Vater weiland in seinem Haus viel Zeit zu Herberg gelegen ist, was ich auch vor dreißig und längeren Jahren davon hab reden hören, will mir nicht gebühren zu melden. Das zeig ich auf Euer Schreiben vertraulicher Meinung und unser beider Vaterland zu Guten aus einem sonderen Zelo darum an, daß ich mich für meine Person dieses Mannes Wesen lang entsetzt hab, acht auch dafür, unsere Herrn werden mit ihm nicht viel Ehren mögen einlegen. Transeat!“ Eine solch scharfe Beurtheilung erfährt S. von seiten dieser Männer. Man mag nun freilich einwenden, es sei die gegensätzliche religiöse Stellung, die namentlich Spengler zu so heftigen Auslassungen hinreißt. Aber so ganz und gar können sie doch nicht der Wahrheit ins Gesicht schlagen. Jenes scharfe Urtheil stützt sich zum Theil auf offenbare Thatsachen, und wenn man absieht von der subjectiven Färbung, die ihm anhaftet, und von den etwaigen Uebertreibungen, die religiöser Uebereifer unbewußt hinzugefügt, so ist doch nicht anzunehmen, daß es in seinem Kern gefälscht sei, zumal einzelne Züge sich mit dem decken, was uns aus den unantastbaren Zeugnissen der Scheurl’schen Correspondenz und sonst bekannt wird.

Es ist wohl vom Standpunkt der Wissenschaft zu beklagen, daß S. die Professur mit der Amtsthätigkeit des Rathsconsulenten vertauschte. Seine wissenschaftliche Thätigkeit hätte ohne Zweifel eine ganz andere Ausdehnung und Tiefe gewonnen. Wie ihm die geistige Arbeit leicht und Bedürfniß war, beweisen seine zahlreichen Briefe, die er, der vielbeschäftigte Consulent, oft 3 an einem Tage in dem zierlichsten Latein an Fürsten, hochgestellte Personen und ihm durch Wissenschaft und Freundschaft verbundene Männer schrieb. Die Epistel an Johann Staupitz „von policeilicher ordnung und gutem regiment der loblichen stat Nurnberg, gethailt in sechs und zweinzig capitl etc.“, die er am 15. December 1516 abschloß, hatte er in etwa 10 Stunden ausgearbeitet. Und doch bildet sie eine höchst wichtige und lehrreiche Darlegung der Raths- und Aemterverfassung der Reichsstadt Nürnberg und eine unentbehrliche Grundlage für weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet. Er selbst sagt am Schluß, daß er sie „zum andern mal nicht wider überlesen oder übersehen …“, sondern, wie ihm jedes Wort in den Sinn gekommen, so hab er es ungeschliffen durch die Feder herausgeschüttet, eine Vermessenheit, die er aus der Staupitz angeborenen Güte geschöpft, mit der dieser noch nichts, was aus Scheurl’s Werkstatt gekommen, verschmäht habe. Welches Ansehen dies Schriftchen auch im Auslande, beispielsweise in Italien, genoß, wo man gerade Nürnberger Geistesproducten ein besonderes Interesse entgegentrug, geht daraus hervor, daß es dreimal – 1558, 1583 und 1607 – in italienischer Uebertragung erschien. Mit der Tucher’schen Familie und den ältesten rathsfähigen Geschlechtern durch seine Mutter, eine geborne [154] Tucher, durch seine Frau, eine Fütterer, durch seines Bruders Albrecht Frau, eine geborne Zingel, durch Verwandtschaft und Freundschaft verbunden, fühlte er Beruf und Neigung in sich, ein Stammbuch der Familie Tucher mit zu bearbeiten, wofür er das Quellenmaterial aus den Jahresregistern der Stadt, den Chroniken, den Tucher’schen Familienschriften, Urkunden, Lehenbriefen, Verzeichnissen und Hausbüchern und wo er an anderen Orten Zuverlässiges finden konnte, schöpfte. Dieses ältere Tucher’sche Stammbuch von 1542, das Siebenkees erwähnt, behandelt außer dem Tucher’schen Geschlecht noch die Pfinzing, Zingel, Fütterer, Löffelholz und Scheurl. Lochner’s Angabe, daß es im Besitz der Familie von Tucher sei, bestätigt sich nicht. Vielleicht ist es mit anderen genealogischen Arbeiten Scheurl’s bei der v. Scheurl’schen Familie und identisch mit der von Will angeführten Handschrift. Immerhin sind die Ergebnisse dieses älteren Tucherbuchs in dem Tucherbuch von 1596, das in zwei Prachtexemplaren, die einen wahren Schatz dieser Familie bilden, vorliegt, verwerthet worden. Die durch von Soden und Lochner landläufig gewordene Meinung, S. sei bereits für die Unechtheit der Rixner’schen Darstellung des angeblich 1198 in Nürnberg abgehaltenen Turniers eingetreten, bestätigt sich indeß daraus nicht, vielmehr besagt die darin begegnende und in den Singularia Norimbergensia abgedruckte und auf S. zurückgeführte Darlegung ausdrücklich, „daß mehrgedachter Rüxner von Ludwig von Veltheim nichts der Wahrheit unähnliches empfangen“. Auch sonst hat S. noch Vieles zur Geschichte Nürnbergs und der eigenen Familie gesammelt und in einer Reihe von Folianten niedergelegt, die noch im Besitz der v. Scheurl’schen Familie sind. Die Aufzeichnungen des sog. Scheurlbuchs, dann des „Tagebuchs“ und „Raisbuchs“ geben nach verschiedenen Richtungen interessante Aufschlüsse, wie auch seine Briefe für die Zeitgeschichte nicht ohne Bedeutung sind, wenngleich sie auch nicht stets als eine Quelle ersten Ranges angesehen werden können. Ein Verzeichniß seiner zahlreichen Schriften, die, einige theologische ausgenommen, fast ausschließlich weniger bedeutende Beiträge zur Tagesgeschichte bilden, ist bei Will und Nopitsch gegeben.

S., der mit der Katharina Fütterer, der Tochter des Ulrich Fütterer und der Ursula Beheim verheirathet war, hatte 9 Kinder, von denen ihn aber nur zwei Söhne, Georg und Christoph, überlebten. Er starb am 14. Juni 1542 und liegt auf dem St. Johanniskirchhof zu Nürnberg begraben.

Vgl. Nürnberger Rathsbücher und Rathsmanuale. – Will-Nopitsch, Gelehrtenlexikon. – Lochner, Lebensläufe berühmter und verdienter Nürnberger. – Franz Freiherr v. Soden, Christoph Scheurl II und sein Wohnhaus in Nürnberg; – Derselbe, Beiträge zur Geschichte der Reformation und der Sitten jener Zeit mit besonderem Hinblick auf Christoph Scheurl II. – v. Soden und Knaake, Christoph Scheurl’s II. Briefbuch. – Lochner, Pirkheimer und Scheurl. Beilage der „Allgemeinen Zeitung“ v. J. 1872 No. 11. – Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie, S. 239. 297, wo noch u. a. auf das zuerst von Knaake 1872 herausgegebene Geschichtsbuch der Christenheit (1511–23) hingewiesen wird. – Mehrfache Mittheilungen und Berichtigungen der Beiträge v. Soden’s verdanke ich noch der besonderen Güte des Herrn Universitätsprofessors Freih. Dr. v. Scheurl.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. a b S. 145. Z. 16 v. o. l.: März 1491 bis Herbst 1497 und daselbst Z. 18 1497 (statt 1498). [Bd. 33, S. 799]
  2. S. 145. Z. 16 v. o. l.: von März 1491 bis Herbst 1497. [Bd. 45, S. 671]
  3. S. 145. Z. 17 v. o. l.: 1497. [Bd. 45, S. 671]