ADB:Schenk, Friedrich
Karl Immermann’s Schule, wurde im J. 1806 zu Magdeburg geboren. Frühe elternlos, mußte er seiner ursprünglichen Absicht, sich zum Geistlichen auszubilden, entsagen und eine Secretärstelle beim Oberpräsidium der Provinz Sachsen annehmen. Doch bald lockte ihn der Schauspielerberuf; gleich nachdem er seiner Militärpflicht genügt, verließ er die Heimath, um am Stadttheater zu Riga ein Unterkommen zu suchen. Schnell entschied sich sein Talent für das Fach der Helden und Liebhaber. Zwei Jahre (1825–27) blieb er der Bühne, auf welcher er angefangen hatte, treu. Dann übersiedelte er an das Theater in Reval. Seine Wanderzeit verbrachte er in Wiborg, Kronstadt, Altona, bis er am deutschen Schauspielhause zu Moskau dauernde Stellung erhielt. 1832 zog ihn der Director Heinr. Eduard Bethmann nach Magdeburg. Allein, das Unternehmen ging schon im nächsten Jahre zu Grunde, und S. mußte wieder wandern. Er zog mit seinem Freunde Bethmann nach Cassel, wo eben das Hoftheater neu eingerichtet worden. Dort entdeckte und verpflichtete ihn Immermann für seine Musterbühne. In Düsseldorf reifte sich S. recht eigentlich zum [45] Künstler aus. Es war die Periode seiner schönsten Erfolge und besten Wirkungen. Eine liebliche Frau brachte er nach Düsseldorf mit, die – eine Schauspielerin – in Magdeburg ihm angetraut worden und nun erfolgreich neben ihm thätig war. Nachdem Immermann’s edle Bestrebungen um die Regeneration der deutschen Bühne gescheitert waren, und die Düsseldorfer Schauspielerschaar sich aufgelöst hatte (31. März 1837), stand S. wiederum „am Markt und war zu haben“. Vorläufig fand er keine bleibende Stätte; man spielte in Frankfurt a. M., Mannheim, Stuttgart, Leipzig, bis aus München, wo ein Ersatz für den alternden und scheidenden Eßlair gesucht wurde, ein Ruf an S. erging. Am 27. März 1838 trat Friedrich S. am bairischen Hoftheater als Gast in Calderon’s Drama „Don Gutiere“ auf; ferner gab er den Dr. Löwe in dem Schauspiel „Der Oheim“, den Stephan in Töpfer’s „Gebrüder Foster“, den Posa und Otto von Wittelsbach. Sein Eintritt in den Verband der Bühne wurde auf den 15. October festgesetzt. Der Intendant v. Küstner hatte in der Eingabe an König Ludwig I. vorgeschlagen, den neuen Darsteller auf 10 Jahre zu verpflichten; das Schriftstück enthält nur Worte des Lobes, so zwar, daß S. neben Rott und Anschütz als der dritte deutsche Heldenspieler rühmend bezeichnet wird. Doch der König war anderer Meinung und bewilligte, des Künstlers Eigenart abhold, vorläufig nur ein Engagement auf 4 Jahre, welches am 18. April 1843 und 3. April 1846 auf je drei Jahre verlängert wurde. Nach seinem Eintritt spielte S. als erste bedeutende Rollen Othello und Petrucchio. Damals befand sich die Münchener Hofbühne in einem nicht eben glänzenden Zustande; fünf Intendanten hat S. im Laufe der Zeiten gesehen. Der Spielplan war flach, das Zusammenspiel zerfahren; zudem wurde auf den Brettern Manches gesehen, was künstlerisch nicht hingehörte: Preisringer, Taschenspieler und Physiker. Erst mit Dingelstedt’s Eintritt änderten sich die Verhältnisse, aber da war Schenk’s Kunst bereits im Niedergange begriffen. Er wurde kaum mehr beschäftigt und noch bei Lebzeiten durch den aufstrebenden Friedrich Dahn beerbt. Materiell stand er sich nicht übel: Mit seiner Frau erhielt er ein Gesammtgehalt von 2800 Gulden, das später, als er allein war, auf 1600 Gulden reducirt wurde. Doch ohne rechten Halt, scheint er sich in München nicht gerade glücklich gefühlt zu haben. Zu Anfang verfolgten ihn die Schatten Eßlair’s, und später machten sich Anzeichen von Geistesstörung bei ihm bemerkbar: sie äußerten sich in einer lallenden Sprache, über die gelächelt wurde. Dingelstedt sah sich gezwungen, den einst gefeierten Schauspieler nicht mehr auftreten zu lassen. Am 1. December 1854 wurde S. mit einem Gnadengehalt von 1000 Gulden in den Ruhestand versetzt. Seine letzte Rolle war der Oberst Röse in Lederer’s „Geistiger Liebe“, einem oft gespielten Stücke. Am 11. Januar 1858 starb er im Irrenhause an der Gehirnerweichung. Wir haben Künstler befragt, die in München mit S. zusammen gewirkt haben. Ihr Urtheil lautet nicht sehr günstig; doch sie haben den alten Heldendarsteller nur in seinen schlechten Tagen gesehen, und die Aeußerungen König Ludwig’s, die an den Rändern gewisser Actenstücke zu lesen sind, wie: „Gewöhnlicher, gar nicht anders ausgezeichneter Schauspieler“ (10. März 1848), scheinen uns von persönlicher Antipathie nicht frei zu sein, zumal wenn man sie mit den Urtheilen zusammenhält, die sich an die Düsseldorfer Zeit Schenk’s knüpfen. In den Recensionen Grabbe’s und Notizen Immermann’s besitzt man gewiß unverdächtige Zeugnisse. Da erscheint S. als ein, wenn auch nicht eben genialer, so doch reichbegabter, feingebildeter, fleißiger Darsteller, als eine Stütze des Spielplans und als ein Günstling des Publicums. Sehr bald wird er den Talentvollsten der ganzen Schaar zugezählt; Immermann giebt sich große Mühe mit ihm und will ihn sogar zum Regisseur machen. S. wird als eine hohe und stattliche Erscheinung geschildert; er besaß [46] eine kräftige Stimme, die willig sich jeder Gemüthsstimmung anpaßte. Sie konnte „metallisch und zerschmetternd“ sein, diese Stimme, in den Augenblicken der Leidenschaft. Der Ausdruck männlicher Ueberzeugung, tüchtiger Ehrlichkeit, der ungeschlachten, unweltläufigen Lebenskraft gelang dem Künstler am besten. Die Gabe, zu charakterisiren, war ihm zweifellos eigen. Als Prinz in Calderon’s „Leben ein Traum“ setzt er gleich so tüchtig ein, daß Grabbe schreiben kann: „S. führte die Rolle bis auf die letzte Silbe stark und tadellos durch, wild, charakteristisch, ein Sohn des Felsgebirgs und der Gefängnißhöhle, – dann versetzt in den Thronsaal aber (es gibt dergleichen und wär’s aus einem früheren Dasein) das Wenige der Erziehung, welches ihm Clotald gegeben, stets hervorhebend.“ Ein ähnliches Lob wird Schenk’s Leicester und Alexis (Immermann’s Drama) zuertheilt. In Robert’s Trauerspiel „Die Macht der Verhältnisse“, heißt es, habe er alle seine früheren Leistungen überboten. „Nie ward ein verletzter gebildeter Mann, der umsonst für seine Ehre nach der usuellen Rache sucht, nie ein liebender Bruder, dem die Schwäche seiner Schwester das Herz drückt, nie ein Sohn, der in seinem Feinde seinen Vater erkennt, besser dargestellt“, so urtheilt Grabbe. „Wallenstein“ zeigt die Grenzen von Schenk’s Kunst. Er faßt den Charakter herzhaft an, „frisch und lebenskräftig“, spielt ihn ohne das Streben nach rein äußerlichen Wirkungen „durchaus gehalten und brav“, aber ein „gewisses Schwärmerisches“ vermißte man; der gleiche Mangel wird an seinem Hamlet gerügt. In Schenk’s Wesen überwog das Verstandesmäßige; es fehlten ihm die starke Seele, die naturvolle Gestaltungskraft und das unbewußt Poetische – die Merkmale des Genies. – – Friedrich Schenk’s Gattin, Franziska Schmidt, hat im J. 1808 zu Frankfurt a. M. das Licht der Welt erblickt. Ein Schauspielerkind, betrat sie, erst sechszehnjährig, die Bretter, wo sie den späteren Gatten kennen lernte. Fortan übte sie ihre Kunst neben S. aus, als „muntere Liebhaberin“, beim Publicum ungemein beliebt. Das Lustspiel war ihr eigentliches Feld; sie gab die vorwitzigen Backfische, Bauerndirnen und Kammermädchen mit allerliebster Anmuth und gewinnender Natürlichkeit. Oft verstieg sie sich auch zum Käthchen von Heilbronn und zur widerspenstigen Katharina. „Bald möchte Madame S. im Fach des Naiven nur wenige Nebenbuhlerinnen finden“, meint Grabbe. Vom Könige gern gesehen, wurde sie in München mehr beschäftigt als ihr Mann. Ihre besten Rollen waren Franziska („Minna v. Barnhelm“), Margarethe in Iffland’s „Hagestolzen“, Leopoldine und Sabine in Töpfer’s „Der beste Ton“ und „Die Einfalt vom Lande“. Es war schwer, in der seichten Posse und flachen Komödie, welche damals den Spielplan beherrschten, Natur zu entwickeln und zu behaupten. Als Künstlerin hochbegabt, scheint Frau S. im Leben eine leichtfertige Person gewesen zu sein. Am 10. März 1841 entwich sie contractbrüchig und verschuldet aus München, um mit einem Liebhaber nach Amerika durchzubrennen. Später soll sie noch in Oesterreich aufgetreten sein. Wir haben ihre Spur verloren.
Schenk: Friedrich S., ein tüchtiger und bedeutender Bühnenkünstler aus- Blum-Herloßsohn’s Theaterlex. VI, 243 ff. – Chr. Dietr. Grabbe’s sämmtl. Werke (Ausgabe von Oskar Blumenthal, 1874) VI, 183 ff. – Richard Fellner, Gesch. einer deutschen Musterbühne, 1888. – F. Grandaur’s Chronik des Münchener Hoftheaters, 1878. – Actenstücke des königl. Theaterarchivs in München, die mir durch die Güte des Herrn Generalintendanten Baron Karl v. Perfall mitgetheilt worden. – Hoftheaterzettel. – „Zu Dingelstedts Münchner Bilderbogen II.“ von J. Prölß (Allg. Ztg. 1890, Nr. 91).