ADB:Schüller, Johann Eduard
[687] Knaben unverloren. Er faßte schon damals einen tiefen Haß gegen Napoleon und wurde, zum Jüngling herangereift, durch ihn und die Noth des Vaterlandes bestimmt, freiwillig die Waffen zur Bekämpfung des fremden Eroberers zu ergreifen. Bis es dahin kam, verging jedoch noch eine Reihe von Jahren, während welcher Schüller’s Schulerziehung durch den Privatunterricht des Vaters vollendet wurde. Da seine Familie wenig bemittelt war, konnte S. nicht daran denken, irgend einen gelehrten Beruf zu ergreifen. Er wurde Oekonom und trat, vierzehn Jahre alt, auf dem Gute des Landraths v. Schweinichen zu Prittag als Lehrling ein. Jetzt erst, nachdem er die Schule bereits verlassen hatte und sich in geistiger Hinsicht auf sich selbst angewiesen sah, regte sich bei ihm ein mächtiger Wissenstrieb, den er hauptsächlich durch die Beschäftigung mit der schönen Litteratur zu befriedigen suchte. Sein Lieblingsdichter war in jenen Jahren Schiller, während er, gereifter geworden, Goethe besonders hoch schätzte. Schon in den letzten Jahren seiner Lehrzeit fing S. übrigens an, selbst schöpferisch als Dichter thätig zu sein, und in seinem späteren Leben pflegte er einen großen Theil seiner Mußestunden auf poetische Hervorbringungen zu verwenden, von denen er jedoch nur den geringsten Theil durch den Druck veröffentlichte. Bald nach dem Tode seiner Mutter am 5. Januar 1812 erhielt S. eine Verwalterstelle auf dem Gute zu Oels bei Strigau, welches zu den Gütern des Prinzen Ferdinand gehörte. Von hier aus besuchte er seinen Bruder Julius, der Buchhändler war, in Breslau und sah hier zum erstenmal ein besseres Theater und den berühmten Ludwig Devrient in einem Stück von Julius v. Voß, wodurch ihm eine ganz neue Welt eröffnet und der schon oft gehegte Gedanke, daß er nicht zum Oekonom tauge, aufs neue lebhaft in ihm erweckt wurde. Die Ereignisse der Zeit sorgten dafür, daß S. nicht mehr lange unter diesem Zwiespalt von Pflicht und Neigung fortzuleben brauchte. Als König Friedrich Wilhelm III. den bekannten Aufruf: „An mein Volk“ erließ, eilte S. im Februar 1813 nach Breslau, wo er als freiwilliger Jäger in das Gardejägerbataillon eintrat. Er nahm an den Schlachten bei Großgörschen, Bautzen, Dresden, Culm und Leipzig theil, wurde im J. 1815 Lieutenant im 7. schlesischen Landwehrregiment und trat im J. 1816 in die Linie über, in der er es bis zum Bataillonsadjutant des 34. Infanterieregimentes brachte. Nachdem er im J. 1819 seinen Abschied genommen hatte und eine Zeit lang in Berlin durch den Besuch von Vorlesungen an der Universität die Lücken seiner Bildung auszufüllen bemüht gewesen war, trat er im J. 1820 als Geheimer Calculator in der Verificatur in die Dienste der preußischen Postverwaltung. Seine Beamtenlaufbahn ging rasch von statten, da er sich das Vertrauen des Generalpostmeisters und preußischen Bundestagsgesandten in Frankfurt am Main, des Herrn v. Nagler, zu erwerben wußte, dem er sich nicht nur durch die Uebernahme wiederholter vertraulicher Missionen, sondern vor allem auch durch sein reges Interesse für Kunst und Wissenschaft zu empfehlen wußte. Ebenso stand S. bei dem König Friedrich Wilhelm IV., den er einst als Kronprinzen in der Eigenschaft eines Reisemarschalls durch die Rheinprovinz geleitet hatte, in hoher Gunst. Im J. 1848 von seinem Posten als Oberpostdirector in Coblenz als Postrath nach Berlin versetzt, rückte er schon nach wenigen Jahren zum Geheimen Oberpostrath auf, als welcher er am 13. März 1863 bei Gelegenheit seines fünfzigjährigen Dienstjubiläums durch die Verleihung des rothen Adlerordens 2. Classe mit dem Stern ausgezeichnet wurde. In Berlin nahm S. den regsten Antheil an allen Fragen der Poesie und Kunst. Vor allem schloß er sich Wilhelm v. Kaulbach auf das engste an. Er unterhielt mit ihm einen lebhaften Briefwechsel, wobei er freilich selbst bei weitem der fleißigere im Schreiben war, und zeigte sich bemüht, dem Freunde unablässig Ideen aus seinem Gedankenschatze zuzuführen, an deren künstlerischer Bewältigung [688] er selbst verzweifelte. Auf diese Weise gewann er einen großen Einfluß auf Kaulbach’s Schaffen, der namentlich bei der Wahl der Stoffe und der Ausführung von Kaulbach’s Wandgemälden für das Berliner Museum hervortrat. Bis ins Alter beständig geistig rege – er schrieb noch mit 67 Jahren ein Aristophanisches Lustspiel: „Oho!“ mit einem Nachspiel: „Aha!“ – starb S., nachdem er im J. 1865 seinen Abschied genommen, während eines Sommeraufenthaltes zu Priebus in Schlesien am 27. August 1869. – Von litterarischen Erzeugnissen Schüller’s erschienen außer seinen Jugenderinnerungen noch folgende im Druck: „Die Freunde, lyrisch-dramatische Dichtung in 4 Abtheilungen“. Frankfurt a. M. 1823. – „Das Pfarrhaus von Sesenheim, Liederspiel in 3 Aufzügen“. Berlin 1858. Neue (Titel-)Ausgabe Berlin 1866. – „Don Quixote und Falstaff, Novelle“. Berlin 1858. – „Kaulbach’s Shakspearealbum in photographischen Abbildungen erläutert“. Berlin 1859. – „Durch! Geschrieben in den Tagen des Einzugs unserer siegreichen Armee in Berlin“. Berlin 1866. – „Bruderkrieg? Nein! Principienkampf! Von einem Veteranen aus den Jahren 1813–1815“. Berlin 1866.
Schüller: Johann Eduard S., Geheimer Oberpostrath, geboren am 5. November 1794, † am 27. August 1869. S. wurde zu Freistadt in Niederschlesien als jüngster Sohn des dortigen Pastor Primarius geboren. Da er ein anziehendes Bild seines Jugendlebens entworfen hat, welches im J. 1876 unter dem Titel: „Jugenderinnerungen“ von Eduard Schüller (Leipzig, Fr. Wilhelm Grunow) veröffentlicht wurde, sind wir genau über den Gang seiner Entwicklung vom Knaben zum Manne unterrichtet. Im J. 1800 wurde er der Stadtschule zu Freistadt zugeführt und erhielt auf ihr seine erste Erziehung, die nach seinem eigenen Zeugniß namentlich in pädagogischer Hinsicht mancherlei zu wünschen übrig ließ. Das ruhige Leben des Knaben in dem kleinen Städtchen, das S. in der oben erwähnten Selbstbiographie mit großem Geschick zu einem interessanten Culturbild einer deutschen Kleinstadt aus dem Ende des vorigen und aus dem Anfang unseres Jahrhunderts erweitert hat, wurde zum erstenmal gestört, als die Franzosen am 4. November 1806 nach der Schlacht von Jena in Freistadt einrückten. Die frühen Eindrücke der Franzosenherrschaft blieben für den- Vgl. Deutsche Rundschau. Hrsg. von J. Rodenberg. Bd. I, 58–79. Berlin 1874. – Goedeke, Grundriß III, 2. S. 689.