ADB:Salzmann, Joseph Anton
[291] Nachfolger des Verstorbenen und ersten Bischof des neuen Bisthums wählte. Papst Pius VIII. bestätigte in seinem ersten Consistorium am 18. Mai 1829 die getroffene Wahl, worauf S. am 28. Juli durch den Nuntius Ostini in der Kirche des (ehemaligen Jesuiten-) Collegiums geweiht und in die Domkirche St. Urs und Victor eingeführt wurde, wo er die Huldigung der Geistlichkeit entgegennahm.
Salzmann: Joseph Anton S., Bischof von Basel; geboren am 25. April 1780, † am 23. April 1854 – war der Sohn eines angesehenen Bürgers in Luzern, des Buchdruckers und Buchhändlers Joseph Aloys S., und Großneffe des um das Kloster und das Thal von Engelberg verdienten Abtes und letzten Herrn des Thales, P. Leodegarius S. († 14. Mai 1798). S. besuchte die Primarschulen, das Gymnasium und das Lyceum in Luzern, wurde schon 1799 Vice-Professor, 1801 Professor der zweiten Gymnasialclasse, empfing am 11. April 1803 in Constanz die Priesterweihe und bekleidete hierauf bis 1817 die Professur der vierten Gymnasialclasse in Luzern. 1818 Professor der Dogmatik und Kirchengeschichte am Lyceum, 1820 Chorherr im Stifte St. Leodegar in Luzern und Commissär des Bischofs von Basel, Franz Xaver von Neveu, 1824 (12. Mai) Generalprovicar desselben, wurde S. am 4. August 1824, als Nachfolger des verstorbenen Niclaus Balthasar zum Propst des Stiftes St. Leodegar ernannt und am 20. November gl. J. päpstlich bestätigt. Bei Erledigung der Nuntiatur in der Schweiz, 1827, übertrug ihm Papst Leo XII. das Amt eines gestor negotiorum nuntiaturae. Als am 26. März 1828 der Vertrag (das Concordat) über die neue Organisation des Bisthums Basel zwischen der Curie und den betheiligten schweizerischen Kantonen zu Stande kam, dessen Art. 12 die Wahl des Domdecans dem Papste zuschrieb, ernannte Papst Leo XII. den sein volles Vertrauen genießenden Stiftspropst S. zu dieser Stelle, der nun als Mitglied des residirenden Domsenates nach Solothurn übersiedelte, und nach dem Tode des Bischofs Franz Xaver († am 28. August 1828) wurde S. Administrator der Diöcese, bis ihn das päpstliche Domcapitel am 10. December gl. J. zumNur mit Widerstreben hatte der neue Bischof das Amt übernommen, das ihm eine schwere Aufgabe übertrug und in der That traf er bei Ausübung desselben fortdauernd auf mancherlei, ihm viele Sorge bereitende Hindernisse. Die große Diöcese war aus den verschiedenartigsten Bestandtheilen zusammengesetzt; aus Verträgen zwischen den betheiligten Kantonen untereinander, die dem Abschluß des Concordates zur Seite gegangen waren, ohne daß ihrer in demselben gedacht wurde, ergaben sich Meinungsverschiedenheiten in Auslegung des Concordates zwischen dem Bischofe und den betreffenden Regierungen; ferner setzte die schweizerische Umwälzung von 1830 die Behörden aus Männern zusammen, welche das ausgesprochenste Bestreben beseelte, die Staatsgewalt auch in kirchlichen Dingen mehr als bisher, häufig in übertriebenem Maße, zur Geltung zu bringen. Das Alles gestaltete die Stellung des Bischofs S. schwierig und bedrückte oft sein Gemüth. Der Bisthumsvertrag vom 26. März 1828 schrieb z. B., ohne nähere Bestimmungen, die Errichtung eines bischöflichen Seminars in Solothurn vor, wofür die Regierungen die Fonds und die Gebäulichkeiten zu liefern hätten. Ein Vertrag zwischen den Kantonen aber sah vor, daß den Regierungen derselben kraft des landesherrlichen Aufsichtsrechtes die Bestätigung der Wahlen des Vorstehers und der Lehrer des Seminars und die Anwesenheit ihrer Commissäre bei den Prüfungen in demselben zustehen solle. Als nun Bischof S. im Mai 1830 an die Errichtung des Seminars schreiten, die Regierungen aber nur unter den eben erwähnten Bedingungen dazu Hand bieten wollten, denen der Bischof seinerseits gewissenshalber Anerkennung versagte, blieb die ganze Angelegenheit unerledigt liegen. Bischof S. half sich durch Errichtung eines Vorbereitungscursus für angehende Priester, worin er selbst den Ordinanden einen großen Theil des Unterrichtes ertheilte. Ausführlich begründete Wiederholung seines Anliegens im Jahr 1850 und ein Memorandum gleichen Zweckes vom 30. Januar 1853, welches er an die Diöcesanstände (Kantone) richtete, blieben ohne Erfolg; der Bischof erlebte die Erfüllung seines sehnlichen Wunsches nicht.
Ebenso unerledigt blieben Streitigkeiten, welche das Verfahren der Regierung von Solothurn in Angelegenheiten des Domcapitels daselbst hervorrief. Im Jahr 1832 hob dieselbe bei einer Reorganisation der höheren Lehranstalten den bisher bestehenden Professorenconvict auf und suchte dann bei Erledigung von Kanonikaten am Domstifte von St. Urs und Victor Mitglieder des Lehrkörpers in den Besitz solcher zu bringen. Als sie nach dem Tode des Stifts- (zugleich Dom-)propstes Gerber († 11. Mai 1834) den dem Capitel nicht angehörigen Professor Kaiser zum Dompropst ernannte, während die Stadtgemeinde Solothurn die ihr kraft alten im Bisthumsvertrage bekräftigten Herkommens zustehende Besetzung des erledigten Kanonikates vornehmen wollte, nach welcher erst die Regierung aus der Mitte des ergänzten Capitels die ihr zustehende Wahl eines Dompropstes vornehmen könne, begann ein langer Streit zwischen der Regierung einer- und der Stadtgemeinde und dem Domcapitel andererseits. Die Folge war, daß die erstere dem Stifte nicht nur die Verwaltung seines Vermögens und die Ausübung seiner Collatur- und Patronatsrechte, sondern auch weitere Ernennungen zu erledigten Kanonikaten entzog, während Professor Kaiser die päpstliche Bestätigung als Dompropst nicht erhielt und ebenso andere von der Regierung getroffene [292] Wahlen kirchlich nicht anerkannt wurden. Die Verhältnisse des Capitels blieben damit völlig ungeordnet. Alle Bemühungen des Bischofs, der sein Möglichstes that, diese Zwiste zu schlichten, blieben erfolglos. Erst 1862 – acht Jahre nach seinem Tode – trat eine Verständigung zwischen den Betheiligten ein; erst 1865 kam eine allseitig anerkannte Dompropstwahl zu Stande.
Die reichste Dosis zum Wermuthsbecher des Bischofs lieferte indessen der Kanton Aargau. Anfangs 1832 rief die aargauische Regierung den Pfarrer Stockmann von Wohlenschwyl, weil er die Trauung zweier Geschwisterkinder nicht ohne den erforderlichen kirchlichen Dispens vornehmen wollte, eigenmächtig von seinem Amte ab, ließ die Ehe durch einen von der Behörde dazu angewiesenen Pfarrverweser einsegnen und den letzteren durch Landjäger in sein Amt installiren; ein Aergerniß, von welchem der Bischof in einem Schreiben an die Regierung mit Recht sagte, daß „die Steine selbst schreien würden, wenn die katholische Gemeinde schwiege“. – Schließlich scheiterte die Gewaltmaßregel an der Standhaftigkeit des Bischofs, dessen Vorstellungen eine vom Kantonsrathe bestellte Commission unter Zschokke’s Vorstand begründet fand und der Kantonsrath nicht zu widerlegen vermochte, sowie an der Entrüstung des katholischen Volkes, das Stockmann augenblicklich wieder in sein Amt einsetzte. Dem Frieden zu Liebe willigte dann der Bischof ein, daß Letzterer dem Rufe auf eine anderweitige Pfründe folgte. Bedenklichere Wirren riefen aber bald nachher die Beschlüsse der sogenannten Badener Conferenz zwischen einer Anzahl von Kantonen vom 20. Januar 1834 hervor (s. A. D. B. VIII, 16), welche die Herstellung eines schweizerischen Metropolitanverbandes erstrebten und die staatlichen Oberhoheitsrechte in kirchlichen Dingen formulirten. Bei der katholischen Bevölkerung des Aargau, namentlich im Freienamt, riefen diese Badener Artikel große Besorgnisse hervor. Vorstellungen wurden an die Behörden gerichtet. Die Antwort darauf war die Annahme der Badener-Conferenzbeschlüsse durch den gesetzgebenden großen Rath des Kantons. Als Bischof S. in einem Schreiben vom 10. April 1835 gegen dieselben sich aussprach und sie als einen „Extract der Synode von Pistoja, des sogenannten Emser-Congresses und der Frankfurter Pragmatik“ bezeichnete, wurde er im großen Rathe in heftigster Weise angegriffen und mit den beleidigendsten Ausdrücken überschüttet. Sein Schreiben wurde ihm zurückgesandt und der Geistlichkeit zugemuthet, eine für ihn äußerst kränkende Proclamation beim sonntäglichen Gottesdienste am 17. Mai 1835 von den Kanzeln zu verlesen. Geistliche, die mit der Verlesung zögerten, wurden bestraft, gerichtlich ihrer Stellen als Pfarrer und Decane entsetzt, einige eingekerkert und der Bischof aufgefordert, diese Urtheile zu respectiren und durch neue Besetzung der Pfarreien und Decanate zu billigen. Standhaft, in ruhiger und milder Sprache, verweigerte er dies zu thun. Wie bekannt, kam es infolge dieser Ereignisse und einer nun von der Regierung geforderten Eidesleistung seitens der Geistlichen zu einer militärischen Besetzung des Freienamtes und nur die vom großen Rathe ausgehende und vom Bischof acceptirte Interpretation des geforderten Eides beendigte den Streit. Auch im Kanton Bern protestirten 8000 Katholiken gegen die im Februar 1836 vom großen Rathe angenommenen Badener Conferenzartikel, unter besonderer Berufung auf den Tractat von 1815, der den Jura mit Bern vereinigt hatte. Allein auch hier sollten Bajonette die Beschwerdeführer von der Vortrefflichkeit der Artikel überzeugen. Der Haß der Regierung traf hierbei vorzüglich den Pfarrer Cuttat von Pruntrut und seine Vicare, von denen bei der militärischen Besetzung des Landes im März 1836 der eine mit Cuttat ins Elsaß entfloh, der andere ins Gefängniß gelegt wurde, bis obergerichtliche Urtheile sie 1838 von der Anklage auf Hochverrath freisprachen. Bischof S. machte dabei eine höchst bittere Erfahrung; Abgeordnete der Regierung versicherten ihn nicht nur, [293] Cuttat habe sich geflüchtet ohne für den Seelsorgedienst in seiner Pfarrei Vorkehrungen getroffen zu haben, sondern stellten denselben so sehr als den Urheber des Aufruhrs im Jura dar, daß der Bischof die Pfarrei als vacant, die Vicare als ihres Amtes enthoben erklärte. Nach dem Ausgange der gerichtlichen Untersuchung konnte es ihm wenig Trost gewähren, daß die gleichen Leute, die ihn früher einen störrischen Feind der Ordnung zu nennen pflegten, ihn bei seinem irrthümlichen Entschlusse als einen aufgeklärten und würdigen Priester gepriesen hatten. Als übrigens Bern im Juli 1836 in bemäntelnder Form von den Badener Conferenzbeschlüssen einseitig zurücktrat, faßte auch die Regierung von Aargau den Beschluß, die unausführbar gewordenen Artikel auf sich beruhen zu lassen.
In die Amtsperiode des greisen Bischofs S. fielen noch die schweren Ereignisse der 40er Jahre, die Aufhebung der Klöster im Aargau, die Wirren in Luzern wegen Berufung der Jesuiten, die Freischarenzüge und der Sonderbundskrieg mit seinen Folgen, der Verbannung der Jesuiten und affiliirter Orden aus der Schweiz, die Aufhebung der Abtei St. Urban, für deren Fortbestand der Bischof sich vergeblich dringend bemühte, und des Klosters Rathhausen durch Luzern, sowie der Klöster im Thurgau. Bischof S. wußte in den daraus sich für ihn ergebenden Prüfungen und Aufgaben seine bisherige Haltung voll zu bewahren. Ein gründlich gebildeter Theologe und Kenner des kanonischen Rechtes, gewandt in der Geschäftsleitung, seinem Clerus und dem katholischen Volke in Liebe zugethan, in Sachen des Dogma und der Grundverfassung der Kirche fest und unerschütterlich, wahrte er deren Rechte in einer würdigen Sprache und war dabei in aufrichtiger Friedensliebe stets bestrebt, soviel immer möglich den Frieden mit den weltlichen Regierungen und die Eintracht unter dem Clerus zu erhalten. Nach kurzer Krankheit starb er am Weißen Sonntag (23. April) 1854, ein paar Monate vor dem Antritt der vierten Bereisung seiner ausgedehnten Diöcese, die er im Juli anzutreten gedachte, im 75. Jahre. Mit Recht führte das Domcapitel in einem dankbaren Nachrufe den Angehörigen des Bisthumssprengels die trefflichen Eigenschaften und das zur Nachahmung auffordernde Beispiel der Tugenden des Verstorbenen vor. In der Klosterkirche St. Joseph in Solothurn fand der Bischof seine von ihm selbst gewählte letzte Ruhestätte.
- Amtliche Actenstücke, z. Th. publicirt in Snell, Handbuch des schweizerischen Staatsrechts. – J. Amiet, das St. Ursus Pfarrstift der Stadt Solothurn. Soloth. 1878. – Baumgartner, die Schweiz in ihren Kämpfen und Umgestaltungen in den Jahren von 1830–1850. Bd. 1. u. 2. Zürich 1853–54.