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ADB:Rietschel, Ernst

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Artikel „Rietschel, Ernst“ von Richard Muther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 596–602, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rietschel,_Ernst&oldid=- (Version vom 31. Oktober 2024, 23:59 Uhr UTC)
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Rietschel: Ernst R., berühmter Bildhauer, wurde am 15. December 1804 zu Pulsnitz in der sächsischen Lausitz geboren und trat 1820 in die Kunstakademie in Dresden ein. Nach einer beispiellos harten und durch autodidaktische Schwierigkeiten noch mehr verkümmerten Jugend begab er sich 1826 zu Rauch nach Berlin, der sich seiner mit väterlichem Wohlwollen annahm. Im J. 1827 erhielt er von der sächsischen Regierung ein Stipendium zu einer Reise nach Italien, von dem er erst im J. 1830 Gebrauch machte, da er vorher seinem Meister mehrere Arbeiten vollenden half und ihn 1829 nach München begleitete, um ihm auch dort an den Arbeiten für das Monument des Königs Max beizustehen. Nachdem er selbständig in München das Modell für den „Töpfer“ des Glyptothekgiebels entworfen, dann Italien besucht hatte, kehrte er 1831 nach Berlin zurück, wurde jedoch schon im folgenden Jahre als Professor an die Kunstakademie nach Dresden berufen. Im October 1832 feierte er daselbst seine Hochzeit und hat seitdem – von kürzeren Reisen abgesehen – bis zu seinem Tode am 21. Febr. 1861 in Dresden gelebt.

Seine erste größere Arbeit, das Denkmal des Königs Friedrich August im [597] Zwinger zu Dresden, steht in seiner trockenen Conception und seiner Ausführung weit hinter seinem Vorbilde, Rauch’s König Max I., zurück. Es fehlt der Gestalt Friedrich August’s die freie unbefangen Haltung, dem ganzen Denkmal die Lebendigkeit, welche Rauch’s Monument auszeichnet. Schon das Kostüm, in welchem der König auf seinem Denkmal dargestellt ist – Königsmantel und Scepter – wirkt hier noch fremdartiger als bei Rauch’s Statue, so daß trotz der großen Porträtähnlichkeit des Kopfes das Volk seinen früheren König in dieser Gestalt kaum zu erkennen vermochte. Auch die drei Regententugenden am Piedestal des Denkmals, die Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Milde – zeigen die Eigenart des Künstlers noch wenig entwickelt. Sie sind noch Erzeugnisse der ersten, in jugendlicher Begeisterung aufgenommenen Eindrücke der älteren Italiener, poetisch gedacht und empfunden; es besteht aber ein gewisser Zwiespalt zwischen der jugendlichen Auffassung und Naivetät der Conception und der unleugbar befangenen Correctheit der Durchführung.

Neben dem Friedrich August-Monument beschäftigten R. die Arbeiten am Universitätsgebäude zu Leipzig. Auf dem nach Schinkel’s Entwurfe gebauten Portale sollten zwei stehende Figuren, die Musen Kalliope und Polyhymnia, angebracht werden; im Giebelfeld waren die vier Facultäten darzustellen. Aber besonders dieser Giebel macht keinen günstigen Eindruck. Die Ecken sind von einer peinlichen Leere, der Zusammenhang der einzelnen Gruppen ist zu lose, auch erscheinen die Köpfe aller Figuren zu groß. Daneben entstanden vier Marmorbüsten für die Leipziger Aula, zwei Medaillons für das historische Museum in Dresden, ein Taufstein für die Kirche zu Oelsnitz u. dgl. Alle diese Arbeiten befestigten Rietschel’s Stellung und machten seinen Namen bekannt, wenn sie auch die Bedeutung höchstens ahnen ließen, die der Künstler später in überraschender Weise in den verschiedensten Gattungen seiner Kunst zu entfalten wußte. Geahnt hat diese Bedeutung freilich außer Rauch auch König Ludwig I. von Baiern, der ihn als Professor an die Münchener Akademie berief, eine Auszeichnung, die R. indeß ablehnte. Er fürchtete mit Recht „das fast dämonische Kunsttreiben des Königs“, jene übereilte Hast des Monarchen, die selbst aus Schwanthaler allmählich einen fabrikmäßigen Massenproducenten machte.

Indeß zeigten ihn auch die Sculpturen des Semper’schen Hoftheaters in Dresden noch nicht auf seiner vollen Höhe, obwol die beiden Giebelfelder einerseits die Tragödie in einer Scene der Orestie, andererseits die Musik auf dem Rücken eines Adler emporgetragen darstellend zu den beklagenswerthesten Verlusten des bekannten Brandunglücks von 1869 gehören. Mehr Erfolg hatte der Künstler mit dem großen Hochrelief für das Giebelfeld des Opernhauses in Berlin, welches in der Mitte die Muse der Musik auf einem Schwane emporschwebend, rechts in einer leicht bewegten Gruppe den Tanz, links die dramatische Kunst zur Anschauung bringt, obwol auch hier noch in manchen Gestalten „ein Schwanken zwischen der Einfachheit der Antike und einem mehr der Gegenwart angehörigen Reichthum von Gegensätzen“ erkennbar ist.

Nach Vollendung des Giebelfeldes für Berlin begann R. die erst später vollendete Ehrenstatue Thaer’s für Leipzig, in welcher er Thaer als Landwirth darstellte, zugleich aber durch die demonstrirende Bewegung der Hand auf seine Stellung als Lehrer hinwies. Einfach, ernst, nachdenklich steht die kräftige Gestalt da; die Kleidung, die hohen Stiefeln, der Mantel, sprechen deutlich die Intention aus, und bemerkenswerth erscheint, daß der Mantel hier nicht der gewöhnliche Deckmantel, sondern ein wirklich zur Charakterisirung mit beitragendes Gewandstück ist. Außerdem entstand damals jenes unter dem Namen „Der Christengel“ weitverbreitete und bekannte Relief, ein von faltenreichem Mantel umflatterter Engel mit mildem Antlitz, welcher, das Christkind auf den Armen [598] tragend, umgeben von kleineren Engeln durch die heilige Nacht dahin schwebt: ein Werk voll anmuthiger Empfindung, das er dem Kunstverein in Dresden zum Geschenk machte.

Das erste Werk, welches Rietschel’s vollendete Meisterschaft bekundete und zugleich seine ganz besondere Kunstrichtung darthat, war die um 1847 entstandene Pietà, die im Auftrage König Friedrich Wilhelm’s IV. in Marmor ausgeführt wurde und jetzt den schönsten Schmuck der Friedenskirche zu Potsdam, der letzten Ruhestätte des frommen Königs bildet. Mit diesem Werke stellte sich R. nahezu ebenbürtig neben Rauch, ja es kommt sogar dem berühmten Jugendwerke gleichen Gegenstandes von Michelangelo an Bedeutung weit näher, als Rauch’s Moses der bekannten Hauptfigur am Grabmal Julius’ II. in Rom. Die erste Skizze war noch durch die Erinnerung an ein Bild Ary Scheffer’s „Der todte Christus, umgeben von den beiden Marien und Johannes“ angeregt worden und lehnte sich völlig an die herkömmlichen Darstellungen an. In dem Werke selbst aber ist der Künstler durchweg neu, die Auffassung des Gegenstandes eine aus protestantischem Bewußtsein hervorgegangene. Während die Pietà-Gruppen früherer, besonders der italienischen Bildhauer, lediglich eine Verherrlichung der Maria, der Mutter Gottes, sind, der in ihrem Schoße ruhende Leichnam mit seiner Linienbewegung untergeordnet und nur dazu verwendet erscheint, die Gestalt der Maria selbst zu heben, hat R. sehr wohl gefühlt, daß die Bedeutung des Heilandes nur dadurch hervortreten könne, daß er von der Mutter getrennt, als ein von ihr verehrter und betrauerter heiliger Leichnam dargestellt werde. Auf ein anderes Motiv, welches den Künstler zu der von ihm gewählten Anordnung der Gruppe veranlaßt hat, weist Ernst Förster in seiner „Geschichte der deutschen Kunst“ V, 441 hin, wenn er sagt: „In der Regel sieht man die Gruppe so angeordnet, daß die Mutter den todten Körper ganz oder zur Hälfte im Schoße hat, wobei die Rücksichten auf Linien und Maaße überwiegend maßgebend sind. Daß mit dieser Anordnung das natürliche Gefühl verletzt werde, scheinen wenige Künstler in Betracht gezogen zu haben. Bei R. überwog die Achtung vor diesem natürlichen Gefühl die Rücksicht auf Linien und Maaße; er legte den heiligen Leichnam an den Boden und ließ Maria neben ihm niederknieen. Ganz versunken in den Anblick des von seligem Frieden übergossenen Angesichts des Todten löst sie sich in einem großen Schmerz auf, aber ohne Jammer und Leidenschaft. Wol läßt sie die gefalteten Hände sinken, aber doch betet ihre Seele fort. Nur damit wird das Gemüth des Beschauers wirklich getroffen, und will das künstlerische Gefühl für Anordnung Einwendungen, namentlich gegen die rechtwinklige Stellung der Maria gegen Christus machen, so erkennt doch Jedermann, daß mit einer wahrhaft beseelten Gruppe mehr gewonnen ist, als mit einer tadellos geordneten, und – Rietschel’s Pietà ist beseelt.“ Sie war ein Protest gegen die Verfehltheit jenes falschen Idealismus, der bis dahin in der deutschen Kunst geherrscht hatte. Aber welche Fülle von Künstlerglück und Leid hat nicht auch der Meister in diese Arbeit niedergelegt. Fast in keiner andern ist sein ganzer innerer Mensch so zu erkennen wie hier. Nachdem der Hartgeprüfte 1841 es gewagt, sich und seinen Kindern von neuem eine Häuslichkeit zu verschaffen, und seine Gattin Marie, geb. Hand, ihm seitdem in glücklicher Ehe zwei Kinder geschenkt hatte, klopfte der Tod zum dritten Mal an der Thür an, um auch dieses Glück zu zerstören. Während der schweren Krankheit und des herben Scheidens von der noch in der Blüthe der Jahre stehenden Gattin war diese Arbeit sein Trost und seine Erquickung. Das ists auch, was geheimnißvoll den Beschauer ergreift; man fühlt, daß dies Kunstwerk mit dem Herzen geschaffen. Vor allem ergreifend ist Maria, deren nach dem Leichnam niederblickendes Antlitz von unsäglichem [599] Gram erfüllt ist. Von dem geistig verklärten Wesen des Sohnes, von seinem wahrhaft göttlich schönen Antlitz, über dessen Züge der ewige Friede ausgegossen ist, gleitet der Blick immer wieder hinauf zu dem Haupte der Mutter, dessen Anblick unmittelbar an das Herz greift, hinauf zu der leidenden und doch so schönen Gestalt, zu dem Gewande, das in jeder Falte die gewaltsame Erschütterung ihres Innern nachzittern läßt. So hat R., indem er die Verbindung von Sohn und Mutter keine körperliche, durch Linienbewegung äußerlich hergestellte sein ließ, mit origineller Schöpferkraft dieselbe allein durch geistige Bezüge, durch die innerliche Macht und Durchbildung des Ausdrucks hergestellt und so ein Werk geschaffen, das für alle Zeiten als ein hervorragendes Kunstwerk gelten wird.

Ein wahrhaft classisches Werk wurde dann sein Lessing in Braunschweig, epochemachend als der Bahnbrecher einer mehr realistischen Haltung in der statuarischen Kunst. Denn bei frappanter Lebenswahrheit in Kopf, Haltung und Geberde ist auch dem Kostüm der Zeit volle Rechnung getragen und dadurch eine nicht oft erreichte Lebendigkeit erzielt. Und zwar keineswegs auf Kosten der inneren, geistigen Bedeutung. Das kühne, aufgeschlossene und doch so tiefe Wesen des großen Denkers und Kritikers tritt uns überzeugend und ungezwungen entgegen. Man kann heute nur schwer sich vergegenwärtigen, was für eine künstlerische That es damals war, Lessing im Zeitkostüm vorzuführen. R. selbst behauptete anfangs, es sei künstlerisch unmöglich, ihn ohne Mantel darzustellen, und es kostete ihm einen großen Entschluß, von einer Darstellungsform, welche namentlich durch Rauch in der deutschen Kunst eingebürgert worden war, abzugehen. Umgestimmt wurde er hauptsächlich dadurch, daß er auf einer Reise durch die Städte Süddeutschlands von der Dürftigkeit des Mantelmotivs bei Darstellung moderner Persönlichkeiten schlagend überzeugt wurde. Er sah den Goethe’schen Mantelcoloß in Frankfurt a. M., die herkömmlichen Gestalten, wie sie aus Schwanthaler’s Atelier kamen, und die Statue Schiller’s in Stuttgart. Bald darauf, im Februar 1848, entwarf er die erste Skizze zum Lessing und zwar ohne den üblichen Mantel. Er kündigte seinen Entschluß mit wenigen Worten an: „Ich will ihn ohne Mantel machen. Lessing suchte im Leben nie etwas zu bemänteln, und gerade bei ihm wäre mir der Mantel wie eine rechte Lüge vorgekommen. Ich denke, das Kostüm wird sich machen, und wäre es meines Wissens das erste der neuen Monumente, welches ohne dieses gepreßte Hülfsmittel dargestellt würde.“ Ganz richtig ist das nun zwar nicht. R. war nicht der Erste, welcher das Zeitkostüm ohne Mantel anwendete, sondern schon Schadow’s Ziethen und der alte Dessauer waren ohne dieses traurige Behelfsmittel dargestellt. In Wahrheit liegt aber die Bedeutung des am 29. September 1853 enthüllten Standbildes nicht im Kostüm und im Wegfall des Mantels, sondern sie liegt tiefer. Es ist die vorzüglich klare Geltendmachung des physiognomischen Charakters und die einheitliche Durchführung desselben im ganzen Körper. „Man muß nicht müssen“, dies oft wiederholte Wort Lessing’s spricht die entschlossene, muthig feste Haltung der Gestalt, jeder Muskel aus; und namentlich der Kopf, für welchen dem Künstler nur Lessing’s Todtenmaske und das Porträt von Oswald May in der Gleim’schen Sammlung zu Halberstadt zu Gebote standen, enthüllt ganz das Wesen des kühnen und unerschrockenen Kämpfers für die Wahrheit.

Wie gewaltigen Nutzen der Künstler selbst aus dieser Arbeit gezogen, zeigte sich bei seinem folgenden Werke, dem Doppelmonument Schiller’s und Goethe’s am Theaterplatz in Weimar. R. hatte den Winter 1851 in Palermo zugebracht, um sich von einer schweren Krankheit zu erholen. Bei seiner Rückkehr in Dresden fand er einen Brief Ernst Försters: „Das Herrlichste, was Deutschlands [600] Neuzeit der Geschichte dargebracht, ist die Erscheinung Goethe’s und Schiller’s. Mit dem Rufe, dies Herrlichste zu verherrlichen, begrüßte ich dich in Deutschland.“ Dem Auftrage selbst ging eine längere Vorgeschichte voraus. Karl Alexander, Erbgroßherzog von Sachsen-Weimar, hatte seit Aufstellung der Herderstatue den Gedanken verfolgt, auch den drei anderen Sternen Weimars Ehrenstatuen zu errichten. Schon im J. 1849 war hiervon die Rede. Rauch sollte Schiller’s und Goethe’s Standbild herstellen, während für Wieland R. in Vorschlag gebracht wurde. Rauch hatte bereits auch eine Modellskizze der beiden Dichter, in einer Gruppe vereinigt und in antikem Kostüm (Tunika, Griechenmantel und Sandalen) eingereicht. Im Laufe der Verhandlungen ergab sich jedoch ein Conflict zwischen den Ansichten Rauch’s und König Ludwig’s. Letzterer hatte dem Erbgroßherzog angeboten, das nöthige Metall im Werthe von 7000 Gulden zur Herstellung des Erzgusses zu schenken, hatte aber als Bedingung seines Beitrittes zum Unternehmen, welches mit Hülfe des deutschen Volkes zu Stande gebracht werden sollte, folgende Punkte festgestellt: „Nicht in antikem Kostüm können Schiller und Goethe in Weimar auf öffentlichem Platze aufgestellt werden; nicht in Berlin, sondern in München werden die Statuen gegossen.“ König Ludwig wollte nicht, daß mit unsern größten Männern, wie er sich schlagend ausdrückt, eine „Maskerade“ getrieben werde, und auch beim Erbgroßherzog mochte das seit Lessing’s Standbild in Deutschland allgemein gewordene Verlangen nach unmittelbarer historischer Treue überwiegend sein. Rauch ging auf die ihm gestellten Bedingungen nicht ein, namentlich deshalb nicht, weil er das Werk in Berlin unter seiner Aufsicht ausführen lassen wollte. Und so wurde am 8. Juli 1852 der Contract zwischen dem Erbgroßherzog Karl Alexander und R. abgeschlossen, wonach letzter die Herstellung der beiden Modelle gegen ein Honorar von 5500 Thalern übernahm. Anfang 1857 wurde das große Modell an die Münchener Erzgießerei abgeliefert, dort von Ferdinand v. Miller der Guß bewirkt, und am 3. September 1857, dem 100jährigen Geburtstage Karl August’s, wurde die Statuengruppe zugleich mit dem Standbilde Wieland’s von Hans Gasser in Weimar enthüllt. Die beiden Dichter stehen nebeneinander. Der Künstler hatte, wie er selbst sich ausdrückt, „in Goethe die selbstbewußte Größe und klare Weltanschauung in möglichst ruhiger und fester Haltung, hingegen Schiller’s kühner strebenden idealen Geist durch mehr vorstrebende Bewegung und etwas gehobenen Blick zu charakterisiren gesucht.“ Die Gestalten selbst sind nach Kleidung und Individualität so gehalten, wie ihre Stellung im Leben es bedingt, Goethe im Hofkleid, Schiller in der gewöhnlichen bürgerlichen Tracht seiner Zeit. Da eine körperliche Berührung als Zeichen ihrer Freundschaft stattfinden mußte, so glaubte er in der Lage der linken Hand Goethe’s auf Schiller’s Schulter das trauliche Gemüthsverhältnis anzudeuten. „Goethe, als ein Mann von 50 Jahren, zehn Jahre älter als Schiller und früher im Besitze des höchsten Ruhmes, hält den Kranz fest, den er als Symbol der Unsterblichkeit errungen. Schiller, seiner hohen Bedeutung sich bewußt, faßt zugleich an denselben, aber es ist nur ein flüchtig Daranrühren dieser feinen Hand, welcher keine Zeit gegeben war zum ruhigen Festhalten des einmal gewordenen und errungenen Glücks, der Hand – die nur kurze Frist den Kranz des Dichterruhmes berührte, um sich dann in sehnsüchtiger Bewegung zu den Sternen zu erheben.“ Wie beim Lessing liegt auch hier die Bedeutung des Kunstwerks nicht in der schlagenden Wirklichkeit der zufälligen Erscheinung, sondern in dem wahrhaften Herauskehren des geistigen Wesen und der psychologisirenden Verwerthung alles Beiwerks. In Schiller’s ganzer Gewandung, in der Art, wie er sich trägt, in der Bewegung der länger gezogenen Falten an Beinkleidern und Aermeln ist das Wesen des Idealisten sprechend ausgedrückt – [601] während in Goethe’s sorgfältig angelegter Kleidung der elegante Geschmack, in den kürzern, sich straffer den breitern Formen anpassenden Falten die feste und entschiedene Gewandtheit des Weltmanns unverkennbar ist. Alles in Allem muß die Gruppe durch Schönheit des Aufbaues und Linienflusses, durch packende Wahrheit bei classischer Veredlung der Formen, durch Ausdruck und Großartigkeit zu den allerersten Meisterwerken unseres Jahrhunderts gerechnet werden.

Noch bevor R. sich ausschließlich mit dem Schiller-Goethe-Denkmal beschäftigte, schon im J. 1852, begannen die großen Sculpturarbeiten an dem von Semper erbauten Dresdener Museum. Es sollten in dem reichen Relief- und Statuenschmuck neben den Fenster- und Thürbogen diejenigen Kreise in Sage, Religion und Geschichte dargestellt werden, aus welchen die große historische Kunst ihre Lebensnahrung gesogen, und damit in Zusammenhang die Gestalten der Männer gebracht werden, welche die Entwicklung dieser Kunst am schlagendsten bezeichnen. Der Entwurf des an der Südseite dargestellten Cyclus rührt von Hähnel, der an der Nordseite von R. her. Ihm fielen die Statuen des Perikles und Phidias, Holbein’s, Dürer’s, Giotto’s und Goethe’s und zahlreiche Reliefs zu.

Darauf folgte 1860 die Quadriga für das Braunschweiger Schloß, ein imposanter, von vier eleganten Rossen gezogener Triumphwagen, auf welchem die Göttin Brunonia steht, eine der schönsten Schöpfungen Rietschel’s, die sich den besten Werken der Alten würdig zur Seite stellt. In demselben Jahre wurde das Standbild Karl Maria v. Weber’s für Dresden enthüllt, das ebenfalls als ein Meisterwerk gelten kann.

Daß dies nicht auch von dem letzten Hauptwerk seiner bildniß-statuarischen Thätigkeit, dem umfangreichen Wormser Reformationsdenkmal gesagt werden kann, dürfte in der architektonischen Verzettelung desselben beruhen. Denn die Gestalt des großen Reformators selbst ist in jedem Betracht imposant und gelungen, ebenso die Mehrzahl der Laien- und Priestervertreter des Reformationswerkes wie der Städteallegorien, aber die unglückliche Idee der Anspielung auf „Eine feste Burg“ hat die Versammlung zu einem Aggregat zersplittert, welchem die monumentale Einheit trotz der Zinnenkranzverbindung fehlt und der wechselseitige Bezug erst aufgedrungen werden muß. Auch darf nicht vergessen werden, daß außer dem kleinen Modell des Ganzen nur die Statuen Luther’s und Wicliffe’s von R. selbst vollendet wurden; die Ausführung der Uebrigen nach seinem Entwurf übernahmen seine Schüler Donndorf und Kietz. So erklärt sich die breite Flüchtigkeit mancher Statuen, die sich sehr deutlich von der sorgsamen Ausführung der vom Meister selbst noch vollendeten Statuen Luther’s und Wicliffe’s unterscheidet.

Es war während dieser ernsten Arbeit dem Meister eine Erholung, im leichten Spiel allegorischer Darstellung auf classischem Boden sich zu bewegen und unter andern die reizvollen Medaillons der Tageszeiten und Erosgruppen zu schaffen, welche neben den strengen Bildungen Thorwaldsen’s so lebensfrisch und froh erscheinen. Einen unvergänglichen Zoll der dankbaren Verehrung aber widmete er noch seinem Lehrer Rauch in dessen berühmter Bildnißbüste, welche vielleicht die beste Porträtbüste dieses Jahrhunderts genannt werden kann und technisch wie künstlerisch unübertroffen dasteht.

Es war die letzte Arbeit, die R. vollendete. Am 21. Febr. 1861 starb er in Dresden. Vor dem Gebäude der Akademie, auf der Brühl’schen Terrasse, ward ihm ein Denkmal errichtet. Eine Sammlung von Abgüssen seiner Hauptwerke ist im Rietschel-Museum in Dresden aufgestellt. Rietschel’s kunstgeschichtliche Bedeutung hat Reber in seiner Geschichte der neuern deutschen Kunst Bd. II, S. 322 treffend [602] charakterisirt, wenn er sagt: „Nicht immer zwar erreicht R. den monumentalen Schwung und die classische Geschlossenheit seines Meisters Rauch; dafür ist ihm jedoch anmuthvolle Empfindung und eine manchmal ans Romantische streifende Poesie im höhern Grade eigen, als dem Heros der modernen Plastik in Berlin, eine Gefühlswärme, neben welcher der philosophische Geist Rauch’s nicht selten kalt erscheint, wie immer Denken neben Empfinden. Die Gestalten Rauch’s namentlich aus seiner späteren Epoche erwecken als Charaktere durch und durch Ehrfurcht und Bewunderung, die Rietschel’s Sympathie, und wo der Gegenstand diese weniger einflößen kann, erscheint der Meister nicht ganz in seiner Sphäre. Daher bewegt sich Rauch am leichtesten im Gebiet des Sieghaften, der Könige, Helden, Victorien u. s. w., während R. nicht den Königsdenkmälern, sondern dem mehr Poetischen, den Dichtern und den Gebilden der Dichtung seinen Ruhm verdankt.“

Vgl. Andreas Oppermann, Ernst Rietschel. 2. Aufl. Leipzig 1873.