ADB:Reitz, Johann Heinrich
Christoph Wittich sein Hauptlehrer in der Theologie wurde. In Bremen hörte er den Cartesianer Swelingius in der Philosophie und in der Theologie der Coccejaner Cornelius v. Hase. Auch lernte er in dieser Stadt den ausgezeichneten Prediger Theodor Undereyck kennen, durch welchen er zuerst in die pietistische Strömung jener Zeit heineingeführt wurde, in welcher ihn dann J. Fr. Mieg zu Heidelberg, der reforimirte Studienfreund und Schüler Spener’s bestärkte. Nach Vollendung seiner Studien brachte R. einige Jahre im Schulfache zu. Im J. 1681 erhielt er die Pfarre zu Freinsheim bei Dürkheim, wo er die Erstlinge seiner theologischen Studien und auch das gediegenste seiner Werke herausgab, durch welches er sich einen bleibenden Namen in der Gelehrtenwelt erworben hat, nämlich die Uebersetzung der englischen Schrift des Oxforder Professor Thomas Goodwin über die jüdischen Alterthümer: „Moses und Aaron“, in die lateinische Sprache, welche er mit vorzüglichen Anmerkungen versah. Dieses Buch erschien zu Bremen 1684 in erster und bereits 1685 in zweiter Auflage. R. hat dasselbe dem durch sein tragisches Geschick später bekannt gewordenen Hofprediger J. L. Langhans zu Heidelberg, sowie seinen ehemaligen Lehrern Wittich und Hasaeus gewidmet. In diesen drei genannten sieht er und zwar in jedem derselben apart die drei Cardinaltugenden eines Theologen: Gelehrsamkeit, Gottesfurcht und Klugheit vereinigt. Die französischen Kriegsunruhen vertrieben R. 1689 auf das rechte Rheinufer, wo ihm die Inspectur Ladenburg übertragen wurde. Aber auch von da wurde er durch die Bedrückungen der Reformirten, welche fremde Ordensleute unter dem Schutze französischer Waffen ausübten, verdrängt und fand mit den Seinigen eine neue Heimath zu Aßlar im Solmsischen, von wo er wenige Jahre später als Inspector nach Braunfels befördert wurde. Eines Tages im J. 1697 wurde R. zu dem auf dem Greifenstein gefangen gehaltenen Schwärmer Balthasar Christoph Klopfer geschickt, um denselben von seinen verschrobenen Ansichten zu bekehren. Die äußere Gestalt, sowie das Auftreten [171] dieses Menschen, welcher schon den Professor Heinrich Horche von Herborn dadurch bestochen, imponirten auch ihm so sehr, daß er demselben beifiel. Da er solches unumwunden öffentlich aussprach, wurde er abgesetzt und Landes verwiesen. Hierauf fand er eine Predigerstelle zu Homburg v. d. Höhe, welche er aber auf Anrathen Klopfer’s bald wieder aufgab und sich nach Frankfurt a. M., wandte. Da ihm der Ruf von seiner widerkirchlichen Stellung vorausgegangen war, so mußte er sich hier erst reinigen, bevor ihm die Obrigkeit den Aufenthalt zugestand. R. that solches in einer kleinen interessanten Schrift betitelt: „Ein kurzer Begriff des Leidens, der Lehre und des Verhaltens J. H. Reitzens“. Offenbach 1698. Er sei, schreibt er darin, mit dem Zeichen Christi bezeichnet und versiegelt, auch gewürdigt worden, mit Jesu außer dem Lager d. i. der Kirche zu gehen. In Betreff seiner Lehre berief er sich auf den Heidelberger Katechismus, welchen er mit seinem Lehrer Coccejus als das accurateste unter menschlichen Schriften liebe und lobe. Seine besondere Meinung äußerte er vornehmlich in der Erwartung eines allgemeinen herrlichen Reiches Christi; das vor dem jüngsten Tage werde aufgerichtet werden. Trotzdem diese Schrift sehr gemäßigt gehalten war, so blieb sie und ihr Verfasser nicht unangefochten. Bereits im folgenden Jahre treffen wir R. mit Horche und Samuel König zusammen in Herborn, sodann in Eschwege, wo eine größere philadelphische Gemeinschaft, deren Haupt Horche war, bestand. Hierauf hielt er sich einige Jahre in Offenbach a. M. auf, wo er eine nicht unbedeutsame Schrift: „Von der Gerechtigkeit die wir aus und in Jehova durch den Glauben haben“ 1701 und eine neue Uebersetzung des Neuen Testamentes 1703 herausgab, welche bei den damaligen lutherischen Theologen vielen Staub aufwirbelte. Bald darauf wurde R. zum Rector der reforimirten lateinischen Schule in Siegen berufen. Aber auch aus dieser Stellung brachten ihn bald seine vorgennannten Freunde durch ihr leidiges Conventikelwesen, in welches sie ihn wieder hineinzogen. Hierauf wurde er Verwalter auf einem Gute bei Terborg in der holländischen Provinz Geldern, wo er sich in stiller separatistischer Zurückgezogenheit von der Kirche mit der Information seiner und fremder Kinder und mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigte. Die letzten Jahre seines Lebens brachte er, hochgeachtet von seinen Mitbürgern, unter denselben Arbeiten in Wesel zu. Seine Privatschule, welche er in dieser Stadt hatte und welche junge Leute bis zur Universität vorbereitete, erfreute sich allgemeiner Anerkennung.
Reitz: Johann Heinrich R., bedeutend als pietistischer Schriftsteller reformirten Bekenntnisses, geboren 1655 zu Oberdiebach bei Bacharach, † am 25. November 1720 zu Wesel. Nach seiner Vorbildung auf dem Heidelberger Pädagogium bezog R. die Universität Leiden, wo der CartesianerAußer den schon genannten Schriften Reitz’s verdienen noch angeführt zu werden: „Der geöffnete Himmel“. Wetzlar 1696; „Fürbild der heilsamen Worte vom Glauben und Liebe“. Büdingen 1705, ein Katechismus in Fragen und Antworten; „Die Nachfolge Jesu Christi“. Wesel 1707; „Heinrich Myricke’s Reise nach Jerusalem“ 1719. Vor allem aber ist hervorzuheben das bekannteste Werk: „Die Historie der Wiedergeborenen“, eine Sammlung kurzer Lebensbeschreibungen gottseliger Leute aus allen Ständen in fünf Theilen, von welcher schon bald nach dem Erscheinen der ersten Auflage eine zweite, und bald nach dieser eine dritte folgte. In seinen Schriften hat R. stets die Wiedergeburt betont, ebenso das innere Glaubensleben. Vielfach gebraucht er mystische Bilder und redet von dem inneren Lichte in ähnlicher Weise wie die Inspirirten. Von dem Lehrbegriffe der reformirten Kirche ist er in mehreren Punkten abgewichen. So in der Lehre von der Rechtfertigung, wo er im Gegensatze zu der 60. Frage des Heidelberger Katechismus, welche ganz auf reformatorischem Standpunkte steht, die Rechtfertigung in einseitiger Weise auffaßt und dem Wiedergeborenen das zuschreibt, was allein die Gnade wirkt. Doch finden sich auch manche tiefe theologische Gedanken, wie die von der Incarnation Christi, worüber er auf biblischer Grundlage, auf welcher sich hier die kirchliche traditionelle [172] Lehre nicht ganz finden läßt, lehrt, daß Christus nicht das gesunde Fleisch des ersten Adam, sondern „unser krankes Fleisch, ja wie Paulus redet, das Bild des Fleisches der Sünde und den Leib des Todes angezogen“. R. hat drei Söhne hinterlassen, deren Namen in der Gelehrtengeschichte der Niederlande von hervorragender Bedeutung sind: Wilhelm Otto, Professor der Rechte in Harderwyk; Johann Friedrich und Karl Konrad, beide tüchtige Philologen.
- Jöcher. – Großes Universal-Lexikon Bd. XXXI. – Unschuldige Nachrichten. Jahrg. 1707, 1708, 1717. – Hulderici Irenaei Pagi Gerberus notatus. Leipzig 1730. – Vorlesungen der churpfälz. physikalisch-ökonomischen Gesellschaft III. Mannheim 1788. – Max Goebel, Gesch. des christl. Lebens in der rhein. westfälischen evangl. Kirche II. – Cuno, Gedächtnißbuch deutscher Fürsten und Fürstinnen ref. Bek. II. – Evang. Kirchenbote für die Pfalz. Jahrg. 1880, Nr. 29 ff. – Sachsse, Urspr. und Wesen des Pietismus. – J. H. Andreae, Commentatio hist. litt. de eruditis Palat. Belg. Sect. IV. – Neuer Gelehrtes Europa I. III. IX. – C. G. Hirsching, Hist. litter. Handbuch IX. – J. Fr. Buddei Isagoge hist. pol. – Jo. Fabricius, Hist. Bibl. fabric.