ADB:Plieningen, Dietrich von (2. Artikel)
A. D. B. XXVI, 297) hat nach seiner Uebersiedlung nach Baiern dort eine hochbedeutsame politische Wirksamkeit entfaltet. Herzog Albrecht IV. von Baiern gab seine Zustimmung, daß P. 1504 von seinem Schwager Stephan v. Lycha (Luchau), Pflegers zu Reichertshofen, dessen Güter in den bairischen Aemtern Oetting, Wildshut, Mauerkirchen und benachbarten durch Kauf erwarb. Derselbe Fürst belohnte seine Dienste durch Verleihung der niederbairischen Lehen, die Hans Wambolt besessen hatte. So trat der schwäbische Edelmann in die Reihe der bairischen Landsassen ein. 1507 und 1512 hat er eigenhändig Lehensbücher über diese beiden Lehensgruppen geschrieben (cod. germ. Monac. 3948 u. 3949). Während der vormundschaftlichen Regierung nach dem Tode Albrecht’s IV. treffen wir ihn 1509 als Rath und Gesandten Herzog Wilhelm’s IV. von Baiern in Heidelberg bei Verhandlungen mit Kurpfalz, 1512 in derselben Eigenschaft auf dem Tage des Schwäbischen Bundes in Augsburg und seit April auf dem Reichstage in Trier. Seine wichtigste Rolle aber spielte er in der Opposition gegen seinen Fürsten, auf den zwei stürmischen Landtagen des Jahres 1514, die den Höhepunkt der ständischen Macht in Baiern bezeichnen. Hier erscheint er als das geistige Haupt der bairischen Landstände, als ihr freimüthiger Wortführer und der schneidige Vorkämpfer ihrer Freiheiten. In seiner Person ist die humanistische Bildung zuerst in die Stuben der Landstände eingezogen und damit hängt es zusammen, daß die ständischen Interessen und Forderungen nie vorher mit solchem Geist und Nachdruck vertreten wurden. Vornehmlich P. war es zu danken, wenn die Landstände damals ihren schönsten Beruf erfüllten, einen Damm gegen Mißregierung und Willkürherrschaft zu bilden. Daß aber gerade ihm, dem geborenen Schwaben, in den exklusiven und gegen alle Fremden mißtrauischen Kreisen des bairischen Adels die führende Rolle zufiel, läßt sich nur durch seine geistige Ueberlegenheit erklären.
Plieningen: Dietrich von P. (Ergänzung zuHerzog Albrecht IV. hatte in Baiern das Erstgeburtsrecht im regierenden Hause eingeführt. Die kühne Neuerung stieß umsomehr auf Widerstand, da Albrecht’s unreifer ältester Sohn und Nachfolger Wilhelm IV. durch Mißregierung und Verletzung der ständischen Freiheiten allgemeine Unzufriedenheit weckte. Unterstützt von seiner Mutter Kunigunde und seinem Oheim, K. Maximilian, forderte der zweite Sohn Ludwig den dritten Theil des Landes oder Mitregierung, also den Umsturz der jungen Primogeniturordnung. Auch die Landstände ergriffen für ihn Partei; sie schlossen (1. Februar 1514) ein Bündniß zur Handhabung ihrer Freiheiten und zur Abwehr wider jeden, der sie angriff, wählten einen Achterausschuß, der Klagen der Landsassen gegen die Herrschaft entgegennehmen sollte, beantragten für Ludwig die Mitregierung (denn die Primogenitur verstoße gegen Herkommen und Klugheit, Landestheilung aber sei als das größte Uebel zu vermeiden) und baten die beiden Fürsten, sie möchten, bis sie 24 Jahre erreicht hätten, die Besetzung ihrer Rathstellen der Landschaft überlassen. In eindringlicher und wohlgesetzter Rede trug P. den beiden Fürsten vor versammelter Landschaft diese und andere Wünsche vor. Erst nachdem die Herzoge in allem, auch der Aemterbesetzung, nachgegeben hatten, wurde die geforderte Steuer bewilligt. In der That wurden nun auch die herzoglichen Räthe von den Ständen ernannt. Unter den 16 ständigen oder „täglichen“ Räthen, die zu München tagten, befand sich P. Eine Zeitlang schalteten die Landstände förmlich als Vormünder ihrer [80] jungen Fürsten. Als dann K. Maximilian der Landschaft seine höchste Unzufriedenheit darüber entbieten ließ, trat wiederum P. als Wortführer einer ständischen Gesandtschaft zu Vöcklabrück vor den Kaiser. In seiner Rechtfertigungsrede (s. „Der Landtag von 1514“, S. 252–271) betonte er auch, daß der neue Entwurf der Landesfreiheiten nur den Inhalt der alten Freiheiten erläutere. Wolle man der Landschaft ihre Freiheiten nicht halten, dann wolle sie die Fürsten „ihre Noth und Verderben selbst austragen lassen“. An der Redaction der Erklärung dieser Landesfreiheiten, die am 28. März 1516 zu Ingolstadt definitiv beschlossen wurde, dürfte P. einen wesentlichen Antheil genommen haben. Auf den Kaiser scheint Plieningen’s Beredsamkeit und feste Haltung in Vöcklabrück nicht ganz ohne Eindruck geblieben zu sein, da er erklärte, „er wolle mit der Landschaft nur scharmützeln, doch keinen Spieß auf der Bahn brechen“. Sachlich aber beharrte Maximilian bei seiner Auffassung; auf dem zweiten Landtage von 1514, der am 8. Mai eröffnet wurde, ließ er durch seine Gesandten das Vorgehen der Landschaft als unbedacht und vorschnell tadeln, bezeichnete ihre Freiheiten als veraltet und gebot ihr bei Strafe der Acht mit jeder weiteren Handlung innezuhalten. Mit großem Aufwand juristischer Gelehrsamkeit opponirte wiederum P. Der Conflict wurde verschärft, da H. Wilhelm in dem Eingreifen des Kaisers willkommenen Rückhalt zu dem Versuche fand, des Bruders Mitregierung abzuschütteln und sich der Abhängigkeit von dem Regentschaftsrathe und den Ständen zu entwinden. Da er überdies Drohungen gegen einzelne Räthe fallen ließ, richtete P. am 5. Juni im Auftrage des Ausschusses und der Räthe an ihn eine Strafpredigt, wie sie wohl selten ein Fürst von seinen Ständen vernahm. Kein Herr auf Erden sei so gefreit, daß er Macht habe, die Unterthanen nach seiner Willkür wider Recht und Billigkeit zu beschweren. Jeder Fürst sei nur Administrator oder Verweser und die Unterthanen brauchen nicht zu dulden, daß ihnen das jus naturale und das jus gentium benommen werde. Regenten und Fürstenthümer werden erhalten durch Gottesfurcht, Gerechtigkeit und Tugend, nicht durch Hoffart, Stolz und Eigenwilligkeit. Man kann kaum zweifeln, daß P. auch an der Abfassung der Denkschrift mitgearbeitet hat, die der Ausschuß am 15. August an die Stände des Reiches richtete, um sein Verhalten gegenüber den Anklagen des Kaisers zu rechtfertigen (Landtag von 1514, S. 571–599). Charakteristisch für Plieningen’s und der Landschaft Auftreten in diesem ganzen Streit ist, daß bei ihnen der mittelalterliche Herrschaftsbegriff verdrängt erscheint von demselben modernen Staatsgedanken, gegen den doch andererseits das Pochen auf ihre Privilegien verstieß – ein innerer Widerspruch, dessen sich die Landstände natürlich nicht bewußt waren.
Ein Bruder- und Bürgerkrieg war in Sicht, als Wilhelm, vom kaiserlichen Oheim in seinem Widerstand gegen die Landschaft bestärkt, seine Residenz in Burghausen aufschlug, und als die beiden Brüder zu Rüstungen schritten. Gegen Wilhelm’s Hofmeister Hieronymus v. Stauf ward der Verdacht rege, daß er seinen Herrn gegen die Landschaft aufhetze. Als er mit einem Auftrage seines Fürsten nach München kam, stellte ihn P. (18. Aug.) auf dem Rathhause in Gegenwart aller Räthe und des kleineren Ausschusses zur Rede. Im Herbst aber wurde die schwere Gefahr eines inneren Krieges durch die Aussöhnung der herzoglichen Brüder abgelenkt. P. war nicht unter den herzoglichen Räthen, welche zum Abschlusse des brüderlichen Vertrags über gemeinsame Regierung vom 20. November 1514 beigezogen wurden – wahrscheinlich widerstrebte H. Wilhelm seiner Zuziehung -, wohl aber unter den 16 Männern, welche die Stände als Ausschuß zur Berathung über diesen [81] Vertrag niedersetzten. Mitten unter diesen Stürmen hatte P. die „hoch und theuer eroberten ständischen Freiheiten, die an vielen Orten zerstreut, verlegt, theilweise verloren und nun mit großer Mühe und Kosten wieder gesammelt worden waren“, nach den Originalurkunden vidimiren und mit einem von ihm verfaßten Register (in der Ausgabe v. Lerchenfeld’s, S. 188–204) am 17. November 1514 in Druck ausgehen lassen. Unter dem Rathhause in München konnte man das Exemplar um 15 Kreuzer kaufen. P. betonte, daß diese Freiheiten um hohes, unermeßliches Geld erkauft seien, daß sie nicht widerrufen werden könnten und daß sie von allen nachfolgenden Fürsten – selbst von Albrecht IV., wiewohl sie dieser nicht in allen Punkten stracks gehalten habe – bestätigt und erneuert worden seien. In den (unter der Folter gemachten) Aussagen des am 8. April 1516 wegen Hochverraths hingerichteten Hofmeisters Hieronymus v. Stauf kommt vor, daß neben Wolf v. Aheim und dem früheren Kanzler Neuhauser P. mit H. Wilhelm’s Wissen den Plan gehegt habe, daß Wilhelm wieder Alleinregent werden solle – eine höchst überraschende Nachricht, die wir dahingestellt lassen müssen, so lange nicht weitere Stützen dafür aufgefunden werden.
- (Krenner), Bairische Landtagshandlungen XVII, 234; XVIII, 347. – Der Landtag im Herzogthum Baiern v. J. 1514, 1. u. 2. Handlung. – Die Landtage im Hzgth. Baiern v. d. J. 1515 u. 1516, bes. S. 65–77, 129, 161. – v. Lerchenfeld, Die altbaierischen landständischen Freibriefe mit d. Landesfreiheitserklärungen, mit geschichtl. Einleitung (v. Rockinger). – Riezler, Geschichte Baierns IV, bes. 14 flgd.; VI, 23 flgd. – Ueber den Humanisten Plieningen ferner: Vilmar, Dietrich v. Plieningen. Ein Uebersetzer aus dem Heidelberger Humanistenkreis. Marburger Diss. 1896.