ADB:Pfeiffer, Wilhelm
Wilhelm II., war. Die Mutter war Lucie Rebekka geb. Rüppel. Nach Beendigung des Rechtsstudiums erhielt P. zwar 1803 die Stelle eines Staatsanwalts in Kassel; bei seiner früh zu Tage tretenden Tüchtigkeit auch in anderen Fächern, wurde er aber im Juli 1805 zum Hof- und im November 1805 zum wirkl. Regierungsarchivar in Kassel bestellt. Daneben blieb er jedoch der Rechtswissenschaft treu. Den „Vermischten Aufsätzen über Gegenstände des römischen und des deutschen Privat-Rechts“, welche er schon 1802 in Marburg herausgegeben hatte, ließ er 1806 eine Schrift „Ueber die Grenzen der Civil-Patrimonial-Jurisdiction. Ein Beitrag zum Territorial-Staatsrecht“ (Göttingen) folgen und gab 1808, nachdem die französische Gesetzgebung in Hessen eingeführt worden, mit einem jüngeren Bruder „Napoleon’s Gesetzbuch nach seinen Abweichungen von Deutschlands gemeinem Recht“ (2 Bände, Göttingen) heraus. Die Folge war, daß er wieder in das Justizfach zurückkam. Er wurde 1808 Stellvertreter des Generalprocurators beim Appellationsgericht in Kassel. Nach dem Ende der Fremdherrschaft verwendete ihn die hessische Regierung als Rath in der Verwaltung. Mit ganzem Herzen der damaligen liberalen Zeitströmung zugethan, erregte er 1816 in weiteren Kreisen Aufmerksamkeit durch seine Schrift „Ideen zu einer neuen Gesetzgebung für deutsche Staaten“. 1817 trat er abermals in das Justizfach zurück, indem er zum Rath beim Appellationsgericht in Kassel bestellt wurde. Als solcher gab er eine „Neue Sammlung bemerkenswerther Entscheidungen“ dieses Gerichts heraus (4 Bände, Hannover 1818–1820). Um diese Zeit wurde Kurhessen lebhaft bewegt durch die Frage der rechtlichen Folgen verschiedener Maßnahmen der westfälischen Zwischenregierung. Kurfürst Wilhelm I. hatte durch Verordnung vom 14. Januar 1814 alle während der Zwischenzeit geschehenen Benachtheiligungen des Staatseigenthums für nichtig erklärt und diese Verordnung am 31. Juli 1818 im Gesetzblatt authentisch dahin erläutert, daß die 1806 erfolgte Ueberziehung Hessens durch französische Truppen nicht den Charakter einer völkerrechtlichen Eroberung, sondern den eines Raubzugs gehabt habe und das daher auch alle Verfügungen über die vorher aus den Staatscassen ausgeliehenen Capitalien ungültig seien. Damit wurden diejenigen, welche Capitalien zurückgezahlt hatten, schwer betroffen. In deren Interesse gab P. 1819 die dem Kurfürsten gewidmete Schrift heraus „Inwiefern sind Regierungshandlungen eines Zwischenherrschers für den rechtmäßigen Regenten nach dessen Rückkehr verbindlich?“ Darin machte er namentlich darauf aufmerksam, daß der Bundestag am 30. Juli 1818 sich für eine entgegengesetzte Ansicht ausgesprochen zu haben scheine. Das Oberappellationsgericht in Kassel sah sich genöthigt, im Sinne der kurfürstlichen Erläuterung zu entscheiden, P. aber, welcher diesem Gericht angehörte, gerieth nun in eine schiefe Stellung, und nahm daher 1820 die Stelle eines Mitglieds des Oberappellationsgerichts in Lübeck an. In Anbetracht seiner bewährten Tüchtigkeit rief ihn jedoch Kurfürst Wilhelm II. gleich nach seiner Thronbesteigung 1821 zurück. Wiederum Mitglied [634] des höchsten Gerichtshofs Kurhessens, gab P. 1824 eine Schrift über „das Recht der Kriegseroberung in Bezug auf Staatscapitalien“ (Hannover) und 1825–1841 „Praktische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft“ (8 Bände, Hannover) heraus. Durch dieses Werk erlangte P. das größte Ansehn in der hessischen Juristenwelt und lange Zeit gab es wol keinen praktischen Juristen in Hessen, welcher sich nicht in Besitz dieser Fundgrube des Wissens gesetzt hätte. 1826 folgte Pfeiffer’s Schrift „Ueber die Ordnung der Regierungsnachfolge in deutschen Staaten überhaupt und in dem herzoglichen Gesammthause Sachsen-Gotha insbesondere“ (2 Bände, Hannover). Es konnte nicht fehlen, daß ein Mann von dieser juristischen Befähigung und zugleich liberaler Richtung bei der 1830 beginnenden Neugestaltung der öffentlichen Verhältnisse des Landes Einfluß gewann. Er gab zunächst eine Flugschrift heraus, mit der Mahnung, in Mäßigung den Verfassungsentwurf der Regierung im wesentlichen anzunehmen. Während der dann folgenden Verhandlungen der alten Stände mit der Regierung stand P. dem Verhalten des Regierungsvertreters Eggena sehr nahe, welcher das größte Verdienst am Zustandekommen der Verfassung von 1831 hatte. In dem ersten auf Grund derselben berufenen Landtage erschien P. als Vertreter der Diemelgegend, wurde vom Kurfürsten zum Präsidenten ausersehen, mußte aber zurücktreten, da die Wahl für ungültig erklärt wurde. Wiedergewählt, konnte er um so besser sich an den Verhandlungen betheiligen. Er that dies bei allen bald folgenden Streitfällen mit der Regierung in Sinne einer entschiedenen Geltendmachung der Verfassungsbestimmungen. Dieses Ziel verfolgte er auch in seiner „Geschichte der landständischen Verfassung in Kurhessen“ (Kassel 1834). Für den Eintritt in den zweiten Landtag wurde ihm, angeblich wegen Unabkömmlichkeit im Beruf, die Genehmigung versagt, obgleich er sich in der ständischen Anklage gegen Hassenpflug wegen seiner früher als Mitglied des permanenten Ständeausschusses entwickelten Thätigkeit, im höchsten Gerichte der Stimme enthielt. In Ungnade gefallen, wurde er auch bei der Wiederbesetzung der Stelle eines Präsidenten dieses Gerichts übergangen, obwol er dessen ältester Rath war. Am 13. Juni 1843 in Ruhestand versetzt, nahm er schriftstellerisch noch vielfach an öffentlichen Fragen Theil, 1848 stand er dem hessischen Märzministerium sehr nahe, 1849 gab er „Fingerzeige für alle deutschen Ständeversammlungen“ (Kassel) heraus; zur Zeit des Verfassungsstreits mit Hassenpflug sprach er sich in einer Schrift „Zur Würdigung des Bundestagsbeschlusses vom 21. September 1850“ im Sinne der Landstände über die Steuerfrage aus; ähnlicher Tendenz war seine Schrift „Der alte und neue Bundestag nach ihrer Wirksamkeit für die Aufrechterhaltung des allgemeinen Rechtszustandes in Deutschland“ (Leipzig 1851). Die Zeit der Bundesexecution rief seine Schrift über „Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Richteramts“ (Göttingen 1851) hervor. Seine „Praktischen Ausführungen“ führte er bis 1846 fort. Eine Bearbeitung von Ledderhose’s kurhessischem Kirchenrecht gab er 1821 (Marburg) heraus. Eine Reihe von juristischen Aufsätzen legte er nieder in Hitzig’s Annalen der Criminalrechtspflege, Weiske’s Rechtslexikon, Reyscher’s u. Wilda’s Zeitschr. f. d. Recht, im Archiv f. civilist. Praxis und in Linke’s Zeitschr. f. Civilrecht u. Proceß. P. starb am 4. October 1852 in Kassel. Vermählt war er seit 1801 mit Louise, Tochter des dortigen Kriegsraths Harnier.
Pfeiffer: Burkhard Wilhelm P., hessischer Publicist und Rechtsgelehrter, geb. am 7. Mai 1777 in Kassel als ältester Sohn des Johann Jakob P., welcher 1769–1779 Prediger an der dortigen Oberneustädter Gemeinde, dann Professor und Pädagogarch in Marburg, 1789 Consistorialrath und Inspector der reformirten Gemeinden des hessischen Oberfürstenthums, auch Religionslehrer des Erbprinzen, nachherigen Kurfürsten- Strieder, Hess. Gelehrtengesch. Bd. XIV, XV, XVII; Justi’s Forts. ders. (1831) u. Gerland’s Forts. ders. (Kassel 1868). – Wippermann, Kurhessen seit den Freiheitskriegen (Kassel 1850).