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ADB:Patow, Robert Freiherr von

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Artikel „Patow, Robert Freiherr von“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 760–766, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Patow,_Robert_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:32 Uhr UTC)
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Patow: Erasmus Robert Freiherr von P., preußischer Minister, geboren am 10. September 1804 in Mallenchen, einem Gute seines Vaters in der damals noch kursächsischen Niederlausitz, † am 5. Januar 1890 in Berlin, besuchte, nachdem er einige Jahre zusammen mit seinem Vetter, dem nachmaligen Ministerpräsidenten Freiherrn Otto v. Manteuffel, häuslichen Unterricht genossen hatte, die Gymnasien von Lübben und Luckau, studirte seit 1823 in Berlin, Heidelberg und Leipzig die Rechte und trat im December 1826 als Auscultator beim Stadtgericht zu Frankfurt a. O. ein. Zur Verwaltung übergehend, bestand er 1829 die Staatsprüfung als Regierungsreferendar bei der Regierung zu Potsdam und wurde im folgenden Jahre im Ministerium des Innern als Hülfsarbeiter in der Abtheilung für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten, welche erst später als besonderes Ministerium abgezweigt wurde, verwendet, nach kurzer Zeit aber wieder an die Regierung zu Potsdam zurückversetzt und daselbst auch als Regierungsassessor beschäftigt. Er arbeitete dort vornehmlich im Decernat für Gemeinheitstheilungen und Grundsteuersachen, wurde jedoch schon 1833 wieder in das Finanzministerium berufen, wo ihn der Minister Maaßen dem eben mit der Leitung der Zollvereinsverhandlungen betrauten Oberfinanzrath Kühne (s. A. D. B. XVII, 347–353) beiordnete. Die Ideen Maaßen’s und Kühne’s bestimmten seine finanzpolitische und volkswirthschaftliche Richtung. Jene beiden tüchtigen Finanzmänner erkannten in P., der inzwischen auch zum Dr. jur. promovirt war, bald einen anstelligen und fleißigen Beamten. Infolgedessen stieg P. schnell hoch. Im J. 1835 wurde er Geheimer Finanzrath. Als solcher erhielt er das Decernat bei Grundsteuersachen. Im J. 1837 rückte er zum vortragenden Rathe bei der Staatsbuchhaltung, 1840 zum Geheimen Oberfinanzrathe und Mitgliede des Staatsraths auf. In dieser Zeit befreundete er sich mit David Hansemann. Auch mit Helmuth v. Moltke war er damals und noch lange nachher befreundet. Mitte 1844 wurde er Wirklicher Geheimer Oberregierungsrath im Ministerium des Innern und erhielt dort nach einiger Zeit den Posten eines Directors. Aber bereits im Sommer 1845 verließ er diesen wieder, um für den zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz ernannten Eichmann als Wirklicher Geheimer Legationsrath die Stellung eines Ministerialdirectors im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zu übernehmen. Hier fand er Gelegenheit seine Fähigkeiten und Vorzüge zu entfalten: große, namentlich finanztechnische Fachkenntnisse, Umsicht, Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen, Beweglichkeit des Geistes, Sprachgewandtheit und eine einnehmende elegante Persönlichkeit. Sehr zu statten kam ihm bei seinem starken Bestreben, sich geltend zu machen, sein großer Reichthum. Selbst von Haus aus wohlhabend, hatte er sich am 29. October 1837 mit einer reichen Frau, Amalie geb. v. Endell, der Tochter eines am 15. October 1840 geadelten Geheimen Commerzienraths bei der Hauptverwaltung der Staatsschulden, verheirathet, die es mit Erfolg darauf absah, in der vornehmen Gesellschaft eine Rolle zu spielen. Als P. ins auswärtige Ministerium eintrat, war er durch seine rege Geselligkeit aufs beste mit den diplomatischen Kreisen bekannt. Seinen Vorzügen gegenüber stand ein gewisser bureaukratischer Zug, eine starke Neigung zum Doctrinarismus, eine sehr wenig energische Hand und ein, augenscheinlich durch das Bestreben, sich möglich zu halten, bestimmtes unsicheres Wesen. Nicht nur Leopold v. Gerlach, sondern auch sein Schulkamerad und Verwandter Otto v. Manteuffel mißtraute ihm auf das Tiefste. Manteuffel hat [761] sich gegen Leopold Gerlach im J. 1855 zu der Erklärung verstiegen, er würde bei einem Aufstande P. festnehmen lassen. Bezeichnend ist es, daß ihn Ludolf Camphausen schon Anfang März 1848 einen ausgesprochenen Vermittler nannte. Diese Vermittlerrolle durfte er in seinem neuen Amte sofort mit Erfolg spielen. Er arbeitete eine sehr bekannt gewordene Denkschrift aus, in der ein Fallenlassen des Schutzzollsystems und der Uebergang zu freieren handelspolitischen Grundsätzen befürwortet wurde. Diese Ideen fanden beim König Zustimmung, und so wurde P. im J. 1846 mit dem Vorsitz der Zollconferenz zu Berlin betraut, auf der er sich als ein Virtuos im Ausgleichen der zwischen den Zollvereinsregierungen bestehenden Gegensätze bewährte. Er gab dabei manche seiner freihändlerischen Forderungen auf. Immerhin endete die Conferenz mit einer Niederlage der schutzzöllnerischen Bestrebungen im Zollverein. Patow’s Bemühungen war es ferner zu danken, daß Retorsionsmaßregeln gegen England ergriffen wurden, welche dazu beitrugen, die Aufhebung der Navigationsacte herbeizuführen. Er machte auch den Versuch der Begründung eines deutschen Schifffahrts- und Handelsbundes und verhandelte deswegen mit den norddeutschen Seestaaten. Vergeblich bemühte er sich Rußland zu einem Aufgeben des Schutzzollsystems zu veranlassen. Ein Verdienst erwarb er sich schließlich noch dadurch, daß er die Einführung einer allgemeinen deutschen Wechselordnung anregte und sie trotz vielfachen Widerspruches als Vorsitzender der Leipziger Conferenz im December 1847 durchsetzte.

Als das Sturmjahr 1848 anbrach, wurde P. durch die liberale Strömung schnell emporgehoben und an eine leitende Stelle gebracht. Auf dem Landtage der Niederlausitz, dem er seit 1833 angehörte, und auf dem Vereinigten Landtage hatte er sich noch conservativ gezeigt, und für die damalige Zeit widersprach dem seine freihändlerische Richtung nicht. Er hatte auch wiederholt die Nothwendigkeit der Einführung eines Repräsentativsystems geleugnet und dagegen angekämpft. Als der Liberalismus mit der Märzrevolution zur Macht kam, brach P. indeß mit dieser Anschauung. Es war dies nicht bloß ein Sich-Abfinden mit den Thatsachen, sondern P. entdeckte seitdem ganz die liberale Natur seines Wesens und fuhr mit vollen Segeln auf der neuen Strömung. Ihm wurde am 17. April das neugegründete Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten einstweilig übertragen, das er zwei Monate innehaben sollte. Die politischen Wirren hatten zur Folge, daß es damals für ihn in seinem Ressort gar nichts zu thun gab. Absolute Ruhe herrschte nach Rudolf Delbrück’s Zeugniß zu jener Zeit in der Handelspolitik. Dafür ging P. mit Eifer an eine tiefgreifende Agrarreform, die dem Zuge der Zeit, die bestehenden Rechtsverhältnisse zu vernichten, auf halbem Wege entgegenkam und sich mit dem Nimbus schmückte, sie knüpfe an die Stein-Hardenberg’schen Reformen an. Der Geheimrath Krug erhielt von P. noch im April den Auftrag, die bestehenden Agrarverhältnisse einer Kritik zu unterziehen und Reformvorschläge zu machen. Krug reichte darüber am 23. Mai eine Denkschrift ein, und auf deren Grundlage entstand das denkwürdige Patow’sche Promemoria vom 10. Juni 1848, das zum Theil zeitgemäße, aber sehr radicale Aenderungen in den Agrarverhältnissen vorzunehmen gedachte. Dies wurde am 20. Juni dem Präsidenten der Nationalversammlung übersandt. Doch an demselben Tage fiel das Ministerium Camphausen und mit ihm P. Immerhin wirkten seine Anregungen, die u. a. heftig von Bismarck bekämpft wurden und eine Denkschrift des Junkerparlaments hervorriefen, weiter und wurden in den Regulirungsgesetzen von 1850, allerdings wesentlich gemildert, zur tiefen Erbitterung des sich dadurch schwer beeinträchtigt fühlenden Großgrundbesitzes verwirklicht.

[762] Mitten in diese Arbeiten zur Agrarreform fiel ein Ereigniß, daß grell die Lage und Patow’s Wesen beleuchtete. Am 30. Mai stürmten viele hunderte von Arbeitslosen mit Gewalt das Haus Patow’s auf dem Wilhelmsplatz und verlangten von ihm als dem zuständigen Minister Arbeit. Die Skandalscenen währten mehrere Stunden. Die Arbeiter besetzten die Fenster und hielten von dort Reden. Während P. fast mißhandelt wurde, sah die Bürgerwehr unthätig zu, und die Minister Heinrich v. Arnim und Auerswald gingen vor dem Hause auf und ab. P. besaß die Schwäche, die Sturmpetenten einzeln mit Achtgroschenstücken abzufinden. Der Vorgang blieb den Zeitgenossen unangenehm im Gedächtniß haften. Noch am 4. Juni 1860 buchte Leop. Gerlach in seinem Tagebuche, daß P. vor der Anarchie das Gewehr gestreckt habe. Infolge einer Auseinandersetzung in der Kammer über jene Begebenheit hatte P. am 2. März 1855 mit einem jungen Officier, einem Grafen Schlieffen, ein Duell, bei dem P. leicht am Bein verwundet wurde.

Seine Verabschiedung ist vom 25. Juni datirt. Schon am 24. Juli erhielt er wieder Verwendung als Oberpräsident der Provinz Brandenburg. Er hatte wohl das Gefühl, daß er mit seinen gesetzgeberischen Vorschlägen zu weit vorgegangen war, und als ihm im November 1848 bei Ernennung des Ministeriums Brandenburg wieder das Handelsministerium angeboten wurde, fühlte er sich doch veranlaßt, abzulehnen. Zu Ludwig Gerlach äußerte er, er hätte sich zu sehr bei der Ritterschaft verhaßt gemacht. Auch sonst zog er mildere Saiten auf, und so wurde er im Februar 1849 von Potsdam als Candidat der conservativen Partei zum Abgeordneten der 2. Kammer gewählt und nahm hier eine scharfe Kampfstellung gegen die demokratische Linke ein. Unter anderm operirte er mit Bismarck zusammen gegen Lothar Bucher. Als die Kammer im Juli aufgelöst wurde, entdeckte er abermals sein liberales Herz und schloß sich der Opposition an. Insbesondere stimmte er bei der großen Frage des § 108 der Verfassungsurkunde, wegen der Forterhebung der bestehenden Steuern ohne Genehmigung der Kammern, gegen die Regierung. Auch bei den Wahlen stimmte er oppositionell. Das führte zum Bruche mit König Friedrich Wilhelm IV., der ihm bisher viel Wohlwollen gewidmet hatte. Bismarck hat als Augen- und Ohrenzeuge den Vorgang beim Festessen aus Anlaß des neunhundertjährigen Bestehens des Bisthums Brandenburg am 1. October 1849 anschaulich seiner Gattin geschildert: „Herr“, sagte der Monarch laut und heftig, „stehn Sie rechts, so stimmen Sie rechts, stehn Sie links, so stimmen Sie ins … Namen links; von meinen Dienern aber verlange ich, daß sie zu mir stehen, verstanden?“ (Varnhagen verlegt den Vorgang irriger Weise auf den 23. September ins Marmorpalais; es handelt sich bei ihm wol um eine für den Quellwerth seiner Aufzeichnungen charakteristische nachträgliche Datirung; auch Ludwig v. Gerlach setzt die Begebenheit wie Bismarck auf den 1. October.) Das schroffe Auftreten des Königs veranlaßte P. sofort am anderen Tage seinen Abschied einzureichen. Zwar suchte ihn Friedrich Wilhelm wieder zu begütigen. Aber P. beharrte auf seinem Gesuch. Am 14. December wurde ihm stattgegeben.

Von jetzt ab blieb P. entschieden liberal. Bis 1852 vertrat er noch den Wahlkreis Potsdam, von 1852–1863 entsandte ihn der Wahlkreis Königsberg in der Neumark erst in die 2. Kammer, später in das Abgeordnetenhaus. Daneben war er 1850 Mitglied des Erfurter Staatenhauses, indem er eine hervorragende Rolle als Wortführer der Bahnhofsspartei und Vorkämpfer der Unionspolitik spielte. Er brachte die Unionsverfassung nach Mathy’s Vorschlägen in feste Sätze. Als Berichterstatter des Verfassungsausschusses hielt er am 17. April eine groß angelegte Rede. Er erfreute sich damals einer [763] ziemlichen Volksthümlichkeit. Im October 1850 wurde er in Berlin als Candidat für den Posten des Oberbürgermeisters aufgestellt, doch hintertrieb die Regierung die Wahl. Die Berliner bewahrten ihm aber ihre Gunst. Bei den Wahlen im October 1855 wurde er von ihnen doppelt gewählt; indeß behielt er sein Mandat für Königsberg bei. Seine parlamentarische Beredsamkeit scheint nicht sehr fesselnd gewesen zu sein. Denn sie rief nicht nur zu verschiedenen Zeiten (so 1849 und 1860) Bismarck’s zum Theil köstlichen Spott hervor, sondern weckte auch auf liberaler Seite Sarkasmus. Gelegentlich nahm er zu den Tagesfragen publicistisch Stellung. So ließ er 1850 eine Flugschrift zur Beleuchtung der auf der Zollconferenz in Kassel vorgeschlagenen Zolltarifsveränderungen erscheinen und in demselben Jahre eine umfangreichere Abhandlung über die Grundsteuerausgleichung in Preußen (beide Schriften in Berlin bei Decker).

Nachdem er am 4. August 1846 seine erste Gattin durch den Tod verloren hatte, schritt er am 20. October 1853 zu einer zweiten Ehe, indem er sich mit der am 5. Januar 1817 geborenen Freiin Ida v. Günderode, der Tochter des Schöffen und Senators v. G. in Frankfurt a. M. verband, einer Dame, die wie seine erste Frau von großem gesellschaftlichen Ehrgeiz erfüllt war. Durch diese Heirath trat er in enge Beziehungen zu dem Frankfurter Patricierthum, was einen äußeren Ausdruck dadurch fand, daß er im J. 1855 in die adelige Ganerbschaft des Hauses Alten-Limpurg zu Frankfurt aufgenommen wurde.

Im Landtage übte er namentlich in den Jahren 1851 und 1852 eine scharfe Kritik an der Manteuffel’schen Verwaltung. Er warf dem Ministerpräsidenten im April 1851 vor, er habe Gesetze erlassen in der bestimmten Absicht, sie nicht auszuführen. In der Periode von 1852–1855 stand er an der Spitze der nach ihm genannten, etwa 40 Mitglieder zählenden Fraction der liberalen Partei; 1855 ging in dieser Fraction auch die Georg’s v. Vincke auf. Doch war sie trotz dieser Verschmelzung auf 32 Mitglieder herabgesunken. Hervorragend betheiligte P. sich an der Berathung der Gesetze, durch die die Bank unbeschränkten Notenumlauf gewährt erhielt. Er hat den noch lange nachher von Rudolf Delbrück hoch gepriesenen Bericht verfaßt, auf Grund dessen das Abgeordnetenhaus jenen Gesetzen zustimmte. Seine doctrinäre liberale Gesinnung bekundete er noch am 19. März 1857 durch eine scharfe Rede gegen die dreijährige Dienstzeit, in der er auch sonst schroff gegen die Erhöhung des Militärbudgets Stellung nahm. Er erblickte in dieser eine „betrübende“ Erscheinung. Triumphirend verzeichnete Varnhagen dieses Auftreten des ehemaligen Ministers.

Es muß Wunder nehmen, daß der Prinz von Preußen gerade einen solchen Mann wie P. kaum anderthalb Jahre nach diesen einer Militärreform absolut feindlichen Erklärungen wieder auf einen leitenden, ja fast den wichtigsten Posten berief. Gerade P. war nach seiner Vergangenheit sachlich und persönlich ganz und gar nicht geeignet, in der neuen Zeit seinen Mann zu stehen. Noch eben hatte er bei den Vorbereitungen zu den Wahlen auch dem damals noch sehr für ihn eingenommenen Liberalen Theodor Bernhardi eine entmuthigende Probe seiner Schlaffheit gegeben. Nun ist es allerdings durch ein Schreiben des Regenten aus dem November 1858 an die Königin Elisabeth und eine Erklärung desselben gegen Bismarck im Januar 1859 einwandsfrei beglaubigt, daß niemand anders als der hochconservative General Edwin v. Manteuffel dem Regenten gesagt hat, P. sei besser als sein Ruf, und daß dieses Wort den Ausschlag zu seiner Berufung auf den Posten des Finanzministers gab. Gelenkt war der Regent indeß auf P., gegen den [764] er zwar von 1848 eine Antipathie zu haben behauptete, dessen persönliche Eigenschaften aber doch viel Angenehmes für ihn gehabt haben müssen, schon vorher durch den Präsidenten der Seehandlung Otto Camphausen und durch Rudolf v. Auerswald. Der sonst so streng und treffend urtheilende General v. Manteuffel hatte, als er jene halbe Zustimmung aussprach, zweifellos eine schwache Minute; jener Ausspruch gab kaum seine ganze Meinung wieder. Er konnte durch seinen Vetter Otto und durch Leopold v. Gerlach nur gegen P. eingenommen sein. P. selbst hatte Bedenken gehabt, anzunehmen, weil der kranke König dadurch verstimmt werden könnte. Dieser bemerkte denn auch in der That die Ernennung Patow’s mit Befremden. Der Regent hatte, obwohl er in das finanzielle Geschick Patow’s großes Vertrauen setzte, instinctiv das Gefühl, daß er sich bei dieser Wahl vergriffen habe. Er verbrachte eine schlaflose Nacht deswegen und ahnte kommendes Unheil. Nur zu sehr trat das ein. P. ist derjenige Minister gewesen, der durch seine Halbheit die Militärreform in der unglaublichsten Weise verfuhr. Er konnte nach seiner Vergangenheit ja auch nur mit halbem Herzen bei den Ideen sein, deren Verwirklichung dem Regenten unerläßlich erschien. Durch jenes von P. am 5. Mai 1860 gesprochene unsinnige Wort vom Provisorium ist der Militärconflict geschaffen worden. Der alte General v. Gerlach erkannte noch in seinen letzten Lebensmonaten mit voller Klarheit, wie verhängnißvoll Patow’s Unentschiedenheit wirkte. Schon im Januar 1860 buchte er: „Die Opposition ist durch Patow’s Rede und durch das Warten großgezogen worden“, und im weiteren sah er sich genöthigt, immer wieder gerade anzuklagen.

P. selbst freilich fühlte sich einstweilen äußerst wohl in seiner neuen Stellung. „Ich finde P. wie verjüngt“, schreibt Bernhardi. „Er macht den Eindruck eines Mannes, der endlich in sein Element gekommen ist und sich ungemein wohl darin fühlt.“ Bald mußte der kluge Militärhistoriker indeß einsehen, daß P. eine ungeschickte Hand hatte. Ueber diese Erkenntniß täuschten nicht die glänzenden Festlichkeiten hinweg, die der Minister in seinem schönen Palais im Kastanienwäldchen veranstaltete und die das Entzücken aller Theilnehmer bildeten. Auch August Reichensperger konnte sich aus dem unklaren Verhalten Patow’s nicht vernehmen. Glücklich operirte dieser nur da, wo er seiner liberalen Grundanschauung freien Lauf lassen konnte. Namentlich in der Handelspolitik bewies er wieder jene Beweglichkeit und Freiheit des Geistes, die er besonders schon in der Mitte der vierziger Jahre gezeigt hatte. So rühmt der damals in der Stellung eines Ministerialdirectors wirkende Rudolf Delbrück, daß P. die handelspolitischen Fragen nach ihrer Bedeutung für das Gesammtinteresse des Landes und nicht wie sein Amtsvorgänger Bodelschwingh lediglich nach ihrer unmittelbaren Wirkung auf die Staatseinnahmen beurtheilt habe. Sein Hauptverdienst war die Durchsetzung der Grundsteuergesetze. Er unterstützte ferner Delbrück’s Bestreben, das wirthschaftliche Leben von allerlei Fesseln zu befreien, die nicht mehr zeitgemäß waren. Patow’s freihändlerische Richtung war aber im Laufe der Zeit recht doctrinär geworden. Einen Beweis geistiger Elasticität gab er gelegentlich dadurch, daß er sich ohne Bedenken bereit erklärte, die Verantwortlichkeit für die zur Vorbereitung der Mission nach Ostasien im J. 1859 erforderlichen Geldbewilligungen ohne vorgängige Genehmigung des Landtags zu übernehmen. Zwecks fester Uebernahme der bei der Mobilmachung im J. 1859 erforderlichen Anleihe von 30 Millionen Thalern veranlaßte P. seinen Freund Hansemann zur Gründung des sog. „Preußen-Consortiums’“, das während einer langen Reihe von Jahren bei Ausgabe von preußischen und Reichsanleihen mitgewirkt hat.

[765] Wegen seiner Haltung in der Heeresfrage wurde unter seinen Collegen Roon mit der Zeit immer aufgebrachter auf ihn. Als Bernhardi einmal eine Angelegenheit ins rechte Geleis bringen und deswegen mit P. sprechen wollte, äußerte Roon: „Ach Gott! rechnen Sie darauf nicht! – das ist ein wogendes Gewässer – das steigt und fällt! – das ist heute so und in acht Tagen anders“! Erbittert sprach der Kriegsminister gelegentlich zu Bismarck von dem Joche des Parlamentarismus und der Republik und der Präsidentschaft P., dem Preußen entgegenschwanke. Schon im Januar 1862 merkte P. beim Könige eine große Verstimmung und hielt sich für verabschiedet. Eine neue Ungeschicklichkeit beging er im Februar bei der parlamentarischen Behandlung der Frage der Anerkennung Italiens. Ende Februar erklärte der Minister des Auswärtigen Graf Bernstorff gegen Vertraute, daß Patow’s längeres Verbleiben im Ministerium nicht angängig wäre. Wenige Tage darauf reichte das ganze Ministerium seine Entlassung ein. Bernhardi wunderte sich, daß P. gleichzeitig so „ungemein heiter drein schaute“. Das Ergebniß der Krisis war, daß P. am 19. März mit seinem Freunde Graf Schwerin-Putzar und den übrigen liberalen Ministern ausschied. Patow’s politische Vergangenheit, die seinen Eintritt ins Ministerium von vornherein hätte verhindern müssen, und der feste Wille Wilhelm’s I. gaben den Ausschlag. Hinein spielte Patow’s Abneigung gegen Bethmann-Hollweg’s Schulgesetzentwurf. Roon äußerte wenige Tage nach der Entscheidung zu Bernhardi: „Der Herr (König Wilhelm) habe gewisse Ansichten, über die er nicht hinaus ginge. Denen hätten die ausgeschiedenen Minister sich nicht fügen können; wenn Bernhardi die Antecedentien des Herrn v. P. hätte, könnte er das auch nicht“.

So trat P. einstweilen vom politischen Leben zurück. Bald wurde er auch nicht mehr in den Landtag gewählt. Den Krieg gegen Oesterreich beklagte er tief und bezeichnete ihn als ein frivoles Unternehmen. Doch gelang es ihm 1866 wieder ein Landtagsmandat zu erlangen. Zwar hatte er sich das Vertrauen der neumärkischen Wähler in Königsberg und Soldin, das er so lange besessen hatte, endgültig verscherzt. Dafür wurde er jetzt in Elberfeld-Barmen gewählt. Als es sich nach Beendigung des Kriegs von 1866 um die Uebernahme der neuerworbenen Landestheile handelte, schien Bismarck die geschmeidige Persönlichkeit Patow’s brauchbar. Er bestellte ihn daher am 19. August zum Civilgouverneur der Gebiete von Frankfurt, Oberhessen und Nassau. P. hatte dabei den hochconservativen Gustav v. Diest als Civilcommissar unter sich, mit dem er in allerhand Mißhelligkeiten gerieth. Aber auch mit dem General v. Goeben scheint er nicht besonders harmonische Verhandlungen gehabt zu haben. Bei der Wahl im J. 1867 mußte er sich wieder einen neuen Wahlkreis suchen. Diesmal entsandte ihn der Kreis Kreuznach-Simmern. Im J. 1869 sah er sich veranlaßt, sein Mandat niederzulegen. Dem Zollparlament gehörte er an. In den Jahren 1871–1873 vertrat er den Wahlkreis Ueckermünde-Usedom-Wollin im Reichstage. Bei dem großen Pairsschub aus Anlaß der Verwerfung der Kreisordnung am 5. December 1872 gelangte er ins Herrenhaus. Gerade bei dieser Sache durfte sich Wilhelm I., der ihm immer Wohlwollen bewahrt hatte, seiner erinnern. Denn nirgends konnte er Patow’s Unterstützung so sicher sein, als bei dieser ganz im Geiste der früheren Patow’schen Gesetzentwürfe gehaltenen Vorlage. Im Jahre darauf ernannte der König P. wieder zum Oberpräsidenten und zwar von Sachsen. Dort war P. Bismarck nicht bequem. Denn bei der Krisis im August 1877 verlangte er Patow’s Verabschiedung. Doch hielt sich dieser noch bis zum Jahre 1881, wo ein Conflict mit der Regierung von Merseburg, an deren Spitze damals Gustav v. Diest stand, wegen der Nichtwiederwahl des [766] Hallischen Oberbürgermeisters v. Voß seinen Abgang herbeiführte, indem der Minister des Jnnern ihm Unrecht gab.

Neben seiner politischen Thätigkeit entfaltete P. eine rege humanitäre Wirksamkeit. Schon in den vierziger Jahren stand er an der Spitze eines Vereins für die arbeitenden Classen. Später trat er der Königin Augusta auf diesem Felde nahe, so daß Roon seinen Einfluß auf diese zu fürchten begann. Bei dem Nothstand in Ostpreußen im J. 1867 übertrug der Kronprinz Friedrich Wilhelm P. das Amt des Vorsitzenden in dem damals gegründeten Hülfsverein, der anderthalb Jahre in Thätigkeit blieb. Sehr in die Oeffentlichkeit trat P. ferner als Präsident des Centralvereins für die Errichtung eines Steindenkmals bei Nassau. Der Verein bildete sich im April 1858. Enthüllt wurde das Denkmal am 9. Juli 1872. In seiner amtslosen Zeit und auch sonst lebte P. viel auf seinem Gute Zinnitz im Kreise Kalau. Ein anderes ihm dort gehöriges Gut war Groß-Mehsso. Am 5. Januar 1890 ist er nach längerer Krankheit in Berlin 85jährig gestorben. Sein einziges Kind, eine aus erster Ehe stammende Tochter Hedwig (geboren am 14. Dec. 1842), die am 1. Februar 1870 den Gesandten Robert v. Keudell geheirathet hatte, war bereits am 3. April 1882 gestorben.

P. ist ohne Frage ein hochbegabter, mit angenehmen persönlichen Eigenschaften ausgerüsteter Beamter, ein vornehmer Gentleman und ein warmer Patriot gewesen. Zum Staatsmann fehlte ihm die nöthige Mischung Eisen.

Hermann Wagener, Staats u. Gesellschaftslexikon, Artikel Patow (offenbar von einem genauen Bekannten Patow’s verfaßt). – Rudolf Delbrück’s Lebenserinnerungen. – Stenographische Berichte der zweiten preußischen Kammer, des Erfurter Staatenhauses, des preußischen Abgeordnetenhauses u. s. w. – Taschenbuch der freiherrlichen Häuser. – Denkwürdigkeiten Leopold’s v. Gerlach (zum Theil ungedruckt) und Albrecht’s v. Roon. – Varnhagen’s, Ludwig Gerlach’s und Bernhardi’s Tagebücher. – Alex. Bergengrün, David Hansemann. Berlin 1901. – Treitschke, Deutsche Geschichte V. – Anna Caspary, Ludolf Camphausen’s Leben. Stuttgart 1902. – Wolff’s Revolutionschronik. Band III. Berlin 1854. – (Goetze), Unsere Eltern. Wernigerode 1895. S. 239. – Briefe eines preußischen Officiers aus dem Jahre 1848. Deutsche Rundschau. Band 27 (1881). – Knapp, Bauernbefreiung. – Poschinger, Unter Friedrich Wilhelm IV. – Poschinger, Bismarck u. die Parlamentarier. – Haym, Duncker. – Freytag, Mathy. – v. Gruner, Rückblick auf mein Leben. Deutsche Revue, Juni 1901. – G. v. Diest, Aus dem Leben eines Glücklichen. Berlin 1904. – Zernin, Goeben II, 31. – Bismarckjahrbuch III, 420, 424; VI, 17. – Bismarck’s Briefe an seine Gattin. – Keudell, Fürst u. Fürstin Bismarck. – Moltke’s Briefe an seine Frau. – Egloffstein, Wilhelm I. u. Orlich. Berlin 1904. S. 87. – Ludwig Pastor, August Reichensperger.