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ADB:Ott, Konrad

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Artikel „Ott, Konrad“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 556–558, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ott,_Konrad&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 10:55 Uhr UTC)
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Ott: Konrad, Historiker in Zürich, † am 13. December 1843. – O., der Sohn eines vielseitig gebildeten, für litterarische und künstlerische Zwecke verdienstlich thätigen Kaufmanns in Zürich, J. Konrad O. († 1872), wurde am 9. Februar 1814 geboren. Geistig reich beanlagt, entwickelte er sich unter der sorgsamen Pflege der Eltern und dem anregenden Einflusse seines mütterlichen Großvaters, des zürcherischen[WS 1] Staatsrathes und nachmals Bürgermeisters Paul Usteri († 1831, s. unten), ungewöhnlich rasch und zeigte sich frühe schon seinen Mitschülern, obwohl jünger als die meisten derselben, an Wissen und Selbständigkeit des Denkens und Willens überlegen. 1833 trat er als Studirender an die damals eröffnete Hochschule Zürich über, deren Stiftung ihn begeisterte. Hier wandte er sich den Fächern der Philologie, Philosophie und Geschichte zu. Die Geschichtschreiber der Alten wurden der Gegenstand seines eifrigsten Studiums und seiner Bewunderung. Ueber die Aufgabe des Geschichtschreibers und ihre Bedeutung hielt er im Kreise der Studirenden einen gedankenreichen beredten Vortrag. Aber auch die Gegenwart und insbesondere die politische Entwicklung der Schweiz fesselten seine Aufmerksamkeit. Die Unterhaltungen darüber, denen er schon als Knabe im Hause seines Großvaters lauschen durfte, die bedeutende, einflußreiche Stellung des Letzteren in den zürcherischen[WS 2] Räthen und weitern eidgenössischen Kreisen, lenkten Ott’s Blicke frühe schon auch auf dieses Gebiet und mußten ihn mit dem Verlangen erfüllen, sich dereinst im Sinne Usteri’s am politischen Leben der Heimath zu betheiligen. 1835 veröffentlichte er eine erste litterarische Arbeit, eine „Biographie Paul Usteri’s“, die seiner pietätvollen Erinnerung an den Verstorbenen Ausdruck gab, zugleich aber auch bestimmt war, seine Anschauungen über die künstlerische Aufgabe des darstellenden Historikers durch die That zu zeigen. Die Bedeutung der neueren Geschichte und Litteraturen, ihrer Entwicklungen und der Vorgänge in den großen Mittelpunkten des Lebens der Gegenwart trat O., der sich auch in den modernen Sprachen ungewöhnliche Kenntnisse erworben hatte, mehr und mehr entgegen. Diesen Gebieten galt sein aufmerksames Studium immer ernster und zu dessen Behuf wandte er sich 1835 zu längerem Aufenthalt nach Paris. Dahin zogen ihn der Wunsch nach unmittelbarer Anschauung des geistigen, politischen und gesellschaftlichen Lebens der Hauptstadt an der Seine und manche persönliche Anknüpfungspunkte, wie u. a. die Förderung, die er sich von Usteri’s vieljährigem, vertrauten Freunde, dem greisen Stapfer, versprechen durfte. Im lehrreichen Verkehre mit Stapfer, Lacretelle, Lerminier, Mignet und andern angesehenen Männern brachte O. zwei Jahre in der französischen Metropole zu, deren historische Monumente, deren künstlerische und litterarische Sammlungen er sah, deren öffentliches Leben, insbesondere auch in den parlamentarischen Vorgängen, er aufmerksam verfolgte. Unter der Fülle von Anschauungen und Gedanken, die ihm zuströmten, suchte er aber auch des eigenen Zieles sich zu versichern, wurde desselben immer klarer und fester bewußt und begann, sich für den erwählten Beruf der Geschichtschreibung das Arbeitsfeld bestimmter abzustecken und zu begrenzen. Entschlossen, sich der neueren Geschichte zu widmen, entwarf er den Plan und verlor ihn nicht mehr aus den Augen, als ein in sich abgeschlossenes Thema aus derselben die Geschichte der letzten „Hundert Tage“ des Kaiserreiches zu schreiben. Emsig sammelte er was ihm nicht nur in gedruckten oder handschriftlichen Quellen hierüber zugänglich war, sondern ganz vorzüglich auch was er aus mündlicher Mittheilung noch lebender einstiger Zeugen der Vorgänge oder ihrer unmittelbaren Nachfolger erfahren konnte. Daneben machte er sich mit der gesammten französischen Litteratur seit der Revolutionszeit gründlichst bekannt, – Studien, aus denen bemerkenswerthe Kritiken französischer Werke in Brockhaus’ Blättern für litterarische Unterhaltung hervorgingen – und übertrug, [557] mit eigenen Zusätzen, L. v. Sinner’s „Leben und Schriften von Diamant Corai“ in’s Deutsche (Zürich 1837). Mitten unter diesen Beschäftigungen erhielt O. unerwartet die Aufforderung zu praktischer Betheiligung an der schweizerischen Politik, in einer an ihn gelangenden Einladung, die erledigte Redaction der Neuen Zürcher Zeitung zu übernehmen. Das Blatt, einst von seinem Großvater geleitet, war das einflußreiche, weitverbreitete Organ der „liberalen“ Partei, die unter Usteri’s Vorgang und Namen 1830 an Zürich’s Spitze getreten war, der damaligen Umgestaltung der Staatsverfassung, der großartigen Entwicklung des öffentlichen Unterrichtswesens vorgestanden hatte und, obwohl in Vielem über die Ideen und Ziele ihres ursprünglichen Hauptes weit hinausgeschritten und hinausstrebend, dennoch die Eigenschaft seiner Nachfolge beanspruchte. O. hielt es für Pflicht, dem an ihn ergangenen Rufe seine weiteren Studien- und Reisepläne zu opfern. Er trat Mitte 1837 die ihm gewordene Aufgabe mit Entschlossenheit, Geist und Geschick an. In würdiger Haltung verfocht er von da an in der Neuen Zürcher Zeitung, die 1842 zu einem täglichen Blatte erweitert wurde, die Grundsätze und Anschauungen des gemäßigten schweizerischen Liberalismus, dessen Organ dasselbe zu sein bestimmt war, und übernahm 1840 auch die regelmäßige schweizerische Correspondenz in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, die einst, Jahre hindurch, seines Großvaters vertraglich ausschließliches Recht gewesen war. Mit diesem publicistischen Berufe verband O. aber auch den ihn noch mehr beschäftigenden und ihm theuren des akademischen Lehrers, indem er zu Ostern 1838 sich an der Hochschule Zürich als Docent der Geschichte habilitirte und besuchte Vorträge über neuere Geschichte Frankreichs, über die Helvetische Republik, die schweizerische Litteratur des achtzehnten Jahrhunderts, auch über die Geschichte der schweizerischen Politik hielt. Für historische Zwecke war er zugleich als Secretär der 1840 gegründeten allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz, für litterarische bei der Pflege des zürcherischen Museums thätig, dessen Mitbegründer und langjähriger Vorsteher sein Vater war. Diese Anstalt verdankte u. a. O. die Anregung zu ihrer Jubelfeier der Buchdruckerkunst, aus welcher 1840 eine schöne Denkschrift, betreffend „die zürcherische Litteratur“ hervorging. Die publicistische Laufbahn von O. fiel indessen in Jahre, die für Zürich und die Schweiz ungewöhnlich ereignißvoll waren. In Zürich führte die Berufung von D. Fr. Strauß zu einer theologischen Professur an der Hochschule eine Erschütterung des Gemeinwesens herbei, deren tiefe Nachwirkungen Jahrzehnte lang spürbar blieben. In der katholischen Schweiz gingen aus dem Gegensatz religiös-politischer Parteien blutige Wirren im Aargau und im Wallis, die Aufhebung der Aargauischen Klöster, der Sonderbund von sieben Kantonen und die Berufung der Jesuiten nach Luzern hervor, – Vorbereitungen des inneren schweizerischen Krieges, dem die Umgestaltung der Eidgenossenschaft 1847 folgte. Natürlich konnten für O. und sein Blatt ernste sachliche Kämpfe und für ihn und auch für manche seiner einstigen Jugendfreunde persönlich schwere Entschlüsse und Trennungen nicht ausbleiben. Mochte man aber auch mit seinen Anschauungen nicht sympathisiren, in seiner Art und Ausdrucksweise Einfachheit und Natürlichkeit oft vermissen, seiner Einsicht, Gesinnung und Haltung konnte man aufrichtige Achtung niemals versagen. Eine amtliche Bethätigung an den öffentlichen Geschäften, zu welcher er bei gewöhnlichem Lauf der Dinge unzweifelhaft gelangt wäre, versagten ihm die Ereignisse. Um so mehr Befriedigung fand O. im akademischen Wirkungskreise, glücklich darüber, daß gemeinsame Unterstützung durch die Führer beider kämpfenden Parteien die zürcherische Hochschule für die er stets lebhaft einstand, unversehrt aufrecht erhielt. Am meisten aber fühlte er sich glücklich, endlich, nach Abschluß aller Vorarbeiten, dem Werke sich widmen zu können, mit dem er sich seit so manchem Jahre trug. [558] In den Jahren 1840–1843 schrieb er seine: „Geschichte der letzten Kämpfe Napoleons. Revolution und Restauration“ (2 Bde. Leipzig 1841–1843). Schon hatte ihn zwar ein schweres körperliches Leiden, Folge seines rastlosen Fleißes, seit längerer Zeit ergriffen, machte unaufhaltsame Fortschritte und untergrub seine Kräfte. Mit bewundernswerther Willensstärke aber verwandte er dieselben dennoch bis zur letzten Anstrengung auf die Vollendung des Buches, das von seinem Beruf zur Geschichtschreibung vollgültiges Zeugniß ablegen sollte. Noch war ihm die wehmüthige Freude vergönnt, den letzten Druckbogen desselben vollendet vor sich zu sehen; die beabsichtigte Vorrede vermochte er nicht mehr zu schreiben. Das Werk, dem die verdiente ehrenvolle Anerkennung zu theil ward, bleibt das schöne Denkmal der kurzen, aber rühmlichen Laufbahn des Verfassers und der vielversprechenden Hoffnungen, die mit dem frühen Hinschiede des neunundzwanzigjährigen jungen Mannes für seine trauernden Eltern und Freunde erloschen. Fesselnd geschrieben, klar, übersichtlich, gewissenhaft, von getragener Haltung macht das Buch übrigens einen eigenthümlichen Eindruck. Wie es der Gegenstand und der Bildungsgang des Verfassers mit sich brachten, ist der Blick des Letzteren, ist auch seine Sympathie, bei aller Objectivität der Darstellung, nur Frankreich zugewandt. Nicht sowol mit dessen gewaltigem Führer, der in den „Hundert Tagen“ mit den Fesseln rang, welche Rücksicht auf die Nation und deren parlamentarische Vertreter ihm auferlegten, fühlt O., als vielmehr mit diesen Letztern. Der Erhebung Deutschlands gegen seinen Bedränger steht er unberührt, der Sache der Alliirten kalt gegenüber. Und doch ist, abgesehen von dieser politischen Stellungnahme, nicht allein in der Sprache, sondern in der Denkweise des Verfassers das deutsche Gepräge seines bedeutenden Geistes nicht zu verkennen und schimmert auch ein Einfluß der deutschen Historiographie, wie sie zur Zeit von Ott’s Studienarbeiten in Ranke’s Werken bereits vertreten war, in der Anlage und Ausführung des großen Gemäldes, das O. entwirft, deutlich durch. Unwillkürlich bleibt der Blick des Lesers auf das Räthselhafte gerichtet, das in diesem Gegensatze liegt. –

Quellen: Honegger, Dr. J. Konrad Ott, eine biogr. Skizze. Glarus 1844. (Aus den Verhandlgn. der schweiz. gemeinn. Gesellschaft besonders abgedr.) – Schweizer, Dr. Hch., Privatd. Einige Worte bei der Todtenfeier des sel. Herrn Conrad Ott. Zürich 1842. – Nekrolog auf Herrn Conrad Ott in der Neuen Zürcher Zeitung, Dec. 1842. – Die im Texte genannten Schriften von O. (Die Biographie von Bgmstr. Usteri in den Verhandlgn. der schweiz. gemeinn. Gesellschaft 1835). Persönliche Erinnerung. –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zücherischen
  2. Vorlage: zücherischen