ADB:Ortenburg, Joachim Graf von
O. (Wappen: Aestiger silberner Schrägbalken in Roth; auf dem Helm bald ein Flug, bald ein Köcher, wie der Schild bemalt) gilt Friedrich aus dem Grafengeschlecht von Sponheim oder Spanheim im Hunsrück, dessen Bruder Hartwich 991 zum Erzbischof von Salzburg erhoben wurde. Festbegründet ist die Annahme des Zusammenhanges mit dem pfälzischen Hause nicht, aber ebensowenig die Behauptung Huschberg’s, daß Ahnen der O. schon unter den Gaugrafen des Rotachgau’s zwischen Inn und Donau nachzuweisen seien (Riezler, Gesch. Baierns, I, S. 869). Friedrich gelangte durch Vermählung mit Richiza, der Tochter Herzog Heinrichs II. von Kärnthen, zu großem Grundbesitz in jenem Herzogthum. Sein Sohn Engelbert II., um das Jahr 1080 mit Hedwig, der Tochter Herzog Heinrichs III. von Kärnthen, vermählt, wurde Pfalzgraf von Krainburg und Markgraf von Istrien; er ist der Erbauer der Burg Ortenburg in Kärnthen. Sein Sohn Heinrich, dessen Bruder Hartwich Bischof von Regensburg war, wurde 1127 zum Herzog von Kärnthen erhoben; nach seinem Tode (1130) folgte ihm im Herzogsamt sein jüngster Bruder Engelbert III. Die Söhne des ersten Herzogs von Kärnthen aus ortenburgischem Hause wurden die Stifter einer kärnthnischen und einer bairischen Linie. Der Erstgeborene Ulrich und seine Nachkommen waren im Besitz der herzoglichen Würde und der Grafschaft Ortenburg in Kärnthen. Die Herzogswürde ging aber schon 1269 an Ottokar von Böhmen verloren. Die Grafschaft wurde nach dem Erlöschen der Linie 1421 als heimgefallenes Lehen von Oesterreich eingezogen und trotz des Protestes der bairischen Agnaten an das Haus Cilli verliehen. Die jüngeren Söhne Engilberts III., Engilbert IV. und Rapoto wandten sich nach Baiern, wo sie als Erbe ihrer Großmutter Adelheid von Frontenhausen um Kraiburg am Inn und um Marquartstein im Süden und Westen des Chiemsee’s Besitzungen hatten. Engilbert IV., der als Markgraf von Kraiburg, von Marquartstein und von Büren urkundlich auftritt, vermählte sich mit Mathilde, [439] Tochter des Grafen Berengar von Sulzbach, und erbte nach ihrem Tode einen großen Theil der Sulzbachischen Güter. Nach seinem Tode fiel der gesammte Besitz in Baiern an seinen jüngeren Bruder Rapoto. Dieser, ebenfalls mit einer Sulzbacherin, Elisabeth, Tochter Graf Gebhards von Sulzbach, vermählt, erbaute die Burg Ortenburg in der Nähe von Vilshofen. Daß die Familie O. den ältesten bairischen Dynastengeschlechtern gleichgeachtet wurde, beweist die Uebertragung der durch die Aechtung Otto’s von Wittelsbach erledigten Pfalzgrafenwürde an Rapoto II. (1209), der selbst durch Heirath mit Mechtild, einer Tochter Herzog Otto’s I., mit dem wittelsbachischen Hause verwandt war. In den nächsten Jahrzehnten waren die bairischen Ortenburger häufig in gefährliche Fehden mit den Herzögen von Oesterreich, den Bischöfen von Passau und den Grafen von Bogen verwickelt, aber der Güterbesitz der Familie wuchs durch Heirathen, Kauf und Tausch immer beträchtlicher an; von den vier Erzämtern, womit sich der herzogliche Hof nach dem Muster des königlichen umgab, hatten Mitglieder der Familie sowohl das Truchsessen- als das Marschalkamt inne. Zu großem Reichthum gelangte insbesondere Ezelin, der mit Isabella von Baiern nach Frankreich zog und, von König Karl II. zum Kämmerer ernannt, gleich dem Bruder der Königin, Ludwig im Bart, einen ganzen Schatz von werthvollen Kleinodien erwarb. Auch der erste Obristkämmerer am Münchener Hof war ein O.; 1514 wurde durch die bairische Landschaft der fürstliche Rath Graf Christof von O. verordnet, „auf beider Fürsten (Wilhelm und Ludwig) Leib zu warten und ein Oberer zu sein derer, so zu Irer Gnaden Leib verordnet sind“. Graf Christof, der sich Abrundung seiner Grafschaft besonders eifrig angelegen sein ließ, starb 1551. Nach einem seit Jahrhunderten eingebürgerten Brauch hätte nun die Grafschaft an den Aeltesten des Hauses, den kaiserlichen Rath Grafen Sebastian v. O., übergehen sollen, allein dieser verzichtete zu Gunsten von Christof’s Sohn, Joachim, der demnach, erst im 21. Lebensjahre stehend, die Regierung übernahm. Er hatte auf der Hochschule zu Ingolstadt studirt und sich im Lateinischen und Italienischen so vervollkommnet, daß er beide Sprachen „völlig rein und zierlich“ sprechen und schreiben konnte, war dann 1545 nach Italien gegangen und erst nach dem Tode des Vaters in die Heimath zurückgekehrt. Schon der Vater war mit den bairischen Herzogen in Streit gerathen; die Herzoge beanspruchten das Recht, Steuern Für die Grafschaft auszuschreiben, sowie ein gewisses Aufsichtsrecht, Graf Christof und nach ihm sein Sohn Joachim vertheidigten energisch die Reichsunmittelbarkeit ihres Territoriums in vollem Umfange. Der Streit wurde verschärft, als Joachim 1563 zur evangelischen Lehre übertrat und in seiner Grafschaft die Reformation einführte. Am 17. October 1563 hielt der lutherische Prediger Johann Friedrich Coelestin die erste lutherische Predigt in der Marienkirche zu Ortenburg; durch ein offenes Patent, „gegeben auf unserm Schloß Alten-Ortenburg, 25. Oktober 1563“ machte Joachim allen Ständen des Reichs seinen Religionswechsel kund. „Ich will aus schuldigem Dank meine Unterthanen eines gleichen Lichtes theilhaftig machen und dem lieben Herrn Jesu Christo in meiner armen geringen, des Heiligen Reichs erbfreien Grafschaft ein Türlein öffnen und Oertlein gönnen, darin er mit seinem Evangelio einziehen, hausen und herbergen mög.“ Dieses Patent des Ortenburgers wurde von Herzog Albrecht V. als eine förmliche Herausforderung betrachtet. Ueberdies fanden die lutherischen Predigten in Ortenburg solchen Zulauf, daß darin eine ernste Gefahr für die Erhaltung des alten Glaubens im bairischen Herzogthum erblickt wurde. Joachim wurde also nach München vorgeladen und leistete auch willig Folge. Als ihm aber Kanzler Eck eröffnete, der Herzog könne und wolle kein anderes Bekenntniß als das alte in seinem Herzogthum dulden und ebensowenig eine Reichsunmittelbarkeit [440] der Grafschaft Ortenburg anerkennen, erhoben Joachim und seine Beiständer gegen solche Auffassung energischen Protest. Er sei, erklärte er, nur in seiner Eigenschaft als Landsasse dem Rufe des Herzogs gefolgt, als Reichsgraf aber sei er dem Herzog keine Rechenschaft schuldig und hoffe also nicht weiter behelligt zu werden. Herzog Albrecht wagte auch nicht, den Grafen in München festzuhalten, ließ aber das gräfliche Gebiet durch Reiter und Hackenschützen absperren, um jeden Verkehr mit den bairischen Unterthanen zu verhindern. Bald ging er noch einen Schritt weiter; er versuchte durch offene Gewalt den Widerstand Joachims zu brechen, um „die eiternde Pestbeule im Körper der bairischen Lande um jeden Preis auszuschneiden“. Die Grafschaft wurde trotz des Protestes Joachim’s durch bairische Mannschaft besetzt und die Oeffnung der Schlösser Alten- und Neuortenburg erzwungen. Nun eilte Graf Joachim nach Speier, um sich des Beistandes der dort versammelten Reichsstände gegen den übermächtigen Gegner zu versichern; er vertrat seine Sache mit ebensoviel Geschick wie Entschlossenheit vor Kaiser und Reich. Allein auch der Herzog hatte inzwischen eine Waffe gefunden, welche sich trefflich wider den Gegner gebrauchen ließ. Nach Einnahme der Burg Mattigkofen stießen die Baiern auf eine Anzahl Briefe des Grafen mit verschiedenen Gesinnungsgenossen in Baiern. Diese wurden sofort wegen Hochverraths in nothpeinliche Untersuchung gezogen. Umsonst verwahrte sich die Gattin Joachim’s, Gräfin Ursula, unmittelbar bei Herzog Albrecht gegen den Vorwurf, als habe sie sich nicht immer gegen den Herzog „aller schuldigen Gebühr als ein ehrliebende arme Gräfin zu verhalten sonderbar beflißen und nicht ungehorsamen Trutz und Hitzigkeit, sondern nur geduldiges Befremden geäußert“, vergeblich forderten die Verwandten Rückgabe der sequestrirten Güter und Nutzungen. Lange Zeit war auch Kaiser Maximilian, der warmen Antheil am Schicksal des Vertriebenen nahm, vergeblich bemüht, den Herzog zu versöhnen. Erst durch einen Vertrag vom 10. Mai 1566 wurde wenigstens ein provisorischer Vergleich zu Stande gebracht. Der Graf erklärte, er habe weder Conspiration, noch Rebellion oder Sedition im Sinne getragen, und erhielt darauf seine Güter zurück. Vorläufig sollte auch ihm und seinen Unterthanen unbenommen sein, sich zur evangelischen Lehre zu bekennen; in der Frage der Reichsunmittelbarkeit sollte durch das Reichskammergericht Entscheidung gefällt werden. Im Jänner 1568 erschien Joachim wieder auf dem Landtag zu München, ließ jedoch behutsam ins Protokollbuch eintragen, daß er und seine Vettern nur ihrer in Baiern gelegenen Landgüter, nicht der Grafschaft wegen erschienen seien. Auch bei der Hochzeit des Prinzen Wilhelm mit Renata von Lothringen war Graf Joachim als Gast anwesend. Er selbst schritt nach dem Tode seiner Gattin, „um sein ehrlich Haus nit auslöschen zu lassen“, 1570 zu zweiter Ehe mit Lucia, Erbschenkin von Limburg, allein die Verbindung blieb kinderlos. Am 4. März 1573 erfolgte endlich das Urtheil des Reichskammergerichts, welches die Reichsunmittelbarkeit der Grafschaft anerkannte. Darauf wurde die Reformation im ortenburgischen Gebiet vollständig durchgeführt; dies führte aber bald wieder zu Streitigkeiten mit Baiern, und auf’s Neue wurde vom Herzog wie von Joachim an den Kaiser appellirt. Maximilian gab dem Herzog durch Urkunde vom 7. April 1574 mit Rücksicht auf die vielen beschwerlichen und langwierigen Handlungen und Irrungen, welche aus dem nachbarlichen Verhältniß erwuchsen, Exspectanz auf die Grafschaft für den Fall einer Erledigung, bestätigte aber andrerseits eine – wie Wiguläus Hundt bemerkt – „aus Anregung Grafen Joachims als eines verständigen Herren“ beschlossene Erbeinigung, wonach fortan alle Herrschaften und Güter nach dem Recht der Primogenitur bei dem männlichen Namen und Stamm erhalten bleiben sollten. Auch nach dem Tode Albrechts V. dauerten die Streitigkeiten mit Baiern fort; [441] Herzog Wilhelm V. war in Sachen der Religion nicht nachgiebiger als sein Vater, und weigerte sich, als im Auftrag des Kaisers die vier Kurfürsten von Mainz, Trier, Sachsen und Brandenburg die Klagpunkte untersucht und zu nämlichem Ergebniß wie das Reichskammergericht gelangt waren, das Urtheil anzuerkennen. „Graf Joachim von Orttenburg betreffend“, schrieb er am 2. October 1582 an seinen Obristhofmeister Ottheinrich Grafen v. Schwarzenberg, „hören wir gleichwol gern, das er sich die Pflicht zu thun erbeut und zum Creuz zu kriechen ains besser stellen soll, als vorher beschehen; yedoch geben wir dem noch kainen rechten Glauben, bis wir die Werch sehen. Nichts desto weniger wollest mit den andern Reten davon handlen, wie ime weiter ze thun oder die Sach ainest mit ime zur gueter Endschaft ze bringen sein wöll, sonderlich weil man pflegt zu sagen, daß das Eisen am besten zu schmieden, weil es noch warm, und sein Erbieten und Vorhaben noch neu ist.“ Der Herzog fuhr fort, Vorschriften zu geben und Forderungen zu erheben, welche Graf Joachim, wie er in einer Beschwerdeschrift vom 16. November 1588 erklärt, „Ehren-Gewissens und seiner dem hl. Reich verwandter Pflicht halber nit bewilligen“ konnte. Da ein glücklicher Ausgang der Unterhandlungen für den Schwächeren immer zweifelhafter wurde, kam Joachim auf den Gedanken, seine Besitzungen dem Herzog zum Kauf anzubieten. Das erste Angebot erschien dem Herzog „nit allein sehr hoch, sondern auch gar general, gemein, dunkel und ungewiß“, aber er ließ durch Graf Anton Fugger die Verhandlungen fortsetzen. Der Ortenburger wollte „für Alles und Jedes, darin auch die aufgehobenen Nutzungen begriffen sein sollen, unter 520.000 Gulden nit nehmen“; außerdem sollten die Grafen v. O. ihren Namen behalten, die ortenburgischen Unterthanen, welche sich nicht entschließen könnten, zum Katholicismus überzutreten, mit Hab und Gut auswandern dürfen. Auch ein Austausch der Grafschaft O. gegen die Herrschaft Dobritschau in Mähren wurde ins Auge gefaßt. Die Unterhandlungen zerschlugen sich jedoch, da dem Herzog die Bedingungen nicht annehmbar erschienen. Aufs Neue wurden Denkschriften und Proteste wegen der Landsasseneigenschaft der Ortenburger gewechselt. Graf Joachim erlebte den Ausgang des Stteites nicht mehr. Er starb in Nürnberg, wo er sich mit besonderer Vorliebe aufzuhalten pflegte, ohne einen Sieg seines Rechts erreicht zu haben. Am 23. April 1600 brachte der Pfleger von Vilshofen zur Anzeige, daß des Grafen v. Q. Leiche von Nürnberg nach Ortenburg durch herzogliches Gebiet gebracht werden sollte, worauf Herzog Maximilian die Landshuter Regierung anwies, dafür Sorge zu tragen, daß die Leiche „sine scandalo und ohne Geleit und sonst viel lutherisch Gepräng“ durch den Pflegbezirk geführt werde. Obwohl Joachim sein Leben lang in Händel und Ungemach verstrickt war, betrieb er gelehrte Studien mit großem Eifer und unterhielt insbesondere mit dem bekannten Freunde der Gelehrsamkeit und der Gelehrten, Pfalzgraf Johann von Zweibrücken, lebhaften Briefwechsel über wissenschaftliche Materien. Wigulaeus Hundt von Sulzenmoos rühmt in seinem „Stammenbuch“, daß er dem mit ihm befreundeten Grafen viele Aufschlüsse über die bairischen Geschlechter verdanke. Joachim selbst urtheilte bescheiden über sein Wissen. „Dann ich kein Graecus bin“, schrieb er an Hundt, „und nur ein schlechter Historicus, aber meine höchste Freid und Lust ist in Historien.“
Ortenburg: Joachim Graf v. O., Sohn des Grafen Christian v. O. und Anna’s v. Firmian, geb. am 6. Sept. 1530, † am 19. März 1600. Als Stammvater der noch heute im Mannesstamm blühenden Familie- Tangl, die Grafen v. O. in Kärnthen, im Archiv für österr. Gesch., 30. Bd., 203. – Huschberg, Gesch. des herzogl. u. gräfl. Gesammthauses O. – Handschr. der Münchner H. u. St.-Bibl., (Cod. germ. 2236, den Auflauf in der Grafschaft O. 1573 betr. – Acta an dem hochlöblichen keyserlichen Cammergericht in causis Gerichtshandlungen zwischen den wohlgebornen Herrn Joachim der eltern Graven zu Ortenburg etc. Clägern an einem und den [442] Durchleuchtigen Fürsten und Herren weiland Herrn Albrechten, jetzo Herrn Wilhelmen, Pfaltzgraven bey Rhein etc. Gedruckt im Jahr 1585. – Archivalisches Material im k. a. Reichsarchiv und im k. Kreisarchiv München.