ADB:Olearius, Johannes (Professor für griechische Sprache in Leipzig)
D. Gottfried O., war Pastor der Marienkirche und Superintendent in Halle; der Großvater Johann O., † 1623 (s. o. S. 278.), gleichfalls Superintendent daselbst, aus Wesel im Clevischen, war der Stammvater des in Obersachsen berühmt gewordenen Geschlechts. Am 5. Mai 1639 geboren, erhielt O. anfänglich Privatunterricht, machte das Gymnasium zu Halle durch, und studirte von 1657 an zu Leipzig Philosophie und Theologie. Er promovirte zum Baccalaureus der freien Künste, und habilitirte sich als Magister 1660 durch eine philosophische Disputation. Nachdem er hierauf auch die Universitäten Wittenberg und Jena besucht und die Bekanntschaft der damals berühmten Theologen, z. B. Calov, Quenstedt, Deutschmann, in Jena des Johann Gerhard und Musäus gemacht hatte, kehrte er Ende 1661 wieder nach Leipzig zurück. Hier hörte er theologische Vorlesungen, hielt aber gleichzeitig philologische und philosophische Vorlesungen, und erlangte durch Disputationen solchen Beifall, daß man ihm rieth, sich um eine Stelle in der philosophischen Facultät zu bewerben. Er that dies, und wurde 1663 Assessor der philosophischen Facultät. Von da an stieg er durch verschiedene Stufen akademischer Aemter und Würden hinauf bis zum ersten Professor der Theologie und Senior der Universität Leipzig: [281] 1665 erhielt er die Professur der griechischen Sprache, promovirte 1668 zum Licentiaten der Theologie, wurde 1677 zum ordentlichen Professor der Theologie ernannt, worauf er im folgenden Jahr zum Doctor der Theologie promovirte. Schon 1666 war er Collegiat des großen Fürstencollegiums geworden, 1683 wurde er Domherr zu Zeitz, achtmal bekleidete er das Rectorat der Universität. Im J. 1699 traf es sich, daß zwei Professoren der Theologie, Joh. Ben. Carpzov II. und Lehmann, rasch hintereinander starben, während der vierte, Thomas Ittig, die Doctorwürde noch nicht erworben hatte. So war denn O. der einzige Doctor, und creirte bei der Doctorpromotion im genannten Jahr nicht weniger als elf Doctoren auf einmal. Nachdem er ordentlicher Professor des Griechischen geworden, verehelichte er sich 1667 mit Anna Elisabeth Müller, Tochter des Professors der Mathematik in Leipzig. Aus dieser Ehe wurden ihm sechs Söhne und sechs Töchter geboren. Drei der Söhne sind ebenfalls Professoren in Leipzig geworden, einer in der theologischen, einer in der juristischen, der jüngste in der philosophischen Facultät. O. war sein Leben lang ein ungemein fleißiger Gelehrter, der nicht nur seine Vorlesungen regelmäßiger als mancher seiner Zeitgenossen zu halten pflegte, sondern auch in Programmen, Dissertationen und Büchern außerordentliches leistete. Seine frühesten Schriften sind, da er gegen zehn Jahre der philosophischen Facultät angehörte, logischen, psychologischen, metaphysischen, philologischen und historischen Inhalts. Seitdem er aber Licentiat der Theologie geworden, 1677 zum Professor der Theologie ernannt war, behandelte er theologische Gegenstände, indem er mit Vorliebe einzelne Bibelstellen auslegte, biblisch-theologisch, dogmatisch, ethisch erörterte. Es werden über hundert solcher Abhandlungen von ihm namhaft gemacht, die hier aufzuführen zwecklos sein würde. Nur einige seiner Schriften mögen hier Erwähnung finden. Seine Licentiatenarbeit vom Jahre 1668: „De stylo Novi Testamenti“ erschien bis zum Jahre 1721 in wiederholten, zum Theil vermehrten Auflagen, wurde auch von einem holländischen Gelehrten, Jak. Renferd, in sein Syntagma dissertationum de stylo N. T. 1701 aufgenommen. Seine 1699 erschienenen „Elementa hermeneutica sacrae“ waren einer der ersten Versuche, die Grundsätze der biblischen Auslegung aufzustellen; J. J. Rambach hat in den Institutiones hermeneutica S. dieses Büchlein mehrfach benützt. Beliebt als Grundlage für Disputationen über polemische Themen blieb an der Leipziger Universität geraume Zeit seine Schrift „Synopses controversiarum selectiorum cum hodiernis Pontificiis, Calvinistis etc.“, 1693, neue Auflage 1710. Theologische Gutachten, deren er Bände handschriftlich hinterließ, sind nie im Druck erschienen. – Was den Charakter und die Gesinnung dieses grundgelehrten und scharfsinnigen Mannes betrifft, so hielt er sich höchst maßvoll und verfuhr in einer polemisch gearteten Zeit stets besonnen und überlegt. Es war sein Anliegen, die Einigkeit, unbeschadet der Wahrheit, zu erhalten, beziehentlich wiederherzustellen. Er konnte es damit freilich nicht jedermann recht machen. Da er einen rechtschaffenen Christenwandel für ein Haupterforderniß eines Theologen hielt und bei jeder passenden Gelegenheit seine Zuhörer in diesem Sinn vermahnte, so läßt sich erwarten, daß er einem August Hermann Francke und dessen Freunden nicht feindlich entgegentrat. Im J. 1689 ertheilte O., als Rector der Universität, dem Magister Francke die Erlaubniß, in einem Saale der Universität seine stark besuchten Vorlesungen über paulinische Briefe zu halten, was ihm andererseits als allzugroße Begünstigung der „Pietisten“ verdacht wurde. Der Conflict verschärfte sich immer mehr. Nachdem Spener 1691 von Dresden verdrängt, nach Berlin berufen war, richtete der leidenschaftliche Gegner des Pietismus, Johann Benedict Carpzov II., Professor der Theologie und Pastor zu St. Thomä, 1692 ein Gutachten gegen die Pietisten an den Landtag zu Dresden, angeblich von Seiten der theologischen [282] Facultät, in der That aber ohne Vorwissen und collegialische Berathung, in eigenmächtiger Weise. Bei dem Landtag befand sich aber, als Vertreter der Universität Leipzig, O. Da erhielt er von Spener aus Berlin eine Widerlegung der verleumderischen Streitschrift: „Imago pietismi“, nebst einem tröstlichen und ermuthigenden Schreiben zugesandt. Hierauf gab O. unter dem 14. März 1692 eine lateinische Antwort (abgedruckt bei Ranfft, Leben kursächsischer Gottesgelehrten, 1742, II, 838 ff.). O. spricht sich darin mit tiefer Verehrung aus Spener gegenüber; er nennt ihn vir θεολογικώτατος, Luthero nostro non absimilis u. dgl. Die Sache selbst betreffend, hat er in öffentlicher Erklärung, angesichts der Stände, sich von jenem erschlichenen Gutachten aufs entschiedenste losgesagt, auch schriftlich dagegen protestirt, und ist für die angefochtene Sache („causa veritatis aeque ac pietatis“) zwar nicht ohne Schüchternheit, aber doch, obwol isolirt stehend, mit innigster Ueberzeugung eingetreten. O. eignete sich einen Grundsatz des Pietismus an, nämlich daß Heiligung des Lebens für einen Theologen unerläßlich sei, daß ein Unwiedergeborner nur eine historische und buchstäbliche Erkenntniß göttlicher Dinge, nicht aber wahre Erleuchtung besitze. Diesen Satz führte er 1708 in einem Programm aus, was zu einem Briefwechsel über die Frage zwischen ihm und Valentin Ernst Löscher führte, der aber vertraulich und freundschaftlich geführt wurde. Da aber D. Wernsdorf in Wittenberg in einem Programm gegen O. über jene Frage sich aussprach, so gab letzterer 1710 eine Vertheidigung gegen beide in lateinischer Sprache heraus.
Olearius: Johannes O., Professor in Leipzig, war zu Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts einer der gelehrtesten und charaktervollsten deutschen Theologen. Sein Vater,Inzwischen hatte die Gesundheit des Mannes einen bedenklichen Stoß erlitten. Im J. 1703 traf ihn ein Schlaganfall, welcher zwei Jahre später, von da an aber fast jährlich sich wiederholte, und ihn jedesmal eine Zeit lang der Sprache beraubte. In seinen letzten drei Lebensjahren stellte sich dieses Leiden heftiger ein. Er entzog sich deshalb allen übrigen Functionen, setzte jedoch seine Vorlesungen fort; nur im letzten Jahre stellte er auch diese ein, weil seine Schwachheit zugenommen hatte. Im J. 1713 wurde er völlig bettlägerig, beschäftigte sich mit Todesgedanken und bereitete sich auf den letzten Abschied. Nachdem er sein Haus bestellt, die Seinigen ermahnt und gesegnet hatte, fiel er am 6. August in einen tiefen Schlaf und verschied, als Senior der ganzen Universität, in einem Alter von 74 Jahren und 3 Monaten. Sein Wahlspruch, den er Freunden in ihre Stammbücher zu schreiben pflegte, war: Θεοῦ διδόντος οὐδὲν ἰσχύει ϕθόνος, καὶ μὴ διδόντος οὐδὲν ἰσχύει πόνος[WS 1].
- Vgl. Elogium in Acta Eruditorum, 1713, S. 428 ff. – Ranfft, Leben kursächsischer Gottesgelehrten, 1742, II, 809 ff.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Der Spruch geht wohl auf Gregor von Nazianz (4. Jahrhundert) zurück, nach Psalm 127; etwa: „Wenn Gott gibt, bleibt Neid wirkungslos, gibt er nicht, bleibt Mühe wirkungslos“