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ADB:Naogeorg, Thomas

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Artikel „Naogeorgus, Thomas“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 245–250, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Naogeorg,_Thomas&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:15 Uhr UTC)
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Naogeorgus: Thomas N. – wie er seinen Namen „Kirchmeyer“ gräcisirte, den andere wiederum wohl auch mit „Kirchbauer“, „Neubauer“, sogar „Pfarrkircher“ (Augsburger Rath 1546) zurückdeutschten – protestantischer Pamphletist vorzüglich im Drama, wurde 1511 in dem Dorfe Hubelschmeiß geboren, pflegte aber die Nachbarstadt Straubing als seine Heimat zu bezeichnen (Straubingensis). Er soll in Tübingen Philologie und Theologie studirt und die Magisterwürde erworben haben – die Acten wissen davon gar nichts! – und folgte, von mächtigen Sympathien für den streitbaren Luther getrieben, um 1535 einem Ruf als Pastor nach Sulza. In dieser sonst datenlosen Zeit trat N. als Schriftsteller hervor und muß mit Luther auch persönlich angeknüpft haben. Thüringische Amtsbrüder popularisirten seine lateinischen Trutzstücke; so Johann Tyrolff zu Kahla, wohin N. im Herbst 1541 übersiedelte und wo er bis in den Sommer 1546 als unruhiger Pfarrherr wirkte. Im Juni 1544 wollte ihn der Augsburger Rath, mit dem N. auf dem Speirer Reichstag in Berührung gekommen war, gewinnen; am 30. suchte N. beim Kurfürsten seine Entlassung nach, „dieweil E. C. F. G. meine Beschwerung alhie“ wegen Selbstbewirthschaftung der Pfarrgüter „wissen vnd da solche stat an meinem Vaterland, darein ich langzeit verlangen getragen gelegen, vnd auch andre mehr vrsachen“ [246] seinen Weggang empfahlen. Die Augsburger erneuerten ihre Bitte, das anhängliche Kahla bot eine Ablösung, N. stellte schließlich alles seinem geneigten Herrn anheim, der ihm eine Zulage gab und Augsburg im Juli abschlägig beschied.

Unter die „ander mehr Ursachen“ gehören wol auch seine theologischen Zerwürfnisse mit den Wittenbergern strenger Observanz, schon 1536 durch Irrlehren über die Sünde vorbereitet, 1544 hitziger entbrannt. Naogeorgs Ungestüm lehnte sich auf gegen das Kirchenregiment des alternden Luther. 1546 predigte er im Sinne Carlstadt’s, dessen Anhang ja um Orlamünde so stark anwuchs, gegen die Abendmahlslehre des Reformators und über die Empfängnis des hl. Geistes durch die Taufe. Seine Schrift: „In primam d. Johannis epistolam annotationes“ (ein Auserwählter könne des hl. Geistes nimmer verlustig gehn) hatte ihm eine Verwarnung zugezogen; das Bedenken von Luther, Melanchthon[WS 1] und Bugenhagen, Januar 1544, bei de Wette 5, 40, vgl. C. R. 5, 295 und 6, 171; Burkhardt, Luther’s Briefwechsel S. 442; Kawerau, Briefwechsel des J. Jonas I, 254 und 2, 199. Rückfällig entzog sich N. 1546 dem befohlenen Widerruf von der Kanzel, zu welchem u. a. J. Menius abgeordnet war. Der Schmalkaldische Krieg deckte ihn gegen die besonders durch Superintendent Aquila von Saalfeld geschürte Verfolgung. Unstetes Wanderleben blieb fortan sein Loos. Im September nahm sich wieder der Augsburger Rath seines Günstlings an und suchte durch Schertlin die Vermittlung Philipps von Hessen in Sachsen nach, „das er vnser kirchen dienen und seinen vrlaub dort gnediglich haben möge … denn ob man ine gleich nit hiehere vergonnet, wurdt er doch nit in Saxen pleiben, als er vns zugeschriben hat.“ Naogeorgs zurückgebliebene Frau schlug im November alle Habe los und holte ihren schwer zu ertragenden Eheherrn in Süddeutschland ein. Er erhielt noch im October 1546 die Pfarre Kaufbeuren, ohne die dort gebotenen Vortheile zu nutzen. Wir finden ihn von 1548–1550 als Pfarrer zu Kempten, wo er die „Epitome ecclesiasticorum dogmatum“ (Bern 1549) abfaßte, darauf in der Schweiz (Basel, Sommer 1551 und 1552), dann von 1552 auf 1553 zu St. Leonhard in Stuttgart. Seiner eigenwilligen, der schweizerischen Lehre verwandten Ansichten halber war auch hier seines Bleibens nicht. Er wandte sich nochmals nach Basel, wo er schon am 20. Februar die Vorrede zum Regnum papisticum unterzeichnet, weilte im October 1558 (Epist. dedicatoria an B. v. Göltling[1]) in Stuttgart, siedelte ins Badische über und starb als Pfarrer zu Wiesloch am 29. December 1563 (andere, wie Böttcher, Germanis sacra p. 1185, geben 1578 als Todesjahr an).

Die freundliche Gesinnung der Fürsten von Hessen (Widmung des Regnum papisticum) und Sachsen konnte dem fahrigen Heißsporn wenig fruchten. Das Lutherthum wehrte sich gegen einen so jähen Kämpen. Aber dogmatisch abweichend und durch ein überwallendes Temperament stetem Friedensdienst entzogen, behielt N. die unwandelbare Begeisterung für Luthers Person und Werk, gepaart mit unversieglichem Haß gegen den Papismus, wie er ihn abschilderte in dem Zerrbild Regnum papisticum (Basel, J. Oporinus 1553, 1559: „nunc postremo recognitum et auctum“; deutsch 1555, 1556, 1560; englisch von B. Googe 1570, reprinted by R. C. Hope 1880). Ein satirisches Gedicht in vier Büchern Hexameter, maßlos und ermüdend: Ursprung des römischen Stuhls, Ueppigkeit des Oberhirten und seiner Leute, Gliederung der Hierarchie, besonders Curtisani und Monachi, Catholica fides und der Cultus mit furchtbarer Häufung anaphorischer Verse gegen die Missa (vgl. in II die rhetorische Wiederholung: Da nummos), nicht übel die Nothhelfer, durch Schilderung der Bräuche interessant die kirchlichen Feste (aber z. B. dürre Polemik gegen den Nicolaustag), papistische lupanaria. Er griff den Erzbischof von Benevent als [247] Sodomiae patronum ohne sonderliche Schneidigkeit an und richtete wider antilutherische facundia canina zwei öde Bücher Skazonten: De dissidiis componendis, ad Mathiam Bredenbachium: eine Apologie Luthers mit eingehender Abwehr der Behauptung, der von N. sehr verehrte Erasmus sei ein Gegner Luthers gewesen; auch für Brenz eifernd, vielfach trocken disputirend, cynisch ausklingend (sed osculemini licet olidos hircos Pedes Paparum: sique vultis, et culum). Eine Satire In Catalogum Haereticorum, gleichfalls dem R. P. beigedruckt, vertritt tapfer die Freiheit des Wortes, wie Oporinus 1559 selbst Verse gegen die Proscriptio Typographorum schmiedete. Im Durchschnitt unbedeutend sind die 1542 vollendeten Bücher „Satyrae“ (1612 wiederholt in Jan Gruter’s Delitiae poetarum Germanorum 4, 997 ff.): vereinzelt dialogisch, selten einer bestimmten Zeit oder Person zugewandt (2, 3 dem Erasmus), vom Plutus und der Fleischeslust auch zum Sündenfall und Brudermord zurückschweifend, durchaus antirömisch, mit sichtlicher Freude an höllischen Conventen und großen Reden Satans.

Der Papst und der Teufel – diese dem sechzehnten Jahrhundert so geläufige Verbindung gab gleich dem ersten Drama Naogeorgus’ den machtvollen Stempel, denn eine auch im Zeitalter Luthers seltene Wucht und grobe wie feine Steigerung der Polemik, eine dem „Jesuiterhütlein“ verwandte Kunst höllische Ränke rhetorisch und anschaulich auszuarbeiten kennzeichnet die Tragoedia nova Pammachius, 1538 bei Luft in Wittenberg gedruckt, voran ein Gedicht an Luther; wiederholt aufgelegt, auch in Brylingers wichtige Basler Dramensammlung von 1541 an sechster Stelle aufgenommen. N. spricht zu Luther im Tone des dankbaren Schülers. Er will an seinem Theil kämpfen neben dem größeren Kämpfer, der Geistesschwert und Glaubensschild trägt, und in der Verherrlichung Luthers gipfelt sein ort- und zeitloses, wortreiches und handlungsarmes Pamphlet über den Kampf zwischen Kirche und Staat. Nur scheinbar werden wir in die Regierungsjahre Kaiser Julians eingeführt. Ein unentschiedener Herrscher, ein braver Rath Nestor – auf der anderen Seite Pammachius, das anmaßende und unersättliche Pfaffenthum verkörpernd, und sein verruchter juristischer Helfer Porphyrius, beide einem Bund mit dem Satan zustrebend; allegorische Figuren; im Hintergrund Christus mit Petrus und Paulus antipapistisch beredt und lehrhaft. Des Pammachius frevle Gelüste schwellen an im ersten Act, der schon alle Vorwürfe gegen Rom lebendig zusammenfaßt. Im zweiten macht sich die gemißhandelte Veritas und Parrhesia breit, bis eine virtuose Darstellung der Hölle einsetzt und Satan, der dem Pammachius nach geschlossenem Pact die Tiara verleiht, mit grotesken Zügen ausgestattet wird. Der 3. Act bringt, nur zu wortreich, die fortschreitende Hybris des Pammachius, der mit seinen Briefen das Volk aufhetzt und die Ablaßzettel als Panacee ausschreit und, nur durch die Parrhesia in seinem Thun flüchtig unterbrochen, in sechs Schöpfungstagen das ganze römische Unwesen ausheckt. Die Höhe ist das Verlangen, der Kaiser solle den Pantoffelkuß leisten und den Papst als Oberhaupt anerkennen. Julianus demüthigt sich zu Nestor’s Aerger. Immer wüster wird des Papstes Gier, immer ausgelassener das Bacchanal der frohlockenden Hölle, aber N. bricht sein wirksames Sündenregister, das im Gegensatz zu vielen lutherischen Theologen die politische Seite so stark betont, mit dem vierten Act ab und eröffnet nun eine trostreiche Perspective in die Zukunft: Christus, endlich des müßigen Zuhörens und Glossirens überdrüssig, wird an der Elbe den Gottesstreiter Theophilus, d. h. Luther, erwecken, und am jüngsten Tag alle Frevel richten. Das mit ungeheurer Energie geschaffene Kampfstück wurde begreiflicher Weise trotz allen technischen Mängeln eifrig ins Deutsche übertragen und verbreitet. Wir kennen vier hochdeutsche Uebersetzungen: eine ohne Ort und Jahr, eine – 1539 zweimal gedruckt [248] – von J. Menius, mit wüthender Einleitung, eine anonyme von 1539, und 1540 im bekannten Mayerpeck’schen Verlag zu Zwickau eine für die Bühne eingerichtete, vom Verfasser „vbersehene“, von P. Rebhun revidirte und mit Kürzungsvorschlägen ausgestattete von Johann Tyrolff, ohne Kraft und Saft des Urtextes, metrisch und sprachlich sauber, wofür Rebhun den Dolmetsch in deutschen Versen belobt, während N. den secundus author interpresqne in lateinischen belobt. Böhmisch, Nürnberg 1546. Eine Aufführung in Cambridge 1544 erklärt sich näher aus Naogeorgus’ übereilter Zuschrift vorn an Thomas Cranmer von Canterbury und dem ebenda an König Heinrich VIII. wegen seiner reformfreundlichen Haltung verschwendeten Lob.

Das Folgestück des Pammachius ist nebenher auch ein Widerruf dieser von den englischen Ereignissen schon überholten Hoffnung: Incendia seu Pyrgopolinices. Tragoedia recens nata, nefanda quorundam papistici gregis exponens facinora, Wittenberg 1541 – zweimal – und 1561, noch im 17. Jahrhundert wiederholt, gleich 1541 dreimal verdeutscht als „Der Mortbrandt. Eyn (ein) neuwe Tragedi“. Das recens zielt nicht nur auf die Abfassung, sondern auch auf die zum Grunde liegenden Tagesereignisse: der Mordbrenner ist der allen Lutheranern verhaßte Heinrich von Braunschweig, der „arge Heintze“, und die rohe Uebersetzung macht die Beziehungen noch viel augenfälliger, wenn „nachpaur Heintz“ und der nur hinter der Scene thätige „König Heintz“ unterschieden werden und auf Luthers „Wider Hans Worst“ deutlich angespielt wird: „will er nicht komen als ein Fürst, So kum er lieber als ein Hans Wurst.“ So spricht Philalethes, der weise Fürst von Sachsen. Das Stück, eine dramatische Scheltrede im Schwarm der Satiren und Pasquille gegen den Braunschweiger, ist rasch skizzirt und kunstlos übers Knie gebrochen. Pammachius, von dem die Georg von Sachsen, die Mordbrenner in Wolfenbüttel und London abhängen, Poryphyrius und die Teufel spielen mattere Rollen. Chöre bezeichnen die Actschlüsse.

Dagegen zählt Naogeorgus’ Mercator seu Iudicium zu den genialsten Comödien des sechzehnten Jahrhunderts. Lateinisch zuerst o. O. 1540; hochdeutsch: „Der Kauffman“, viermal, von 1540–1595 (Jac. Rulich in Augsburg); holländisch in Versen Antwerpen 1583; friesisch von Dode van Amswer: „Eine christlicke Tragedia, die Coopman offte dat Ordel geheeten“, Bremen 1593; danach holländisch 1613 Groningen, 1658 Haag, o. J. Amsterdam; böhmisch 1597; französisch schon 1558. Des Feldpredigers Martin Gravius aus Stettin Tragoedia nova, verfaßt zu Mediasch in Siebenbürgen, gespielt in Oberungarn, in 2. Aufl. Barnim von Pommern gewidmet, 1612 zu Frankfurt a. O. (1614 ebenda, 1615 in Nürnberg) gedruckt, ist nur ein abgekürzter dreiactiger Mercator Wie N. im Pammachius das alte Thema vom Antichrist kühn aufgreift, so hat er hier den Stoffkreis der Moralitäten von Every-man, Homulus und Hecastus, worin der Gnadenweg in den Himmel dargestellt wurde, mit aristophanischer Laune bereichert. Der Protestantismus mußte sich dieser morality um so lieber bemächtigen, als der Stoff die Ueberbietung der alleinseligmachenden guten Werke durch die alleinseligmachende innere Reinigung geradezu forderte. Und diese Reinigung faßte N., ohne über seiner kecken Profanation den inneren polemischen Ernst einzubüßen, schwankweis als eine körperliche, wie Murner geschmacklos zu einem allegorischen Bade sich verirrt hatte, wie Pirkheimer launig die symbolische Deposition im Eccius dedolatus verwerthete und wie Hans Sachs das Austreiben der Laster und Gebrechen sinnlich als ein „Narrenschneiden“ darstellte. Auch an P. Gengenbach sei erinnert. – Der Todesbote Lyochares beginnt mit einer gedehnten Rede, dann aber entwickelt sich ein frisches Treiben, an dem auch die allegorischen Figuren, wie Gewissen und Wucher, theilnehmen. [249] Dem reichen Kaufmann wird sein letztes Stündlein angesagt. Alles Schachern um Aufschub ist vergeblich. Im 2. Aufzug rückt der Satan gegen den Todescandidaten los, der seinen Pfarrer als Helfer beruft. Zwischen die verzagten Worte des einen und die pfäffischen des andern schreit das Gewissen und der Teufel „farzt“ sein Papax hinein, eine köstliche Scene: der Pfarrer als Quacksalber, die Gnadenwerke als greuliche Mixturen, die Pein des Patienten als furchtbar zunehmendes Bauchweh. Satan schlägt einen letzten Angriff des Pfaffen und des Messners nur durch sein Gebrumm zurück. Der Act schließt mit einer tollen Farce, zugleich aber mit der Verzweiflung des Kaufmanns. Der dritte Aufzug bildet den Gegensatz: Christus entsendet Paulus und den Himmelsarzt Cosmas zum Beistand. Der Kaufmann wird nicht für seine guten Werke, sondern als Auserwählter Christi allein durch die Gnade erlöst. Ein verwegenes Gemisch des Burlesksten und des Strengsten: Auseinandersetzung der evangelischen Heilslehre und die gründlichen Wirkungen einer Purganz; Cosmas hält das Becken, Paulus stützt den Kopf des Kaufmanns, der unter schrecklichen Naturlauten (mooc) alle Wallfahrten, Fasten, Ablässe, Kerzen, Messe u. s. w. herausspeit und endlich nach einem tüchtigen Schneuzen genesen ist. Der 4. Act schildert mit Polemik gegen schlimme katholische Fürsten, Bischöfe und Scholastiker den Weg zum großen Gerichte, der 5. des Kaufmanns Erhörung im Proceß zwischen Christus und Satan; doch ist die Verhandlung zu breit gerathen und wie überall gewahrt man gegen Ende die Ermüdung und Unlust des raschen Autors. Immerhin bleibt dieses Stück die Krone der Naogeorg’schen Dramatik, ein dialogisches Meisterwerk.

Ungleich schwächer sind die drei biblischen Stücke, von denen der Hamanus, Caspar von Teutleben gewidmet, noch nach Thüringen fällt (vgl. auch den 2. Brief an Stephan Roth vom 25. Juli 1542, Zwickauer Stadtbibliothek). Es erschien Leipzig, 1543 (wiederholt in Oporins Dramata sacra, Basel 1547, 2, 107 ff.). Es ist bezeichnend für N., daß er die Esther recht kahl abthut, überhaupt die ad vitae probitatem et metum dei mahnenden Personen dramatisch als Rollen zweiten Ranges behandelt, um in der Hauptperson Haman die verleumderische, eitle, käufliche, hämische Gewaltthätigkeit auszumalen. N., der in der Vorrede den Vorwurf antihöfischer Tendenz abwehrt, denkt natürlich bei Mardochai an die guten Protestanten, bei Haman an die bösen katholischen Ränkeschmiede, bei Ahasver an die geweihten Freunde des Evangeliums auf den Thronen. Ohne Sinn für das Weibliche und Häusliche gestaltete er auch diesen Stoff nur zu einem Kampfdrama. Johann Chryseus übersetzte es 1546 im Einvernehmen mit N. und wurde schon vorher durch Naogeorgus’ Stück zu seinem Drama, dem „Hofteufel“ (Geschichte Daniels, vgl. Scherer, A. D. B. IV, 253) aufgemuntert. Der Hamanus erhielt sich bis ins 17. Jahrhundert frisch; 1607 hat ihn Damian Lindtner in freiester Weise zu seiner technisch monströsen „Newen Tragödia von der Königin Esther vnd Haman“ benutzt („aus der gedruckten Lateinischen Tragoedien, welche vor etlichen Jahren Thomas Naogeorgus geschrieben, jetzo in gut Deutsch vbersatzt“). – Einen Hieremias, Christoph von Wirtemberg gewidmet, Basel 1551 (Straßburg 1603, Frankfurt 1620) packte N. ganz als Zeitbild an: der Prophet schilt die böse Zeit, und ein heidnischer Götzendienst spiegelt sich im Katholicismus, schlimme eigene Erfahrungen werden angedeutet. Die Tragödie heißt ausdrücklich hisce temporibus ualde accommodata. – 1552 eignete er sein letztes Drama Judas Iscariotes tragoedia nova et sacra lectu et actu festiua et jucunda dem Straßburger Magistrat zu, denn in Straßburg begann sich die Blüthe des Schuldramas allmählich zu entfalten. Für eine Aufführung 1556 hat Moesheymer das deutsche Libretto geliefert. wie 1603 neben dem lateinischen Text des Hieremias, ein durch den trefflichen [250] W. Spangenberg verdeutschter „Jeremia“ erschien. Die freie Kraft und das kühne Spiel, die im Pammachius und im Mercator schalten, sind dahin. N. borgt bei sich selbst, wenn er die Conscientia vertrieben und zurückkehrend schildert, den Satan unmittelbar und mittelbar die Fäden ziehen läßt und bei dem habsüchtigen Hohenpriester auf den Papst schielt. Judas erscheint als Opfer eigener Geldgier und der Ränke des Satans, der ihm schließlich den Strick in die Hand giebt. N. hätte, wie einzelne Scenen beweisen, auch in den entwickelnden Charaktertragödien größeres leisten können, als ihm sein ruheloses Wesen gestattete. Er war wohl bewandert in den griechischen Tragikern, citirte den Euripides und gab einem Stuttgarter Druck des Judas zwei gelungene lateinische Uebertragungen aus Sophokles bei, den Aias und den Philoktet. Dafür ward ihm die Ehre, im achtzehnten Jahrhundert nicht nur als Schwarmgeist und Pasquillant von gelehrten Theologen, sondern auch als Humanist in Lessings „Laokoon“ citirt zu werden.

In die Geschichte der deutschen Dichtung führte ihn Gervinus ein. – Goedeke, Grundriß, 2. A., S. 134 f., S. 333 ff. – Knappe Forschung, besonders über die vier Pammachiusübersetzungen, bot Scherer, Zeitschrift für deutsches Alterthum 23, 190 ff. – Zum Mercator und Gravius vgl. auch J. Bolte, Correspondenzblatt des Vereins für siebenbürgische Landeskunde 8, Nr. 12. Private Mittheilungen biographischer und bibliographischer Natur von Strauch, Bolte, Buff (Stadtarchiv Augsburg), Burkhardt (Ernestinisches Gesammtarchiv) haben mich gefördert und verpflichtet.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 246. Z. 20 v. u. l.: Gültling. [Bd. 26, S. 832]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Melanthon