ADB:Marggraf, Andreas Sigismund
Caspar Neumann, welcher, selbst ein Schüler Stahl’s, M. in die phlogistische Lehre einführte, der er sein Leben lang anhing. Nach längeren Studien, denen er hauptsächlich in Straßburg und Halle und an der Bergschule Freiberg oblag und nach einer berg- und hüttenmännischen Reise durch den Harz kehrte M. 1737 nach Berlin zurück. Hier wurde er bald Mitglied der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften, die ihm nach ihrer Umgestaltung ein Laboratorium und freie Wohnung zur Verfügung stellte, so daß [335] er sich nun ganz seinen chemischen Forschungen widmen konnte. In Folge seiner epochemachenden Entdeckung des Zuckers in der Runkelrübe und nach dem Tode des bisherigen Directors Eller, ernannte ihn die Akademie zum Director ihrer physikalisch-mathematischen Klasse. Die französische Akademie machte ihn zum Associé étranger. M. genoß die allgemeinste Anerkennung, nicht nur seiner Arbeiten, sondern auch seines reinen Charakters wegen. Er blieb den, seine Berliner Fachgenossen bewegenden Streitfragen möglichst fern und erlangte dadurch eine große Autorität für seine Ansichten, die ihn doch nie zur Arroganz verleitete. Trotz schwächlicher Gesundheit arbeitete er rastlos und starb hochgeschätzt und geehrt am 7. August 1782. – Marggraf’s Bestrebungen, sich nicht von den herrschenden Strömungen fortreißen zu lassen, führten ihn dazu, der analytischen Methode auf nassem Wege wieder erneute Aufmerksamkeit zu schenken und so als Analytiker eine stattliche Reihe meist gelungener Versuche auszuführen. M. scheint der Erste gewesen zu sein, der das Mikroskop auf die chemische Forschung anwandte, ein Hilfsmittel, welches seitdem für jeden Chemiker unentbehrlich geworden ist. Einige seiner analytischen Resultate mögen hier Erwähnung finden: Er hat zuerst die Verschiedenheit der Thonerde (1754) und der Magnesia (1760) von der Kalkerde bestimmt nachgewiesen, welche allerdings vorher schon von Hoffmann behauptet worden ist. Ferner hat er die Natur des Thons erkannt, als einer Verbindung von Kieselsäure mit Thonerde, er fand, daß der Alaun nicht aus Thonerde und Schwefelsäure allein entstehen könne, sondern daß stets Alkali gleichzeitig zugegen sein müsse – freilich sah er den richtigen Grund davon nicht ein. Den Gyps erkennt er als eine Verbindung von Schwefelsäure, Kalkerde und Wasser, indem er ihn mit Weinsteinsalz zerlegt. Er ist der Erste, der gültige, experimentelle Beweise für die Präexistenz der Alkalien in den Pflanzensäften liefert: in einer Schrift in den Berichten der Akademie aus dem Jahre 1764 sucht er zu zeigen, daß in einem natürlichen Pflanzensaft oder in einem Bestandtheil desselben, wie im Weinstein oder Sauerkleesalz, sich fixes Alkali nachweisen lasse, ohne daß man vorher den Saft oder die festen Theile desselben zu verbrennen brauche. So könne man Salpeter darstellen (in dem ja das fixe Alkali enthalten sei) aus der Salpetersäure, wenn man sie auf eine mit Kreide gesättigte, in kochendem Wasser gelöste Weinsteinlauge einwirken lasse. Andererseits erhielt er Salpeter durch directes Auflösen des Weinsteins in Salpetersäure. Er erkannte die Salpetersäure als einen Bestandtheil des Regenwassers, des Schneewassers und zuletzt des Brunnenwassers. In jenen Untersuchungen gab er auch zuerst die wichtige Reaction auf Eisen mittelst Blutlaugensalzes an. Weiter bringt M. neue Beweise für die Verschiedenheit der Kochsalzbasis (des von Stahl entdeckten Natrons) von Kali und entdeckt namentlich die verschiedenen Färbungen, welche diese beiden Basen und ihre Salze der Flamme ertheilen: es färbt nämlich Natron gelb, Kali violett. Im J. 1752 veröffentlichte er eine eingehende Untersuchung des Platins, wobei er die für die chemische Analyse wichtige Entdeckung machte, daß Kali und Ammoniaksalze durch Platinchlorid orangegelbe Niederschläge geben, während die Lösung der Natronfalze klar bleibt. Freilich hat er die Natur jener Niederschläge nicht erkannt und somit nur unbewußt die wichtigen Platindoppelsalze entdeckt. An der irrigen Ansicht, daß alles Wasser, auch das reinste, sich beim Erhitzen in Erde verwandle, hielt er wie alle seine Zeitgenossen fest und suchte dies durch zahlreiche Versuche zu erhärten. Erst Lavoisier und Scheele war es vorbehalten, diesen tiefgewurzelten Irrthum zu beseitigen. Von Marggraf’s Arbeiten auf anderen Gebieten der Chemie seien noch erwähnt seine Reindarstellung des Silbers aus Hornsilber, das Auffinden der Magnesia im Mineralreich: [336] im Serpentinstein, Speckstein, im Amianth und Talk, und seine Untersuchung des Flußspaths. Bemerkenswerthe Resultate lieferten seine verschiedenen Untersuchungen über den damals noch wenig bekannten und mit Gold aufgewogenen Phosphor und über die Phosphorsäure. Er findet zuerst eine ergiebige Methode zur Darstellung des Phosphors aus Harn, indem er letzteren abdampft und mit Hornblei und Kohle destillirt. Er bestätigt den Phosphorgehalt der Pflanzen. Im Urinsalz entdeckt er Phosphorsäure und flüchtiges Alkali. Er bestimmt die Eigenschaften der Phosphorsäure genauer und macht dabei die von ihm allerdings nicht verwerthete, wichtige Beobachtung, daß die bei der Verbrennung des Phosphors sich bildende Säure mehr wiege, als der dazu verwandte Phosphor. Er zeigt, daß die Phosphorsäure durch Erhitzen mit brennbaren Substanzen stets wieder zu Phosphor wird und folgert hieraus, indem er seine phlogistische Theorie auch auf diese Erscheinung anwendet, daß der Phosphor aus Säure und Phlogiston bestehe. Auch die ersten Phosphormetalle stellt er dar, indem er Metalle fein zertheilt mit Phosphor erhitzt; er erhielt so die Kupfer- und Zinkverbindungen. Die Ameisensäure war bis jetzt stets als identisch mit der Essigsäure betrachtet worden. M. zeigte nun die Reduction des Quecksilberoxyds durch Ameisensäure und begründet auf diese Beobachtung die Verschiedenheit derselben von der ihr sonst so ähnlichen Essigsäure. Wenn auch all’ diese Versuche und Entdeckungen hingereicht hätten, M. einen geachteten Platz unter den Naturforschern seiner Zeit und einen dauernden Namen in seiner Wissenschaft zu sichern, so tritt er durch seine Zuckeruntersuchungen weit aus diesem Rahmen heraus und erwirbt sich unsterbliches Verdienst um die Landwirthschaft und die Industrie seines Vaterlandes und ganz Europa’s. Im J. 1747 trägt M. der Akademie seine Beobachtungen über den Zuckergehalt in der Runkelrübe vor und legt damit die eigentliche Grundlage zur Runkelrübenzuckerindustrie. Er sagt im Laufe dieser Abhandlung: „So kam ich gelegentlich auf den Gedanken, auch die Theile verschiedener Pflanzen, welche einen süßen Geschmack besitzen, zu erforschen und nach mannigfachen Versuchen, welche ich angestellt habe, fand ich, daß einige dieser Pflanzen nicht nur einen dem Zucker ähnlichen Stoff, sondern in der That wirklichen Zucker enthalten, der dem bekannten aus Zuckerrohr gewonnenen genau gleicht“. Er erwähnt nun dreier besonders leicht wachsender auf mittelmäßigem Boden gedeihender Pflanzen, aus deren Wurzeln er reinen Zucker isolirt hat: 1) den weißen Mangold (Cicla officinarum), 2) die Zuckerwurzel (Sisarum Dodonaci), 3) den Rüben-Mangold, die Runkelrübe oder den rothen Mangold. Auch die Gewinnung des Zuckers aus dem Saft dieser Wurzeln und die Reinigung desselben beschreibt er ausführlich, allein dabei bleibt er stehen. Den letzten und wesentlichen Schritt, die Verwerthung dieser Versuche zu einer einheimischen Zuckerindustrie, überläßt er seinem Freund, Schüler und Nachfolger Franz Karl Achard, obgleich er selbst vollkommen die Tragweite seiner Entdeckung erkennt, wie sich aus seinen eignen Worten ergiebt: „Aus den hier dargelegten Versuchen geht klar hervor, daß dieses süße Salz in unserer Heimath gerade so bereitet werden kann, wie in Gegenden, wo das Zuckerrohr wächst“. Die meisten Abhandlungen Marggraf’s finden sich in den Mémoires de l’Académie des sciences de Berlin von 1747–79 und in den Miscellanea Berolinensia. Er selbst sammelte sie in zwei Theilen unter dem Titel „Chemische Schriften“, der erste Theil erschien 1761 und wurde 1762 ins Französische übersetzt, der zweite Theil erschien im J. 1767.
Marggraf: Andreas Sigismund M., letzter bedeutender Chemiker des Zeitalters der phlogistischen Theorie, geb. 1709 zu Berlin, † ebendaselbst 1782. Sein Vater, der königliche Hofapotheker Henning Christian M., gab ihm den ersten Unterricht in der Pharmacie. Der Sohn wählte das Studium der Chemie und wurde Schüler des Professors der praktischen Chemie an dem Collegium medico-chirurgicum,- Kopp, Geschichte der Chemie. A. W. Hofmann, Ein Jahrhundert chemischer Forschung unter dem Schirme der Hohenzollern, Rectoratsrede, gehalten am 3. Aug. 1881. Berlin 1881.