ADB:Kopp, Hermann
*): Hermann Franz Moritz K., der Begründer der physikalisch-chemischen Stoechiometrie und der classische Geschichtschreiber der Chemie, wurde am 30. October 1817 zu Hanau als Sohn des angesehenen Arztes Heinrich K. geboren. Durch diesen, der selbst naturwissenschaftlicher Schriftsteller und Besitzer einer berühmten mineralogischen Sammlung war, wurde er frühzeitig mit den Naturwissenschaften befreundet. Gleichzeitig erhielt er auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt eine vorzügliche classisch-humanistische Ausbildung, welche ihn zu seinen späteren großen geschichtlichen Quellenstudien bereits einigermaßen philologisch vorbereitete. 1835 bezog er die Universität Heidelberg, wo er besonders bei Leopold Gmelin Chemie und bei Wilhelm Muncke Physik studirte. Nachdem er nach Marburg übergesiedelt war, promovirte er dort am 31. October 1838 mit der Inauguraldissertation: „De oxydorum densitatis calculo reperiendae modo“. Nunmehr wandte er sich nach Gießen, dem Mekka der damaligen Chemiker, wo Justus Liebig seine einzigartige Lehrthätigkeit ausübte. Aus jener Zeit stammen seine freundschaftlichen Beziehungen zu Heinrich Buff, Heinrich Will, A. W. v. Hofmann, Adolf v. Bardeleben, Moritz Carriere, Remigius Fresenius, Carl Vogt, Hermann v. Fehling, Adolf Strecker, Adolf Wurtz u. a., besonders aber zu Friedrich Wöhler und Liebig selbst. Im J. 1841 habilitirte sich K. in Gießen als Privatdocent und wurde zwei Jahre später zum außerordentlichen Professor ernannt. Hier entfaltete er eine äußerst fruchtbare Thätigkeit sowohl als experimenteller Forscher wie als Historiograph seiner Wissenschaft. Als Liebig im Herbst 1852 einem Rufe nach München folgte, wurde er (1853) gleichzeitig mit Heinrich Will zum ordentlichen Professor ernannt und mit der Leitung des Gießener Universitätslaboratoriums beauftragt. Bald jedoch beschränkte er seine Thätigkeit auf die Professur für theoretische Chemie, um sich ganz seinen eigenen Studien hingeben zu können. Hier entstanden seine grundlegenden experimentellen Forschungen über die Beziehungen zwischen Raumerfüllung und chemischer Zusammensetzung der Stoffe, über die ähnlichen Beziehungen zur spezifischen Wärme, die ausführlichen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Siedepunkt und chemischer Natur der Stoffe und neben diesen ausgedehnten [821] naturwissenschaftlichen Forschungen bereits wenige Jahre nach seiner Habilitation sein Meisterwerk, seine „Geschichte der Chemie“ in vier Bänden.
KoppAls Robert Bunsen in Heidelberg, der geniale Experimentator und Lehrer, zu seiner Entlastung und Ergänzung einen zweiten ordentlichen Professor der Chemie der Facultät zu Heidelberg vorschlagen sollte, wurde von ihm als einziger Hermann K. auserwählt, „der größte chemische Historiograph, der gründlichste Kenner alles Dessen, was in der Chemie überhaupt bis zu seiner Zeit gedacht und gemacht worden war“ (Curtius). K. wurde als ordentlicher „Professor der Chemie“ berufen und siedelte Ostern 1864 nach Heidelberg über. Er erhielt ein eigenes, sehr bescheidenes Laboratorium. In Heidelberg hielt K., in Ergänzung zu Bunsens Lehrthätigkeit, Vorlesungen über angewandte Krystallographie, physikalische und theoretische Chemie, Geschichte der Chemie, Stoechiometrie mit Uebungen in chemischen Berechnungen. Außerdem aber las er noch, ein Beispiel merkwürdiger Vielseitigkeit, Meteorologie und physikalische Geographie. Dies führte er 24 Jahre lang durch. Das Vertrauen seiner Collegen ernannte ihn für das Jahr 1869 zum Prorector der Heidelberger Universität. Vergeblich versuchte man mehrmals, ihn an die Berliner und Leipziger Universität zu ziehen, er blieb der schönen Neckarstadt und ihrer Hochschule treu. Der mit den höchsten Ehren bedachte Geheimrath K. vereinigte in sich eine seltene Fülle von naturwissenschaftlicher und historisch-philologischer Gelehrsamkeit und nahm dadurch eine ganz besondere Stellung in der Gelehrtenwelt ein. Kopp’s anerkannte Objectivität in der Beurtheilung geschichtlicher Zusammenhänge, seine vielseitigen Verbindungen mit allen hervorragenden Gelehrten seines Faches, seine umfassende Uebersicht über die Entwicklung der vergangenen und der werdenden Wissenschaft befähigten ihn besonders auch zur Uebernahme zweier wichtiger literarischer Aemter, die er lange Zeit erfolgreich bekleidet hat. Als nämlich der Großmeister chemischer Kritik und Berichterstattung, Berzelius, im J. 1848 gestorben war, übernahm er 1849 in Gemeinschaft mit Liebig die weitere Herausgabe und Fortsetzung der von Berzelius geführten Jahresberichte unter dem Titel „Jahresbericht über die Fortschritte der reinen, pharmaceutischen und technischen Chemie, der Physik, Mineralogie und Geologie“. Dieser groß angelegte, noch heute erscheinende Jahresbericht galt ein halbes Jahrhundert hindurch als ein maßgebendes Quellenwerk für die Fachwelt, für welches K. die physikalische, theoretische und organische Chemie bearbeitete und den größten Theil der redactionellen Arbeit übernahm. Im J. 1857 trat H. Will an die Stelle Liebig’s in der Redaction des „Jahresberichtes“, die K. seinerseits bis zum Jahre 1862 mit ihm weiterführte. Im J. 1851 trat K. auf Ersuchen seiner Freunde Liebig und Wöhler auch zugleich in die Redaction der von diesen herausgegebenen, noch heute blühenden, berühmten „Annalen der Chemie und Pharmacie“ ein und gehörte ihr lebenslänglich an. Ungeheure Geschäftigkeit als Gegengewicht zu seiner tiefen Gelehrsamkeit scheint überhaupt ein Grundbedürfniß seines Wesens gebildet zu haben. Besonders sympathisch berührt in diesem Sinne eine Bemerkung Liebig’s in einem Briefe an Wöhler aus dem Kriegsjahr 1870 über den oft nervös überarbeiteten K.: „Er ist Vorstand des Lazarethwesens in Heidelberg und voller Thätigkeit; es ist dies so gut für ihn, als wenn er nach Gastein gegangen wäre.“ Am 1. Juli 1890 trat K. vom Lehramte zurück, im letzten Lebensjahre war er körperlich sehr leidend; er starb zu Heidelberg am 20. Februar 1892 im 75. Lebensjahre. A. W. v. Hofmann hielt ihm in einer Sitzung der Deutschen Chemischen Gesellschaft eine tiefempfundene und formvollendete Gedenkrede. Ein wohlgetroffenes Bildniß mit den äußerst charakteristischen Zügen des Gelehrten [822] findet man in Band 4 der Zeitschrift für physikalische Chemie. Verheirathet war K. mit Johanna Tiedemann. Seine einzige Tochter Therese wurde die Gattin des leider früh verstorbenen ausgezeichneten Professors der Chemie E. Baumann in Freiburg i. B.
Wenn wir die Verdienste Hermann Kopp’s würdigen wollen, so haben wir eigentlich zwei Gelehrte, in einer Person vereinigt, zu schildern, den erfolgreichen Naturforscher und den großen Historiker.
Kopp’s Hauptverdienst als Naturforscher liegt in der Begründung jenes ersten und älteren Theiles der physikalischen Chemie, welchen wir heute als Stoechiometrie im weiteren Sinne bezeichnen und welcher sich mit den Beziehungen zwischen der chemischen Zusammensetzung der Stoffe und ihren Eigenschaften beschäftigt. Kopp’s Untersuchungen erstrecken sich hauptsächlich auf die hier vorhandenen und größtentheils zuerst von ihm entdeckten Regelmäßigkeiten der Raumerfüllung, der Siedepunkte und der specifischen Wärmen. Er hatte die ungemein glückliche Idee, die verschiedenen Stoffe nicht nach gleichen Gewichtsmengen zu vergleichen, sondern in solchen Mengenverhältnissen, welche für den Chemiker besonders wichtig und besser vergleichbar sind, nämlich im Verhältniß ihrer sogenannten Molekulargewichte. Es sind dies die Mengenverhältnisse, nach denen die Stoffe miteinander in chemische Wechselwirkung zu treten pflegen und die nach einem Satze von Avogadro und Ampère aus dem Gewichtsverhältniß gleicher Volumina ihrer Dämpfe unter gleichen Druck- und Temperaturbedingungen ermittelt werden können. Nach den Vorstellungen der Chemiker setzen sich die Moleküle der verschiedenen Stoffe aus den Atomen der Elemente zusammen und somit ist auch das Molekulargewicht zusammengesetzt aus der Summe der Gewichte der zum Molekül vereinigten Atome. Dementsprechend konnte nun K. zeigen, daß auch die Raumerfüllung, d. h. die Volumina solcher Mengen verschiedener Stoffe, die im Verhältniß ihrer Molekulargewichte stehen, zusammengesetzt erscheint als die Summe von Volumgrößen, welche den die Moleküle bildenden Atomen eigenthümlich sind. Jene sogenannten Molekularvolumina der Stoffe lassen sich also nach K. als Summe der sogenannten Atomvolumina der Bestandtheile des Moleküls darstellen. Daher muß auch einem gleichen Zuwachs in der Zusammensetzung eines chemischen Moleküls ein gleicher Zuwachs im Molekularvolumen des betreffenden Stoffes entsprechen. Für diese Sätze hat nun K. ein ungeheuer großes Versuchsmaterial zusammengetragen und seine Thesen haben auch andere Forscher zu zahlreichen und gründlichen Untersuchungen angeregt. Erwähnt sei auch, daß K. bei festen isomorphen Körpern auf interessante Beziehungen zwischen Molekularvolumen und Krystallform hingewiesen hat. Besonders bewundernswerth ist der feine wissenschaftliche Tact, mit welchem K. als Vergleichstemperatur für die Molekularvolumina verschiedener flüssiger Stoffe nicht die vom gewöhnlichen Thermometer angegebenen gleichen Temperaturen wählte, sondern die zu jedem der Stoffe zugehörige Siedetemperatur unter gleichem Drucke, also solche Temperaturen, „bei welchen die Wärme auf die verschiedenen Flüssigkeiten gleiche Wirkung ausübt“. Diese Art der Vergleichung ist nicht ohne Widerspruch geblieben, indessen hat gerade die spätere Entwicklung der Atomistik, besonders durch van der Waals, gezeigt, daß Kopp’s Wahl der Siedetemperatur in der That wenigstens eine der besten Annäherungen an die strenge Forderung der Atomistik war. Die Theorie von van der Waals über den stetigen Uebergang des flüssigen Zustandes in den gasförmigen zeigt nämlich, daß die Volumina bei gleichen Bruchtheilen der sogenannten „kritischen“ Temperaturen und des kritischen Druckes exact vergleichbar sind. Die von K. gewählten Siedetemperaturen unter Atmosphärendruck [823] entsprechen nun in der That dieser Bedingung sehr annähernd (vgl. Nernst, Theoret. Chemie, 1909, S. 311). Dank den Kopp’schen Untersuchungen sind wirf also im Stande, aus der Molekularformel eines chemischen Stoffes sein Molekularvolumen als Summe der das Molekül zusammensetzenden Atomvolumina, die man als specifische Constanten der Elemente bestimmt hat, wenigstens annähernd vorauszuberechnen und damit also auch das specifische Gewicht des betreffenden Stoffes. Freilich hat sich bald herausgestellt, daß Kopp’s Satz von der „Additivität“ der Molekularvolumina nur eine sehr angenäherte Gültigkeit besitzt, denn z. B. gleich zusammengesetzte, d. h. sogenannte isomere chemische Stoffe haben nicht immer gleiche Molekularvolumina bei ihren Siedepunkten, was nach dem streng additiven Schema der Fall sein müßte. Da solche Stoffe sich nur noch durch die Art der Bindung der sonst gleichen Anzahl und Art der Atome untereinander unterscheiden, so hat also offenbar diese Art der Bindung der Atome im Molekül, die sogenannte „chemische Constitution“ des Stoffes, noch einen besonderen Einfluß auf das Molekularvolumen. Aber auch diesen sogenannten „constitutiven“ Einfluß hat K. durchaus vermuthet, und auch diesen hat man schließlich als einen gesetzmäßigen erkannt. Mit besonderer Klarheit betont K. in einer letzten großen, die damaligen Kenntnisse zusammenfassenden Arbeit noch in hohem Alter (Liebig’s Annalen 1889, Bd. 250, S. 114) in sehr lehrreicher Weise, wie der Naturforscher seinen Blick zunächst stets auf das allgemeine Gesetz in großen Umrissen richten muß und sich nicht durch secundäre Abweichungen ablenken und entmuthigen lassen soll.
Durch die obigen Untersuchungen wurde K. veranlaßt, auch die Siedetemperaturen der verschiedenen chemischen Stoffe bei gleichem Druck einem vergleichenden Studium zu unterziehen. Mit seinem für Regelmäßigkeiten geschärften Blicke entdeckte er auch hier (1842) in der That bald neue, wie z. B. die, daß sehr häufig gleichen Unterschieden in der chemischen Zusammensetzung innerhalb derselben Reihe gleichartiger Verbindungen gleiche Unterschiede in den Siedepunkten entsprechen. Diese sogenannte „Kopp’sche Siedepunktregel“ hat ebenfalls Veranlassung zu zahlreichen Nachprüfungen und Untersuchungsreihen auch vieler anderer Forscher gegeben. Dabei hat sich ebenfalls herausgestellt, daß die von K. entdeckte Regelmäßigkeit nur ein erstes grobes Schema ist, das aber zweifellos das Eingangsthor zu weiterer Erkenntniß bildete. Auf die Kopp’schen Entdeckungen passen daher treffend die Worte W. Ostwald’s (Lehrb. d. allgem. Chemie 1891, I, 345): „Einen ähnlichen Gang hat die Stoechiometrie zahlreicher anderer Eigenschaften genommen. Zunächst erkennt man dieselbe als additive, d. h., als eine, die sich summatorisch aus den Werthen zusammensetzt, welche den Bestandtheilen zukommen. In den meisten Fällen findet man dann bei genauerer Untersuchung, daß dieses additive Schema sich nur annähernd durchführen läßt; es werden Abweichungen beobachtet. Erst allmählich bricht sich dann die Erkenntniß Bahn, daß diese Abweichungen ihrerseits wieder gesetzmäßiger Natur sein müssen. Da sie nicht mehr durch die Art und Zahl der Atome allein bestimmt werden, sondern durch deren Beziehungen zueinander, so bieten sie eine Handhabe dar, letztere an das Licht zu ziehen.“ So dürften Untersuchungen nach dem Koppschen Schema gerade durch die Möglichkeit, die Abweichungen davon zu studiren, uns noch oft einen tieferen Einblick in den Bau der Moleküle gestatten, und in diesem Sinne sind z. B. auch in neuerer Zeit die Untersuchungen von Thorpe, L. Meyer, Lossen, Schiff und besonders von Horstmann über die Molekularvolumina, die von Young, Henry, Vernon, Linnemann, Naumann, Hinrichs u. a. über die Siedepunkte, sowie die Arbeiten von Landolt, [824] Brühl u. a. über die Lichtbrechung der chemischen Stoffe von besonderem Werthe geworden.
Am besten hat sich das additive Schema Kopp’s bewährt bei seinen ebenfalls classisch gewordenen Untersuchungen über die Molekularwärme der Stoffe, also beim Vergleiche der Wärmemengen, welche nöthig sind, um solche Mengen verschiedener Stoffe um 1° zu erwärmen, die im Verhältniß ihrer Molekulargewichte stehen. Auch hier ist nach K. (1864) die Molekularwärme einer festen Verbindung gleich der Summe der Atomwärmen der in ihr enthaltenen Elemente und zwar stimmen meistens sogar die aus den specifischen Wärmen der Verbindungen berechneten Atomwärmen mit denen der Elemente im freien Zustande überein. Umgekehrt gestattet diese Regelmäßigkeit, aus den specifischen Wärmen der Verbindungen die Atomgewichte der darin enthaltenen Elemente zu berechnen. Zu erwähnen sind ferner die Untersuchungen über die Volumenänderungen der Stoffe beim Schmelzen und Erstarren, sowie über die gegenseitige Beeinflussung der Löslichkeit von Salzen in gemeinsamer Lösung. Die drei letztgenannten Probleme sind nicht unwichtig für spätere Aufgaben der thermodynamischen Forschung geworden, obgleich K. die Entwicklung in dieser Richtung wohl kaum geahnt hat.
Dies sind die wichtigsten experimentellen Arbeiten Kopp’s als Naturforscher, deren Ergebnisse er meistens aus einem sehr zahlreich zusammengetragenen oder mühsam selbst beobachteten Versuchsmaterial gewonnen hat. Seine experimentellen Hilfsmittel sind dabei meistens von erstaunlicher Einfachheit, genügen aber immer der gestellten Aufgabe, da er die erforderliche Genauigkeit seiner Versuchsanordnung stets gut zu beurtheilen verstand. Von anderen rein theoretischen Leistungen ist hervorzuheben, daß K. einer der ersten war (1858), welcher die abnormen Dampfdichten verschiedener Stoffe (fast gleichzeitig mit Kekulé und Cannizzaro) durch einen Zerfall der fraglichen Stoffe in ihre Componenten zu erklären verstand und damit ein wesentliches Hinderniß beseitigen half, welches der allgemeinen Anerkennung der nachmals für die Chemie so segensreich gewordenen Avogadro’schen Molekulartheorie im Wege stand. – Eine wichtige schriftstellerische That war auch die Abfassung seiner „Theoretischen Chemie“, welche im J. 1863 als zweite Abtheilung des ersten Bandes des bekannten Lehrbuches der Chemie von Graham-Otto erschien. Es erschienen ferner aus seiner Feder eine „Einleitung in die Krystallographie“ und eine Schrift „Ueber Witterungsangaben“. –
Der Stil Kopp’s verrieth deutlich die intensive historiographisches Beschäftigung mit der lateinischen Sprache und erhielt durch die Neigung zum Bau langer Perioden etwas Schwerfälliges. A. W. Hofmann wendet aber hierauf das schöne Dante’sche Wort an: „Wenn Deines Worts anfänglicher Geschmack auch herb erscheint, so wird er, wenn verdaut, dem Hörer Lebensnahrung hinterlassen.“ Daß K., bei aller Schwere des Stiles, einen graziösen Humor besaß, geht u. a. auch aus seinen beiden Schriftchen, seinen Freunden Wöhler und Bunsen gewidmet, „Aurea catena Homeri“ und „Aus der Molekularwelt“ deutlich hervor. Auch zeigt sich überall neben einer geradezu phänomenalen und unübertroffenen Kenntniß alles chemischen Schriftthums eine ebensolche Vertrautheit mit den Werken der schönen Litteratur, die er anmuthig, oft sogar bei Polemiken, anzubringen verstand.
Kopp’s Verdienste als Historiker seiner Wissenschaft, der Chemie, sind zweifellos noch bedeutender als die seiner Forscherthätigkeit. Er gilt unbestritten als der größte und bahnbrechende Historiker seines Faches. Auf diesem Gebiete hat er nur einen würdigen Rivalen, den großen französischen Chemiker und Historiker Marzellin Berthelot, dem er aber wohl besonders [825] durch die tiefe, gründliche Systematik seiner historischen Werke überlegen ist. Kopp’s bereits erwähnte vierbändige „Geschichte der Chemie“, welche 1843–1847 erschien, bildet in der That den Glanzpunkt seines Schaffens. Während im ersten Bande die allgemeine Geschichte der Chemie von den Uranfängen bis zu den Zeiten Liebig’s und Wöhler’s dargestellt wird, geben die folgenden Bände die Geschichte einzelner Zweige dieser großen Wissenschaft, ja verfolgen sogar für jede Stoffgruppe die Entwicklung der menschlichen Kenntnisse. Die Gründlichkeit dieser Riesenarbeit ist allgemein anerkannt; sie war nur möglich für einen Geist wie den Kopp’s, der als Unicum eine universelle Kenntniß der Fachgegenstände mit einer philologischen und sprachlichen Gelehrsamkeit hervorragendster Art vereinte und so allein im Stande war, das Wissen der Jahrhunderte bis an seine Urquellen zu verfolgen. Gerade beim Lesen dieses Kopp’schen Fundamentalwerkes hat man am deutlichsten den Eindruck, wie gerade die Geschichte der Naturwissenschaften und speciell der Chemie so recht eigentlich die Culturgeschichte der Menschheit widerspiegelt und zugleich die wichtigsten Einblicke in die Fähigkeiten und die Entwicklung, ja auch in die Pathologie der menschlichen Psyche gibt. Mit Recht betont K. am Schluß seines großen Werkes, wieviel man daraus auch für die Zukunft lernen könne. Bei aller Gründlichkeit in der Behandlung des einzelnen Gegenstandes sind die Entwicklungen der Hauptbegriffe der Wissenschaft großzügig dargestellt, so daß man über dem Inhalt rasch und leicht die bereits erwähnte Härte des Stiles vergißt.
Als die Münchener Akademie der Wissenschaften auf Veranlassung des Königs Maximilian II. von Baiern eine großangelegte „Geschichte der Wissenschaften in Deutschland“ herausgab, wurde als einzig in Frage kommende Autorität K. als Historiograph seines Faches aufgestellt. So entstand im J. 1873 sein Buch: „Die Entwicklung der Chemie in der neueren Zeit“, welches die Geschichte der Chemie bis zum J. 1858 behandelt. Dies ist das Jahr, in welchem die Lehre Avogadros, besonders durch Cannizzaro’s lichtvolle Abhandlung endlich eingeführt und mit Betonung auch auf den letzten Seiten des Kopp’schen Buches besonders hervorgehoben, siegreich ein neues Zeitalter der theoretischen Chemie einleitete. Offenbar Vorstudien zu geplanten weiteren Bänden oder einer zweiten leider nicht mehr erschienenen Auflage seiner „Geschichte“ sind Kopp’s „Beiträge zur Geschichte der Chemie“ (drei Stücke, 1869 bis 1875), welche Gegenstände aus den verschiedensten Zeitaltern von Demokritos bis Lavoisier behandeln und ein ungeheuer großes und gründliches Material enthalten. Hierher gehören auch die sehr interessanten beiden Bände „Die Alchemie in älterer und neuerer Zeit“ (1886). Ein Jahr vor seinem Tode noch hat der 74jährige K. in der bekannten Ostwald’schen Sammlung der „Klassiker der exakten Wissenschaften“ liebevoll die Herausgabe der berühmten Abhandlung seines Freundes Liebig „Ueber die Constitution der organischen Säuren“ besorgt und mit zahlreichen Commentaren versehen. – Das Grundergebniß, das aus Kopp’s geschichtlichen Werken hervorleuchtet, wird wohl am besten durch die Worte von Fr. A. Lange (Geschichte des Materialismus 1902, II, S. 173) begleitet: „Das wichtigste Resultat der geschichtlichen Betrachtung ist die akademische Ruhe, mit welcher unsere Hypothesen und Theorien ohne Feindschaft und ohne Glauben als das betrachtet werden, was sie sind: als Stufen in jener unendlichen Annäherung an die Wahrheit, welche die Bestimmung unserer intellectuellen Entwicklung zu sein scheint.“
- A. W. v. Hofmann, Ber. d. deutsch. Chem. Gesellsch. 25, 505 (1892). – T. E. Thorpe, The life work of H. Kopp, Journ. of Chemic. Society. Trans. 63, 775 (1893). – F. Krafft, Badische Biographien V, 406 [826] (1906). – Th. Curtius, Prorectoratsrede Heidelberg 1905/06; – Th. Curtius u. J. J. Rissom, Geschichte d. Chem. Univ.-Laboratoriums in Heidelberg, 1908, S, 23. – Hintzelmann, Almanach d. Univers. Heidelberg, 1886, S. 262. – E. v. Meyer, Geschichte d. Chemie, 1905, S. 558. – A. W. v. Hofmann, Liebig-Wöhler’s Briefwechsel, Braunschweig 1888. – W. Ostwald; Lehrb. d. allgem. Chemie, 1891, S. 1151.– Nernst, Theoret. Chemie, 1909, S. 781. – Poggendorff’s biograph.-litterar. Handwörterb., I, 1303; III, 742; IV, 792.
[820] *) Zu Bd. LI, S. 336.