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ADB:Luise von Hessen-Darmstadt

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Artikel „Luise, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach“ von Gustav Lämmerhirt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 131–135, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Luise_von_Hessen-Darmstadt&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:37 Uhr UTC)
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Luise, Herzogin, später Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach, Gemahlin Karl August’s, war die jüngste, fünfte Tochter Landgraf Ludwig’s IX. von Hessen-Darmstadt und der „großen Landgräfin“ Karoline. Während ihr Vater, noch als Erbprinz, in Diensten Friedrich’s des Großen stand, wurde sie am 30. Januar 1757 zu Berlin geboren. Im Herbst desselben Jahres kehrten die Eltern auf Wunsch des kaiserlich gesinnten Großvaters der kleinen Prinzessin nach der Heimath zurück und L. verlebte nun ihre erste Jugend unter den Augen der Mutter in Darmstadt im Kreise der Geschwister, während sie des Vaters wenig ansichtig wurde und ihm eigentlich zeitlebens fremd geblieben ist. Ludwig, ein unruhiger, wunderlicher Mann, der eine leidenschaftliche Vorliebe für seine Soldaten hatte, fühlte sich in Pirmasens, bei den Regimentern, viel wohler als in der eigenen Familie, und das änderte sich auch nicht, nachdem er 1768 regierender Landgraf geworden war. So ruhte die Erziehung der Kinder allein in der Hand Karoline’s, die freilich nur von Geschlecht ein Weib, von Geiste aber ein Mann war. In ihrem siebzehnten Jahr (Sommer 1773) nahm L. an jener Petersburger Reise theil, die zur Verlobung und Heirath ihrer Schwester Wilhelmine mit dem Großfürsten Paul, dem Sohne Katharina’s II., führte. Auch für Luise’s eigenes Leben hat diese russische Fahrt eine gewisse Bedeutung. Die beiden Menschen, welche in nicht allzu ferner Zukunft ihr sehr nahe treten sollten, Karl August und Goethe, kamen in jenen Tagen zuerst in den Gesichtskreis des jungen Mädchens. Goethe hat es später dem Kanzler v. Müller [132] erzählt, wie er die Prinzessin damals auf der Zeil in Frankfurt schlank und leicht habe in den Wagen steigen sehen, der sie nach Rußland brachte. Der Dichter bezeugt auch, daß sie gleich in diesem Augenblicke sein Inneres nicht unberührt gelassen hat. Und wenige Tage darauf in Erfurt, im Hause des Statthalters v. Dalberg fanden die Reisenden die Herzogin-Regentin von Weimar Anna Amalia mit ihren Söhnen Karl August und Constantin. Wollen wir späteren Versicherungen glauben, so hat sich schon anfangs ein gegenseitiges Wohlgefallen bei beiden jungen Leuten herausgestellt, und auch im Gemüthe der Mütter mag der Heirathsplan sofort insgeheim entsprungen sein. Freilich, ehe der Coadjutor im Einverständniß mit der Herzogin Anna Amalia diesen Plan weiter betreiben konnte, waren noch ein und ein halbes Jahr ins Land gegangen und hatten manche Veränderung mit sich gebracht. Kurze Zeit nach der Rückkehr von Petersburg war die Mutter, Landgräfin Karoline, an der Wassersucht gestorben und hatte ihre jüngste Tochter in trauriger Vereinsamung zurückgelassen. Zudem konnte L. nicht einmal in Darmstadt bleiben, sie wäre dort ganz allein gewesen, da der Vater auch jetzt noch Pirmasens als Residenz beibehielt. Also folgte sie ihrer Schwester Amalie, die mit dem Erbprinzen von Baden verlobt war, nach Karlsruhe an den Hof des in Fürstenbundsachen wohlbekannten Markgrafen Karl Friedrich. Hier war es, wo die erste Kunde von den zwischen Dalberg und dem Darmstädter Minister v. Moser geführten vertraulichen Verhandlungen Luise’s Ohr erreichte und dort einen nicht ganz ungünstigen Boden fand. Denn, abgesehen von dem guten Eindruck, den der junge Herzog schon s. Z. in Erfurt auf sie gemacht hatte, verhießen ihr die weimarischen Bewerbungen doch wieder eine neue Heimath und sogar einen landesmütterlichen Wirkungskreis. Und in Karlsruhe fühlte sie sich nie recht wohl. Nur war sie der Meinung, daß zwei Personen, die ihr ganzes Leben mit einander zubringen sollten, sich beiderseits erst genau kennen lernen müßten. Sie wollte keinen Entschluß fassen, als den ihr Herz dictirte und kannte ihre eigne Natur dabei doch so genau, daß sie sicher war, dies ihr Herz würde ohne die reiflichste Erwägung aller dabei eintretenden Betrachtungen nicht entscheiden. So kühl und klar die Dinge überdenkend hatte sie, wie schon vorher dem Erbprinzen von Mecklenburg-Schwerin, so jetzt Karl August die Erlaubniß gegeben in Karlsruhe zu erscheinen und seine Werbung persönlich vorzubringen. Aber als dieser nun im December 1774 die Fahrt antrat, da fanden sich Beide doch rascher zu einander als L. vielleicht geglaubt haben mochte und der Verlobung folgte am 3. October des folgenden Jahres schon die Hochzeit – so schnell auf besonderen Wunsch der Braut, die sich vom badischen Hofe fortsehnte – und am 17. October 1775 der Einzug in Weimar.

Der Charakter Luise’s ist ein Problem. Ohne Zweifel hat ein Gefühlsimpuls bei ihrer Verbindung mit dem Herzog schließlich den Ausschlag gegeben, aber wer sie während der ersten zehn, fünfzehn weimarischen Jahre in ihren Beziehungen zur Schwiegermutter, zum Gatten und zu den Genossen des Musenhofs beobachtet, der muß bemerken, daß ihr Wesen immer mehr eine Zurückhaltung annimmt, die der natürlichen Gefühlswärme gefährlich wird. Einmal wird ihr Inneres mit der Sonne verglichen, die durch kalte Nebel hindurchleuchtet. Goethe nennt sie mit einem Worte eine „verschlossene Natur“ und hat in der Gestalt der Prinzessin im „Tasso“ das verklärte Bild ihrer Eigenschaften gegeben. Anna Amalia gegenüber ist sie über eine kritische Kühle nie hinausgekommen und daß auch das Verhältniß zu Karl August in den ersten Jahren ein unglückliches war, darf nicht verschwiegen werden. Auf der einen Seite der ausgesprochene Sinn für Beobachtung äußerer Schicklichkeit, [133] dabei das Fehlen einer gewissen sanften weiblichen Nachgiebigkeit (so hat Schiller später die Fürstin erkannt), auf der anderen sorgloses Außerachtlassen der Formen, Rücksichtslosigkeit, ungebändigter jugendlicher Ungestüm: so lange diese beiden Charaktere ohne gegenseitiges Verständniß sich berührten, mußten sie eben, nach Goethe’s bekanntem Wort „immer beide Unrecht haben“. Der Dichter selbst, der der Herzogin von jeher schwärmerisch ergeben war, beobachtete dies mit Bedauern. Er hat aber doch immer das sichere Gefühl gehabt, daß es sich dabei nur um einen vorübergehenden Zustand handelte. „Ueber Karl und Louise sei ruhig“, schreibt er 1776 an Lavater, „sie sollen noch eins der glücklichsten Paare werden, wie sie eins der besten sind“.

Nie hat die junge Herzogin an den Liebhabervorstellungen zu Tiefurt und Ettersburg thätigen Antheil genommen, auch dem „Tiefurter Journal“ steht sie völlig fern. Sie liebte wol die Natur, aber die stille Natur, nicht die vom fröhlichen Treiben der „lustigen Zeit“ belebte. Verhältnißmäßig früh schon verzichtete sie auf diese äußeren Lebensfreuden und suchte dafür Ersatz in dem Verkehr mit guten, bedeutenden Menschen. Und wie Anna Amalia in Wieland, so fand L. in Herder ihren Seelenfreund (vgl. Eleonore von Bojanowski, Herder und die Herzogin Luise, Deutsche Rundschau, Januar 1901). Es ist ausgesprochen worden, daß kein Mensch ihrem inneren Selbst wieder so nahe getreten sei, als Herder im Verlauf der achtziger Jahre. Und in der That: ihre Studien mit Herder, ihr Gespräch mit ihm ließen das seelische Leben Luise’s sich viel freier entfalten, als das vielleicht die früheren ähnlichen Beziehungen zu Lavater, die noch in die Karlsruher Zeit zurückreichen, vermocht hatten. Wir hören von Shakespearelectüre und von jahrelang fortgesetzter Beschäftigung mit der lateinischen Sprache und Litteratur und entdecken dabei eine neue Seite von Luise’s Wesen, ihre Verwandtschaft mit römischem Geist. „Sie war selbst einer jener antiken Gestalten ähnlich, die Schmerz und Freude stolz verhüllen.“ Aber nicht nur in der Ruhe und Hoheit berührt sich L. mit der Antike, auch die Auffassung ihrer Pflichten als fürstliche Mutter hat einen altrömischen Zug. Als ihr am 2. Februar 1783 der Erbprinz Karl Friedrich geschenkt wurde, empfindet sie dies als den Höhepunkt ihres Lebens, aber das Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit für seine spätere Entwicklung drückt sie nieder, ganz anders wie Karl August, der den Sohn jubelnd begrüßt. Und in Bezug auf den am 30. Mai 1792 geborenen Prinzen Bernhard schreibt sie an ihren Bruder: „Wenn er sich dieses Namens nicht eines Tages würdig erzeigt, so werde ich ihn als meinen Sohn verläugnen“.

Auch im Laufe des täglichen Lebens, der hinter der Stadtkirche mitunter drückende Sorgen hervorrief, hat die Herzogin sich Herder und seinem Hause nie versagt, selbst nachdem schon die eigenthümlich freigeistige Auffassung des Mannes von dem hohen Werthe der beginnenden französischen Revolution für die Menschheit Luise’s fürstliches Empfinden verletzt und ihr persönliches Verhältniß zu ihm getrübt hatte. L. hielt wenig von den weltbürgerlichen Freiheitsschwärmereien, denen mit den weimarischen Schöngeistern auch Herder – nicht aber Goethe – verfallen war. Sie war vom Gottesgnadenthum ihres Standes überzeugt, fühlte sich auch eben als deutsche Fürstin. Und hier ist der Boden, auf dem sie ihrem Gemahl näher kommt. „In dem Maße, als – durch den Fortgang der politischen Dinge in den neunziger Jahren – die gemeinsamen Interessen an dem Wohl und Wehe des großen wie des engeren Vaterlandes in den Vordergrund ihres Lebens gedrängt wurden, hörten jene derben Seiten in Karl August’s Individualität, die sie sonst tief verstimmt hatten, auf, L. zu reizen.“ An seinen landesväterlichen [134] Unternehmungen hatte er sie schon früher betheiligt, in der Fürstenbundspolitik wußte sie wol auch Bescheid und selbst in die Rolle als Officiersfrau, die ihren Gemahl in der Garnison besucht, fand sie sich, nachdem Karl August in die preußische Armee eingetreten war. Immer ernster wurde die Lage. Napoleon führte die Zeit herauf, von der es bei Frau v. Staël heißt: „dans toute l’Europe on était en France“. Für L. brachte diese Zeit einen großen geschichtlichen Augenblick mit sich. Es war am 15. October 1806, dem Tage nach der Schlacht bei Jena, als der Kaiser Nachmittags nach Weimar herüberkam und das Schloß des Fürsten betrat, den er vor allen wegen seiner unerschrockenen deutschen Gesinnung mit besonderem Zorn verfolgte. Der Herzog war im Felde, der Erbprinz und seine Gemahlin, Großfürstin Maria Paulowna, fern, auch die alte Herzogin-Mutter, Anna Amalia, hatte Weimar am Tag vorher verlassen. Gegen Wunsch und Willen Karl August’s war L. allein zurückgeblieben inmitten Hunderter von verängsteten Frauen und Kindern, die sie im Schloß aufgenommen hatte und mütterlich behütete. Sie war sich wohl bewußt, daß das Schicksal des Herzogthums auf ihren Schultern ruhte, als sie nun dem Eroberer entgegentrat. Allein Furcht war ihr fremd. „Voilà pourtant une femme à laquelle nos deux cents canons n’ont pas pu faire peur“ hat Napoleon später von ihr gesagt. Und in der Unterredung, die sie damals mit ihm hatte, gelang es ihr, das Aeußerste von ihrem Hause und Lande abzuwenden. Wenn wir dem Kaiser glauben wollen, so hat er um ihretwillen Schonung geübt, selbst nachdem die Bedingung, daß der Herzog innerhalb vierundzwanzig Stunden nach Weimar zurückkehre und sein Contingent von der preußischen Armee trenne, sich als unerfüllbar erwiesen hatte. L. selbst fand in solchem Eintreten für ihr Volk etwas ganz Einfaches und Natürliches, aber die Herzen waren ihr für immer gewonnen, und der Dank des geretteten Weimar, jene Medaille, die sie neunzehn Jahre später (am 14. October 1825) aus den Händen Goethe’s und seiner Freunde entgegennahm, bedeutete viel mehr, als eine ritterliche Aufmerksamkeit. Als im Jahres 1813 Weimar wieder von französischen Truppen besetzt war, bot sich ihr von neuem Gelegenheit diesen Dank zu verdienen. Von ihrer landesmütterlichen Fürsorge gibt allerdings – getreu ihrem Wesen – kein Wort ihrer Briefe Kunde, nur ihr Ausgabebuch belehrt uns. Und im J. 1814 übergab sie sogar ihren gesammten Schmuck der Landschaftsdeputation zur Linderung der allgemeinen Noth. Dieser wurde ihr später gegen ihren Willen zurückgegeben. Der Wiener Congreß erhob das Land zum Großherzogthum (1815), und L. sah darin nur eine gerechte Anerkennung von ihres Gemahls vaterländischem Sinn, wenn sie auch auf den neuen Titel selbst wenig Gewicht legte. Auch der liberale Charakter der Verfassung von 1816 ist ihr zu verdanken.

Die Friedenszeit hatte wieder das gewohnte litterarische Stillleben gebracht, dessen Mittelpunkt nun, nach Anna Amalia’s Tode (10. April 1807) L. wurde. Noch fanden sich neue Freunde (vor allen Dingen Frau v. Staël) zu den alten, doch mit den zunehmenden Jahren lichtete sich natürlich der Kreis immer mehr und mehr. Die letzte und äußerste Vereinsamung aber brachte der Großherzogin der Tod Karl August’s (14. Juni 1828). Die jüngste Generation, welche in ihr die Großmutter ehrte, wuchs heran und erfüllte ihre letzten Jahre noch mit Licht und Freude. Merkwürdiger Weise scheinen die Enkelkinder – ich meine besonders die nachherige Kaiserin Augusta und den späten Großherzog Karl Alexander – ihrem Herzen näher gestanden zu haben als es jemals selbst den Kindern beschieden gewesen war. Denn selbst ihre liebliche Tochter Karoline (geboren am 18. Juli 1786, † am 20. Januar 1816 als Erbprinceß von Mecklenburg-Schwerin) hatte das Los gehabt, von [135] der Mutter kühl behandelt zu werden. L. hatte sich jetzt wieder in das Fürstenhaus zurückgezogen, dahin, wo sie einst ihre junge Ehe begonnen hatte. Ihre Gesundheit war schon lange erschüttert, dennoch wurden Alle schmerzlich überrascht, als der Tod am Sonntag, den 14. Februar 1830 dieses Leben beendete, kaum zwanzig Monate, nachdem Karl August ihr vorangegangen.

Vgl. Eleonore von Bojanowski, Louise Großherzogin von Sachsen-Weimar und ihre Beziehungen zu den Zeitgenossen. Nach größtentheils unveröffentlichten Briefen und Niederschriften. Mit Verzeichniß der älteren Litteratur. Stuttgart und Berlin 1903.