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ADB:Lombard, Johann Wilhelm

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Artikel „Lombard, Johann Wilhelm“ von Hermann Hüffer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 141–149, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lombard,_Johann_Wilhelm&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:50 Uhr UTC)
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Band 19 (1884), S. 141–149 (Quelle).
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Lombard: Johann Wilhelm L., preußischer geheimer Cabinetsrath, geb. zu Berlin am 1. April 1767, † zu Nizza am 28. April 1812, gehörte einer Familie an, welche, vormals im Dauphiné ansässig, schon zu Ende des 17. Jahrhunderts mit den vor Ludwig XIV. fliehenden Reformirten nach Berlin gekommen war. Der Vater, ein Haarkräusler, starb bereits am 7. Februar 1780, die Mutter, eine geborne Monod aus Bern, war, wie es scheint, über ihren Stand gebildet, so daß sie eine zahlreiche Familie durch französischen Unterricht ernähren konnte. „O toi, qui me fus lieu de père“, redet L. sie in einem Jugendgedichte an, das nicht aufhören mag, ihre Sorgfalt und Güte, ihren Muth und ihre immer gleiche Heiterkeit in mancherlei Stürmen und Bedrängnissen zu rühmen. Von ihren vier Söhnen zeichnete sich der zweite, Johann Wilhelm, durch eine auffallend rasche Entwicklung aus und durch sein Talent, in der Muttersprache zu dichten: „schon als dreizehnjähriger Knabe“, heißt es in einer gleichzeitigen Litteraturgeschichte (La Prusse littéraire von Denina, Berlin 1790, II. 420), „habe er die Kenner in Erstaunen gesetzt.“ Es fanden sich die Mittel, ihm auf dem französischen Gymnasium eine Erziehung zu geben. Gleich seinen vertrautesten Jugendgenossen Paul Erman und Friedrich Ancillon – dem späteren Minister – wollte er sich dem geistlichen Stande widmen, aber, wie es noch vorhandene Jugendgedichte beweisen, ohne innere Neigung. Da war es entscheidend und für sein ganzes Leben eine Wohlthat, daß ihn sein väterlicher Freund, der bekannte Oberconsistorialrath Erman, am 6. März 1786 Friedrich dem Großen für die erledigte Stelle eines Cabinetskanzlisten empfahl. Das auf dem Berliner Geheimen Staatsarchiv noch erhaltene Empfehlungsschreiben könnte nicht dringender, nicht ehrenvoller für Lombard’s Kenntnisse, Fähigkeiten und sittliches Verhalten gefaßt sein; aber der König wollte nur den eigenen Augen trauen. „Er soll ihn herschicken“, schreibt er auf das Blatt, „erst sehen, ob er was nütze ist.“ Indessen schon am 13. März, auf Grund einer von Friedrich II. als vortrefflich belobten schriftlichen Arbeit, erfolgte die Anstellung als Kanzlist, und nicht lange nach dem Regierungswechsel am 2. December 1786 die Beförderung zum Cabinetssecretär. Fleiß und Geschicklichkeit, vielleicht auch seine litterarischen und geselligen Talente förderten den jungen Menschen rasch in der Gunst des neuen Monarchen, so daß er sich selbst später als „demi-favori“ Friedrich Wilhelm’s II. bezeichnen durfte. Schon 1789 begleitete er den König nach Schlesien, 1790 auf den Reichenbacher Congreß und wird von da als Gehülfe des Obersten Lusi mit einer nicht unwichtigen Sendung in das Lager des türkischen Großvezirs an der Donau beauftragt; 1792 folgt er wieder dem Könige auf dem Feldzuge gegen Frankreich. Es ist hier einzuschalten, daß er sich am 26. Februar 1790 mit Dorothea Gilly, der Tochter eines angesehenen Berliner Architekten, vermählt hatte. Die Briefe, welche während eines vierjährigen Brautstandes und später bei zeitweiliger Trennung gewechselt wurden, haben sich zum großen Theil erhalten, und es macht einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man wahrnimmt, wie ein Mann, der so oft als ein sittenloser Wüstling geschildert wurde, zu Frau und Kindern in einem Verhältniß stand, das, soweit diese Briefe entscheiden können, als ein musterhaftes, außergewöhnlich inniges erscheint. Auch über die Erlebnisse während des Feldzugs hat er, so weit sich Gelegenheit bot, an seine Frau eine Reihe von Briefen gerichtet, welche auch nach Goethe’s Tagebuch über dieselbe „Campagne“ nicht ohne Nutzen und Vergnügen zu lesen sind. L. theilte nicht allein die Leiden, sondern auch die Gefahren des Heeres. Während der Schlacht bei Valmy (20. September) wurde er von einem französischen Streifcorps gefangen, von wüthenden Nationalgarden beinahe ermordet, endlich in das Hauptquartier Dumouriez’ nach Ste. Menehould [142] geführt und erst nach drei Tagen gegen den Maire von Varennes, George (nicht wie Goethe angibt, gegen den Postmeister Drouet) ausgewechselt. Ueber diese Gefangenschaft ist schon früh von Emigranten und in neuerer Zeit besonders von dem rheinischen Antiquarius (I, I, 116) das Gerücht verbreitet, L. habe sich auf höheren Befehl absichtlich fangen lassen, um der preußischen Diplomatie den Weg zu Verhandlungen mit den französischen Gewalthabern zu eröffnen. Schon nach dem, was bisher aus dem preußischen Staatsarchiv veröffentlicht war, konnte man diese Behauptung als unbegründet ansehen, aber die schlagendste Widerlegung erhält sie durch einen Brief Lombard’s vom 24. September aus dem Hauptquartier bei Haans, der über alle Einzelheiten des ganz zufälligen, für den Helden äußerst gefährlichen Abenteuers Auskunft giebt. In den nächsten Wochen hatte L. in unmittelbarer Nähe des Königs einen großen Theil des diplomatischen Schriftwechsels zu besorgen; er gilt schon jetzt, erst 25 Jahre alt, als ein Mann, der auch im Rathe eine Stimme habe. Gleichwol blieb er in der bescheidenen Stellung eines Cabinetssecretärs; auch an den reichlichen Gaben, welche die Günstlinge des Königs aus der polnischen Beute sich anzueignen wußten, scheint er nichts erhalten zu haben. Bei dem Tode Friedrich Wilhelm’s II. wurde er, wie so manche, die dem Verstorbenen nahe gestanden hatten, von der Ungnade des Nachfolgers getroffen; aber die gegen ihn eingeleitete Untersuchung muß durchaus zu seinen Gunsten ausgefallen sein, denn bald schenkte ihm auch Friedrich Wilhelm III. volles Vertrauen und erhob ihn am 12. Januar 1800 zum geheimen Cabinetsrath, vornehmlich für die Bearbeitung der auswärtigen Angelegenheiten. Sechs Jahre hindurch war er ein Hauptträger des politischen Systems und der Cabinetsregierung und in dieser doppelten Eigenschaft bis in die neueste Zeit auch ein Hauptzielpunkt der erbitterten gegen das eine und die andere gerichteten Angriffe. Man hat aber dabei den persönlichen Charakter des Königs meistens nicht hinreichend in Anschlag gebracht. Aus dem, was Friedrich Wilhe1m III. besaß und was ihm fehlte, ergibt sich beinahe mit Nothwendigkeit jene Art der Geschäftsleitung, wie sie weder unter Friedrich II. noch unter Friedrich Wikhelm II. ein Vorbild findet. Voll vom Gefühl seiner Autorität, aber wenig geneigt und geübt, sich schriftlich oder mündlich auszudrücken, bedurfte er der Räthe, die dies für ihn übernahmen und doch ihren Willen dem des Monarchen unterordneten, ohne eine Selbständigkeit wie etwa Stein oder Hardenberg anzusprechen. Es ist denn auch sehr bezeichnend, daß Lombard’s Einfluß zuerst im Sommer 1799 bedeutend hervortritt, in jener Zeit, als der König gegen Rath und Wunsch beinahe seiner gesammten Umgebung und insbesondere des Grafen Haugwitz den Beitritt zu der neuen Coalition verweigerte, um in der Neutralität gegen Frankreich zu verharren. Auch L. hat übrigens damals die Wünsche des Ministers getheilt, wenigstens keineswegs auf französischer Seite gestanden; erst nach den entscheidenden Siegen Bonaparte’s konnte er dem blendenden Glanze des neuen Gestirns nicht widerstehen. Zum Abschluß des Vertrags vom 23. Mai 1802 hat er, so viel er vermochte, beigetragen, aber bald wurde durch die Besetzung Hannovers im Juni 1803 auch für Preußen die Gefahr in die nächste Nähe gerückt. Um die eigentlichen Absichten des ersten Consuls zu ergründen und gegen weitere Uebergriffe Sicherheit zu erhalten, übernahm L. im Juli 1803 eine außerordentliche Sendung an Napoleon nach Brüssel. Sie kann als der Höhepunkt seiner diplomatischen Stellung gelten, hat ihm aber auch die härtesten Vorwürfe des Leichtsinns, der Leichtgläubigkeit und der Zugänglichkeit für Napoleons Schmeichelreden zugezogen. Geschmeichelt worden ist ihm allerdings, nur nicht in so alberner Weise, wie man damals und später in Berlin erzählte; offenbar hat er auch den Charakter [143] Napoleons nicht durchschaut und unzulänglich beurtheilt. Nur ist der Vorwurf später, nachdem alle Welt angesichts der Ereignisse scharfsichtig geworden war, mit unbilliger Schärfe ausgesprochen. Man hat nicht genugsam in Anschlag gebracht, was L. ausdrücklich für die Leser seiner Hauptdepesche vom 24. Juli bemerkt, daß sie, um den Ausdrücken Bonaparte’s eine Art von Authenticität zu geben, Talleyrand zur Bestätigung vorgelegt, also auch auf diesen Mann berechnet werden mußte. Mehr als einmal hebt L. auch hervor, daß alles, was er über die Gesinnungen Bonaparte’s zu Gunsten Preußens sage, nur in der gegenwärtigen Lage seine Begründung finde, und daß man sich bei einem solchen Manne gefaßt halten müsse, mit der Lage auch die Gesinnungen plötzlich verändert zu sehen.

Es würde zu weit führen, wenn wir, was nach den vorliegenden Documenten nicht unmöglich wäre, Lombard’s Ansichten über die einzelnen, an ihn herantretenden politischen Fragen feststellen wollten. Offenbar arbeitete er nach dem Willen des Königs für die Neutralität, war also schon deshalb zu jeder, irgend möglichen Nachgiebigkeit gegen Napoleon geneigt. Daß er aber ein Bündniß mit Frankreich betrieben habe, dafür ist kein Zeugniß bekannt; es war Hardenberg, sein Gegner, der vor dem Ausbruch des neuen Coalitionskrieges im Sommer 1805 auf diese Seite neigte. Allein der König trat dazwischen, berief Haugwitz aus langer Beurlaubung zurück, und Haugwitz war es, der in vollem Einverständniß mit dem Cabinet dem französischen Bündniß wieder auswich. Jeder weiß, was nun folgt, wie die preußische Neutralität zuerst von Rußland bedroht, dann von Frankreich durch den Einbruch in die fränkischen Markgrafschaften am 3. October 1805 verletzt wurde, wie dann der Besuch Kaiser Alexanders in Berlin am 3. November das eventuelle Versprechen des Beitritts zur Coalition herbeiführte, aber die Schlacht bei Austerlitz den Grafen Haugwitz nöthigte, zwei ganz verschiedene Verträge zu Schönbrunn am 15. December 1805 und zu Paris am 15. Februar 1806 zu unterzeichnen, von denen der letztere nicht mehr die Freundschaft, sondern die Herrschaft Frankreichs aufdrängte. Nicht allein das politische System, welchem L. anhing, sondern auch seine persönliche Stellung wurde durch diese Ereignisse und die Ungunst der öffentlichen Meinung mehr und mehr gefährdet. Schon im April, kurz nach der Rückkehr des Grafen Haugwitz aus Paris, hatte der Freiherr v. Stein, der geborene Gegner der Cabinetsregierung, mit dem hohen und ernsten Pflichtgefühl, aber zugleich mit der rücksichtslosen Heftigkeit, die ihm eigen waren, eine Denkschrift verfaßt, schneidend gegen die politischen Maßregeln, bitter und höhnisch gegen die Institution des Cabinets und voll leidenschaftlicher Invectiven gegen Haugwitz, sowie die Cabinetsräthe Beyme und L. Am 10. Mai wurde sie zuerst der Königin übergeben, blieb aber als die Aeußerung eines Einzelnen ohne sonderliche Wirkung. Viel bedeutender war es, daß am 2. September Stein und mit ihm gleichgesinnte königliche Prinzen, hohe Staatsbeamte und Generale abermals eine von Johannes v. Müller entworfene Denkschrift überreichen ließen, welche in der Form scheinbar gemäßigt, im wesentlichen die Vorwürfe der ersten Denkschrift gegen die Geschäftsleitung wiederholte, gegen die Leiter beinahe noch überbot, indem sie sogar den Verdacht des Verraths und der Bestechlichkeit anzudeuten nicht verschmähte. Mag man noch so hoch von den Gesinnungen der Unterzeichner, noch so übel von den Nachtheilen der Cabinetsregierung denken: die Form dieser Eingabe war unschicklich, ja, vielleicht noch schlimmer, sie war ungeschickt; denn es ließ sich voraussehen, daß der König einen so starken Eingriff in seine Autorität nur durch um so stärkeres Festhalten an den angegriffenen Maßregeln und Personen zurückweisen würde. Unmittelbar hat denn auch die Denkschrift ihren Zweck ganz und gar [144] verfehlt; aber etwas anderes ist, ob sie nicht doch einen nachhaltigen Eindruck zurückgelassen hat. Es ist oft gefragt, was eine bis dahin so bedächtige Regierung, wie die preußische, nicht allein zum Kriege, sondern auch zu einem so eiligen, ja übereiligen Vorgehen, im ungünstigsten Augenblick, vor dem Eintreffen der von Rußland zu erwartenden Hülfe veranlassen konnte. Nicht für den Krieg überhaupt, aber für den vorzeitigen Beginn des Krieges sind die Gründe sehr wahrscheinlich in persönlichen Stimmungen zu suchen und nicht zum wenigsten in den Nachwirkungen jener Eingabe vom 2. September. Denn gerade die Scheu vor der öffentlichen Meinung, der Wunsch, einem solchen Angriff gegenüber die Vorwürfe von Mangel an Ehrlichkeit, Festigkeit, Einheit des Handelns zu widerlegen, waren nur zu geeignet, die Leiter der Politik in einen Zustand von Hitze und Ueberstürzung und doch wieder von Unsicherheit und Halbheit zu versetzen, der in jenen verhängnißvollen, die kälteste Besonnenheit wie die freieste Thatkraft erfordernden Tagen doppelt verderblich wirken mußte.

Im Spätherbst finden wir L. im königlichen Hauptquartier in Thüringen. Ein Brief vom 3. October an seine Frau läßt erkennen, wie er seine Befürchtungen durch eine gewaltsam hervorgerufene Begeisterung zu verscheuchen suchte. Krank, aufgeregt, gewiß nicht ohne das Gefühl der erlittenen Kränkungen, fand er doch die Kraft zu zwei großen Arbeiten, dem Absagebrief des Königs an Napoleon und dem preußischen Kriegsmanifest vom 9. October. Aber was vermochten Manifeste, und wären sie noch so vorzüglich gewesen, in einem Augenblicke, wo die eisernen Würfel des Kriegs in den Händen eines Spielers wie Napoleon lagen? Am 14. October fiel bei Jena die Entscheidung für den preußischen Staat und zugleich für L., und für L. weit unheilvoller als für die, welche, auf dem Schlachtfelde fallend, den Sturz des Vaterlandes nicht überlebten, oder nach überstandener Prüfungszeit mitwirkend der neuerrungenen Größe sich freuen durften. Denn niemals hat ihn das Gefühl wieder verlassen, daß man ihn für das Mißgeschick des Staates verantwortlich mache, und die vorlängst gegen ihn erhobenen Vorwürfe erhielten, durch den Erfolg gleichsam bestätigt, nunmehr doppelte Bitterkeit. So wie die Stein’sche Denkschrift vom Mai 1806 sie formulirt, sind sie dem Ausdruck nach wol das Stärkste, was jemals über einen preußischen Staatsmann gesagt worden ist. L. wird dargestellt „als physisch und moralisch gelähmt und abgestumpft; seine Kenntnisse schränken sich ein auf französische Schöngeisterei; ernsthafte Wissenschaften haben diesen frivolen Menschen nie beschäftigt. Seine frühzeitige Theilnahme an den Orgien des Rietz, der Gräfin Lichtenau, an den Ränken und Abscheulichkeiten dieser Menschen haben sein moralisches Gefühl erstickt und an dessen Stelle eine vollkommene Gleichgültigkeit gegen das Gute und Böse bei ihm gesetzt.“ Und dann folgt die Klage: „In den unreinen und schwachen Händen eines französischen Dichterlings von niederer Herkunft, der mit der moralischen Verderbtheit eine physische Lähmung und Hinfälligkeit verbindet, der seine Zeit in dem Umgang leerer und erbärmlicher Menschen mit Spiel und Polisonnerien vergeudet, ist die Leitung der diplomatischen Verhältnisse dieses Staats, in einer Periode, die in der neuesten Staatengeschichte nicht ihres Gleichen findet.“

Nichts ist in der That dem Rufe und dem Andenken Lombard’s so nachtheilig gewesen, als dieser Angriff, der um so rascher wirkte, als die Denkschrift nicht einmal mit der Vorsicht, die doch der Inhalt erfordert hätte, behandelt wurde. Denn die angeführten Worte finden sich schon, was bemerkt zu werden verdient, in einem der gelesensten und nicht am schlechtesten geschriebenen Pamphlete des Jahres 1808, der „Gallerie preußischer Charaktere“ (S. 273), wo auch Lombard’s Charakterbild in wenig schmeichelhafter Weise gezeichnet wird. Aber [145] Stein selbst hat in späteren Tagen sein Urtheil gemildert. Als sein Freund, Hans v. Gagern, in dem Buche: „Mein Antheil an der Politik“ sich sehr geringschätzig über Haugwitz und L. geäußert hatte, schreibt ihm Stein am 16. Januar 1823: „Seicht und schwachköpfig war weder Haugwitz noch Lombard. Beide hatten vielen Verstand, letzterer viele klassische Gelehrsamkeit, gründliche Kenntniß der französischen Litteratur, nicht gemeines Dichtertalent; beide waren unmoralisch und roués, Lombard von niedrigem Herkommen, eines Perückenmachers Sohn, daher sagte er: ‚Mon père de poudreuse mémoire‘ –, in der liederlichen Schule Rietzens und der Lichtenau gebildet.“ Man sieht, die letztere Stelle läßt von der ersten wenig übrig, als die Beschuldigung eines unsittlichen Lebens und die Verbindung mit der Gräfin Lichtenau. Und auch dieser Vorwurf ist, wenn nicht unbegründet, doch augenscheinlich weit übertrieben. Lombard’s Schule waren die Predigerfamilien der französischen Gemeinde. Ein Brief im December 1792, von ihm geschrieben, beweist, daß er damals der Lichtenau nicht einmal freundlich gesinnt war. Sie selbst erzählt in ihren Memoiren (Paris 1809, S. 22), sie sei L. nur ein einziges Mal zufällig auf einem Balle begegnet. Während seines ganzen Lebens hat sein Umgang wenig gewechselt. Ancillon, Erman, Henry erscheinen wie in den ersten Jugendbriefen auch als die Freunde seiner letzten Jahre, und es kann wol als ein günstiges Zeugniß gelten, daß er, soweit man sehen kann, in seinem Leben keinen Freund verloren hat. Einem ausgezeichneten Beamten des auswärtigen Ministeriums, dem Geheimen Rath Gustav v. Le Coq (geb. am 27. August 1799), der noch durch persönlichen Umgang und Familienbeziehungen L. nahe stand, erschien der Widerspruch zwischen Stein’s Worten und seiner eigenen Erinnerung so stark, daß er erst vor einigen Jahren (Zeitschr. f. preußische Geschichte 1874, S. 740) die Ansicht aussprach, Stein habe sich in der Person geirrt und den Cabinetsrath mit seinem jüngeren Bruder, dem Legationsrath Peter L., verwechselt. „Dem Cabinetsrath“, setzt er hinzu, „habe Niemand als Stein bei seinen Lebzeiten während seiner überaus glücklichen Ehe einen ausschweifenden Lebenswandel nachgesagt.“ Aber so bestimmt dies lautet, Stein’s Brief an Gagern zeigt doch eine zu genaue Bekanntschaft mit wirklichen Eigenschaften Lombard’s, als daß man eine Verwechselung im vollen Sinne annehmen dürfte. Nur für das Verhältniß zur Lichtenau könnte sie vielleicht begründet sein. Unrichtig ist es auch, daß bei Lebzeiten Lombard’s Niemand als Stein einen Vorwurf der angegebenen Art gegen ihn erhoben habe. Der Vorwurf kehrt nur zu häufig wieder, und L. selbst mag dazu beigetragen haben durch ein formloses, man könnte sagen, tactloses Benehmen, das sich auch in seinen Schriften nicht selten kenntlich macht. Das Zeugniß von Le Coq und das allerdings weit gewichtigere Zeugniß seiner eigenen Briefe reichen nicht aus, ihn von einem nur zu weit verbreiteten Fehler seiner Zeit ganz frei zu sprechen. Aber mit Sicherheit läßt sich behaupten, daß er, gerade in Anbetracht der Zeit, jene Vorwürfe nicht entfernt in dem Maße verdient hat, wie sie Parteileidenschaft und persönliche Abneigung gegen ihn zum Ausdruck brachten. Von einem anderen Vorwurfe der Käuflichkeit und des Verrathes ist es beinahe überflüssig zu reden. L. hat nachweisbar einmal, nach dem Vertrage vom 23. Mai 1802, ein nicht unbedeutendes Geldgeschenk – 1000 Louisdor – aus Paris erhalten. Es wäre besser, er hätte sie nicht genommen, aber an eine strafbare Bestechung ist dabei nicht zu denken. Denn er erhielt die Summe auf Verwendung von Haugwitz und Lucchesini, welche in Paris geltend machten, daß auch die übrigen Staaten, insbesondere Rußland und Etrurien, den Geheimen Cabinetsrath an den nach einem Vertrage damals allgemein üblichen Geldgeschenken theilnehmen ließen. Nach dem Testament, durch welches er am 13. Februar 1806 seine [146] Frau als Haupterbin einsetzt, betrug sein Vermögen ungefähr 29,000 Thaler, gerade so viel, als ein Mann in seiner Stellung, der weder geizte, noch verschwendete, etwa zurücklegen konnte. Seine politischen Ansichten gingen – auch abgesehen von dem Willen des Königs – offenbar dahin, so lange als irgend möglich Freundschaft oder wenigstens Frieden mit Frankreich zu halten. Er mag darin zu weit gegangen sein, auch im Verkehr mit französischen Diplomaten die Grenzen des Schicklichen und dessen, was seine Stellung forderte, zuweilen überschritten haben. Aber Verrath? Welchen Preis hätten wol die Franzosen einem Manne in Lombard’s Stellung bieten können, um, ich sage nicht, das Pflichtgefühl, sondern nur die gemeinste Berechnung zum Verrath zu reizen? Fragt man aber nach Zeugnissen, so ist die private Correspondenz beinahe noch beweisender als die öffentliche. Man lese nur den einen Brief, in welchem er vor der Schlacht bei Jena seiner Frau gegenüber das Vaterland noch höher stellt als Weib und Kind, und man wird sich überzeugen, daß der König schwerlich einen anhänglicheren Diener finden konnte. Vielleicht hat er nicht immer den besten Rath gegeben, der zu geben war, aber sicher den besten, den er geben konnte.

Und doch ist es gerade diese Anklage: ein Gemisch der unsinnigsten Gerüchte, was nach der unerwarteten, unerhörten Niederlage den Grimm des Volkes gegen ihn entlud. Als er wenige Tage nach der Schlacht, kaum dem Feinde entgangen, krank in Berlin anlangte, mußten ihn die Behörden auf die Gefahr eines längeren Bleibens aufmerksam machen. Er floh weiter mit seiner Familie, mit den wichtigsten Vermögensstücken und bezeichnend genug, mit seinem unvollendeten Trauersp1el „Alexis“. Aber in Stettin war die Aufregung gegen ihn so groß, daß die Königin selbst, es scheint auf Antrieb der bei ihr befindlichen Schwester, der Prinzessin Solms, am 20. Octbr. seine Verhaftung veranlaßte. Er sollte mit den Franzosen verrätherische Umtriebe gepflogen und wichtige, ihn compromittirende Papiere entwendet haben. Unter den Beschimpfungen des Pöbels wurde er ins Gefängniß geschleppt und erst zwei Tage später durch die Dazwischenkunft des in Küstrin weilenden Königs in einer Weise, die den Herrn wie den Diener ehrte, wieder in Freiheit gesetzt. Nach kurzem Aufenthalt in Köslin begab er sich allein im November nach Königsberg, wo er auch den König wiedersah und zwischen Furcht und Hoffen die schicksalsvollen Wochen bis zu Anfang des neuen Jahres verlebte. Als der Hof sich noch weiter bis nach Memel zurückzog, ging er beurlaubt nach Köslin, um dort den größeren Theil des folgenden Jahres im Kreise seiner Familie zuzubringen. Nach dem Tilsiter Frieden hat er noch einmal den Wunsch ausgesprochen, in die frühere Stellung wieder einzutreten; aber der König macht ihm am 18. August 1807 in einem schönen Briefe begreiflich, daß weder die öffentliche Meinung noch sein Gesundheitszustand diese Rückkehr gestatteten. „Um die öffentliche Meinung zu versöhnen, aber zugleich um L. öffentliche Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und seine treuen Dienste zu belohnen“, verleiht er ihm die durch Merian’s Tod erledigte Stelle eines ständigen Secretärs, d. h. nahezu eines Präsidenten der Akademie der Wissenschaften. Allein auf diesem Posten, dem er selbst in gesunden, glücklichen Tagen schwerlich gewachsen war, konnte er in so bedrängter Zeit nichts Erhebliches leisten, noch weniger die allgemein für nothwendig erkannte Verbesserung durchführen, und am 30. Octbr. 1809 trat er zurück. Was ihm vom Leben noch geblieben, war ein immer zunehmendes Siechthum. Ein Halsleiden brachte ihn schon im Winter 1810 dem Tode nah. Im Mai 1811 erhielt er durch die Gnade des Königs, nicht ohne Zuthun des jetzt versöhnten Gegners Hardenberg, die Mittel für eine Reise nach Italien. [147] Aber die südliche Luft, die aufopfernde Pflege seiner Gattin konnten das Leiden nicht aufhalten, dem er am 28. April des folgenden Jahres zu Nizza erlag.

Man gestatte nach diesen Bemerkungen über den Politiker und den Privatmann noch ein Wort über Lombard’s litterarische Begabung, die ihm den Weg in die amtliche Laufbahn eröffnet hat. Eine noch erhaltene handschriftliche Gedichtsammlung aus den Jugendjahren zeugt von einem keineswegs geringen Talent, freilich schon von einer gewissen Weitschweifigkeit, die sich niemals ganz verloren hat. Hervorzuheben sind eine „Epître à Monsieur Bitaubé“, den bekannten Uebersetzer der Odyssee und der Ilias, von 1785 und „La mort du Duc Léopold de Brunswic“ aus dem Juni desselben Jahres, ein langes im Druck 14 Seiten füllendes Gedicht auf den, auch von Goethe und Herder gepriesenen Fürsten, der am 27. April in den Fluthen der Oder seinen Tod fand. Eine eigentliche litterarische Ausbildung wurde durch Lombard’s angestrengte amtliche Thätigkeit verhindert, doch erschien 1789 „Ossian, Essais d'une traduction en vers français par J. W. Lombard“, Berlin bei Rottmann; 1790: „Histoire de la campagne des Prussiens en Hollande en 1787 par Théodore Philipp de Pfau, traduite de l’Allemand, 4°; ferner als Fortsetzung jugendlicher Versuche 1802 zugleich in Paris und Berlin: „Enéide, livre quatrième, traduit en vers français par Jean Lombard“. Der Versuch fand auch in französischen Blättern, vielleicht nicht ohne Einfluß Napoleons, günstige Beurtheilung und trug wesentlich dazu bei, daß der Autor am 27. Januar 1803 zum Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften ernannt wurde. Das bedeutendste Werk in Prosa sind die „Matériaux pour servir à l’histoire des années 1805, 1806, 1807, dédiés aux Prussiens par un ancien compatriote“, Francfort et Leipzig, Frédéric Nicolai 1808 (auch in deutscher Uebersetzung erschienen), wesentlich eine Vertheidigungsschrift der preußischen Politik und schon deshalb auch auf Napoleon berechnet, welchem der Verfasser das Werk zuzusenden nicht verfehlte. Für die Entwickelung der Ereignisse, die Charakteristik der Personen, insbesondere des Königs, wird es immer eine bedeutende Quelle bleiben; eine gewisse Schwächlichkeit der Gesinnung erklärt sich theils aus dem Charakter des Verfassers, theils aus dem Zweck des Werkes. Es rief schon früh nicht wenige Gegner hervor, darunter Massenbach und Hardenberg, dessen Denkwürdigkeiten eine fortdauernde Beziehung auf die Lombard’sche Darstellung verrathen. Auch in den eigentlich amtlichen Schriften Lombard’s macht sich ein schönrednerisches Element häufiger und stärker geltend, als die Natur des Gegenstandes fordert, besonders ungeschickt in den Briefen, die er im Namen des Königs an Napoleon entwarf. In den Briefen an Kaiser Alexander ist dagegen diese Tonart nicht selten ganz an ihrem Platze, und einige darf man in der That als meisterhaft bezeichnen. Den größten Anstoß erregten die beiden zu Anfang des Krieges verfaßten Schriftstücke: Der Brief des Königs an Napoleon und das preußische Manifest. Den ersteren nannte Napoleon wegen seiner übermäßigen Länge ein schlechtes Pamphlet, hütete sich aber wohl, ihn Jemanden sehen zu lassen. Der oft, auch von Gentz erhobene Vorwurf, daß die Aufzählung der immer erneuerten Nachgiebigkeiten Preußeus gegen Napoleons Uebergriffe ein Sündenbekenntniß der eigenen Politik in sich schließe, verliert an Berechtigung, wenn man bedenkt, daß dieser Brief nur für einen einzigen Mann bestimmt war. Viel stärker trifft er das öffentliche Manifest, es wird aber von Gentz, der den Entwurf nicht ohne wohlbegründete Abänderungen ins Deutsche übertrug, gleichwohl als eine „Production von nicht geringem Talente“ bezeichnet.

Von Lombard’s drei Brüdern war der älteste, Adolf Ludwig, geb. am 11. Oct. [148] 1765, in den neunziger Jahren Legationssecretär in Lissabon, wurde 1798 in derselben Eigenschaft nach Kopenhagen versetzt, später als Kriegsrath und Geheimer Kriegsrath im Ministerium des Auswärtigen beschäftigt. Als solcher starb er zu Berlin am 24. August 1822. Der jüngere, Albert, geb. am 15. Decbr. 1768, machte seinem Bruder durch schlechte Aufführung viele Sorge und scheint früh gestorben zu sein. Merkwürdiger ist Peter, der jüngste Bruder, geb. am 21. Septbr. 1775, sehr früh entwickelt, sehr talentvoll, aber, wie es scheint, weit mehr als sein Bruder in das sittenlose Treiben der Residenz hineingezogen. Schon im ersten Jünglingsalter machte er sich durch eine leidenschaftliche Neigung zu der bekannten Madame de Genlis bemerkbar, die im Herbst 1794 als Emigrantin nach Berlin gekommen war. Der Einfluß seines Bruders, der wie ein Vater für ihn sorgte, brachte ihn in die Nähe des Grafen Haugwitz. Am 6. Octbr. 1796 wird er als Kanzleisecretär im auswärtigen Ministerium angestellt, schon im Jahre 1799 erwähnen ihn fremde Diplomaten als einen Günstling des Ministers. Drei Jahre später wird er als Attaché der preußischen Gesandtschaft in Paris dem Marchese Luchesini beigegeben, bald nach der Rückkehr, am 21. Decbr. 1802, ernannte ihn eine von der Hand seines Bruders entworfene Cabinetsordre zum vortragenden Rath im Ministerium, „wegen des guten Zeugnisses, daß er von Lucchesini erhalten, wegen der Kenntnisse, die er in Paris gesammelt und wegen der Art, wie er sich interimistisch beim Könige selbst bewährt habe.“ Zahlreiche in Lucchesini’s Nachlasse befindliche Papiere lassen seine Wirksamkeit in der That viel bedeutender erscheinen, als bisher angenommen wurde. Im Juli 1803 begleitete er seinen Bruder auf der Sendung nach Brüssel, 1806 dient er, wie Gentz in dem „Tagebuche“ schildert, im königlichen Hauptquartier in Thüringen zwischen seinem erkrankten Bruder und Haugwitz als Vermittler. Nach der Niederlage bei Jena folgte er dem Minister, ging aber, als Haugwitz nach dem für den Krieg entscheidenden Beschluß der Conferenz in Osterode (21. Nov. 1806) sich auf seine Güter in Schlesien zurückzog, mit dem Könige nach Königsberg. Hier fanden sich die beiden Brüder wieder, beide in ihren politischen Hoffnungen und in ihrer Gesundheit gebrochen. Peter L. erlag, zuerst von Beiden, schon im nächsten Winter in Köslin der Halsschwindsucht. – Lombard’s ältester Sohn August, geb. am 17. April 1792, wie der Vater früh entwickelt, studirte seit 1810 die Rechte in Heidelberg und Berlin. Mit seinem damals erst 15jährigen, einzigen Bruder Eduard gehörte er zu den ersten Freiwilligen, die dem Aufrufe des Königs im Februar 1813 nach Breslau folgten, wo er von Scharnhorst mit Auszeichnung empfangen wurde. Eine rühmliche Waffenthat bei Aken an der Elbe brachte ihm schon in den ersten Monaten die Beförderung zum Offizier. Nach Beendigung des Krieges war er 1818 Assessor in Frankfurt a. d. O., wirkte seit dem folgenden Jahre am Rhein als Oberprocurator zuerst in Cleve, dann in Koblenz und wurde am 31. Juli 1831 als Mitglied des rheinischen Cassationshofes nach Berlin berufen, wo er, erst 44 Jahre alt, als Geheimer Oberrevisionsrath am 19. Mai 1836 starb. Er veröffentlichte eine gut geschriebene, die Vorzüge des preußischen und französischen Proceßverfahrens verständig abwägende Abhandlung: „Ueber die bevorstehende Veränderung der Gesetze in den königlich preußischen Rheinprovinzen“. Koblenz 1827. Im J. 1823 hatte er sich mit Karoline Stündeck aus Rheinberg vermählt, einer geistig bedeutenden Frau, welche nach dem Tode ihres Gatten zuerst in Münster, dann am Rheine lebte und am 17. November 1881 79jährig in Köln gestorben ist. Sie wird häufig in den Briesen der Dichterin Annette v. Droste erwähnt, trat auch selbst als Schriftstellerin auf, freilich nur als Uebersetzerin französischer Werke, z. B. von Malebranche und Ozanam.

[149] Quellen: Die Archivalien des Berliner geheimen Staatsarchivs, die hinterlassenen Papiere J. W. Lombard’s, welche von seiner Schwiegertochter und seinem Enkel Herrn Eduard L. in Köln freundlichst mitgetheilt wurden; daneben die auf die Zeitgeschichte bezüglichen Arbeiten, insbesondere von Ranke, Duncker, Bailleu, Oncken, Noack und Anderen.