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ADB:Lindpaintner, Peter Joseph von

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Artikel „Lindpaintner, Peter Joseph v.“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 706–708, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lindpaintner,_Peter_Joseph_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:25 Uhr UTC)
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Lindpaintner: Peter Joseph v. L., ein ungemein fruchtbarer Componist, geb. am 8. (oder 9?) December 1791 in Koblenz, wo sein Vater Tenorist an der kurfürstlichen Kapelle war. Als sich Kurfürst Clemens Wenzel vor den 1794 in Trier einrückenden Franzosen mit seinem Hofstaat nach Augsburg zurückzog, folgte auch Lindpaintner’s Vater ihm als erster Kammerdiener dorthin und der Sohn verlebte, eine sorgfältige Erziehung genießend, seine Jugend daselbst. Der Kurfürst selbst interessirte sich lebhaft für das sich entwickelnde Talent und schickte ihn nach Beendigung der Gymnasialstudien auf seine Kosten nach München zu Winter. Nachdem er dort bis zum Jahre 1811 studirt hatte und bereits eine Oper „Demophoon“, sowie eine Messe zur Aufführung gelangt waren, in denen sich die Winter’sche Schule nicht verkennen läßt, sollte er auf Wunsch des Kurfürsten noch eine Studienreise nach Italien machen; allein der plötzliche Tod desselben (1812) verhinderte die Ausführung dieses Planes und er sah sich genöthigt nun für seinen eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Das neu errichtete zweite Hoftheater am Isarthore in München (vgl. darüber Bd. II S. 410 v. Bernbrunn) bedurfte eines Musikdirectors und durch die Empfehlung seines Lehrers wurde der 21jährige Jüngling mit der Stelle betraut. Unablässig bemüht durch theoretischen Musikunterricht bei dem tüchtigen Contrapunktisten Joseph Graz in München seine technische Kunstfertigkeit zu vermehren, trotzdem er bereits ein einträgliches Amt verwaltete, wurde er endlich Meister jener Technik, die allein im Stande ist der Träger der Idee zu werden und selbst aus kleinen Motiven etwas Ansprechendes und Werthvolles zu schaffen. Er schrieb in dieser Zeit u. A. die Opern „Der blinde Gärtner“ (op. 18), „Alexander in Ephesus“ (op. 22), „Abrahams Opfer“ (op. 23), „Die Pflegekinder“ (op. 34), „Die Prinzessin von Cacambo“. Das Theater am Isarthore konnte jedoch auf dem Gebiete des ernsteren Drama’s die Concurrenz des Hof- und Nationaltheaters nur schwer überwinden und sah sich von dieser Seite her bedroht. L. kam es daher sehr gelegen, daß er im J. 1819 einen Ruf als Director der Stuttgarter Hofkapelle erhielt. Durch seine unausgesetzten Bemühungen und sein eminentes Directionstalent gelang es ihm, die Stuttgarter Hofkapelle bald zu einer der besten Deutschlands emporzuheben und ihre Aufführungen zu Musterleistungen zu stempeln. Währenddem hatte er aber auch als Componist eine ungemeine Fruchtbarkeit entwickelt und wurde in kurzer Zeit zu den damals beliebtesten gerechnet. Rasch folgten sich die Opern „Timantes“ (eine Umarbeitung des Demophoon), „Perronte“, [707] „Die Sternenkönigin“, „Kunstsinn und Liebe“, „Sulmona“, „Giesbrecht“, „Der Bergkönig“ und „Der Vampyr“, die bedeutendste darunter (op. 72), der am 21. September 1828 zuerst aufgeführt ward. Unter den um dieselbe Zeit geschriebenen 6 Balletmusiken ragt „Joko“ (op. 65) hervor, überhaupt eine seiner originellsten Arbeiten. Die Werke dieser Periode zeigen mehr und mehr den Einfluß der musikalischen Romantik, wie sie durch Spohr und Weber gestaltet war; vor Allem steht der Vampyr auf diesem Boden. In Lindpaintner’s späteren Opern macht sich ein gewisses Streben nach italienischer Melodik daneben geltend, so in der komischen Oper „Die Macht des Liedes“, 1836, in der „Genueserin“ (1838). Es folgten „Die sicilianische Vesper“, 1843; „Lichtenstein“, 1846; „Die Korsen“, 1853. – Von seinen sehr zahlreichen sonstigen Compositionen nennen wir die Oratorien „Der Jüngling von Nain“ und „Abraham“; 4 große Messen; 24 Psalmen (op. 145); daneben viel Kammer- und Concert- und Theatermusiken, unter denen wol seine Ouvertüre zu Goethe’s Faust, dessen Lieder er ebenfalls componirte, die bedeutendste ist. Endlich zahlreiche Lieder. Bei einer so massenhaften Production konnte dieselbe nicht immer auf gleicher Höhe stehen und es treten uns oft genug Beurtheilungen in alten Zeitschriften entgegen, die ihn hart tadeln und seine Leistungen als schwach bezeichnen, während anderwärts seine Begabung und sein Können als bedeutend anerkannt wird. Es wird von den biographischen Musiklexicis gern ein Artikel der Allgemeinen musikalischen Zeitung in Leipzig aus dem Jahre 1835 (Spalte 661) citirt, der eine gerechte und ausführliche Würdigung von Lindpaintner’s Compositionen enthalten soll. Ausführlich ist der Artikel wol, doch gerecht nur soweit, als er die guten Seiten Lindpaintner’s hervorhebt, im Uebrigen aber sehr an Ueberschwenglichkeit und Schwülstigkeit leidet. Der Artikel ist mit Dr. G. Penny gezeichnet und der damalige Redacteur obiger Zeitung, G. W. Fink, hat eine seiner schwachen Poesien als Schlußstein angehängt – er wollte doch auch etwas sagen. L. stand damals auf der Höhe seines Ruhmes und ihn neben Mozart und Beethoven zu stellen war nichts Unerhörtes. So sagt Dr. Penny: „Die Menge verlangt heute nach Aeußerlichkeiten, nach heftigster Erschütterung ihres Nervensystems; ohne diese geht auch die schönste Musik spurlos an ihren Ohren vorüber, zumal wenn dieselbe, wie dies z. B. bei Mozart und Beethoven – mit denen L. hierin die größte Aehnlichkeit hat – immer der Fall ist, das Anmuthige nur Sache der Form und nicht eigentlichen Zweck des Kunstwerks sein läßt.“ Die Oper „Vampyr“ scheint von den Zeitgenossen ganz besonders geschätzt worden zu sein, denn Penny sagt Spalte 668: „Lindpaintner’s Musik in seinem „Vampyr“ wird man immer mehr und mehr schätzen lernen, je öfter und länger man sie hört. Nur Folge von der glücklichsten Verwendung der Kunstmittel und von der richtigsten Anschauung und Auffassung des Kunstwerks kann dies sein. Und hier erblicken wir ihn denn auch gerade auf der Höhe, auf welcher er bis auf den heutigen Tag noch unerreicht dasteht.“ Charakteristisch für uns und wol treffend bezeichnend für Lindpaintner’s Compositionen ist folgender Ausspruch. Penny spricht von „der wohlthuenden Anmuth“ in Lindpaintner’s Werken und fügt dem hinzu: „eine schwere Aufgabe, die Künstler, welche nicht von Natur aus mit einem solch’ leichten Sinne, einer so gefälligen Seele begabt sind wie L., niemals zu lösen im Stande sein werden. Man hat darin wol schon den Schüler Winter’s erkennen wollen; aber L. überflügelte hier noch seinen unvergeßlichen Lehrer; bei ihm ist Alles Kunst und gleichwol zeigt sich seine liebenswürdige Seele auch selbst da noch, wo er zürnen und grausam sein will. Hat er ein Vorbild in dieser Art zu schreiben gehabt, so war es Graun, dessen unsterblicher „Tod Jesu“ z. B. täuschend ähnliche Stellungen und Wendungen enthält, wie Lindpaintner’s jüngstes Oratorium [708] „Der Jüngling von Nain“, ohne sich indessen eines Plagiats, oder auch nur dessen, was man gewöhnlich in der musikalischen Setzkunst Nachahmung, Imitation nennt, schuldig gemacht zu haben.“ Für die Anschauung der damaligen Zeit ist auch folgender Passus von Interesse. Penny schätzt L. noch höher als Instrumentalcomponist und zieht einen Vergleich mit den Leistungen der letzten Decennien. Er sagt: „Gehen wir um nur einige wenige Decennien zurück in der Geschichte unserer Kunst, so kann uns nicht entgehen, daß in dieser Zeit die Instrumentalmusik auf ganz neuen Wegen zu einer bewunderungswürdigen Höhe gelangt ist. Besonders waren es Haydn, Mozart und Beethoven, die fördernd auf ihre weitere Ausbildung hinwirkten. Mit Letzterem ist aber auch die Epoche abgeschlossen, was nach ihm noch in diesem Theile der Kunst Vortreffliches geleistet wurde, erhebt sich nicht über die von Haydn und Mozart geschaffene und von Beethoven noch fester begründete und bestimmter abgeschlossene Manier der Zeit; nur L. läßt neben seinem mächtigen Rival Friedrich Schneider hier noch ein entferntes, schönes, erreichbares Ziel voraussehen.“ Die von Rob. Schumann begründete Zeitung dagegen geht ihm sehr scharf zu Leibe und fertigt ihn nur ganz kurz ab. Schumann hat sich auch darin ein hohes Verdienst erworben, daß er durch seine Musikzeitung ein besseres und auf wissenschaftlicher Aesthetik begründetes kritisches Urtheil erweckte und die Leistungen früherer Zeit mit den jetzigen in ein richtiges Verhältniß brachte. – L., der seit 1822 mit Sophie, der Tochter des bairischen Hofschauspielers Stentzsch in glücklicher, doch kinderloser Ehe lebte, genoß das Glück einer ungestörten Wirksamkeit, einer kräftigen Gesundheit noch im hohen Alter und hoher Verehrung seiner Umgebung bis zum letzten Athemzuge. Noch im J. 1856 ward er zum Preisrichter beim eidgenössischen Sängerfeste in St. Gallen berufen. Auf der Heimreise ereilte ihn der Tod am 21. August zu Nonnenhorn am Bodensee. Er ward im nahen Wasserburg beerdigt.

Einen Nekrol. Lindpaintner’s gab in Westermann’s Illustrirten Monatsheften Nr. 3 und in Nr. 307 der Schwäbischen Chronik vom 25. December 1856 der mit ihm nahe befreundete Professor Gantter in Stuttgart.