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ADB:Lange, Johann Peter

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Artikel „Lange, Johann Peter“ von Otto Zöckler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 558–573, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lange,_Johann_Peter&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:16 Uhr UTC)
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Lange: Johann Peter L., Professor der Theologie und Oberconsistorialrath, wurde am 10. April 1802 auf der „Bies“ geboren, einem zur Gemeinde Sonnborn bei Elberfeld gehörigen Bauernhofe. Seinem Vater, dem Landwirth und Fuhrmann Johann Peter Lang (später Lange) genannt, gehörte das genannte Gut nicht erbeigenthümlich, vielmehr hatte er, der aus der Nachbargemeinde Schöller gebürtig war, den Hof durch seine Verbindung mit der Erbtochter Anna Maria Bühner erheirathet. Dieselbe war Tochter eines früheren Messerarbeiters aus dem Städtchen Wald bei Solingen, der jenen Sonnborner Gutshof käuflich erworben hatte. Durch fleißigen und geschickten Betrieb des Fuhrgeschäfts, das er von seinem (auf „der Hahnenfurt“ in Schöller, nahe bei Sonnborn, ansässig gewesenen) Vater ererbt hatte, gelangte der ältere J. P. Lange zu ziemlichem Wohlstande. Trotz der bei den Fahrten zwischen Elberfeld und Crefeld zu passirenden französischen Zollschranken in Düsseldorf, wodurch der ihm obliegende Waarentransport erschwert wurde, wußte der kluge Sonnborner Fuhrherr und Gemeindeälteste seine Verhältnisse so zu verbessern, daß er den unten im Thale gelegenen Bies-Hof mit einem stattlicheren Wohnsitze, „auf dem Nocken“ (östlich von der jetzigen Bahnstation Vohwinkel auf bewaldeter Anhöhe) vertauschen konnte. Die Uebersiedlung dahin ließ in dem damals etwa dreijährigen Knaben Johann Peter eine dauernde Erinnerung zurück, und zwar eine solche von schmerzlicher Art; denn statt der neuen Wohnstätte sich zu freuen, erklärte er daselbst am ersten Abend unter Thränen: „Ich will heim!“ Bald jedoch lernte er des stattgehabten Wechsels sich freuen, zumal da zeitweiliges Wiedereinkehren in dem verlassenen Hause seiner Geburt ihm nicht versagt blieb. Bei den daselbst nun wohnenden Stiefbrüdern seiner Mutter war der muntere, stets wißbegierige (bei allem Wahrgenommenen immer nach dem Warum? fragende) Knabe ein gern und oft gesehener Gast. Von Seiten dieser Oheime erfuhr derselbe auch hinsichtlich seines früh sich entwickelnden Geisteslebens manche wichtige Anregung, bestehend u. a. in der Darbietung von allerlei Büchern zur Befriedigung seines starken Lesebedürfnisses. Geeignete und minder geeignete Lectüre wurde frühzeitig von ihm verschlungen; außer Archenholz’ Geschichte des siebenjährigen Kriegs, die seinen Patriotismus zu beleben diente, gehörten zu der von der Bies aus ihm zufließenden Geistesnahrung u. a. die „Wundergeschichte des deutschen Herkuliskus“ und das sentimentale Rührungsbuch „Leiden einer tugendhaften Tänzerin“. Anderes derartige, z. B. auch Sibyllenbücher und Traumbücher, bezog er durch eine zeitweilig bei seiner Mutter auf dem Nocken arbeitende Näherin, die auch geschickt zu erzählen wußte und seiner Einbildungskraft manche anregende Stoffe zuführte. Vor allem aber war es die große, von seinem Vater bei einer seiner Wanderfahrten käuflich erstandene Bibel, in der er fleißig las und die besonders in ihrem alttestamentlichen Theile nachhaltige und tiefe Eindrücke auf sein Gemüthsleben hervorbrachte. So ganz war er eingelebt in die Schicksale der Kinder Israel vor wie nach Mosis Zeiten, daß er eine Zeitlang alles Ernstes sich selbst und die Seinen mit zu denselben rechnete. Erst durch ein besonderes Erlebniß – Beraubung eines jüdischen Wandersmanns im Walde durch einen Fremden – wurde ihm [559] der Einblick erschlossen in den thatsächlich bestehenden Gegensatz zwischen dem heutigen Judenthum und einem Namenchristenthum, dessen sittliche Minderwerthigkeit ihn tief schmerzte.

Auf selbstthätige Ergänzung des in der Schule ihm Dargebotenen blieb der junge Autodidakt in nicht geringem Maaße angewiesen, denn es war nur mäßig bestellt um den Elementarunterricht, den er zuerst auf einer sog. Heckschule bei Vohwinkel, dann in einer Abendschule genoß, wo er zum ersten Male Landkarten zu sehen bekam und mit den Regeln deutscher Rechtschreibung bekannt gemacht wurde. Einige Förderung hatte er dem Unterricht im Französischen zu danken, den Pastor Eßler in Sonnborn ihm sowie seinem älteren Bruder eine Zeitlang ertheilte; desgleichen später der Theilnahme an dem Privatunterricht, welchen ein Hauslehrer auf dem benachbarten Rittergute Hammerstein den Kindern des Gutsherrn gab. Hier wurde das Elementarwissen noch einigermaßen gehoben, auch das Französische weiter getrieben und der Sinn für deutsche Poesie durch Lesen und Lernen Schiller’scher und Goethe’scher Gedichte belebt. – Daran, daß ihm zuweilen auch gar andere Dinge zugemuthet wurden als Beschäftigung mit den Wissenschaften, hat er in späteren Jahren noch manche Erinnerung bewahrt. Der Aufgabe, ein Stück Heideland urbar zu machen, hat er einst (mit Auflesen und Fortschleppen der Steine und mit Verbrennung der Heidebüsche) drei Tage hindurch sich unterziehen gemußt; die vom Vater als Lohn dafür erhaltenen Thaler wanderten dann in eine Elberfelder Buchhandlung, wo sie alsbald in neues Lesematerial umgesetzt wurden. Bei einer Dienstleistung im elterlichen Hause selbst, die man ihm einst auftrug, verhielt er sich nicht ganz so tüchtig, wie bei jenem Stück Feldarbeit. Er sollte das nächtliche Umrühren der im Kessel kochenden Latwerge besorgen, vergaß aber, infolge allzu eifrigen Lesens in dem in die Küche mitgenommenen Buche, den Rührlöffel in stetiger Bewegung zu erhalten und ließ das kostbare Kraut anbrennen. Während der nächsten Jahre nach seiner Confirmation, vom Spätherbst 1817 bis zum Sommer 1819, schien es, als ob er in die praktische Berufsarbeit seines Elternhauses ganz hineingezogen und dauernd an dieselbe gefesselt werden sollte. Er mußte zusammen mit seinem älteren Bruder die Ausübung des väterlichen Fuhrgeschäfts übernehmen, da der Vater infolge eines Beinbruchs während vieler Monate arbeitsunfähig blieb. Sogar den zeitweilig gehegten Gedanken an die förmliche Erlernung des kaufmännischen Berufs mußte er während dieser Zeit aufgeben; die bereits gekaufte italienische Grammatik blieb unbenutzt liegen, während er die Geschäfte eines „Schirrmeisters“ zu besorgen, d. h. die Ladungen für die von jenem Bruder gefahrenen Wagen nach Krefeld zurechtzumachen hatte. Zu wiederholten Malen hat er in dieser Zeit auch selbst das Fuhrzeug zu begleiten gehabt. Der Lesedurst verließ ihn freilich auch da nicht. Er hat einst, neben seiner Karre hergehend, unterwegs auf der Landstraße sich so ins Lesen vertieft, daß er wegen allzu langsamen Vorwärtskommen seines Transports die Zeit zu versäumen fürchtete und daher nachgerade das Pferd übermäßig anzutreiben genöthigt wurde. Den mit ihm des Weges ziehenden Kameraden las er gern vor. Bald beim Rasten unter Obstbäumen am Wege in der Mittagshitze, bald beim Uebernachten Abends in der Wirthsstube hat er sie mit Vorlesen aus deutschen Volkssagen wie die von den vier Haimonskindern u. dgl., unterhalten.

Dem schon von der Gefahr des gänzlichen Ausgeschlossenbleibens von einer wissenschaftlichen Laufbahn Bedrohten verhalf schließlich ein im J. 1819 nach Sonnborn gekommener jüngerer Geistlicher zum Betreten des richtigen Weges zur Erfüllung seiner Wünsche. Hülfsprediger Phil. Hermann Kalthoff, die [560] ungewöhnliche Begabung des jungen Mannes erkennend, beredete den Vater, bald nachdem dieser von seinem Beinbruch geheilt die Führung seines Geschäfts wieder übernommen hatte, die Einwilligung zum akademischen Studium des Sohnes zu geben. Er bereitete diesen nun auf dasselbe vor, indem er ihm Privatunterricht im Lateinischen, sowie auch im Hebräischen ertheilte. Anderthalb Jahre, vom Herbst 1819 bis Ostern 1821 hatte dieser Unterricht gewährt, als der Neunzehnjährige das Düsseldorfer Gymnasium bezog, wo er in die Secunda Aufnahme fand. Nur ein halbes Jahr brauchte er in dieser Classe zuzubringen, und binnen zwei weiteren Semestern durchlief er auch die Prima. Mit eisernem Fleiße hatte er nicht nur das beim Eintritt in die Secunda ihm noch fehlende Griechisch nachgeholt, sondern obendrein auch Privatstunden ertheilt, um die von Hause nur spärlich ihm zufließenden Mittel für seinen Lebensunterhalt und für die Befriedigung seiner litterarischen Bedürfnisse zu ergänzen. Auch auf der Hochschule Bonn, die er im Herbste 1822 bezog, mußte er sich unter nicht geringen Anstrengungen und Entbehrungen durchschlagen. Schon um die Mitte des ersten dortigen Semesters starb ihm der Vater (während einer Reise in Heerdt bei Düsseldorf), kurz nach Neujahr 1823. „Bei starkem Eisgange setzte der sofort nach der Heimath eilende Sohn unterhalb Köln über den Rhein – eine traurige Winterreise! Nach der Beerdigung des wackeren Vaters beschloß die Mutter unter dem Beirathe eines Verwandten, den Sohn doch fortstudiren zu lassen. Aber hatte Lange schon in Düsseldorf knapp gestanden, jetzt ging es noch knapper. Dazu erkrankte und starb sein treuer Freund Hermann Jäger aus Elberfeld, und – was das schlimmste war – er selbst kränkelte an einem trocknen Husten, der ihn sehr beunruhigte. Im vierten Semester glaubte er eine Zeitlang, er hätte die Schwindsucht; so sehr, daß er ein paar Tage den sonst regelmäßigen Kollegienbesuch aufgab und an den grünen Hecken hinschlenderte. In seinen Studien schloß der junge Theologe sich besonderes an Lücke und Nitzsch an, namentlich an letzteren, obwohl Lücke persönlich sich theilnehmender gegen ihn bewies. Auch Sack und Augusti waren ihm freundlich … Die Saat, die diese seine Lehrer in das jugendliche Gemüth ausstreuten, ist vielfältig aufgegangen und hat reiche Frucht gebracht“ (siehe „Daheim“, Jahrg. XI, 1875, S. 535. Das an dieser Stelle gebotene, mit *** gezeichnete Lebensbild, als dessen Verfasser später [im Jahrg. XX, 1884] sich Lange’s Schwiegersohn, Pastor F. R. Fay-Crefeld nennt, ist reich an unmittelbar von L. selbst herrührenden Mittheilungen, besonders über die Erlebnisse seiner jüngeren Jahre).

Rascher noch als seinen Gymnasialcursus legte L. die an das akademische Triennium sich anschließende Candidatenzeit zurück. Nachdem er, noch von Bonn aus, im Herbste 1825 das in Köln abzulegende erste theologische Examen erfolgreich bestanden, brachte er zunächst einige Monate im Hause seines Gönners, des Elberfelder Pastors Döring zu, bekleidete dann gleichfalls nur für die Dauer eines Vierteljahres die Stelle eines Hülfspredigers in Langenberg (neben Pastor Emil Krummacher) und folgte schon im Mai 1826 einem Rufe des Presbyteriums der Gemeinde Wald ins Pfarramt der dortigen Gemeinde. Das vorher abzulegende Examen pro ministerio, dem er auf Grund oberconsistorialer Genehmigung schon ein Jahr vor der gesetzlichen Zeit sich unterziehen durfte, hatte er zu Coblenz am 10. April des genannten Jahres, also gerade an seinem 24. Geburtstage, bestanden. Der mannichfachen äußeren Noth, mit der er bis dahin zu kämpfen gehabt, war er nun glücklich entnommen. Noch beim Abgange von der Bonner Hochschule hatte er wegen einer Schuld von 100 Thalern seinen Koffer als Pfand zurücklassen müssen. Eine nachträglich [561] ihm ausgezahlte Seminarprämie von 60 Thalern lieferte den ersten Beitrag zur Abtragung jener Schuldsumme, deren Rest dann der Langenberger Hülfsprediger zu tilgen hatte. – Alsbald nach seiner Einführung in Wald gründete er auch einen eignen Hausstand durch Verheirathung mit Amalie Garenfeld, einer Tochter des kurz vorher verstorbenen Pastors Garenfeld zu Herchen an der Sieg. Noch während seines nur etwa 21/2jährigen Wirkens auf dieser ersten Pfarrstelle gebar ihm dieselbe seine beiden ältesten Söhne, den späteren Sanitätsrath Dr. Otto Lange zu Duisburg und den als Professor der Philosophie zu Marburg berühmt gewordenen Friedrich Albert Lange (s. betreffs des letzteren das Lebensbild von Franz Weinkauff: A. D. B. XVII, 624 ff.). In 35jähriger glücklicher Ehe hat ihm diese durch frommes Gemüth und vorzügliche Geisteseigenschaften ausgezeichnete Frau als treue Lebensgefährtin zur Seite gestanden. Hinsichtlich sowol des Wohnsitzes wie sonstiger Verhältnisse und Erlebnisse bekam das Ehepaar während der nächstfolgenden Jahrzehnte allerdings manche Wechsel zu bestehen.

Schon gegen Ende des Jahres 1828 siedelte L. von Wald wieder nach Langenberg über, diesmal nicht als Hülfsprediger, sondern als Inhaber eines selbständigen Pfarramts, das er aber auch nur wenige Jahre hindurch bekleidete. Einen schon im Frühjahr 1831 an ihn ergangenen Ruf an die unirte evangelische Gemeinde in Crefeld lehnte er ab, hauptsächlich weil die um dieselbe Zeit an ihn gelangende Kunde von der plötzlichen Erkrankung und dem Tode seiner Mutter in Sonnborn einen erschütternden Eindruck auf sein Gemüthsleben hervorbrachte. Doch schon im nächstfolgenden Jahre sah er sich veranlaßt, die Langenberger Stelle mit einem größeren Wirkungskreise zu vertauschen. Er wurde Pastor an der reformirten Gemeinde in Duisburg. Während eines nahezu neunjährigen Zeitraums hat er hier, durch die fesselnde Wirkung seiner Predigten ebensowol wie durch seelsorgerliche Treue und Tüchtigkeit, sich die Liebe seiner Gemeinde erworben, zugleich aber auch zur Hebung seines schriftstellerischen Rufes und seines Einflusses auf weitere Kreise Wichtiges beigetragen. Es wurde ihm schon damals, gegen Ende der dreißiger Jahre, die Stelle eines Professors der systematischen Theologie in Marburg zugedacht. Der durch Julius Müller’s Abgang nach Halle freigewordene Lehrstuhl war ihm von der theologischen Facultät, unter Zustimmung auch des akademischen Senats, angetragen worden – doch erlangte der betreffende Vorschlag nicht die Genehmigung des hessischen Kurfürsten, der der Vocation eines „Wupperthaler Pietisten“ sich widersetzte (1839). Die damals ihm entgangene Gelegenheit zum Eintritt in den akademischen Lehrberuf kehrte schon bald wieder, und zwar nunmehr mit günstigerem Ergebniß für das von ihm Gewünschte und Erstrebte. Die Regierung des Kantons Zürich berief ihn an die Züricher Hochschule, auf eben den theologischen Lehrstuhl, für welchen kurz vorher (1839) David Friedrich Strauß berufen gewesen war, aber mit der bekannten Wirkung des dadurch herbeigeführten Sturzes des früheren, religiös radicalen Kantonalregiments und der Rückgängigmachung jenes an den Tübinger Kritiker des Lebens Jesu ergangenen Rufes. L. war, kurz bevor diese Vorgänge im Zürchischen sich abspielten, gelegentlich einer mit mehreren rheinländischen Freunden zusammen unternommenen Reise in der Schweiz gewesen. Er hatte Gefallen gefunden an Land und Leuten, und verschiedene persönliche Beziehungen angeknüpft, die es ihm leicht machten, dem Gedanken einer Uebersiedlung in das Mutterland der reformirten Reformationskirche näher zu treten. Er nahm den gegen Ende 1840 an ihn ergangenen Ruf an, hielt am 6. April des folgenden Jahres mit seiner Familie unter Schnee und Regen [562] seinen Einzug in Zürich und fand bei den dortigen Freunden warme Begrüßung und liebreiche Aufnahme. Eine sonderlich leichte Aufgabe war es nicht, die dort seiner wartete, denn die aus jener Staatsumwälzung hervorgegangenen politischen und kirchlichen Verhältnisse entbehrten so sehr der Solidität und Dauerhaftigkeit, daß Lange’s späteres Geständniß, er sei bei seiner Annahme des Züricher Rufes „in ein sinkendes Schiff getreten“, kaum als Uebertreibung gelten konnte. Doch hat er auch in diese schwierigen Verhältnisse mit der ihm eigenen Gewandtheit sich zu finden gewußt, so daß sein Wirken an der Züricher Hochschule in mehr als nur einer Hinsicht sich zu einem für seine nähere und fernere Umgebung segenbringenden, für ihn selbst aber fördernden und ruhmbringenden gestaltete. „Anregend in seinen Vorlesungen, maßvoll und doch bestimmt in öffentlichen kirchlichen Angelegenheiten wußte sich Lange während seiner 13jährigen Züricher Wirksamkeit die herzlichste Zuneigung seiner Anhänger unter der akademischen Jugend wie unter gereifteren Männern und die aufrichtige Hochachtung auch seiner Gegner zu erwerben“ (Fay im „Daheim“ a. a. O. [XI] S. 536). Hinsichtlich seiner litterarischen Thätigkeit erscheint L. während dieser Züricher Jahre auf der Höhe seines Kraftwirkens angelangt, und zwar in beiderlei Hinsicht, was die geistesfrische Originalität der dieser Zeit entstammenden größeren Werke betrifft, wie was die in kleineren Arbeiten bethätigte reiche Productivität und Vielseitigkeit angeht. Besonders auch seine poetischen Versuche aus dieser Zeit und sein anregendes Wirken als Förderer des Gesangslebens der evangelischen Züricher, die er zur Bildung eines Kirchengesangvereins veranlaßte und für die er ein „Kirchenliederbuch“ herausgab, dürfen hier hervorgehoben werden. Der genannte Verein, gewöhnlich „Lange-Verein“ genannt, wirkte öfters bei kirchlichen Feiern durch sorgfältig einstudirte und gut vorgetragene Gesangesleistungen auf erfolgreiche Weise mit und bestand auch nach des Stifters Weggang von Zürich noch einige Zeit fort.

Zum Anlaß für L., das nicht unergiebige und ihm manche Freude gewährende schweizerische Arbeitsfeld wieder mit einem heimathlichen zu vertauschen, wurde die Wegberufung I. A. Dorner’s von Bonn nach Göttingen (1853), wodurch sich für ihn die Möglichkeit des Einrückens in den systematisch-theologischen Lehrstuhl der rheinischen Universität ergab. Er sah sich in dem hierauf bezüglichen Wunsche unterstützt durch eine Eingabe seiner Langenberger Freunde an die preußische Regierung. Der hierdurch erwirkten Berufung in die genannte Professur folgte er zu Ostern 1854, nicht ohne beim Scheiden aus dem bisherigen Wirkungskreise mannichfache Beweise treuer Anhänglichkeit seitens seiner schweizerischen Freunde, namentlich bei einer in den Räumen des Züricher „Künstlergütli“ ihm zu Ehren veranstalteten solennen Abschiedsfeier, erfahren zu haben.

In Bonn hat L. noch volle drei Jahrzehnte sein akademisches Berufswirken auszuüben vermocht, mit nicht unbeträchtlichen Erfolgen hinsichtlich der mündlichen Lehrthätigkeit und mit noch ansehnlicheren und nachhaltigeren auf litterarischem Gebiete, wie unten des näheren zu zeigen sein wird. Ungetrübtes Glück auch im häuslichen Leben war ihm allerdings nicht beschieden, vielmehr ergingen über ihn schwere Heimsuchungen. Nach dem Dahinscheiden seiner ersten Frau († 1861), die nur während des ersten Septenniums der Bonner Zeit an seiner Seite verbleiben durfte und deren Gedächtniß er mit dem in Dankbarkeit ihr geweihten Grabspruche aus Psalm 16, V. 11: „Du thust mir kund den Weg zum Leben“ ehrte, erblühte ihm zwar neues Eheglück aus der Verbindung mit seiner zweiten Gemahlin, die ihn auch überlebt hat. Aber noch zu mehreren Malen kehrte der Todesengel bei ihm ein. Im Spätherbst [563] 1875 starb, nach vorhergegangenem langen und schweren Leiden, sein Marburger Sohn Friedrich Albert. Wie durch diesen Verlust auf das im folgenden Frühjahre von ihm gefeierte fünfzigjährige Dienstjubiläum ein trüber Schatten entfiel, so wurde ferner, einige Zeit bevor er sein 80. Geburtsfest (10. April 1882) feiern durfte, ihm der andere Sohn Otto († als Sanitätsrath zu Duisburg 1879) entrissen. Ihm selbst blieb es vergönnt, von ernsteren Störungen seiner Gesundheit verschont, einem hohen Alter bei rüstiger Frische des Körpers und Geistes entgegenzugehen. Seit 1860, wo er (an Stelle des kurz zuvor verstorbenen Fr. Bleek) zunächst den Titel „Consistorialrath“ und weiterhin (seit 1863) auch die Functionen eines Mitgliedes des rheinischen evangelischen Consistoriums zu Coblenz überkam, hatte sein Berufswirken eine erhebliche Erweiterung über das Gebiet des theologischen Lehramts hinaus erfahren. Er zeigte sich aber der hieraus ihm erwachsenden Mehrbelastung in vollem Maaße gewachsen. Ohne daß seine schriftstellerische Productivität irgendwelche Verringerung erfahren mußte, hat der Professor und Consistorialrath (seit 1875 „Oberconsistorialrath“) dem gesammten kirchlichen Leben des Rheinlands bis in die achtziger Jahre hinein unausgesetzt die regste Antheilnahme gewidmet, als Mitwirkender bei Provinzialsynoden, Pastoralconferenzen und freien Versammlungen verschiedener Art, desgleichen als öfterer Festprediger bei Gustav-Adolf-Feiern, als Vertreter der theologischen Facultät und des Consistoriums bei dem Reformationsjubiläum zu Simmern und dem zu Mörs, u. s. f.

Nachdem er während des Sommersemesters 1884 in gewohnter Weise seine Vorlesung gehalten und dieselbe bis zum 21. Juni, dem heißesten Tage dieses Jahres fortgeführt hatte, befiel ihn ein Brustkrampf, den seine kräftige Constitution zwar zunächst glücklich überwand, von dem aber ein geschwächter Zustand doch zurückblieb. Am 8. Juli wurde er durch einen sanften Tod am Hirnschlag aus dem irdischen Leben abberufen. Zum Grabspruche hatte er sich die Worte „Der Weg des Lebens gehet überwärts“ (Spr. Sal. 15, 24) gewählt. Eben dieser Lieblingsspruch war von ihm schon viel früher, noch während der Züricher Zeit (1852), unter sein von dem Maler Irminger gefertigtes Porträtbild gesetzt worden. Er bringt in der schlichteren Form alttestamentlicher Frömmigkeit eben die dem besseren Jenseits zugekehrte Lebensrichtung zum Ausdruck, welche in neutestamentlichen Sprüchen wie Matth. 6, 33; Kol. 3, 2; Hebr. 13, 14 etc. wiederkehrt und zu welcher L. auch durch manche seiner eigenen Dichtungen sich bekannt hat.

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Der durch fast zwei volle Menschenalter sich erstreckenden Dauer von Lange’s theologischer Wirksamkeit entspricht sein litterarischer Nachlaß hinsichtlich sowol seines Umfangs wie seines reichen, den verschiedensten geistlichen Gebieten und höheren Lebensinteressen zugewendeten Ideengehalts. Vier Stadien oder Epochen schriftstellerischer Production hat er der Reihe nach durchlaufen. Sie decken sich mit den Zeitabschnitten von nicht ganz gleicher Länge, während welcher er zuerst als Prediger in mehreren Städten des Rheinlands, sodann als Züricher Universitätslehrer, hierauf als Professor und Bibelwerk-Herausgeber in der ersten (größeren) Hälfte der Bonner Zeit, endlich als Herausgeber theologischer Compendien und Controversschriften im letzten Jahrzehnt eben dieser Zeit thätig war.

I. Die Epoche der „Biblischen Dichtungen“ und der „Vermischten Schriften“ (ca. 1826–1841) lehrt ihn uns als Essayisten und religiösen Lyriker kennen. Mit schriftstellerischen Arbeiten im kleinsten Maßstab – Beiträgen zu kleinen [564] Localblättern wie die Zeitschrift „Hermann“, der „Westfälische Anzeiger“ u. dgl. – eröffnete er als Pastor in Wald gegen Ende der 20er Jahre sein litterarisches Wirken. In Langenberg fuhr er einerseits mit Derartigem fort, andrerseits veröffentlichte er hier seine ersten Sammlungen von Kanzelreden (Zehn Predigten, Elberfeld 1833; Drei Predigten über die Versuchungsgeschichte, Barmen 1836), sowie einen ersten Versuch zu selbständiger Bearbeitung eines dogmatischen Thema, und zwar eines solchen, dem wegen des ebendamals von Holland aus den evangelischen Rheinländern nahe tretenden strengen Calvinismus eine actuelle Bedeutung zukam. Seine Monographie „Die Lehre der h. Schrift von der freien und allgemeinen Gnade Gottes“ (Elberfeld 1831) widersprach mit Entschiedenheit dem strengen Prädestinationsglauben, zog ihm deshalb auch manche Angriffe seitens der strenggläubigen Elberfelder Reformirten zu, durfte aber andrerseits sich auch mancher Zustimmung erfreuen und machte die wissenschaftlich-theologischen Kreise zuerst auf ihn aufmerksam. Es schien freilich, als wollte er in der nächstfolgenden Zeit, besonders während seiner ersten Duisburger Jahre, sich ganz zum christlichen Dichter entwickeln. In rascher Folge nacheinander erschienen von ihm zwei Bändchen „Biblische Dichtungen“ (Elberfeld 1832–34); dann „Kleine polemische Gedichte“ (Duisburg 1835), „Gedichte und Sprüche aus dem Gebiete christlicher Naturbetrachtung“ (Duisburg 1835); auch ein Versuch in didaktischer Poesie: „Die Welt des Herrn in didaktischen Gesängen“ (Essen 1835), sowie etwas später: „Die Verfinsterung der Welt, dargestellt in einem Cyklus von Lehrgedichten und Liedern“ (Berlin 1838). Allerlei Erbauliches und Praktisch-Exegetisches ging neben diesen poetischen Publicationen her; so, als Probe seiner phantasievollen religiösen Naturbetrachtung: „Das Land der Herrlichkeit oder die christliche Lehre vom Himmel“ (Mörs 1838); dann „Grundzüge der urchristlichen frohen Botschaft“ (Duisburg 1839); „Homilien über Kol. 3, 1–17, eine praktische Auslegung dieses apostolischen Aufrufs zum neuen Leben“ (Barmen 1839 – in den nächstfolgenden Jahren noch mehrmals erschienen, 4. Aufl. 1844); auch „Christliche Betrachtungen über zusammenhängende biblische Abschnitte für die häusliche Erbauung“ (Duisburg 1841). In die erste Serie der „Vermischten Schriften“, welche er gegen Ende der Duisburger Zeit (Mörs 1840–41) erscheinen ließ, fanden, neben allerlei Praktisch-Erbaulichem und halb Poetischem, auch kleinere wissenschaftlich-theologische Beiträge Aufnahme. Das erste Bändchen erschien 1840 zu Mörs und Hamburg unter dem Titel: „Vermischte Schriften. I: Naturwissenschaftliches und Geschichtliches unter dem Gesichtspunkt der christlichen Wahrheit“; das zweite 1841 zu Mörs und Leipzig unter dem besonderen Titel: „Beiträge zur Lehre von den letzten Dingen“. Noch in demselben Jahre folgten (Mörs und Elberfeld 1841) Bd. III: „Recensionen, Werke und Gegenstände der schönen Litteratur betreffend“, sowie Bd. IV: „Arbeiten, zur dogmatischen und praktischen Theologie gehörig“.

Das Uebergewicht der nur praktisch-religiösen und poetischen Beiträge zur Litteratur aus dieser Zeit erscheint hienach als ein ziemlich starkes. Doch ist noch Eine wissenschaftliche Arbeit zu nennen, herrührend aus der Mitte des ungefähr zehnjährigen Zeitraums und wichtig geworden als Vorläuferin einer seiner namhaftesten späteren Publicationen. Es ist die Schrift „Ueber den geschichtlichen Charakter der kanonischen Evangelien, insbesondere der Kindheitsgeschichte Jesu, mit Beziehung auf das Leben Jesu von D. F. Strauß“ (Duisburg 1836). Von den evangelisch-theologischen Gegenerzeugnissen gegen die Strauß’sche Hyperkritik trat diese Arbeit als eine der frühesten und der wirksamsten ans Licht. Sie vor allem hat dem Verfasser den Weg zum [565] akademischen Lehramt zu bahnen gedient und insbesondere seine Berufung nach Zürich mitveranlaßt, wohin der von ihm bekämpfte Gegner vorher seinen Einfluß zu erstrecken versucht hatte.

II. Während der Züricher Periode (1841–54) wird aus dem Essay-Schriftsteller ein Schöpfer mehrerer umfänglicher Werke theils historisch- theils systematisch-theologischen Inhalts, auf Grund deren ihm rasch, wenn auch nicht ohne Widerspruch von mancher Seite, die Bedeutung eines der einflußreicheren Vertreter der positiv-evangelischen Theologie seiner Zeit zuerkannt wurde. Die litterarische Kleinarbeit betrieb er aber neben den größeren Productionen unausgesetzt weiter; auch traten der dichterischen Versuche noch manche neue ans Licht – so daß diese dreizehnjährige Epoche zweifellos als die fruchtbarste Zeit seine Schriftstellerwirkens überhaupt erscheint.

Die größten Arbeiten gehören nicht sogleich dem Anfange der Züricher Zeit an. Seinen Amtsantritt kennzeichnete er durch eine Kundgebung, wodurch er – zurückgreifend auf den Inhalt seiner allerersten Schrift (s. o., I) – sich als Vertreter einer evangelisch freien und milden Auffassung des reformirten Bekenntnisses bei den Lehrern und Hörern der schweizerischen Hochschule einführte. Sie erschien unter dem Titel: „Welche Geltung gebührt der Eigenthümlichkeit der reformirten Kirche immer noch in der wissenschaftlichen Glaubenslehre unserer Zeit? Eine Abhandlung als freie Ueberarbeitung seiner Antrittsrede“ (Zürich 1841). Es folgten zunächst hierauf mehrere neue Veröffentlichungen poetischen, bezw. zur geistlichen Dichtung in Beziehung stehenden Inhalts. Ein Bändchen „Gedichte“ erschien zu Essen 1843. Gleichzeitig damit trat sein für die Neubelebung des kirchlichen Gesangeslebens in der Zwinglistadt wichtig gewordenes „Kirchenliederbuch“ ans Licht, erschienen in zwei kurz nacheinander ausgegebenen Abtheilungen: 1. Deutsches Kirchenliederbuch, oder die Lehre vom Kirchengesang; praktische Abtheilung; 2. Die kirchliche Hymnologie[WS 1], oder die Lehre vom Kirchengesang, theoretische Abtheilung im Grundriß; Einleitung in das deutsche Kirchenliederbuch (Zürich 1843) und später noch einmal vereinigt zu Einem Bande herausgegeben, unter dem Titel „Geistliches Liederbuch“ (Zürich 1854). – Noch kurz vor dem Ende der Züricher Periode erschien ein neuer Beitrag zur religiösen Liederlitteratur, die zu Frankfurt a. M. verlegte Sammlung „Vom Oelberg. Geistliche Dichtungen“ (Frankfurt 1853). Auch zu den früher von ihm veröffentlichten Predigtwerken trat, als Ergebniß seiner Züricher Thätigkeit auf homiletischem Gebiete, eine neue Sammlung hinzu, die aber erst etwas später erschien („Auswahl von Gast- und Gelegenheitspredigten aus meinen Züricherischen Lebensjahren“, Bonn 1855; 2. Aufl. 1857).

Von den größeren Werken begann das gegen Strauß gerichtete Leben Jesu drei Jahre nach Lange’s Eintreffen in Zürich zu erscheinen („Das Leben Jesu nach den Evangelien“, dargestellt in drei Büchern, Heidelberg 1844–47). Von den drei „Büchern“ brachte das erste die Einleitung; das zweite, in 3 Abtheilungen (1844–46 erschienen) die „Einheitliche Darstellung der evangelischen Geschichte“, endlich das dritte (1847) das „Leben Jesu nach der Ausbreitung seiner Fülle in der Anschauung und Darstellung der Evangelisten und die vier Evangelien als die apostolischen Grundformen der Anschauung des Lebens Jesu“. Gegenüber dem von Strauß gezeichneten Zerrbild erscheint hier die evangelische Geschichte in wesentlich positivem Geiste aufgefaßt und nach mehreren Seiten hin, besonders was die psychologische Charakteristik der Jünger und der übrigen Personen in Jesu Umgebung betrifft, geistvoll und anziehend[WS 2], ja theilweise glänzend zur Darstellung gebracht. Die hier und da hervortretende Neigung zu übergeistreichen Auffassungen und subjectivistischen [566] Willkürlichkeiten zog den Verfasser, noch bevor das Werk fertig erschienen war, Angriffe von orthodox reformirter Seite (besonders seitens Fr. W. Krummacher’s in Elberfeld) zu, gegen die er in seinen „Worten der Abwehr“ (Zürich 1846) sich rechtfertigte. Im ganzen lautete die dem Werke widerfahrene Beurtheilung aus den Kreisen der deutschen Vermittlungstheologie anerkennend. In der Nitzsch-Sack’schen theologischen „Monatsschrift“ rühmte L. F. Kling des Verfassers „feste Gebundenheit an das göttliche Offenbarungs- und Heilswort“, seine „freie und geistvolle Fassung und Deutung des Schriftinhalts“, sowie seine „aufrichtige, entschiedene christliche Gläubigkeit, verbunden mit frischer und kräftiger Theilnahme an der großen theologischen Bewegung der Zeit“. Das Werk hat zwar im deutschen Original nur beschränkte Verbreitung erfahren, wurde aber später ins Englische übersetzt (The Life of Jesus, 6 vols, Edinburgh 1864 f.) und erlebte in dieser englischen Bearbeitung noch eine zweite Auflage (Philadelphia 1872). – Ein Versuch Lange’s, seiner Darstellung der Geschichte Christi eine solche der christlichen Kirchengeschichte folgen zu lassen, erwies sich als ein Unternehmen von unausführbarer Größe. Es erschien davon nur ein erster, die Geschichte der Apostelzeit behandelnder Theil in zwei starken Bänden („Die Geschichte der Kirche. Erster Theil: Das apostolische Zeitalter“, Braunschweig 1853 f.) – ein Werk von ähnlichen Vorzügen aber auch mit ähnlichen Schwächen und Schattenseiten wie das „Leben Jesu“. Beachtenswerthen Inhalts ist es namentlich in manchen seiner Ausführungen gegenüber der Baur’schen Tendenzkritik, sowie in der am Schlusse beigegebenen Skizzirung der hauptsächlichen Lehrtypen in der apostolischen Litteratur (Jakobus, Petrus, Paulus, Hebräerbrief, Johannes). Manches Monographische zur Kirchengeschichte und christlichen Culturgeschichte nachapostolischer Zeit hat er theils noch während der Züricher Zeit, theils in den nächstfolgenden Jahren erscheinen lassen. Es gehören dazu das durch die Bewegungen des Revolutionsjahres 1848 mit veranlaßte Schriftchen „Ueber die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche“ (Heidelberg 1848), sowie der gegen den Ultramontanismus gerichtete geistvolle Essay: „Die gesetzlich-katholische Kirche als Sinnbild der freien evangelisch-katholischen Kirche, im Zusammenhange mit den übrigen Grundformen der symbolischen Religionsweise“ (ebendas. 1850). – Auch von den später (nach 1860) zu einer neuen mehrbändigen Sammelschrift zusammengefaßten Aufsätzen entstammt ein Theil noch der Thätigkeit der Züricher Jahre („Vermischte Schriften. Neue Folge“, Bielefeld 1860–64, 3 Bände). Ueberwiegend praktisch-religiösen Inhalts ist das erste Bändchen dieser Sammlung, betitelt: „Festliches und Erbauliches“ und u. a. auch eine ansprechende Schilderung schweizerischer Wasserfälle auf Grund früherer Reiseerlebnisse enthaltend. Die beiden folgenden bieten zumeist Arbeiten über Themata aus der christlichen Geschichte (Bd. II: Kirchliche und kirchenhistorische Fragen; Bd. III: Vermischte Verhandlungen über sociale, christologische, kirchenhistorische und die christliche Kultur betreffende Fragen).

Die genialste Geistesschöpfung Lange’s ist sein bald nach Mitte der Züricher Jahre veröffentlichtes dreibändiges System der evangelischen Glaubenslehre: „Christliche Dogmatik[WS 3] in drei Theilen: I. Philosophische Dogmatik; II. Positive Dogmatik; III. Angewandte Dogmatik oder Polemik und Irenik“ (Heidelberg 1849–52). Die Anlage dieses Werks ist eine großartige, die in ihren Ausführungen sich kundgebende speculative Gabe eine glänzende, der Standpunkt ein ökumenisch weitherziger und doch bis zu einem gewissen Grade kirchlich, jedenfalls überall biblisch gebundener, die auf Vermittlung der religiösen Gegensätze gerichtete dialektische Kunst des Verfassers verdient bewundert zu werden. [567] Aber allerdings will seine Dialektik vielfach mehr miteinander vermitteln als sich vermitteln läßt, und der Hochflug seiner Speculation erscheint auf manchen Punkten nicht in genügendem Maaße gezügelt. Er hat daher gerade auf Grund dieses seines Hauptwerks manchen harten Vorwurf selbst von befreundeter Seite hinnehmen gemußt. Was die Gegner ihm vorwarfen, war beispielsweise ein Ueberwiegen der Conceptionen seiner dichterischen Phantasie über die solide Geistesarbeit des Dogmatikers und infolge davon sein unklarer Eklekticismus, oder „ein in allen Farben spielender Dilettantismus“ (Kahnis), eine „Kunstfertigkeit des rhetorischen Feuerwerkers“ (Vilmar), ein „ruheloses Fluthen und Wogen der immer neu andringenden Gedanken, sodaß alle festen verständigen Unterschiede hinweggespült wurden“ (C. Schwarz). Auch Vermittlungstheologen, die seinen Idealisirungsbestrebungen und seinem Ankämpfen gegen den Zwang äußerlicher dogmatischer Satzungen im Princip zustimmten, fanden an dem genialen Werk zu tadeln, daß es die wünschenswerthe biblische Nüchternheit auf manchen wichtigen Punkten vermissen lasse und daß insbesondere seine christologische Speculation die Herstellung eines klaren Verhältnisses zwischen dem Göttlichen in Jesu Christo und zwischen dem von ihr behaupteten ewig idealen Dasein der Menschheit in Gottes Wesen vermissen lasse. Der seinem Standpunkt im ganzen sonst nahestehende Tübinger Dogmatiker Landerer weiß über den Werth seiner Speculation doch nicht viel günstiges zu sagen. Er meint (Neueste Dogmengeschichte; Vorlesungen etc., Heilbronn 1881, S. 355): „Es fließen in seiner Individualität alle möglichen Elemente zusammen, aber statt daß sie verarbeitet wären zu einer klar und streng fortschreitenden dialektischen Entwicklung, liebt er es, allerlei geistreiche Funken sprühen und sinnvolle Ideen und glänzende Phantasieen wie im Flug vorüberrauschen zu lassen, von denen aber am Ende wenig klare und haltbare Resultate übrig bleiben. Bezeichnend ist bei ihm die starke Hinneigung zum Standpunkt der Immanenz, womit er aber seinen Supranaturalismus durchaus nicht in einfache und consequente Beziehung zu setzen weiß. Der sichere klare Gedanke der realen übersinnlichen Welt in ihrem Unterschiede von und ihrer Beziehung zu der kreatürlichen Welt tritt in dieser geistreich sich hin und her werfenden, alles vermitteln wollenden Dialektik nirgends heraus“, u. s. f. Was dieser Kritiker schließlich über den „geringen Eindruck bemerkt, den L. mit seiner Dogmatik gemacht habe“, möchten wir dahin rektificiren, daß der durch das Werk hervorgebrachte Eindruck zwar ein bedeutender, aber nur in geringem Maaße nachhaltiger gewesen sei.

III. Eine nachhaltige Wirkung auf das theologische Leben der Mit- und Nachwelt ist von dem Werke ausgegangen, das den Hauptgegenstand seines Strebens und Schaffens während der zwei ersten Jahrzehnte seiner Bonner Zeit bildete. Das im Verein mit einer Anzahl evangelisch-theologischer Zeitgenossen während der Jahre 1857–76 von ihm herausgegebene „Theologisch-homiletische Bibelwerk“ behauptet sich sowohl im deutschen Urtext wie in der diesem alsbald zur Seite getretenen angloamerikanischen Bearbeitung immer noch in Ansehen, hat also der inbezug auf es vielfach geäußerten Vorhersagung, daß es den Namen des Urhebers als einen wohlbekannten dem zwanzigsten Jahrhundert überliefern werde, thatsächlich entsprochen. L. wurde zur Inswerksetzung dieses großen Unternehmens dadurch veranlaßt, daß die Verlagshandlung Velhagen & Klasing in Bielefeld ihn für den Gedanken einer Neubearbeitung der ganzen h. Schrift Alten und Neuen Testaments nach dem Vorbild von Christoph Starke’s Synopsis bibliothecae exegeticae in Vetus et Novum Testamentum (1783 ff.) gewann und mit der Leitung des Werks beauftragte. Den Geistlichen sollte in dem unter Mitwirkung einer Anzahl namhafter [568] Vertreter der alt- und neutestamentlichen Forschung zu schaffenden Starke redivivus ein neuer Weg zur Herüberleitung der Theologie in das geistliche Amtsleben der Gegenwart erschlossen werden. Besondere Einleitungen in die jeweilig zu erläuternden Stücke des Schriftganzen sollten demgemäß die einzelnen Abtheilungen eröffnen, hierauf abschnittsweise der Bibeltext (im Ganzen nach Luther, aber unter genauerem Zurückgehen auf den Grundtext) verdeutscht dargeboten und mit dreierlei Erläuterungen ausgestattet werden – nämlich 1. mit wissenschaftlich-exegetischen Anmerkungen; 2. mit beigefügten dogmatisch-ethischen oder -christologischen Grundgedanken; 3. mit der Zugabe „homiletischer Andeutungen“, d. h. mit dem Nachweis geeigneter Predigttexte und der Mittheilung von Predigtdispositionen, ausgezogen aus den Werken namhafter Homiletiker und Erbauungsschriftsteller älterer wie neuerer Zeit. Auf die theologische Haltung des Werks, welche im Wesentlichen die einer conservativ evangelischen Vermittlungstheologie (von weder vorwiegend reformirtem noch überwiegend lutherischem Charakter) war und blieb, hat der Gegensatz zu dem gleichzeitig erscheinenden, etwas liberaler gearteten Concurrenzwerke C. K. Jos. v. Bunsen’s und seiner Mitarbeiter Kamphausen und Holtzmann („Vollständiges Bibelwerk für die Gemeinde“, Leipzig 1858–70) einige Einwirkung geübt. Doch vollzog sich das Nebeneinanderhergehen der beiden Werke im ganzen auf schiedlich friedliche Weise, und dem von L. geleiteten Unternehmen sicherte sein ungleich viel reicherer Inhalt sowie seine eingehende Rücksichtnahme auf das praktische Bedürfniß des geistlichen Amts eine stärkere Verbreitung und einen nachhaltigeren Einfluß.

Begonnen wurde mit Veröffentlichung der neutestamentlichen Abtheilung, die während der Jahre 1857–1878 in sechzehn Bänden erschien. Den sie eröffnenden Matthäuscommentar schrieb L. selbst, unter Voraussendung einer „Einleitung in das Neue Testament“ (S. II–XXX), deren nahezu zwei Bogen füllender Inhalt durch übergroßen Reichthum dessen, was auch an biblisch-archäologischem und allgemein-encyclopädischem Material mitgetheilt wurde, das eigentlich zu lösende Problem in etwas beeinträchtigte – weshalb die vor Kurzem erschienene neueste Ausgabe (5. Aufl., Bielef. u. Leipz. 1902) sich des gesammt-isagogischen Eingangs mehr oder weniger entledigt und hauptsächlich nur neutestamentlich-Isagogisches geboten hat. Auf diese Bearbeitung des ersten neutestamentlichen Buches, deren ziemlich rasches Hindurchgehen durch drei weitere Auflagen (4. Aufl. 1878) er erleben durfte, ließ L. noch zwei weitere Evangeliencommentare folgen: zu Markus (4. Aufl. 1884) und zu Johannes (4. Aufl. 1880), desgleichen später die Auslegung der Offenbarung Johannis (1871, 2. Aufl. 1878). Zwei Epistelncommentare gab er im Verein mit Mitarbeitern heraus in der Weise, daß diese die dogmatisch-ethischen und homiletischen Zugaben, er selbst aber nur die eigentliche Exegese bearbeitete. In dieser Weise wurde von ihm in Gemeinschaft mit J. J. v. Oosterzee der Jakobusbrief (3. Aufl. 1881) sowie zusammen mit seinem Schwiegersohn Fay der Römerbrief (3. Aufl. 1880) behandelt. – Kurz vor dem erstmaligen Erscheinen des letztgenannten Werkes (1865) wurde in die Herausgabe der alttestamentlichen Serie eingetreten. Auch diese eröffnete L. selbst mit exegetischer und homiletischer Behandlung der Genesis („Die Genesis oder das erste Buch Mose, theol.-homil. bearbeitet“, Bielefeld 1864; 2. Aufl. 1877). Die dem eigentlichen Commentar vorausgesandte Isagogik trug hier noch weitschichtigeren Charakter als jene an der Spitze der neutestamentlichen Abtheilung. Ihre fünf Theile (I. Theologische Einleitung nach dem Leitfaden einer bibl. Theologie; II. Die praktische Auslegung und der homiletische Gebrauch des Alten Testaments; III. Litteratur; IV. Der Organismus oder die Eintheilung der [569] bibl. Bücher; V. Ueber die sog. anstößigen Stellen im Alten Testament als Centralpunkte der Herrlichkeit der alttestamentl. Religion) füllen zusammen 82 Seiten, erstrecken sich also über einen fast dreimal so großen Raum als die Einleitung vor Bd. I des Neuen Testaments. Von den zwanzig Bänden, welche die alttestamentliche Serie bis zu ihrem Abschluß im J. 1876, also in der verhältnißmäßig kurzen Zeit von nur elf Jahren, erreichte, hat L. selbst nur noch[WS 4] zwei geliefert, nämlich die Auslegung der drei mittleren Bücher des Pentateuch (Exodus, Levitikus, Numeri), welche 1874 erschien, sowie die der drei letzten Kleinen Propheten (Haggai, Sacharja, Maleachi) 1876. Dem Schicksal des Beschränktbleibens auf nur eine Auflage, das noch andere Beiträge zur alttestamentlichen Serie erlitten, sind auch diese beiden Bände nicht entgangen. Mit dem ungefähren Abschlusse der genannten Serie um die Mitte der 70er Jahre traf das gleichzeitige Einlenken einer beträchtlichen Zahl jüngerer Alttestamentler (wie Wellhausen, Stade, Duhm etc.) in den gegenwärtig im Gang befindlichen neuen Kurs dieser Wissenschaft so unmittelbar nahe zusammen, daß die zu befürchtende ungünstige Einwirkung nicht ausbleiben konnte. Immerhin haben wenigstens einige der alttestamentlichen Bände noch um die Wende des letzten Jahrhunderts neue Herausgabe erfahren; so der Proverbiencommentar des Verfassers dieses Lebensbilds (1896) und der früher von F. W. J. Schröder bearbeitete Commentar zum Deuteronomium in einer durch G. Stosch besorgten Revision (1902).

Ein noch größerer Erfolg, als der dem deutschen Original dieses Bibelwerks zu theil geworden, war der englischen Bearbeitung desselben beschieden, welche 1864 unter Leitung des bekannten New Yorker Theologen Philipp Schaff zu erscheinen begann (A Commentary on the Holy Scriptures, Critical, Doctrinal and Homiletical, with Special Reference to Ministers and Students. Translated from the German of J. P. Lange, and edited, with additions, by Philipp Schaff, assisted by American Scholars of Various Denominations. New York, Ch. Scribner 1864–1880). Zur Mitarbeit an derselben wurde ein glänzender Stab tüchtiger alttestamentlicher Gelehrten herangezogen, wovon die meisten an verschiedenen theologischen Lehranstalten Nordamerikas, einige auch an solchen Altenglands und Schottlands wirkten. Verschiedene Erweiterungen erfuhr insbesondere die alttestamentliche Serie. Zum Inhalt der sie bildenden 15 Bände (zumeist von beträchtlicherer Stärke als die zu Grunde liegenden deutschen Texte) wurden auf verschiedenen Punkten ganz neue Arbeiten hinzugefügt, bestehend namentlich in der Zugabe englisch-rhythmischer Uebersetzungen zu den außerdem gegebenen Prosaübertragungen poetischer Stücke (z. B. des Buches Hiob, welches Professor Tayler Lewis mit einer derartigen metrischen Version versah; des Predigers Salomo, dem ebenderselbe eine solche widmete, u. s. f.). Ganz neu trat zum deutschen Original der alttestamentlichen Abtheilung ein Commentar zu den Apokryhen hinzu, verfaßt von Prof. Edwin Cone Bissell zu Hartford (Vol. XV of the Old Testament, containing the Apocrypha, etc., 1880). Auch die zehn Bände der neutestamentlichen Serie weisen fast durchweg mehr oder weniger erhebliche Erweiterungen ihres Inhalts auf, sowol in den exegetisch-wissenschaftlichen Parthien wie in den biblisch-theologischen und homiletischen Zugaben. Ueber den Gesammtwert des Werkes hat kein Geringerer als der berühmte Londoner Prediger Spurgeon geurtheilt: „Die amerikanischen Bearbeiter haben zu dem aus Deutschland überkommenen Grundstock Zusätze beträchtlichen Umfanges hinzu gethan, wovon manche werthvoller sind als die zu Grunde liegenden deutschen Parthien. Was die homiletischen Parthien betrifft, so sind dieselben wahre Goldgruben gediegenen Materials“.

[570] Ganz ausschließlich wurde die Schriftstellerthätigkeit Lange’s während der in Rede stehenden Periode, d. h. bis um Mitte der 70er Jahre, durch das Bibelwerk doch nicht in Anspruch genommen. Er hat besonders gegen Ende dieser Zeit auch einiges Kleinere, was mit jenem Unternehmen nicht direct zusammenhing, veröffentlicht. So, außer der schon erwähnten neuen Serie vermischter Schriften, einige Arbeiten, wodurch er am religiös-theologischen Leben der Zeitgenossenschaft mehr oder minder scharfe Kritik übte. Es gehören dahin die Schriftchen: „Das Sic et Non oder die Ja- und Nein-Theologie der modernen Theologen“ (Bielefeld 1869) und „Ueber die Risse und Zerklüftungen in der heutigen Gesellschaft“ (Heidelberg 1876); teilweise auch die unter dem Titel „Zur Psychologie in der Theologie“ zusammengestellten Abhandlungen und Vorträge (Heidelberg 1873). Gegenüber den liberalen Tendenzen in der modernen Theologie, besonders auf biblischem Gebiete, ließ er sich zu wiederholten Malen in scharfen Ausfällen vernehmen, so u. a. in einem Heft epigrammatischer Gedichte, betitelt: „Die protestantische Kirche und der Protestantenverein“ (Bonn 1872). Zu den betreffenden Kundgebungen schon aus der mittleren Zeit der Bibelwerksperiode gehört namentlich die Art, wie er die anfänglich herbeigezogene Mitarbeiterschaft des Heidelberger Theologen Daniel Schenkel, dem die Bearbeitung der Briefe an die Epheser, Philipper und Kolosser von ihm übertragen worden war, einige Zeit nach dem Erscheinen des betreffenden Bandes (Bielefeld 1861) dadurch desavouirte, daß er einen von D. K. Braune, Generalsuperintendent zu Altenburg, verfaßten Parallelcommentar zu ebendenselben Episteln in die neutestamentliche Serie einstellen ließ (1867). Dieses Substitut hat es dann auch zu längerer Lebensfähigkeit und weiterer Verbreitung gebracht (3. Aufl. 1892) als das Schenkel’sche Werk, das nur einmal (1867) neu aufgelegt wurde.

IV. Auch während seines Lebensabends, der die acht Jahre nach Beendigung des Bibelwerks umfaßt (1876–84), ließ L. seine schriftstellerische Produktion nicht rasten. Das charakteristische Neue, was er während desselben hervorbrachte, bestand in mehreren Beiträgen zur Litteratur kurzgefaßter theologischer Lehrbücher, die er im Verlage von Carl Winter zu Heidelberg erscheinen ließ. Den Reigen eröffnete ein „Grundriß der theologischen Encyklopädie mit Einschluß der Methodologie“ (1866). Derselbe berührt sich, so weit seine Ausführungen den Gebieten der Schrifttheologie und der praktischen Theologie gelten, mehrfach mit dem Inhalt jener Einleitungen vor dem Matthäuscommentar und dem Genesiscommentar, bietet jedoch auch manches Neue, besonders in seinen methodologischen Parthien. Die Einleitung des zur Darstellung gebrachten Stoffes, namentlich in dem speciellen oder eigentlich-encyklopädischen Theil, ist eine gekünstelte, von dem einfacheren (Hagenbach’schen) Vier-Fächer-Schema unnöthiger Weise abweichende. Es ist daher der hier gemachte Versuch, das Ganze des theologischen Lehrmaterials zu bloß zwei Disciplinengruppen (I. Historische Theologie, mit den drei Fächern „Offenbarungsgeschichte, Bibelkunde, Kirchengeschichte“; II. Didaktische Theologie, mit den drei Unterabtheilungen „Dogmatik, Ethik, praktische Theologie“) zusammenzufassen, ohne Nachahmung bei anderen Darstellern des Gegenstands geblieben. Aber als in mehrfacher Hinsicht lehrreich und besonders bezüglich seiner Beiträge zur theologischen Hodegesis beachtenswerth ist das Buch nichtsdestoweniger seitens vieler Beurtheiler anerkannt worden. – Dasselbe gilt von den beiden 1878 im gleichen Verlage wie die Encyklopädie erschienenen Publicationen, dem „Grundriß der biblischen Hermeneutik“ und dem „Grundriß der christlichen Ethik“. Auch sie gewähren durch die sprühenden Geistesfunken, womit bald diese, bald jene Parthie der jeweilig behandelten Disciplin in ihnen belebt [571] und beleuchtet wird, vielerlei dankenswerthe Anregung, mag immerhin in constructiver Hinsicht manches anders zu wünschen und besonders eine gleichmäßige Gründlichkeit in Behandlung der einzelnen Abschnitte sehr zu vermissen sein. In gewissem Sinne, nämlich als eine Art von Ausschnitt aus der Pastoraltheologie bildend, kann auch das Schriftchen „Grundlinien einer kirchlichen Anstandslehre“ (Heidelberg 1879) dieser Litteratur kleinerer Lehrbücher oder Leitfäden zugezählt werden. Den Beschluß der Reihe bildete der 1881 erschienene „Grundriß der Bibelkunde“ (Heidelberg). Er ist etwas populärer gehalten als die drei vorhergegangenen Grundrisse und übertrifft dieselben auch einigermaßen an Umfang, ohne doch das gesammte zu einer Bibelkunde gehörige Material in solcher Breite vorzuführen, wie manche noch volksthümlicher gehaltene Concurrenzwerke dies thun, z. B. das zwei starke Bände füllende von R. Kübel (Stuttgart, 3. Aufl. 1881).

Die kleineren Schriftchen, welche L. während derselben Zeit noch außer diesen Lehrbüchern veröffentlichte, sind zumeist polemischen Inhalts, gerichtet theils gegen das Eindringen von Emissären des Methodismus auf deutschem, insbesondere rheinländischem Boden – so die Schriftchen: „Meine Verwickelung mit dem Methodismus der sog. Albrechtsleute“ (Bonn 1881) und „Gegen die Erklärung des Organs für positive Union zu Gunsten eines bedingten Anerkennens des Missionirens der Methodisten in der evangelischen Kirche Deutschlands“ (ebd. 1883) – teils gegen denselben kirchlichen und theologischen Modernismus, den er schon in einigen früheren Streitschriften (s. o., III) bekämpft hatte. Zu dieser letzteren Classe gehören als Kundgebungen aus seinen letzten fünf Jahren: „Die Menschen- und Selbstverachtung als Grundschaden unserer Zeit; eine Folge der Verwahrlosung der Lehre von der Gottverwandtschaft des Menschen“ (Heidelberg 1879); „Entweder Mysterien oder Absurdum. Zur Festnagelung haltloser Geister“ (Bonn 1892) und „Die biblische Lehre von der Erwählung. Zur Apologie der Geistesaristokratie“ (ebd. 1883). – Manche dieser Erzeugnisse seines Lebensabends geben eine mehr oder weniger starke Unzufriedenheit mit zeitgenössischen Verhältnissen und Bestrebungen kund; bei einigen läßt schon der Titel eine gewisse Gereiztheit der Stimmung des Verfassers erahnen. Vielleicht darf man mit dieser Wahrnehmung es in Zusammenhang bringen, daß neue Versuche auf dem Felde der Poesie während der in Rede stehenden letzten Jahre seines unermüdlichen Schaffens nicht mehr an die Oeffentlichkeit getreten sind. Zwar jene geistliche Gedichtesammlung „Vom Oelberg“, die er gegen Ende der „Züricher Zeit“ (s. oben II) veröffentlicht hatte, erfuhr 1880 noch eine Ergänzung in Gestalt einer „Zweiten Sammlung“ (Bonn); aber der Inhalt dieses Schriftchens lag zeitlich weiter zurück. Im Ganzen blieb Lange’s Muse während des letzten Jahrzehnts seiner Lebenslaufbahn verstummt. Auch das humoristische Genre, dem er in jener kleinen Sammlung epigrammatischer Dichtungen wider den Protestantenverein vom Jahre 1872 nahe getreten war, ist – so reichlich und frisch im persönlichen Verkehr mit Freunden sein Humor bis zuletzt zu sprudeln fortfuhr – nicht weiter von ihm cultivirt worden.

Fragt man überhaupt nach der etwaigen bleibenden Bedeutung, die L. sich als Dichter erworben, so wird man, was er in dieser Hinsicht geleistet, nicht eben allzu hoch stellen dürfen. Ein bescheidener Platz auf dem geistlichen Parnaß darf ihm zuerkannt werden; doch pflegt die Mehrzahl der Darsteller von Deutschlands poetischer Litteratur im 19. Jahrhundert mit Stillschweigen über ihn hinwegzugehen. Hie und da wird in hymnologischen Werken über seine Beiträge zum geistlichen Liederschatze unserer Litteratur günstig geurtheilt, aber doch nie ohne manche Beschränkung des Lobes. Otto Kraus (Geistliche [572] Lieder im 19. Jahrhundert, 2. Aufl. 1879, S. 325) rühmt ihn als „unstreitig einen Mann voll Geistes und blühender Phantasie“, fügt aber hinzu: „In seinen Liedern läßt er die unentbehrliche Strenge des Stils der geistlichen oder gar kirchlichen Poesie nicht selten vermissen“. In dem Knapp’schen „Evang. Liederschatz“ (4. Aufl., herausg. von Joseph Knapp, 1891, S. 1340) liest man über ihn: „Er gehört zu den hervorragendsten reformirten Sängern der Neuzeit, doch steht der Dichter hinter dem Denker zurück. Er ist ein Meister in der Reflexionspoesie; aber den Ton des echten Kirchenlieds wußte er in seinen modern klingenden hochgehaltenen Dichtungen kaum einmal zu treffen“. Aufgenommen in seine Sammlung hat Knapp wenigstens vier der Lange’schen Lieder, z. B. das Weihnachtslied: „Gott mit uns, mit uns auf Erden!“ und das Osterlied: „Der Herr ist auferstanden, Singt, Osterboten, singt!“ Einige andere Proben hat Kraus (a. a. O.) mitgetheilt, besonders das Gebetslied an den Gekreuzigten: „Laß mich diese Welt verstehen, Herr, in deines Kreuzes Licht“ und das Gottvertrauenslied: „Es ist noch nichts verbrochen, Nein, Seele, zage nicht“ etc. Wieder andere hat F. Nippold in seinem „Deutschen Christuslied des 19. Jahrhunderts“ (Leipzig 1903, S. 78 f.) auszeichnend hervorgehoben; so „Du Abglanz von des Vaters Ehr“ (eine Nachbildung des altkirchlichen Hymnus Splendor paternae gloriae); „Die Herrlichkeit des Herrn sah ich entschleiert“; „Bethlehem, du Heimath meines Herrn“. – Als zum eisernen Bestande neu zu bildender evangelischer Liedersammlungen gehörig kann keine der hier berührten Lange’schen Dichtungen gelten. Nicht einmal für reformirte Kirchengebiete ist ihnen eine solche Bedeutung zu theil geworden; beispielsweise erscheint in dem nach wesentlich positiv-evangelischen Grundsätzen zusammengestellten, nicht etwa reformerischen „Neuen Gesangbuch für evang.-reformirte Kirche der deutschen Schweiz“ (erschienen 1889 und eingehend erläutert in einer besonderen Schrift 1891 durch den an seiner Redaction betheiligten Pfarrer H. Weber zu Höngg bei Zürich) der Liederdichter L. überhaupt nicht vertreten. Es ist ihm also selbst für den kirchlichen Bezirk, den er seiner Zeit hymnologisch besonders beeinflußt hatte, nur eine vorübergehende Einwirkung verstattet gewesen.

Die bleibende Bedeutung Lange’s gehört anderen Arbeitsgebieten an. Aus seiner Lehrthätigkeit auf dem Gebiete der speculativen Dogmatik ist theils dieser selbst, theils den an sie angrenzenden Disciplinen, besonders dem der Apologetik, manche werthvolle Anregung zugeflossen. Und noch dauerhafterer Gewinn ist aus der Festigkeit und geistigen Frische seines Eintretens für positiv-evangelisches Bekenntniß mehreren Hauptzweigen der praktischen Theologie erwachsen, insbesondere dem der homiletischen Bibelerklärung, mit dessen Geschichte sein Name für alle Zukunft unauflöslich verbunden bleibt.

Worte der Erinnerung an Oberconsistorialrath Prof. Dr. J. P. Lange, Bonn 1884 (Gedenkreden von den Pastoren Krabb-Langenberg und F. R. Fay-Crefeld). – ***, Deutsche Professoren. IV. J. P. Lange, im „Daheim“ 1875, S. 532–537 (Lebensbild, gezeichnet von Lange’s Schwiegersohn, Pfr. Fay, auf Grund reichhaltiger Mittheilungen Lange’s selbst). – Zwei deutsche Theologen: J. P. Lange und I. A. Dorner, „Daheim“ 1884, S. 715–716 (gezeichnet „Fay“ und anknüpfend an jenes frühere Lebensbild). – W. Krafft, Artik. „J. P. Lange“ in d. Protest. Real-Encyklopädie, 2. Aufl., XVIII, 160–164 (daraus ohne wesentliche Veränderung übergegangen in die 3. Aufl., XI, 264–268). – Artik. „Lange, J. P.,“ in der Encyclopaedia of Living Divines and Christian Workers, edited by Ph. Schaff and Sam. Macauley Jackson (New York 1887, p. 123 f.) – wichtig wegen des (von L. selbst herrührenden) Verzeichnisses der Publicationen [573] Lange’s, das, obschon nicht absolut vollständig, doch an Reichhaltigkeit und bibliographischer Genauigkeit die ähnlichen Angaben in den vorgenannten Aufsätzen übertrifft.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hymnlogie
  2. Vorlage: anzieheud
  3. Vorlage: Domatik
  4. Vorlage: nach