Zum Inhalt springen

ADB:Kunst, Wilhelm

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Kunst, Wilhelm“ von Joseph Kürschner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 389–390, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kunst,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 05:32 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 17 (1883), S. 389–390 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Wilhelm Kunst (Schauspieler) in der Wikipedia
Wilhelm Kunst in Wikidata
GND-Nummer 116611650
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|17|389|390|Kunst, Wilhelm|Joseph Kürschner|ADB:Kunst, Wilhelm}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116611650}}    

Kunst: Wilhelm K., bekannter Schauspieler, geb. am 2. Febr. 1799 zu Hamburg, † in der Nacht vom 16. zum 17. November 1859 in Wien. Die theatralische Kritik ist selten einig, weder im Tadel noch im Lobe, aber schwerlich hat ein Darsteller so grundverschiedene Urtheile an sich erfahren müssen wie K., jener gewaltige Naturalist und geborene Heldenspieler, der mit einer überwältigenden Fülle von Mitteln zu siegen kam und durch Mangel an wahren Studien sich um den Sieg zu den Hervorragendsten der dramatischen Kunst gezählt zu werden, betrogen sah. Er war zu viel Komödiant um ganz Künstler zu sein und ein Bruch ging durch sein ganzes Wesen, in dem hier ein Funken von Genialität aufblitzte und dort das Fehlen aller Durchgeistigung verstimmte. Sein Spiel sank fast immer in dem Maße, wie das von ihm Gespielte an Werth zunahm und zeigte sich um so glänzender und vollkommener, je weniger die Dichtung auf hohen Werth Anspruch machen konnte. So gelang ihm der Schröder’sche Hamlet, während er den Schlegel’schen verdarb, ebenso war es mit dem Klingemann’schen und Goethe’schen Faust, mit dem Bahrt’schen und Schiller’schen Wallenstein. Einzig war er in Rollen, in denen er durch Kraft und Schönheit seiner Mittel glänzen konnte, sein Karl Moor, Otto von Wittelsbach, vor allem Goethe’s Götz riß zu Stürmen von Beifall, zu Ausbrüchen unmittelbarsten Entzückens hin. Daß ihm aber für andere Leistungen nur zu oft der geläuterte Geschmack, die durch Studien gewonnene weise Beschränkung in dem, was er gab, abging, beweisen zahllose kritische Aeußerungen, wie immer sie gefaßt sein mögen und die Klage darüber klingt durch, ob nun P. A. Wolff sagt: „Nur ein Jahr ernsten Wollens und vernünftigen Studiums und dieser Junge ist Deutschlands erster Künstler“, oder ob Spitzeder ausruft: „Lieber Herr Gott, ich glaube, so spielen die Engel im Himmel, wenn sie zu viel Champagner getrunken haben“ und Schall bemerkt: „K. ist ein Gott für jeden Dichter und Zuschauer, so bald er menschlich reden lernt“. Wie seinem Wirken fehlt auch seinem Leben das Harmonische und Maßvolle, äußert sich auch dort eine keck über alle Schranken setzende Ungebundenheit und nebenbei ein komödiantischer Zug, der in dieser Art dem wahrhaft Großen in der Theaterwelt nicht eigen ist. K. war eines Schuhflickers Sohn und von früher Jugend ein Freund der Bühne, der er sich durch Dienstleistungen, die er für Schauspieler verrichtete, zu nähern versuchte. 1813 machte er im ersten Bataillon der Hanseaten mehrere Plänkeleien mit, ging dann in französische Dienste, nahm an dem Feldzug im Mecklenburgischen Theil, ging mit nach Westphalen und kehrte dann in die Vaterstadt zurück, wo er mit der hanseatischen Medaille dekorirt wurde, mit der er später oft genug einherstolzirte. Seiner Absicht Schauspieler zu werden, standen zunächst die Vorurtheile seiner Eltern gegenüber, die ihn veranlaßten als Kaufmann sein Heil zu versuchen. Bald aber machte er sich von dieser Fessel frei und nahm im Stillen ein Engagement als Schauspieler an. Nachdem er auch noch an anderen kleinen Bühnen gewirkt hatte, kam er 1819 nach Lübeck, wo er bereits in großen Rollen, [390] wie Wetter von Strahl, jubelnden Beifall fand. Von Lübeck führte ihn sein Weg im Laufe der nächsten Zeit nach Stettin, Danzig, Bremen (1821), Münster, Pyrmont, Osnabrück, Leipzig, Köln, Elberfeld, Coblenz, Mannheim, Düsseldorf, Würzburg und schließlich nach München ans Isarthortheater, wo er als „Rolla“ (Sonnenjungfrau) mit außergewöhnlichem Erfolg debütirte. 1825 folgte er dem Director Carl von München nach Wien und trat dort am Theater an der Wien am 19. August 1825 als „Ottmar“ (Räuber auf Maria Kulm) zum ersten Male auf. Bei einem Fest, welches Carl zu Ehren des Geburtstages des Königs von Baiern in Wien gab, lernte K. die große Sophie Schröder kennen, die er bereits am 25. October 1825 heirathete, freilich um sich in nicht allzu langer Zeit wieder von ihr zu scheiden. Kunst’s hauptsächlichste Wirkensstätte blieb nun Wien, Carl sein Director, den er freilich mehr als einmal höchst eigenmächtig verließ, um Kunstreisen zu unternehmen, ja 1830 sogar um das Königsberger Theater zu übernehmen, stets aber fand er bei seiner Rückkehr freundliche Aufnahme und ein begeistertes Publikum. Am bemerkenswerthesten ist von diesen außerkontraktlichen Ausflügen, die ihn in alle größeren Theaterstädte führten, sein zweimaliger Aufenthalt in Leipzig bei Ringelhardt. Das J. 1840 wurde für den ruhelosen Schauspieler in seinen Beziehungen zu Wien, verhängnißvoll. Eine blutige Affaire, die sich bei einem seiner nächtlichen ausgelassenen Feste ereignet hatte, trug die Schuld, daß er aus Wien ausgewiesen wurde. Seitdem ging sein Glück bergab, zwar feierte er noch 1841, eben goldbeladen aus Rußland zurückgekehrt, in pomphaftester Weise sein 25jähriges Schauspielerjubiläum, aber das war auch nach seinem eigenen Geständniß der letzte heitere Tag seines Lebens. Bis 1850 etwa gastirte er noch auf zahlreichen größeren Bühnen, dann aber wurde er auf diesen ein seltener Gast, um sich endlich ganz auf die kleinen Theater angewiesen zu sehen, ein Contract war für ihn nicht mehr zu erlangen, und sah sich derselbe Mann, der einst Tausende mühelos erworben hatte, der mit eigenem Secretär, Kutscher und Bedienten und fünf Pferden gereist, in den ersten Hotels gewohnt hatte, in dessen kostbarer Garderobe sich allein vier Rüstungen befunden hatten, von denen jede einen Werth von 600 Thalern repräsentirte, dieser selbe Mann sah sich für die Tage seines Alters dem bittersten Elend gegenüber gestellt. Noch einmal blitzte eine Hoffnung vor ihm auf, und als auch sie sich trügerisch erwies, brach der stolze, stattliche Mann, dessen Schönheit und Kraft zahllose Bewunderer gepriesen hatten, elend zusammen; verlassen von seinen falschen Freunden, für die er stets ein offenes Herz und eine offene Hand gehabt hatte. Jene Hoffnung gründete sich auf ein einjähriges Gastspiel in Amerika, das ihm angetragen worden war, bei dem er 100 Dollars für jede Rolle erhalten sollte, genug um ein Vermögen für seine alten Tage zu erwerben. Ein Hamburger Theateragent, der von diesem Handel hörte, schilderte dem amerikanischen Director Kunst’s Verfallenheit und empfahl ihm den Sohn des Darstellers, der ebenfalls den Namen Wilhelm führe, dieselben Dienste leisten und für 50 Dollars spielen würde. Der Amerikaner ging darauf ein und der arme K. sah sich um die letzte Aussicht betrogen. Ueberwältigt von Schmerz sank er aufs Krankenlager, von dem er zwar sich noch einmal erhob, aber nur um bald durch den Tod von allen Leiden und Schmerzen erlöst zu werden. Es erübrigt nach dem Gesagten nur noch, zu den bereits genannten Glanzrollen Kunst’s einige weitere hinzuzufügen, diese sind „Everard“ (Irrenhaus zu Dijon), „Alboin“, „Dunois“ (Jungfrau von Orleans), „Posa“ (Don Carlos), „Jaromir“ (Ahnfrau) und „Theseus“ (Phädra); Kunst’s Hamlet stellte Goethe über die Leistungen aller anderen Darsteller dieser Rolle. – K. hat sich auch mehrfach als Dichter versucht.