ADB:Kray, Wilhelm
Hermann Stilke, der ihn auch bei Ausschmückung des neuen Museums verwendete, wozu K. einen Carton, „Die Erfindung der Buchdruckerkunst“, zeichnete; bei Schrader übte er sich im Porträt; ein 1858 zu Bonn in ganzer Figur gemaltes Bildniß [371] des Ernst Moritz Arndt fand allgemeine Anerkennung (vgl. Nr. 873 Illustr. Ztg., 24. März 1860, S. 220) und veranlaßte weitere Aufträge, darunter jenes der bekannten Malerin Hermine Stilke, des Homöopathen und Sanitätsraths Arthur Lutze (s. A. D. B. XIX, 717) u. A. m.
Kray: Wilhelm K., Genre- und Marinemaler, geboren am 29. December 1828 zu Berlin, † am 29. Juli 1889 in München, wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, zeichnete und colorirte schon in den Knabenjahren, erhielt 1848 auf einer Reise nach Kopenhagen zu einem Hamburger Oheim durch die gewaltige Poesie des Meeres die ersten Eindrücke, welche dann durch die Bilder des damals zur Berühmtheit gelangten Malers Daniel Hermann Anton Melby (geboren am 13. Februar 1818 in Kopenhagen, † am 10. Januar 1875 zu Paris) zur näheren Fühlung mit der Kunst führten. In Berlin lernte er unter Schrader, Friedrich W. Schirmer undEin zweijähriger Aufenthalt in Paris (1859 und 1860), wo er hauptsächlich die Ateliers von Cabanel und Baudry hospitirte, übte keinen besonderen Einfluß auf K. aus. In Berlin trat er dann mit einem „Amor und Psyche“ vor das wohlwollend aufnehmende Publicum; angeregt durch Goethe’s Dichtung war der seine junge Freundin mit Blumen schmückende „Pausias“, ein in Form und Farbe tadelloses Bild (1887 nochmals im Münchener Kunstverein), welches die Aufmerksamkeit aller Kenner und Kunstfreunde auf K. lenkte. Er vermählte sich mit der Tochter des Oberbergraths Broemel und blieb mehrere Jahre in der preußischen Hauptstadt, um das Bildniß des nachmaligen deutschen Kaisers und viele Mitglieder der Aristokratie zu malen. Dann trieb ihn sein veränderungsbedürftiger Sinn und eine wachsende Wanderlust 1867 mit Frau und Kind nach Rom, wo K. seine hochpoetischen Bilder schuf, deren Scenerie er durch wiederholte Ausflüge nach Neapel und die nächsten Inseln immer erweiterte. Da malte er Landschaften aus der Campagna, am liebsten aber das ewig wechselnde Meer, welches er durch seine traumartigen Phantasien belebte; da war er in seinem Element. Er staffirte dessen Zauber durch die süßesten Gestalten anmuthiger Mädchen und Frauen, die er als ideale Nymphen und Nereiden schilderte, wie sie nur dem wahren Dichter und Maler erscheinen: ewig jung, von berückender Schönheit und Grazie, in unvergänglichem Reiz der spielenden Glieder; ebenso weit entfernt vom spiritistischen Spuk wie von sinnlichem Realismus. Als ein Programm, wie er die schöne Welt sah und erfaßte, mag eine seiner frühesten Dichtungen gelten: Ein Maler in braunem Sammetrock, das Haupt vom obligaten schwarzen Calabreser beschattet, die Mappe unterm Arm, sitzt träumerisch in einem Nachen, der von zwei kräftigen, mit phrygischen Mützen bedeckten Capresen über den im Sonnenuntergang glühenden Golf von Neapel gerudert wird; die stämmigen, dem Signor Tedesco den Rücken zuwendenden Fergen haben keine Ahnung von jener lockenden Nymphenschar, die jubelnd und neckend das Boot mit dem phantasirenden Maler umgaukeln und umtanzen (vgl. Lützow’s Zeitschrift 1874, IX, 409). Traun! Eichendorff hat recht: Dichter und Maler „reisen nie incognito“, sie sehen mit glücklicheren Augen, was dem gewöhnlichen Menschen immer verwehrt bleibt. Deshalb war K. in seinen Bildern immer ein wahrer Poet. In der „Nacht im Golf von Neapel“ wird ein Verliebter von duftigen Seefräuleins geneckt (ebendas. IX, 629). Wie zart schildert K. die Situation, wo einem schlafenden Fischer die Nymphen seine glückstrahlende Braut zuführen (ebendas. 1876, IX, 179). Dann kam eine mit fröhlichen Paaren staffirte „Rückkehr vom Blumenfest in Nettuno“, und die „Am Strand bei Porto d’Anzio bei Sonnenuntergang badenden Frauen“, ideale Gestalten, wie selbe M. v. Schwind in seinen „Fontes Melusinae“ auch nicht graziöser erfinden konnte.
Schon früher hatte er die Einzelnfigur einer auf der Spitze des Berges sitzenden „Lorelei“ geschaffen, die, auf die Leyer gestützt, träumerisch grüßend mit der Rechten ihren wehenden Schleier hinausflattern läßt in das ferne dämmernde Rheinthal; von den bei Heine angedeuteten Motiven macht der Maler gar keinen Gebrauch, sie singt nicht, kämmt auch nicht ihr goldenes Haar, auch von dem Schiffer im kleinen Kahn ist nichts zu sehen, und doch übt das Bild in seiner Farbenmelodie einen Zauber in weit höherem Grade aus als alle früheren Darstellungen der Düsseldorfer und anderer Zunftgenossen. [372] Aehnliche Stimmung erweckte auch eine „Prinzessin Ilse“. Sein Repertoire blieb jedoch klein und abgegrenzt; dazu arbeitete er langsam und gewissenhaft; in der tadellosen Modellirung seiner feinen immer ätherischen Körperchen, der am Horizont hinschleichenden Nebelwolken, des mondbeglänzten Meeres und der in weite Ferne gerückten Landschaft that er sich nie genug. Freunde, Kenner und Käufer störten den weltabgeschiedenen Maler wenig, der in seiner Menschenflucht einmal sogar längere Zeit auf der von armen Fischern bewohnten Isola Maggiore Trasimeno hauste, wo der innerlich fröhliche, für heitere Anregung nicht unzugängliche Maler in einem reizend gelegenen, aber verlassenen Convent ein phantastisch ausgestattetes Studio improvisirt hatte. Hier in buchstäblicher Verborgenheit entstanden die, von den schaukelnden Meermaiden nur dem Stoff nach abweichenden, aber in Ton und Farbe mit gleicher Feinheit der Empfindung durchgearbeiteten Bilder: das theilweise an Chr. Ruben (Chiemsee-Abend) erinnernde „Ave Maria“. Aus einem von hohen Bergen rings umschlossenen See ragt ein einsamer, von einem rankenumsponnenen Kreuz bekrönter Fels, davor hält der alte betende Marinaro mit zwei Mädchen und einem Knaben, in andächtiger, lauschiger Stille (als Postkarte bei Paul Bayer in Dresden); dann „Fischerkinder vor dem Bilde der Madonna“; eine „Wasserfahrt“ und „Klosterküche“.
Bald führte den Maler sein unüberwindlicher Drang nach Veränderung über München nach Berlin zurück (1872), wo die „Perlenfischer“, eine „Fischerfamilie am Meere“ und die nächtliche Landschaft „Ueber den Golf von Neapel“ entstanden. Dann zog es ihn wieder nach dem Süden und insbesondere nach Venedig, von wo ein im Schlafe von gaukelnden Wasserjungfern geneckter „Fischer“, eine schwüle „Nixen-Nacht“, ein im Spiel der Libellen versunkenes Mädchen, eine „Psyche“ (Nr. 2407, Illustr. Ztg., 1889), „Mignon“ und „Undine“ (Nr. 5, „Wartburg“ 1879, S. 109), aber auch eine Landschaft mit „Tizian’s Heimathbergen“ – Sir Josiah Gilbert schrieb über „Titian’s Country“ (London 1869) sogar ein dickes Buch – nach dem Oesterreichischen Kunstverein und in das dortige Künstlerhaus gingen. Dann begab sich der unruhige Mann durch Tirol nach Wien (1878), wo seine ausgereifte Kunst viele Freunde und Anerkennung fand, ebenso wie sein stets anregendes, geistvolles Wesen. Trotz seines eifrig unausgesetzten Schaffens dachte er daran, eine Schule für Malerinnen zu begründen. Aus dieser Periode stammen eine neue „Prinzessin Ilse“, das „Johannisbad“, die „Venetianische Schwimmschule“, wo ein Mädchen ihr kleines Brüderchen ins Wogenbad taucht, während das sie liebkosende Schwesterchen ihr Hals und Arme beschwert, ein „Irrlichtertanz“, „Donauweibchen“ u. dgl. Auch hier lockte sein nimmer müder Wandertrieb zu einer Uebersiedelung nach München (1883), wo er endlich festen Fuß faßte und, mit Pinsel und Zeichenstift wechselnd, neue Themata ersann: die Ballade „Willkommen Herr Olaf!“, des „Meeres und der Liebe Wellen“, eine „Sappho“ (Nr. 2337, Illustr. Ztg., 14. April 1888), die „Königin der Nacht“ und „Die seligen Tage der Jugend“, wo er sieben singende, mit Blumen gezierte italische Mädchen in einer Barke vorüberführt, eine in der heiteren Kraft der Farbe und Wahrheit der Empfindung an Hans Dahl’s „Norwegische Kirchfahrerinnen“ und L. Passini’s singende „Ampezzanerinnen“ gemahnende Dichtung. Noch ernstere Töne schlug der sinnende Künstler an mit dem „Eintritt ins Leben“, wo ein Schutzgeist über Mutter und Kind die segnenden Hände breitet, und dem Gegenstück, der „Seelenheimkehr“ (gestochen von Doris Raab), wobei ein Engel die scheidende Seele himmelwärts geleitet. Figurenreicher gestaltete K. eine Apotheose des Kaisers Wilhelm I. (in Photographie bei Fr. Bruckmann). In der „Barca della carità“ rudern zwei Mönche die im offenen Sarge ruhende Leiche [373] eines schönen Mädchens über die aufgeregte See nach dem Friedhof, ein Thema, welches K. in neuer Bearbeitung wiederholte. Mit L. W. Heupel machte er sich an einen Cyklus von zwölf Illustrationen zu Jul. Wolff’s „Lurlei“, ebenso begann K. mit Alexander Zick eine Bilderreihe „Vom Erdenthal ins Himmelreich“ oder „Ein Menschenleben in Bild und Wort“ (München, bei Fr. Bruckmann), wozu Martin Greif einen Begleittext dichtete. Zuletzt dachte er „die Jahreszeiten“ in Bildern vorzunehmen: den „Frühling“ verkörpern zwei mit ihren Kindern durch eine sprossende Landschaft wandernde Frauen; den „Sommer“ eine mit ihren Kindern im Schatten hoher Bäume sitzende Familie, dahinter im wogenden Getreidefelde die Schnitterinnen die gereifte Frucht einheimsend; das Wintermärchen repräsentirt eine vom Nordlicht magisch umfluthete, auf phantastischen Eisgebilden schlafende Frauengestalt, im Vordergrunde schlummern, aneinander geschmiegt, zwei liebliche Mädchen. Den Herbst ist er uns schuldig geblieben. Er warf ihn auf das Krankenlager. Kaum reisefähig, eilte K. mitten im Winter vertrauensvoll nach Nervi bei Genua, dann nach Venedig. Scheinbar gebessert kehrte er nach München zurück, zog sich infolge einer Erkältung einen Rückfall zu, wovon er sich nimmer erholte. K. war „ein reich veranlagter, wohlwollender, frohgemuther Charakter, welcher dem Leben, das oft trübe Schatten über seine Wege warf, dennoch immer die hellsten, heitersten Seiten abzugewinnen wußte“. Sein Bildniß zeigt einen energisch ausblickenden, kahlköpfigen, aber mächtig bebarteten Mann.
- Vgl. Lützow, Zeitschrift 1867: II, 122; 1869: IV, 19; 1874: IX, 163, 410, 629; 1876: XI, 179, 530; 1878; XIII, 608; 1882: XVII, 467, 563. – Deutsche Illustr. Ztg., II. Bd., Nr. 1 vom 15. August 1885 (mit biogr. Notizen u. Verzeichniß seiner Werke). – Fr. Pecht (Gesch. der Münch. Malerei 1888, S. 383) bringt Kray unbegreiflicher Weise mit Makart in Fühlung! – Nr. 2407 Illustr. Ztg., Leipzig, 17. August 1889 (mit Portr. u. Biogr.) u. Nr. 48 Ueber Land und Meer 1889, LXII, 1004. – Fr. v. Bötticher 1895, I, 760.