ADB:Wöhler, Friedrich
Wöhler: Friedrich W. wurde am 31. Juli 1800 in Eschersheim bei Frankfurt a. M. geboren als Sohn eines Mannes von weitreichender Bildung. Sein Vater August Anton W. hatte dem Studium der Thierarzneikunde und Landwirthschaft obgelegen und sich auf philosophischem und philologischem Gebiete reiche Kenntnisse erworben. Am Hofe des Herzogs von Meiningen bekleidete er als Stallmeister eine Stellung, in der er großen Einfluß auf die Landwirthschaft des kleinen Staates ausübte und neben mannichfachen Nebenämtern mit der Verwaltung des herzoglichen Hoftheaters betraut war. Später finden wir den nach Selbständigkeit trachtenden Vater Wöhler’s als thätigen Landwirth in der Nähe Frankfurts; als er im J. 1812 neben der Verwaltung seines Landgutes in Rödelheim noch die Stellung eines großherzoglichen Stallmeisters in Frankfurt übernahm, hat er durch sein Eintreten für die geistigen und materiellen Interessen der Bürgerschaft – er förderte Schul- und Sparkassenwesen und war thätig für die Hebung der Garten- und Feldbaucultur – sich Verdienste erworben, die ihn zu den besten von Frankfurts Bürgern zählen lassen. Die in hohem Ansehen stehende Wöhler-Schule in Frankfurt erinnert an die erfolgreiche Thätigkeit des über seinen Beruf hinaus weitschauenden Mannes. Der Mutter Wöhler’s, einer Tochter des Gymnasialdirectors Schröder in Hanau, ward Klugheit und nie versiegender Humor nachgerühmt. Heiter und oft originell faßte sie das Leben auf und verstand sich in die Vorkommnisse des Daseins schnell zu finden.
Unter so günstigen Auspicien wuchs der Knabe Friedrich zum Jüngling heran. Lesen, Schreiben und Zeichnen lehrte ihn der Vater, das andere brachte ihm der Unterricht in der allgemeinen Schule; Lateinisch, Französisch und Kenntniß der Musik lernte er später im Privatunterricht[WS 1]. Die Lust zum Experimentiren und die Freude am Anlegen einer Münzen- und Mineraliensammlung zeigte sich schon in den frühesten Jahren; als Zwölfjährigen finden wir ihn mit den chemischen und physikalischen Apparaten experimentiren, die der Hofrath Wichterich dem zur Naturwissenschaft neigenden lieh.
Auf dem Gymnasium zu Frankfurt, auf das er vom Jahre 1814 bis zum Besuche der Universität ging, konnten ihm seine Lehrer wie Friedrich Christoph [712] Schlosser, der Geschichtsforscher, Georg Friedrich Grotefend, der Grammatiker, Karl Ritter, der Geograph, und Andere nicht die besten Zeugnisse ausstellen; denn hervorragender Fleiß und besondere Kenntnisse – selbst hat ers gestanden – waren bei ihm nicht zu finden. Wie wäre es auch möglich gewesen, da seine Gedanken oft fern der Schule weilten und sein Sinn nach andren Dingen trachtete. Die Mathematik wurde vernachlässigt, aber leidenschaftlich ein chemischer Versuch nach dem andern begonnen; manche Schulaufgabe blieb ungelöst, denn über Berg und Thal gings, um Steine zu suchen, die er beim Mineralienhändler Menge entweder in Hanau, oder wenn jener zum Besuch der Frankfurter Messe eintraf, vertauschte. In der Küche seines Gönners Dr. Buch, eines geistreichen Privatgelehrten, der physikalische, chemische und mineralogische Studien trieb, erhielt der junge W. den ersten Anstoß zum ernsten Forschen auf naturwissenschaftlichem Gebiete. In einer böhmischen Schwefelsäure findet er das zu damaliger Zeit sehr seltene Selen, aus Zink gewinnt er Spuren von Cadmium; in seiner Stube, in der Kolben und Retorten unter Steinen bunt durcheinander liegen, baut er aus russischen Kupfermünzen und Zinkplatten eine Volta’sche Säule, um die Kraft der Elektricität zu studiren, und in Mutters Küche an einem alten großen Graphittiegel, da blinken, nachdem das Schwesterlein munter am Blasebalge gezogen, Kaliumkügelchen und bald tanzen sie in violetter Flamme lustig auf dem Wasser herum. Seine chemischen Versuche setzte W. zum Aerger seines Hauswirthes auch auf der Universität Marburg fort, die er im Frühjahr 1820 als Studiosus der Medicin bezog. Gute Aussichten für sein späteres Fortkommen hatten ihn zum Studium der Medicin bewogen. Hier fesselten ihn Versuche über die Cyanverbindungen an die zum Laboratorium umgemodelte Stube; er entdeckte das Jodcyan und beobachtete das wurmartige Aufschwellen des Schwefelcyanquecksilbers. Im kommenden Jahre zog W., begeistert für Leopold Gmelin, nach Heidelberg. Dem Rathe dieses wohlwollenden Lehrers und Freundes folgend, entschloß er sich nach bestandenem Doctorexamen sich ganz der Chemie zu widmen. Im Laboratorium, einem alten Klostergange, begann W. die Untersuchungen über die Cyansäure und gedachte sich in Heidelberg zu habilitiren. Doch Gmelin, der zur tieferen Ausbildung den Besuch einer anderen Universität forderte, brachte ihn, da auf chemischem Gebiete das Ausland Deutschland überflügelte, zu Berzelius nach Stockholm. Hier wurde er liebenswürdig aufgenommen und fand bei den Arbeiten die freundlichste Unterstützung; die sinnreichen kleinen Handgriffe und die Methoden des schwedischen Forschers, der zur Zeit mit den Untersuchungen über die Verbindungen des Fluors, des Siliciums, des Bors beschäftigt war, lernte W. hier kennen und bildete sich durch die Ausführung vieler quantitativer Mineralanalysen zum sicheren Analytiker heran. Bei der Untersuchung des Lievrit ist seine Ausdauer auf eine harte Probe gestellt worden. Oefter mußte er aus dem Munde des nordischen Meisters die Worte hören: „Doctor, das war schnell aber schlecht“; immer wieder nahm er die Arbeit auf, bis schließlich übereinstimmende Resultate das mühevolle Schaffen lohnten. Die Darstellung und die Untersuchung von Lithion, Selen, Ceroxyd und Wolfram trieb er[WS 2] als Nebenbeschäftigung, und auch die Forschungen über die Cyansäure wurden wieder aufgenommen. Die freie Zeit benutzte W. zu Excursionen in die Umgebung von Stockholm und im Juli 1824 begleitete er Berzelius auf einer geologischen Reise, die dieser mit dem französischen Geologen Bronguiart in Schweden und Norwegen unternahm. Nach fast einjährigem Aufenthalte im Laboratorium von Berzelius, der ihn mächtig angeregt hat und entscheidend geworden ist für die späteren Arbeiten auf anorganischem und organischem Gebiete, kehrte W. im October 1824 nach Frankfurt zurück und beabsichtigte sich der akademischen [713] Laufbahn zu widmen. Im Winter finden wir ihn im elterlichen Hause bei anstrengender Arbeit; er war mit den Vorbereitungen zur Habilitation in Heidelberg beschäftigt und hatte die Uebersetzung von Berzelius’ Jahresberichten übernommen. Nach langen Ueberlegungen gab W. seinen Lieblingsplan sich zu habilitiren auf, da ihm seine Freunde riethen eine Lehrstelle an der städtischen Gewerbeschule zu Berlin zu übernehmen, die wegen der reichen chemischen und mineralogischen Hülfsmittel und infolge des Umgangs mit hervorragenden Männern der Wissenschaft wie Mitscherlich, Rose, Magnus anregend und belehrend zu werden versprach. Im März 1825 reiste W. nach Berlin und in einem eigenen Laboratorium werden zusammen mit einigen geübteren Schülern die Arbeiten auf verschiedenen Gebieten mächtig gefördert. Hier gelingt dem bald zum Professor ernannten Forscher die Isolirung des Aluminiums durch Einwirkung von Kalium auf Aluminiumchlorid und bald isolirt er nach derselben Methode die Metalle Beryllium und Yttrium; durch Erhitzen von Knochenkohle, Sand und Kohle gewinnt er den Phosphor, und seine mineralogischen Studien bringen Licht in die Zusammensetzung vieler Mineralien. Auf organischem Gebiete fesseln uns seine Angaben über die Gewinnung des äpfelsauren Bleies aus unreifen Vogelbeeren und seine Vermuthungen über die Natur der Pikrinsäure und deren explosive Eigenschaften. Das glänzendste Ergebniß wissenschaftlicher Forschung der Berliner Periode, das zu einer neuen einheitlichen Chemie führte, war die „künstliche Erzeugung eines organischen und zwar sogenannten animalischen Stoffes aus unorganischen Stoffen“, die Synthese des Harnstoffes aus Cyansäure und Ammoniak. Die Zusammensetzung eines Körpers, dessen Zustandekommen im Thierkörper man der unerklärlichen Wirkung der Lebenskraft zuschrieb, war durch den Aufbau aus seinen Elementen gelungen. All die alten Anschauungen sanken dahin und der neue Weg zeigte in der Ferne die Ziele, welche die heutige Chemie zum größten Theile erreicht hat.
In dieser Zeit der herrlichsten Erfolge schließt W. den Freundschaftsbund mit Justus Liebig, und zu den erreichten hochwichtigen Ergebnissen auf dem Gebiete der Wissenschaft gesellt dies Verhältniß die schönsten Errungenschaften. Was die Freunde fürs Leben einander gewesen sind, geht aus ihrem interessanten Briefwechsel hervor; ihre Charaktere treten uns mit voller Klarheit aus den alten Briefen entgegen, und deutlich sehen wir, zu welch herrlichen Erfolgen der Austausch der Meinungen geführt hat; etwas ähnliches, wo ist es in der Geschichte der Wissenschaft zu finden? Liebig verfolgte jeden neuen Gedanken mit ungestümem Eifer und gewährte der Phantasie oft reichlichen Spielraum, W. wägte erst nüchtern und kühl Alles ab, ehe er sein Endurtheil sprach. Liebig hatte manchen Kampf im Leben zu kämpfen, da er, leichtverletzt, vergaß, Herr über sich selbst zu sein, W., fern der Leidenschaft, ertrug mit Gleichmuth die Kränkungen auch des heftigsten Gegners. Diese beiden Männer so verschiedener Art verband eine Freundschaft, die keine Eigennützigkeit kannte, eine Liebe, die jedes Opfers willig war, da die beiden Eigenartigen von demselben Drange nach Wahrheit und nach Gerechtigkeit beseelt waren.
Die gemeinsame Arbeit der beiden Forscher zeitigte bald große Erfolge. Sie erkannten die Cyansäure und Knallsäure als Isomere; in der Honigsteinsäure wird das Verhältniß der Anzahl von Kohlenstoff- und Sauerstoffatomen festgestellt und die Cyansäure wird eingehend studirt. Das Jahr 1831 bringt eine Veränderung in Wöhler’s Verhältnisse. Er gibt seine Berliner Stelle auf und geht mit seiner Frau, einer Tochter des Staatsraths Wöhler, nach Kassel. Die Gründe, die ihn zu diesem Schritte veranlaßten, sind nicht hinreichend bekannt. Sicher hat ihm die Beschäftigung, die ihm keine Zeit zu eigenen Arbeiten ließ, für die Dauer nicht zugesagt und der Umstand, daß in Kassel auf [714] Antrag der kurhessischen Stände eine höhere Gewerbeschule errichtet werden sollte, hat ihn in seinem Entschlusse Berlin zu verlassen, bestärkt. Im December nahm W. in Berlin seine Entlassung und richtete kurze Zeit später in Kassel sein Laboratorium ein. Bald beginnen die eigenen Arbeiten wieder und mancher Plan wird mit dem Freunde Liebig berathen, bis sie sich zu einer gemeinschaftlichen Untersuchung über das Bittermandelöl entschlossen.
Durch einen harten Schicksalsschlag wurde die Ausführung des Planes im Gießener Laboratorium unternommen. Der Verlust seiner jungen Frau ließ W. im eigenen Heim keine Ruhe finden, und er zog zu seinem Freunde Liebig, um in der gemeinschaftlichen Arbeit über das Radical der Benzoësäure Trost zu finden. Die Thatsachen, die die beiden Forscher bei dieser Untersuchung festlegten, sind von weittragender Bedeutung für die heutige Chemie geworden und haben den Weg zur Bildung vieler neuer Körperclassen gezeigt, z. B. der Aldehyde, Anhydride und Säurechloride und die Umwandlungsproducte der letzteren durch Wasser, Alkohol und Ammoniak in Säure, Ester und Amid der Säure sind zuerst durch die classische Untersuchung Wöhler’s und Liebig’s bekannt geworden. In die Kasseler Periode fallen auch eine größere Anzahl meist kleinerer Arbeiten aus dem Gebiete der Mineralchemie. Für die Gewinnung von Kaliumpermanganat, vollkommen arsenfreien Kaliumantimoniats, von Osmium und Iridium aus den Platinrückständen, krystallinischen Chromoxyds findet er neue Methoden und manche neue Verbindung entdeckt er bei den eingehenden Untersuchungen von Mineralien wie Kobaltspeise und Pyrochlor. In diese Zeit fällt auch die theoretisch wichtige Beobachtung, daß arsenige Säure und Antimonoxyd sowol isomorph sind als auch daß jede von ihnen, indem sie in zwei verschiedenen Krystallformen auftritt, ein Beispiel der Dimorphie bildet. Ja, wir begegnen W. auch auf dem Gebiete der Industrie. Es glückte ihm aus dem großen Vorrath von Arseniknickel (Kobaltspeise) des kurhessischen Blaufarbenwerkes Schwarzenfels die technische Gewinnung des Nickels; mit mehreren Freunden gründete er eine Nickelfabrik, deren Hauptabsatzgebiet Birmingham wurde.
Im J. 1836 brachte der im vorhergehenden Jahre erfolgte Tod des Professors Stromeyer zu Göttingen eine wichtige Aenderung in Wöhler’s Lebensverhältnisse. Was er schon lange erstrebt hatte, ging in Erfüllung: er wurde Professor einer deutschen Hochschule. Arbeit fand er in Hülle und Fülle. Vorlesungen über allgemeine und organische Chemie und über Pharmacie, ein stark besuchtes Praktikum sowie Examina stellten hohe Anforderungen an ihn, und doch fand er bald Zeit zu eigener wissenschaftlicher Thätigkeit, die zu Entdeckungen von grundlegender Bedeutung führte. In diese Zeit fällt die Untersuchung über das Bittermandelöl, die er gemeinschaftlich mit Liebig unternahm. Es ist interessant, den Brief kennen zu lernen, in dem er seinem Arbeitsgenossen die ersten Nachrichten über seine Beobachtung zukommen läßt. „(Göttingen, den 26. October 1836.) Lieber Freund! Mir geht es wie einem Huhn, das ein Ei gelegt hat und darauf ein großes Gagsen beginnt. Ich habe heute früh gefunden, wie man aus dem Amygdalin blausäurehaltiges Bittermandelöl machen kann, und wollte Dir die weitere Verfolgung dieser Sache zu einer gemeinschaftlichen Arbeit vorschlagen, da der Gegenstand zu innig mit der Benzoyl-Untersuchung im Zusammenhang steht und es doch curios aussehen würde, wenn einer von uns beiden wieder allein auf diesem Felde aufträte, denn es läßt sich gar nicht absehen, wie weit es sich erstreckt und ich glaube es ist gewiß fruchtbar, wenn es mit Deinem Miste gedüngt wird. Jene Umwandlung erfolgt mit der größten Leichtigkeit, wenn man Amygdalin mit Branntwein und verdünnter Schwefelsäure destillirt. Es entwickelt sich eine Menge Kohlensäure [715] (wenigstens halte ich das Gas dafür), weshalb die Masse leicht übersteigt, und außer Bittermandelöl, von dem man dem Gewicht nach wenigstens ½ bis ¾ so viel als das Amygdalin betrug, erhält, destillirt zuletzt eine Menge Ameisensäure über (wenigstens ist es eine saure Flüssigkeit, die Quecksilberoxyd reducirt). Zuletzt setzte sich in der ganzen Länge des Kühlrohrs eine ziemlich dicke Krystallisation von Benzoësäure ab. Das Oel ist so blausäurehaltig wie das unmittelbar aus bitteren Mandeln erhaltene, von dem es sich nur dadurch unterscheidet, daß es farblos ist“ etc. Gern ergriff Liebig die Gelegenheit mit seinem Freunde die Aufgabe zu lösen, und was W. durch qualitative Versuche ermittelt hatte, bestätigte er durch quantitative Bestimmungen; bald war der Verlauf des Processes erkannt: das Amygdalin zerfällt durch das Ferment Emulsin in Bittermandelöl, Blausäure und Zucker.
Nach Beendigung dieser Arbeit wandten die beiden Forscher sich wieder der Harnsäureuntersuchung zu, einer Arbeit, die wegen der Schwierigkeit der Materialbeschaffung und der großen Anzahl von Derivaten große Ausdauer und unermüdliche Thätigkeit forderte. Es würde zu weit führen, näher auf die Einzelheiten der Arbeit einzugehen; den Zusammenhang der neu aufgefundenen Derivate klarzulegen, die Schärfe und Mannichfaltigkeit der Versuche und die Methode der Forschung zu schildern, die Wichtigkeit der Ergebnisse für die organische Chemie zu erläutern, kann dem Verfasser dieser Blätter nicht in den Sinn kommen; die Annalen der Chemie zeigen auf mehr als hundert Seiten die Großartigkeit der Harnsäureuntersuchung, einer Schöpfung von dauerndem Werthe. Rastlos schaffte der schier Unermüdliche weiter. Für Alles zeigte er Interesse, die anorganische, organische und physiologische Chemie verdankte dem Forschertriebe eine werthvolle Entdeckung nach der andern; kaum gibt es ein Element, zu dessen Erkenntniß der freudig Forschende allein oder gemeinsam mit seinen Freunden in der Göttinger Periode nicht reichliche Beiträge geliefert hätte. Geachtet und bewundert von seinen Zeitgenossen stand er da – eine Leuchte der Wissenschaften. Es mögen hier zwei Briefe Platz finden. Einer rührt von dem alternden Berzelius her und lautet: „Gleich einem alten herrschaftlichen Kutscher, der selbst nicht mehr fahren kann, sich aber freut, wenn er das Knallen der Peitschen anderer hört, macht es mir eine sehr große Freude, die Arbeiten aus Euren Laboratorien zu lesen. Arbeitet nur immer fort, so lange Ihr könnt, denn Ihr wißt nicht, wie wenig der Mensch wird, wenn er zu altern anfängt.“ Den andern Brief schreibt Liebig, dem damals gerade auf seinem speciellen Arbeitsgebiete der Landwirthschaft Mißerfolg auf Mißerfolg beschert war. Er schreibt: „Deine Briefe heimeln mich an wie ein Märchen aus alten Zeiten; das ist das alte Feuer und die Jugend, und Jahre, die vergangen, und Töne, die verklungen sind, steigen vor mir auf und versetzen mich in die blühenden Tage unseres freudvollen und neidlosen Zusammenwirkens. Du hast Dir den reinen Sinn bewahrt und schaffst Dir immer sich erneuende Genüsse“ etc. Wollte man alle die Untersuchungen anführen, die W. auf den mannichfaltigen Gebieten der Chemie ausgeführt hat, es wäre gleich ein Compendium der Chemie zu schreiben; es muß deshalb hier unterbleiben. Auf physikalischem Gebiete seien seine Angaben über das verschiedene Verhalten krystallinischer und amorpher Modificationen erwähnt und die Construction eines galvanischen Elementes angeführt, das nach dem Schema Eisen | verdünnte Schwefelsäure | conc. Salpetersäure | Eisen combinirt war.
Litterarisch war er vielseitig thätig: an der Herausgabe des Berzelius’schen Jahresberichtes hat er bis zum Tode des nordischen Meisters mitgewirkt und die Uebersetzung des großen Berzelius’schen „Lehrbuchs der Chemie“ besorgt. Von hervorragender Bedeutung sind seine Grundrisse der unorganischen und der [716] organischen Chemie gewesen, die viele Auflagen erlebten und in viele andere Sprachen übersetzt wurden. Außerordentlichen Erfolg hatten seine „Beispiele zur Uebung in der analytischen Chemie“, deren letzte Auflage er unter dem Titel „Die Mineralanalyse in Beispielen“ im J. 1861 veröffentlichte. Mit Liebig und Poggendorff hat er vom Jahre 1842 die ersten sechs Bände des großen „Handwörterbuches der reinen und angewandten Chemie“ herausgegeben. Vom Jahre 1838 an wurde er Mitherausgeber von Liebig’s Annalen, in nahezu 200 Bänden ist sein Name zu finden. Als Lehrer war W. von hervorragender Bedeutung und eine große Anzahl von Schülern hörte seine Vorlesungen und arbeitete in seinem Laboratorium. Allgemein rühmte man seine Gabe, die mit der Untersuchung schwieriger Aufgaben Betrauten durch eingehende Beschäftigung mit ihnen begeistert zu haben zu unermüdlicher Thätigkeit bis zur Lösung der auftauchenden Räthsel. Liebig erkennt mit folgenden Worten die pädagogischen Fähigkeiten seines Freundes an, als dieser ihn für einen seiner Schüler um einen Platz im Gießener Laboratorium bittet. „Es sind recht dumme Kerls, die von Göttingen nach Gießen gehen, der Chemie wegen, vom Gaul auf den Esel.“ Immer größer ward die Zahl seiner Schüler und aus der Schule Wöhler’s sind zahlreiche Lehrer hervorgegangen, die an deutschen Hochschulen mit großem Erfolge gewirkt haben und heute noch lehren. Nach und nach zog sich W. von seiner anstrengenden Thätigkeit zurück und überließ die Vorlesungen und die Leitung der einzelnen Abtheilungen reichbegabten jüngeren Docenten; nur ausnahmsweise betheiligte er sich an praktischen Arbeiten, 1873 hat er die anorganische Chemie zum letzten Male gelesen. Doch bis zum Tode blieb er an der Spitze des Institutes, das durch ihn so hohes Ansehen gewonnen hatte, weit hinaus über die Grenzen des deutschen Vaterlandes. Die letzten Jahre seines Lebens verlebte W. im Kreise der Seinen in einer glücklichen Häuslichkeit. Zum zweiten Male hatte er sich 1834 mit Julie, der Tochter des Bankiers Pfeiffer in Kassel verheirathet und inmitten seiner Kinder verbrachte er mit angesehenen Gliedern der Universität und anderer Berufskreise manche schöne Stunde der Geselligkeit. Im Anfang August des Jahres 1882 begann W., der keine Schwäche des Alters kannte, zu kränkeln und im September stellten sich die Krankheitserscheinungen in erhöhtem Maße ein. Ein Ruhranfall verzehrte schnell seine Kräfte und am 23. September hatte „dieses schöne Leben in einem schnellen und sanften Tod einen schönen Abschluß gefunden“.
„Die Philosophie der Chemie“, sagen W. und Liebig in der Einleitung ihrer berühmten Harnsäureuntersuchung, „wird aus dieser Arbeit den Schluß ziehen, daß die Erzeugung aller organischen Materien, insoweit sie nicht mehr dem Organismus angehören, in unseren Laboratorien nicht allein als wahrscheinlich, sondern als gewiß betrachtet werden muß. Zucker, Salicin, Morphin werden künstlich hervorgebracht werden. Wir kennen freilich die Wege noch nicht, auf denen dieses Endresultat zu erreichen ist, weil uns die Vorderglieder unbekannt sind, aus denen diese Materien sich entwickeln, allein wir werden sie kennen lernen“. Die Ahnungen, welche die genannten Forscher über die einzuschlagende Richtung der organischen Chemie damals hatten, sind in Erfüllung gegangen. Der Aufbau von Zuckerarten ist gelungen, die Constitution des Saligenins ist klargelegt worden und wir wissen heute, daß das in seiner Constitution uns bekannte Morpholin die Stammsubstanz der Hauptbase des Opiums ist. Die Synthese vieler organischer Substanzen ist gelungen und durch die Erfolge der organischen Chemie seit jener Zeit rücken wir „der Erzeugung aller organischen Materien“ immer näher und näher. Großes haben wir geschaffen und Größeres werden wir erreichen, nachdem uns der Weg der Forschung [717] von dem Manne gezeigt wurde, der im J. 1828 durch die künstliche Darstellung des Harnstoffes der Schöpfer der ersten organischen Synthese wurde.
- Der Verfasser benutzte für obige Darstellung neben den nach Wöhler’s Tode erschienenen Nekrologen die bei Enthüllung des Wöhlerdenkmals in Göttingen von A. W. Hofmann gehaltene Festrede.