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ADB:Koegel, Rudolf

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Artikel „Koegel, Rudolf“ von Wilhelm Bruckner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 519–522, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Koegel,_Rudolf&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:36 Uhr UTC)
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Koegel *): Georg Rudolf K., Germanist, wurde am 29. November 1855 in Leipzig geboren als ältester Sohn des Herrn Franz Julius Koegel, der städtischer Beamter war, und der Frau Dorothea Theresia geb. Schotte. Ostern 1866 kam er auf die Thomasschule, und im Frühjahr 1874 ging er zur Universität über, um sich hier mit Ernst dem Studium der Germanistik und vergleichenden Sprachwissenschaft, daneben auch der classischen Philologie zu widmen. Schon in seinen Knabenjahren hatte sich die besondere Neigung zum Studium der deutschen Sprache und Litteratur darin geäußert, daß er in seinen freien Stunden stets gerne vor dem Bücherschrank seines Vaters saß und sich in die Werke der deutschen Dichter vertiefte. Unter den Professoren der Leipziger Hochschule, an der er seine ganze Studienzeit verbrachte, haben Zarncke, Braune, Curtius und Leskien den größten Einfluß auf ihn gewonnen; ihnen verdankte er die gründliche Einführung in die mannichfachen Zweige der germanistischen Wissenschaft, vor allem aber die exakte grammatische Schulung und ausgebreitete Kenntnisse der verschiedensten indogermanischen Sprachen, vorzüglich auch der slavischen. In zahlreichen grammatischen Arbeiten hat er sich denn auch bald als ihren würdigen Schüler gezeigt. Bereits Ostern 1878 bestand er das Doctorexamen, obschon er während seiner Studienzeit noch seine militärische Dienstpflicht erfüllt hatte. Die Arbeit, die er der Facultät als Dissertation vorlegte, war die für das Studium des Althochdeutschen überaus wichtige und anregende Schrift „Ueber das Keronische Glossar“, Studien zur ahd. Grammatik, Halle 1879.

Schon die rasche Absolvirung der Studien, noch mehr aber diese Arbeit konnten zeigen, daß der junge Gelehrte eine ungewöhnliche Fülle von Arbeitskraft, scharfe Beobachtungs- und glückliche Combinationsgabe vereinigte. Bald nach dem Abschluß seiner Studien erhielt er eine Stelle als Lehrer am Nikolaigymnasium in Leipzig; daneben habilitirte er sich 1883 als Privatdocent für Germanistik und wurde im Sommer 1888 zum außerordentlichen Professor befördert. Schon im Herbste desselben Jahres folgte er einem Rufe nach Basel als ordentlicher Professor der deutschen Sprache und Litteratur. Zu seinen größten Freuden gehörte es hier, mit Freunden und Bekannten die nähere und weitere Umgebung, für deren landschaftliche Reize er ein offenes Auge hatte, zu durchwandern, und die Schönheit der Natur mag nicht zum wenigsten dazu beigetragen haben, daß er sich in der Schweiz bald heimisch fühlte. Im September 1892 vermählte er sich mit Fräulein Cecile v. Salis aus Basel. Anfänglich hatte K. neben seiner Wirksamkeit an der Universität noch einige Stunden in der obersten Classe des Gymnasiums zu ertheilen; aber schon nach wenigen Jahren machte er sich von dieser Verpflichtung frei, um sich uneingeschränkt wissenschaftlicher Thätigkeit, vor allem der Arbeit an der Litteraturgeschichte, die jetzt im Vordergrund seines Interesses stand, widmen zu können. Freilich ist dies groß angelegte Werk, Geschichte der deutschen Litteratur bis zum Ausgang des Mittelalters, doch ein Torso geblieben. Bald nach Ablauf seines Rectoratsjahres ums Neujahr 1899 erkrankte er anscheinend ungefährlich; doch bald nahm die Krankheit eine bedenkliche Wendung: er starb am 5. März 1899.

Koegel’s eigene Arbeiten sind ganz von grammatischen Untersuchungen ausgegangen. In der Schrift „über das Keronische Glossar“ erwies er zunächst den bairischen Ursprung dieses wichtigen und weitverbreiteten Denkmals und suchte dann eine Genealogie der Handschriften aufzustellen, die in den wesentlichsten Punkten Beifall gefunden hat (s. Steinmeyer, A. f. d. A. 6, 136 ff.). [520] Nach der Erörterung dieser allgemeinen Fragen bietet das Buch eine sehr sorgfältige grammatische Darstellung der Laut- und Flexionslehre. Auf die schwierigen Fragen, die die weitere Geschichte dieses vielfach überarbeiteten Glossars betreffen, ist K. wiederholt zurückgekommen in den Abhandlungen: „Eine Epitome des Hrabanischen Glossars“ Z. f. d. A. 26, 326 ff. und „Zu den Murbacher Denkmälern und dem Keronischen Glossar“ PBrB. 9, 301 ff. Daneben hat er Anfangs der achtziger Jahre namentlich in Paul und Braune’s Beiträgen (Bd. 7–9) noch weitere kleinere grammatische Arbeiten erscheinen lassen, die sich alle mit Problemen der Laut- und Formenlehre beschäftigen. Hervorzuheben sind namentlich folgende: „Ueber einige germanische Dentalverbindungen“ PBrB. 7, 171 ff. „Die schwachen Verba zweiter und dritter Klasse“ 9, 504 ff. „Ueber w und j im Westgermanischen“ 9, 523 ff. „Althochdeutsche Lokative“ Z. f. d. A. 28, 110 ff. Wenn ihm auch nicht alle Deutungsversuche geglückt sind, so hat er doch vieles für die richtige Erklärung mancher Schwierigkeit, besonders im Althochdeutschen, geleistet; in allen Fällen sind seine Arbeiten stets reiche und zuverlässige Belegsammlungen. Daneben schrieb er zahlreiche Recensionen, besonders in das Litteraturblatt für germ. und rom. Philologie; erwähnt sei hier nur diejenige von Braunes Althochdeutscher Grammatik (8. Bd., 1887, Sp. 105 ff.), die ihrerseits seinen Arbeiten schon manches verdankte. In den letzten Jahren seiner Leipziger Wirksamkeit scheint freilich seine doppelte Thätigkeit an Schule und Universität ihm verhältnißmäßig wenig Muße zu eigener Production gelassen zu haben; erst aus dem Jahre 1888 datiren wieder einige kleinere Abhandlungen: „sagibaro“ Z. f. d. A. 33, 13 ff. und „Zur Ortsnamenkunde“ PBrB. 14, 95 ff.; hier erörtert er die lokativische Natur der deutschen Ortsnamen und sammelt und erklärt zahlreiche alte Lokativformen.

Seine neue Stellung in Basel brachte es mit sich, daß sein Arbeitsfeld sich bald bedeutend erweiterte: neben grammatischen und Interpretationsvorlesungen trug er vornehmlich über Litteraturgeschichte vor, zunächst der ältern Zeit, bald aber auch der neuern, von Goethe und seinen Zeitgenossen bis herab auf Gottfried Keller, den er erst in der Schweiz recht kennen und schätzen lernte; daneben las er auch über deutsche Verskunst und historische Syntax. Seine eigenen Arbeiten beschäftigten sich zunächst auch jetzt noch und später gelegentlich immer wieder mit grammatischen und sprachgeschichtlichen Problemen: so „die altgermanische fara“ Z. f. d. A. 37, 217 ff., mit dem wichtigen Anhang „über die Stellung des Burgundischen innerhalb der germanischen Sprachen“, worin mit Sicherheit nachgewiesen wird, daß das Burgundische der gotischen (ostgermanischen) Sprachengruppe zuzuzählen ist. Aus einer Recension von Gallée’s altsächsischer Grammatik sind die reichhaltigen Bemerkungen „zur altsächsischen Grammatik“ hervorgegangen, JF. 3, 276 ff. Sonst hat er in dieser Zeit nur noch weniges recensirt, so drei für das Studium des Althochdeutschen wichtige Publicationen, A. f. d. A. 19, 218 ff. und namentlich Wrede „Ueber die Sprache der Goten in Italien“, A. f. d. A. 18, 43 ff.; hier hat er zur Kenntniß und zum richtigen Verständniß der gotischen und der älteren germanischen Namen überhaupt manche treffende Bemerkung beigesteuert. Speciell mit Worterklärungen beschäftigt er sich PBrB. 16, 510 ff. und JF. 4, 312 ff. Aehnlichen Inhalts sind auch eine Reihe kleinerer Aufsätze: „Idis und Walküre“ PBrB. 16, 502 ff., „Liutarfizilo“ a. O. 16, 509 f., „Beowulf“ Z. f. d. A. 37, 268 ff.; es sind dies aber offenbar bereits Themata, die sich ihm bei der litterargeschichtlichen Behandlung der älteren germanischen Denkmäler ergeben haben, wie es überhaupt für seine litterarhistorische Betrachtungsweise charakteristisch ist, daß sie [521] ihn immer wieder zu sprachlichen und grammatischen Untersuchungen führt. In immer zunehmendem Maaße nämlich wandte er sich, wie schon angedeutet, seit Beginn der neunziger Jahre der Litteraturgeschichte zu und in der Einleitung zu seinem größeren Werke hat er wohl seine eigene Entwicklung gekennzeichnet mit den Worten (S. X): „Nachdem sich die grammatische Hochfluth der achtziger Jahre glücklich verlaufen hat, ist der Litteraturgeschichte die ihr allein gebührende Stellung im Mittelpunkte der germanistischen Studien wieder eingeräumt worden“. Von litterargeschichtlichen Darstellungen veröffentlichte er zuerst den kurzen Abriß der althoch- und altniederdeutschen Litteratur in Paul’s Grundriß der germanischen Philologie1 II 1 S. 159 ff. Straßburg 1893. Schon während seiner Ausarbeitung faßte er den Entschluß zu einer größern und selbständigen Darstellung, da er sich überzeugt hatte, daß die Kenntniß der älteren Litteratur noch sehr unvollständig und unvollkommen war. Von dieser „Geschichte der deutschen Litteratur bis zum Ausgang des Mittelalters“ ist nur der 1. Band erschienen (bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts), und zwar 1. Theil (die stabreimende Dichtung und die gothische Prosa) Straßburg 1894; Ergänzungsheft (die altsächsische Genesis) 1895; 2. Theil (die endreimende Dichtung und die Prosa der ahd. Zeit) 1897. Er hat also nur die Geschichte der althochdeutschen Zeit zu Ende führen können; da K. aber ein besonders vertrauter Kenner gerade des Althochdeutschen war, mußte er in diesem Bande das Beste bieten. Diesem Werke ist viel Anerkennung, aber noch mehr scharfer Tadel zu Theil geworden. Richtig ist, daß es die gewöhnlichen Bahnen der litterarhistorischen Darstellung verläßt; einzelne Abschnitte zerfallen geradezu in eine Reihe ungleich ausgeführter Monographien, in denen, was freilich in der eigenthümlichen Beschaffenheit der ahd. Denkmäler begründet ist, dem sprachlichen Charakter der besprochenen Werke oft eine sehr eingehende Behandlung zu Theil wird. Charakteristisch für das Buch ist vor Allem der Umstand, daß K. sich nicht auf die zufällig schriftlich überlieferten Denkmäler beschränkt; er will vielmehr – und hierin folgte er bewußt dem begeisternden Vorbilde Müllenhoff’s – ein lebendiges Bild geben von der Poesie und dem Geistesleben der alten Germanen überhaupt; mit warmer Antheilnahme an seinem Stoff weiß er namentlich im 1. Theil oft aus kurzen Andeutungen und aus fremder Uebertragung die Schätze alter Poesie wieder zum Licht erstehen zu lassen und auf Grundlage einer lebendigen Anschauung vom germanischen Alterthum sucht er den ethisch-ästhetischen Gehalt der alten Dichtungen zu erfassen. Zur Ausfüllung der Lücken in der litterarischen Ueberlieferung verwerthete er neben den Zeugnissen der alten Autoren namentlich die Berichte von Geschichtsschreibern, wie Paulus Diaconus, sofern sie ihm auf volksthümlichen Liedern zu beruhen schienen; auch angelsächsische, friesische und altnordische Denkmäler fanden Aufnahme, wenn er ihren Inhalt in ältere Zeit glaubte zurückführen zu können, oder wenn sie als Typus einer allgemein verbreiteten Gattung gelten konnten. Sehr ausführlich werden auch lateinische Dichtungen, die in der Geschichte der litterarischen Entwicklung Deutschlands eine Rolle spielen, besprochen, wie der Waltharius und besonders der Ruodlieb. Mit großer Liebe endlich hat K. die Metrik der alten Dichtungen in längeren Abschnitten behandelt in der Hoffnung, seine Ausführungen möchten zu einer Ausgleichung der auf diesem Gebiet vorhandenen Gegensätze beitragen. Da er selbst gerne musicirte und für musikalische Fragen ein feines Verständniß besaß, traute er sich gerade auf dem Gebiete der Metrik ein besonders sicheres Urtheil zu. Zur Ergänzung seiner in der Litteraturgeschichte niedergelegten Ansichten über die [522] altgermanische Metrik ist noch die eingehende Recension von Heusler’s Schrift: „Ueber altgermanischen Versbau“ beizuziehen, A. f. d. A. 21, 318 ff.

Unter den Gestalten der neueren Litteraturgeschichte stand Goethe weitaus im Vordergrund seines Interesses. Von einer Textausgabe von Grimmelshausen’s Simplicissimus (in den Neudrucken deutscher Litteraturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts), Halle 1880, abgesehen, beschäftigte er sich in seinen Schriften nur mit ihm. Für den 18. Band der Weimarer Ausgabe bearbeitete er „die Aufgeregten“; außerdem gab er „Goethe’s lyrische Dichtungen der ersten Weimarer Jahre in ursprünglicher Fassung mit einer Einleitung“ heraus, Basel 1896. Ganz besonders aber interessirten ihn als begeisterten Verehrer Beethoven’scher Kunst die Beziehungen Goethe’s zu Beethoven. Der genaueren Untersuchung ihres gegenseitigen Verhältnisses ist der Aufsatz gewidmet „Goethe und Beethoven“ in den „Forschungen zur deutschen Philologie“ (Festgabe für R. Hildebrand), Leipzig 1894, S. 191 ff. Es schmerzte ihn dabei feststellen zu müssen, daß Goethe für die Kunst seines großen Zeitgenossen kein Verständniß hatte, und mit feinem Gefühl geht er den Gründen seiner Abneigung nach.

Wesentliche Eigenthümlichkeiten der Werke Koegel’s erklären sich ohne weiteres aus seinem Charakter. Ein hervorstechender Zug seines Wesens war seine jugendliche Frische: es war nicht seine Art, neue Eindrücke langsam zu verarbeiten oder neue Gedanken lange still mit sich herumzutragen; mit warmem Empfinden griff er neues Bedeutendes auf und mit jugendlicher Unmittelbarkeit gab er neu empfangene Eindrücke wieder und suchte sie auch auf andere zu übertragen. Auch einen ungünstigen Eindruck verhehlte er nicht, so daß er gelegentlich jemand abstoßen, ja sogar schroff und absprechend erscheinen konnte. Diese Eigenschaften zeigen sich nun auch in seinen Schriften deutlich: bei seiner rastlosen und vielseitigen Thätigkeit sind ihm eine Menge neuer Gedanken und Ideen zugeströmt, und manche hat er wohl gleich in der ersten Freude unausgereift zu Papier gebracht, die nachher von der Kritik bei sorgfältiger Prüfung abgelehnt werden mußten; und wenn es galt als Recensent unzulängliche Arbeiten zu besprechen, hat er den Tadel nicht gespart und oft scharfe Worte gebraucht. Doch gerade diese unmittelbare Frische und die gemüthliche Antheilnahme des Verfassers an seinem Stoffe sind es, die seinen Schriften vielfach einen besonderen Reiz verleihen. Auch als Lehrer verstand er bei seinen ausgebreiteten Kenntnissen selbst die grammatischen Vorlesungen anregend zu gestalten; doch hatte er den Verhältnissen an der Basler Universität entsprechend nur eine ziemlich kleine Zahl von Schülern.

Persönliche Mittheilungen.

[519] *) Zu S. 299.