ADB:Keinspeck, Michael
r̄c [id est: r = 2, r̄ = 4, scilicet: millesimo quadringentesimo] nonagesimo sexto. Diese erste Ausgabe von 1496, aus welcher nachstehende Angaben geschöpft sind, existirt nur in einem Exemplare noch, das in der Gymnasialbibliothek zu Zwickau aufbewahrt wird. Nach dieser Ausgabe umfaßt der Tractat 13 Blätter (inclusive Titelblatt) in Hochquart. Er ist mit schönen gothischen Lettern, zwar etwas eng, doch scharf und deutlich gedruckt. Trotzdem machen die häufig angewandten Abkürzungen das Lesen der Schrift nicht eben leicht. Der Werth des Tractates wird durch viele beigefügte Notenbeispiele, die in der bekannten Hufeisennotenschrift auf vier Linien gedruckt sind (– ob durch einfachen oder doppelten Druck, kann ich nicht sagen –), um ein Wesentliches gesteigert. Die Signatur ist Blattweise mit a, b, c etc. geordnet. Auf der Rückseite des Titelblattes beginnt der Prologus: Musica ars modulativa in qua animorum placiditas: delinimentum: et solatio maxima est constituta. Darauf folgen die üblichen Lobeserhebungen der Musik und des göttlichen Wesens, dem der Mensch für dieses himmlische Geschenk den höchsten Dank schulde. Dann kommt er auf die Widerwärtigkeiten und Mühseligkeiten zu sprechen, die er zu überwinden gehabt habe, um sich die nöthige musikalische Bildung zu erwerben. Quo factum: ruft er aus: ut per dura ac densa pericula proficisci non teduit. Profecti enim sumus st comigravimus non quod per virentia prata, perque tempe voluptuosa. O amici: ymo per scabrosas sepes ac semitas diversas aspera conscendimus montium juga, transcendimus colles, per tot hyemes, per tot ymbres, per quidquid acerbum. Heus grave horridum. Omnes alsatiae. Renique insulas. Postremo in franciam pervenimus gallicam, cui confinis lottringia utrorumque reges invictissimi altissimo capellas imbuere perpessi sumus. Illo viros egregios optimis ingeniis praeditos convenimus, ibique hujus praedivine artis perfectione habitum narciscentes et nostras lubriunculas, succintius. evidentius, exquisitiusque decrevimus. Non ut quidem aliquorum vulgarium maxime capitulorum perticulas perloquemur neque infantium more (que pauculis mutorum caracterum Impressiunculis multa prendisse se putant) servabimus. Sed quanto commodius poterimus omnium dicta et caracteres arguendo quidam nobis vitio non dabit, nostra adinventa, sedulo conjugabimus, ut expia (sic?) nimis religionis est.“ („Thatsache ist, daß wir nicht verschmäht haben harte und schwere Gefahren zu überstehen, denn unser Lebenspfad hat uns nicht durch reizende Wiesen und üppige Thäler gleich dem Thale Tempe geführt: O nein, meine Freunde, im Gegentheil über dornigtes Gehäge und auf entlegenen Pfaden [537] haben wir rauhe Gebirgsjoche erstiegen, viele Höhen bei Winterskälte, Regen und sonstigem Ungemache überschritten. O Schrecken, o Graus! Dann haben wir den ganzen Elsaß, die Rheininseln durchmessen, und sind endlich nach französisch Gallien gelangt, das an Lothringen grenzt, wo wir erlebten, daß die unüberwindlichen Könige dem Allerhöchsten Kapellen eingeweiht haben. Dort sind wir auch mit den ausgezeichnetsten und geistig hervorragendsten Männern zusammengetroffen, durch deren Vorzüglichkeit wir unsere Ausbildung in dieser göttlichen Kunst erlangten und unsere kleinen Schwächen schärfer, klarer und genauer beurtheilen lernten. Doch wollen wir hier nicht einige Theile schon sehr abgedroschener Kapitel wieder durchsprechen und uns nicht der kleinen Kindermanier bedienen, die da glauben mit wenigen unarticulirten Lauten vieles ausgedrückt zu haben, sondern wir wollen so bequem wie möglich Aller Worte und Charaktere so darstellen, daß uns Keiner einen Vorwurf machen kann; wir wollen unsere Einfälle aufs Sorgsamste miteinander verbinden, wie dies eine nicht der geringsten Vorschriften der Religion ist.“) Der Tractat selbst besteht aus acht Kapiteln, die folgenden Inhalt zum Gegenstande haben: Capitulum primum. Musica est divisio sonorum et vocum et modulatio canendi. (Handelt von dem Ursprunge der Musik.) Capitulum secundum. Dividitur in choralem et mensuralem. Hier ist die Stelle bemerkenswerth, wo der Verfasser auf die Instrumentalmusik zu sprechen kommt, die er zur Mensuralmusik rechnet. Diese Stelle lautet: „Alia est Organita, que ex flatu temperata in vocis habitum roborat. Hic conveniunt fistule, organa, tube, tibie, muse; Tertia est Bigmica (sic?), que impulsu ritum modulationis agit. Huic adscribunt timbalum, varie citharum species, sistrum, timpanum.“ (Die zweite Abtheilung bilden die Blasinstrumente, die durch Wind getrieben zur Ansprache des Tones gelangen. Dahin gehören die Pfeifen, Orgeln, Trompeten, Flöten und der Dudelsack. Die dritte Gattung ist die „Bigmica“ *), welche durch den Schlag die Art des Tönens hervorbringt. Dahin zählt man die Cymbeln, die verschiedenen Arten der Cither, das Sistrum (die Klapper) und die Pauke.) Capitulum tercium. Ut clarius clareant dicta: scalam hic depingemus lepidam. (Handelt von der Tonleiter und der Guidonischen Hand.) Capitulum quartum. Cantus est modulaminis secundum arsim et thesim congrua coaptatio: Tres sunt cantus secundum Guidonem: Durus, Mollis, Naturalis. Capitulum quintum: Handelt von den Tönen und stellt unter vier beigefügten Regeln die verschiedenen Arten der Mutation zusammen. Capitulum sextum: stellt Regeln für alle Intervalle, wie Unisonus, Semitonus, Tonus, Semiditonus etc. auf, die mit Notenbeispielen belegt werden. Bei dem Tritonus macht der Verfasser folgende humoristische Bemerkung: Absquo est cavendum nobis, non enim mediocriter aures offendit audientium, sed stridorem dentium mirum in modum confert, d. h. „man habe sich vor ihm nicht allein darum zu hüten, weil er die Ohren der Zuhörer nur unbedeutend beleidige, sondern weil er auf bewundernswürdige Weise Zähnegeknirsch verursache.“ Ferner ist die Bemerkung beachtenswerth, die der Verfasser bei der Sexte beifügt: Animadvertendum erit magno studio speciem prius dictam licite posse usurpari in quocunque cantu: postremum vero nequaquam: Mit besonderem Fleiße ist auch darauf zu achten, daß die früher erwähnte Gattung Sexten (nämlich die kleinen = g–ēs̄, d–b) in jeder Composition verwendet werden können, niemals aber die letzte (nämlich die große Sexte, demnach g–e). Ausdrücklich mit Beispielen in Noten erläutert. Auffällig hierbei ist, daß diese Regel in der Praxis doch nicht durchgängig beobachtet wurde. Denn der Zeitgenosse, [538] ja vielleicht gar der Lehrer unseres Verfassers, der berühmte Josquin de Près, machte von der großen Sexte öfters Gebrauch, und zwar innerhalb der musikalischen Phrase, so z. B. in seinem berühmten „Stabat mater“ 5 vocum, siehe die Schlußtacte des ersten Theiles im Discant. (Notenbeilagenband zu Ambros’ Musikgeschichte, Nr. 13, S. 68, Tact 86.) Bei der unvollkommenen Octave (Diapason imperfectum), unter welcher unser Verfasser den Sprung vom unteren h–c̄ verstanden wissen will, wie das beigefügte Notenbeispiel ausdrücklich angibt, fügt er die Bemerkung bei: Notandum est si aliquis volens componere antiphonam: octavam imperfectam recipiet nequaquam nam contra omnes esset musicos: (wenn Jemand eine Antiphon zu componiren beabsichtige, so sei zu bemerken, daß er diese unvollkommene Octave niemals aufnehme, denn sie widerstreitet jedem musikalischen Gefühle). Capitulum septimum. Enthält die Solmisation, die in acht Regeln zusammengefaßt wird. „Mutatio est consona vocis in vocem perversio“, erläutert er die Mutation, ähnlich wie 20 Jahre früher Tinctoris das Wort in seinem Diffinitorium (circa 1477) wie folgt erklärt: „Mutatio est unius vocis in aliam variatio“ (Mutation ist der Namenswechsel einer Stufe mit dem einer anderen). An diese Mutationsregeln schließt sich noch eine längere Erörterung: „De psalmorum Intonatione et tonorum differentiis“ (über die Psalmodie und deren Differenztöne) an, in welcher jeder einzelne Ton besonders durchgenommen und mit Beispielen aus dem Cantus Gregorianus belegt wird. In der nun folgenden Conclusio hebt er den Nutzen der Tonkunst für die Menschheit hervor, wozu er als Beleg Beispiele aus dem Alterthume citirt. „Mit Recht fühlt sich daher Alles“ – so fährt er weiter fort – „zur Musik hingezogen, wie die Alten uns schon gezeigt haben, von welchen ich nur ein Beispiel anführen will: von Sokrates sagt man, daß er noch in seinem Greisenalter diese gelernt habe, in der Meinung, daß wenn ihm die Musik fehle, ihm die Krone der Wissenschaft mangeln würde. Da er aber – so schließt er endlich seinen Tractat – Priesterzöglinge bei ihren Gesängen entsetzlich habe singen hören, so habe er diese äußerst feinen Regeln (subtilissimas regulas) überliefert, „deren Beispiele nicht bei den Leuten ich für unnütz hielt, die Uebelstände und Unzuträglichkeiten vor Allem in der heiligen Kirche auszurotten berufen sind, wie selbst der fleißigste Hörer ohne Kunst, Uebung und Nachahmung (arte, usu et imitatione) niemals ausgezeichnet im Gesange werden kann. Die einsichtsvolleren Leser aber mögen schonungsvoll vorgehen, deren Verbesserungen zu willfahren ich nicht Anstand nehmen werde.“ – Der ganze Tractat unterscheidet sich, wie man sieht, im Wesentlichen nicht von ähnlichen gedruckten Compendien dieser Zeit, wie z. B. von „Musicae omnis cantus Gregoriani“, Straßburg, per Joh. Pryß, 1488, 4°, 12 Bogen, von Hugo v. Reutlingen (ein Exemplar dieser ersten Ausgabe ebenfalls in der Gymnasialbibliothek zu Zwickau) oder von dem: „Opus aureum Musice castigatissimum“: etc. von Nicolaus Wollick, Coloniae, Henr. Quentel, 1501, 4°, 8 Bogen (erste Ausgabe in der Stadtkirche zu Pirna). In fast gleicher Weise sind dieselben Vorschriften für die damalige Kunstpflege darin enthalten. Zu dieser gehörte vorzugsweise die Solmisationslehre und der Psalmenvortrag, weßwegen auch diese Kapitel meist am ausführlichsten behandelt sind. In dem Namen unseres Verfassers ist der erste Buchstabe K häufig als R angesehen worden und die mir vorliegende erste Ausgabe von 1496 liest sowol auf dem Titel als auch am Schluß allerdings nicht Keinspeck, sondern in der That Reinspeck in unzweideutiger Weise. Dennoch hält Fétis (Biographie universelle, 1862) diese Verwechselung für einen Fehler, wahrscheinlich durch die späteren Ausgaben dieses Tractates eines Besseren belehrt. Ich habe mich dieser Ansicht daher aus dem Grunde anschließen müssen, weil spätere Ausgaben mir nicht zugänglich waren. Was die Bezeichnung „musicus Alexandrinus“ anlangt, [539] die unser Verfasser auf dem Titel seines Tractates sich beilegt, so hat dieser Punkt bis jetzt noch nicht geklärt werden können. Fétis nimmt an, daß dieser Ausdruck sich davon herschreibe, weil K. wie viele andere belgische, französische und spanische Künstler in der capella pontificale unter Papst Alexander VI. (welcher vom 11. August 1492 bis zum 13. August 1503 regierte) angestellt gewesen sei und darnach sich Alexandrinus genannt habe. Wenigstens fügt Fétis hinzu, daß dies die einzige Auslegung sein könne, die man dieser Bezeichnung zu geben im Stande sei, wenngleich er das Verzeichniß der Kapellsänger dieses Papstes von Adami da Bolsena (Osservazioni etc.) darüber noch nicht habe prüfen können. In Bezug auf die mehrfachen Ausgaben, die dieser Tractat erlebte, ist hinzuzufügen, daß ein Exemplar der ersten Auflage von 1496 außer dem Zwickauer in dem Verzeichnisse der Bibliothek des Grafen Boutourlin unter Nr. 564 aufgeführt war. Eine zweite Ausgabe von 1497 hat hinten am Schlusse nach dem Worte: benmeriti noch den Zusatz: una cum psalmodia utriusque tam majoris quam minoris intonatione secundum omnes tonos et exercitio solmisandi noviter adjunctis. Impressum Ulmae, Joh. Schaeffer, 1497, klein Quart, 15 Blätter (also um 2 Blatt vermehrt). Panzer in seinen Annales führt noch eine dritte von Augsburg 1498 an, von welcher Forkel (Litteratur S. 297) ein Exemplar im Kloster Buxheim gesehen haben will. Zapf, Augsburger Buchdruckergeschichte I. 135 führt endlich eine vierte Ausgabe an, Impressum Augustae, M.C.C.C.C.C. 4to, per Johannem Froschauer. Ein Exemplar der zweiten Ausgabe von 1497 fand Christmann auf der königl. Bibliothek zu Stuttgart, siehe Musikalische Realzeitung, 1789, S. 354 (von dem auch die Verwechslung des Buchstabens K mit R ausging), außerdem auch die Ausgaben von 1497 und 1498 auf der kaiserl. Bibliothek zu Wien (siehe Mosel, Beschreibung der Bibliothek, S. 346).
Keinspeck: Michael K., ein Musiker, Lehrer und Schriftsteller am Ende des 15. Jahrhunderts. Er stammte aus Nürnberg und verfaßte als Lehrer an der Universität zu Basel den Tractat „Lilium Musice plane | Michaelis Keinspeck | musici Alexandrini“. Am Schluß desselben stehen die Worte: Explicit Lilium Musice plane Michaelis Keinspeck de Nurnberga musici Alexandrini benmeriti, in inclita universitate Basiliensi per eundem resumpta. Atque per Michaelem Furter civem Basiliensem impressum Anno[537] *) Ueber dieses Wort geben die Lexica von Forcellini, Passow, Grimm, Georges, Walther, Gerbert keine Auskunft.