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ADB:Ambros, August Wilhelm

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Artikel „Ambros, August Wilhelm“ von Max Dietz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 764–766, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ambros,_August_Wilhelm&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:15 Uhr UTC)
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Band 45 (1900), S. 764–766 (Quelle).
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Ambros: August Wilhelm A., berühmter Musikhistoriker, war als Sohn eines Postmeisters und Landwirthschaftsbesitzers am 17. November 1816 zu Mauth bei Prag geboren. Sein wohlhabender Vater ließ ihn sorgfältig erziehen und bestimmte ihn für die Beamtenlaufbahn. Seinen musikalischen Anlagen schenkte er absichtlich geringe Aufmerksamkeit. Die ersten Proben davon lieferte das Kind, als es noch auf dem Arme getragen, viele böhmische Lieder, die ihm seine Wärterin vorsang, bald auswendig wußte, und, kaum daß es reden und gehen gelernt, einige italienische Arien, die seine Mutter, eine Schwester des bekannten Musikhistorikers und Hofrathes Rafael Kiesewetter, vorgetragen, auf dem Clavier nachzuklimpern versuchte. Sechsjährig weilte er vorübergehend in Brünn, Preßburg und Wien, zehnjährig trat er ins Kleinseitener Gymnasium ein. Auf Betreiben der Mutter nahm er Unterricht im Zeichnen [765] und besuchte später auch die Malerakademie in Prag, was seinen Hang zur bildenden Kunst sehr bestärkte. Eine noch leidenschaftlichere, ja unwiderstehliche Hinneigung hatte ihn, insbesondere seit er 1832 Mozart’s Don Juan gehört, zur Musik erfaßt, doch wollte der praktisch gerichtete Vater von seiner Ausbildung gerade in dieser Kunst nichts wissen. A. war daher insgeheim aufs Selbststudium beschränkt und mußte sich aus Türk’s „Anleitung zum Generalbaßspielen“, Reicha’s Compositionslehre und ähnlichen Werken Rath holen. Auch benützte er eifrig die Gelegenheit, bei einer für die Bühne studirenden jungen Sängerin, welche er am Clavier begleitete, verschiedene Bruchstücke aus älteren und neueren Opern kennen zu lernen. 1839 erlangte er das Doctorat der Rechte und trat, nachdem er Hofrath Kiesewetter in Wien aufgesucht, der ihm die Urschrift seiner Musikgeschichte vorlegte und seine reichhaltige Sammlung zeigte, und danach sich in Nürnberg, Dresden, Leipzig und Berlin aufgehalten, was seinen Malersinn neu belebte, 1840 in den Staatsdienst. Zugleich war er als Musikkritiker thätig, spielte manchmal in Prag öffentlich in Concerten und schrieb für die neubegründete Schumann’sche „Neue Zeitschrift für Musik“ unter dem Verstecknamen „Flamin, der letzte Davidsbündler“ Aufsätze, welche die Aufmerksamkeit der musikalischen Kreise auf ihn lenkten. 1848 ward er mit dem unter den damaligen Zeitumständen sehr heiklen Amt eines Staatsanwaltes in Preßsachen betraut. Das Jahr zuvor hatte er sich mit der Ouverture zu Tieck’s „Genoveva“ mit Erfolg vor die Oeffentlichkeit gewagt, welches Tonwerk er späterhin, um einem Vergleich mit der auf den gleichen Stoff verfaßten Musik des ihm eng befreundeten Robert Schumann zu entgehen, der Vernichtung weihte. Auch eine Ouverture zu Shakespeare’s „Othello“, welche ihm von Seite eines so strengen Kunstrichters wie Tomaschek Lobsprüche eintrug, ward, von ihm dirigirt, mit Beifall aufgenommen und seither in London oft gespielt. Eine gleich günstige Aufnahme fand seine Ouverture zu Calderon’s „Der wunderthätige Zauberer“. Im J. 1850, wo er sich verheirathete, fand die Aufführung seines Stabat mater statt. In der Folge erschienen einige vornehmlich Schumann’s Spuren folgende kleinere Arbeiten, wie die „Wanderstücke“, „Landschaftsbilder“, „Kinderstücke“, ein Trio und Lieder, Messen, eine in B und eine in A-moll, welch letztere A. für seine gelungenste Composition ansah, gelangten zur Aufführung. Auch eine böhmische Oper Bretislaw a Jitka ward von A. vertont. Sein Ruf als Musikschriftsteller war mittlerweile seit dem Erscheinen von „Die Grenzen der Musik und Poesie“ 1856, einer geistvollen Gegenschrift zu Hanslick’s „Vom musikalisch Schönen“, in weite Kreise gedrungen. Von da an hatte er dem thatkräftigen Einstehen Franz Liszt’s für ihn manche wichtige Förderung zu verdanken. A. war mittlerweile zum Oberstaatsanwalt-Stellvertreter vorgerückt und hatte auch das Referat in Musik und bildender Kunst in der „Prager Zeitung“ inne. Von der k. k. Akademie der Wissenschaften durch Subventionen unterstützt, unternahm er zu Forschungszwecken wiederholt Reisen nach Italien (nach Venedig, Bologna, Florenz, Rom und Neapel). 1869 ward er zum außerordentlichen Professor der Musikwissenschaft in Prag ernannt. In Wien, wohin er 1872 übersiedelte, ward er dem Justizministerium zugetheilt, unterrichtete den Kronprinzen Rudolf in der Kunstgeschichte, trug am Conservatorium Musikgeschichte vor und versah das Amt eines Musikkritikers in der „Wiener Zeitung“. In Plänen zu einer neuerlichen italienischen Forschungsreise sich wiegend, wobei er (wie er gegen mich äußerte) sich insonderheit auf das Studium der Werke Stradella’s freute, starb er nach zehntägigem Krankenlager, von seiner Wittwe und acht Kindern tief betrauert, am 28. Juni 1876 am Rothlauf.

Mit ihm wurde ein großer Gelehrter zu Grabe getragen, der durch erstaunlichen [766] Fleiß, Reichthum an Phantasie sowie seine gründliche Einsicht in den Werdegang der Tonkunst sich die Stellung einer Autorität auf musikhistorischem Gebiete errungen. Wie in den schon oben erwähnten „Grenzen der Musik und Poesie“ hatte er auch in den „Culturhistorischen Bildern aus dem Musikleben der Gegenwart“ sowie in den „Bunten Blättern“ viel Geistreiches und Anregendes geboten. Wie man auch immer über Einzelnes darin denken will, so läßt sich doch nicht verkennen, daß diese Werke, obgleich sie vielfach improvisirt anmuthen (was wol die Folge des von ihm tiefbeklagten „Fluches der inneren Zerspaltung seines Lebens, der Dienerschaft zweier Herren“ sein mag), eine feinfühlige Künstlernatur verrathen. Eine gerade, ehrliche Ueberzeugung spricht sich in ihnen aus, ein warmherziger Ton fesselt den Leser. Die Gelegenheit, seine umfassende Gelehrsamkeit zu entfalten, sein profundes Wissen an den Tag zu legen fand A. erst in seiner dickleibigen, leider unvollendet gebliebenen vierbändigen „Geschichte der Musik“. In ihr hat er weite Zeiträume der Musikentwicklung mit dem Lichte seines reichen Geistes erhellt und ungeachtet mancher seither überholter Theilstücke sich ein Ehrendenkmal errichtet. Vor allem der das Renaissancezeitalter behandelnde 3. Band ist als eine Musterleistung zu rühmen. Diese die Blüthezeit des katholischen kirchlichen Stiles in sich begreifende Epoche der Musikgeschichte stand seinem Herzen besonders nahe und mit seinem kirchengläubigen Gemüthe im Einklang. Wie er sich in den polyphonen Gebilden der alten Niederländer, Römer, Venezianer am meisten heimisch fühlte, so hatten in der zeichnenden und malenden Kunst vor allen die Praerafaeliten (Giotto, Orcagna, G. da Fiesole) es ihm angethan. Die bildende Kunst stand nach seinem Eingeständniß ihm „von jeher fast so nahe wie die Musik. Allein da ich nicht dilettantisch naschen, meine Thätigkeit nicht zersplittern wollte, wählte ich die Musik“. Hier lag denn auch der Schwerpunkt seiner früchtereichen Wirksamkeit. Trotz der Mängel des häufig weitschweifigen, in buntem Detail sich ergehenden, auch mit Bilderwust überladenen und so auf unliebsame Weise an Jean Paul, seinen Lieblingsdichter, gemahnenden Stiles zählte A. in seinem Geltungsbereich zu den Leuchten der Wissenschaft. Sein Bestes, das er geschaffen, wird unvergessen bleiben.