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ADB:Kalb, Charlotte von

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Artikel „Kalb, Charlotte von“ von Jakob Minor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 11–14, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kalb,_Charlotte_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:40 Uhr UTC)
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Band 15 (1882), S. 11–14 (Quelle).
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Kalb: Charlotte v. K., geb. Marschalk v. Ostheim, als Freundin dreier deutscher Dichter, als Roman- und Memoirenschriftstellerin bekannt geworden. Geboren 1761 auf Schloß Waltershausen im Grabfeld in fränkischer Landschaft, wurde sie schon bei ihrer Geburt, weil man einen Sohn erwartete, mit den Worten empfangen: „Du solltest nicht da sein!“ und das Gefühl der Heimathlosigkeit hat sie ihr ganzes Leben hindurch nicht verlassen. Schon als Kind scheu und verschlossen, ungraziös und nachlässig in ihrem Aeußeren, erzeugten frühe Einflüsse des Pietismus und Katholicismus in ihr eine krankhafte Erregbarkeit der Empfindungen. Weder von ihrer Mutter noch von ihrem Vater kann sie in ihren Memoiren ein greifbares Bild geben; mehr mit weichlicher Sentimentalität als offener kindlicher Neigung scheint sie sich an ihre Eltern angeschlossen zu haben. Nach einander verlor sie in den Jahren 1768 und 1769 beide Eltern. Die Thüren des väterlichen Schlosses wurden hinter den Geschwistern zugeschlagen; und fast abenteuerlich führt nun das Schicksal Charlotte auf endlosen Wanderungen hin und her. Im Hause von Verwandten und Bekannten wird sie mehr äußerlich erzogen, als innerlich gebildet. Die Theilnahmslosigkeit ihrer Umgebung für ihr inneres Gemüthsleben treibt sie immer mehr in sich selbst zurück. Sie erscheint theilnahmlos, unfreundlich, kalt und störrig nach Außen, während in der Einsamkeit ihre Thränen so reichlich fließen, daß sie sagen konnte: „Schon als Kind habe ich ausgeweint.“ Eine leidenschaftliche Heftigkeit, eine nervöse Reizbarkeit ihrer Natur nimmt mit den Jahren immer mehr zu. Im November 1781 wird ihre älteste Schwester einem ungeliebten Manne verbunden; ein Jahr darauf stirbt sie, während gleichzeitig der einzige Bruder in einer Art von Zweikampf zu Grunde geht. Die Verwaltung des Ostheim’schen Vermögens erfordert einen sicheren, in Geschäften erfahrenen Mann. Einen solchen glaubt der Vormund der Schwestern in dem ehemaligen Weimar’schen Präsidenten v. Kalb gefunden zu haben, und Charlottens jüngere Schwester Lore reicht dem viel älteren, ihr mehr als gleichgültigen Manne die Hand. Der Präsident v. Kalb, der mit dieser Heirath nur den zerrütteten Vermögensverhältnissen seiner Familie wieder aufhelfen wollte, findet zum ersprießlichen Operiren eine Zusammenhaltung des ganzen Vermögens in einer Hand für nothwendig, und einen Monat nach ihrer Bekanntschaft mit dem jüngeren Bruder des Präsidenten, dem Offizier in französischen Diensten Heinrich v. K., wird Charlotte mit ihm ehelich verbunden (October 1783). Auch hier hatte weder Wunsch noch Neigung, nur Standes- und Vermögensinteresse und der willenlose Gleichmuth des Leidens, der allen Schwestern eigen gewesen zu sein scheint, den Bund gestiftet. Einem Manne, der die Welt gesehen hatte, stand Charlotte gegenüber, deren Blick nur in das [12] Innere gekehrt war, einem abenteuernden Soldaten die Schwärmerin. Nachdem sie den ersten Winter ihrer Ehe in Baireuth verlebt hatte, folgte sie im Frühjahr 1784 ihrem Gemahl nach Landau im Elsaß in die Garnison. Auf der Durchreise durch Mannheim (Anfangs Mai 1784) traf Charlotte zum ersten Male mit Schiller zusammen. Anfangs August nahm sie, um ihre nahe Niederkunft zu erwarten, bleibenden Aufenthalt in Mannheim; in diese Zeit bis zu Schiller’s Abreise nach Leipzig (April 1785) fällt ihr vielbesprochenes Verhältniß zu Schiller. Frau v. K. hat Schiller in die höheren Gesellschaftskreise eingeführt; ihrer Empfehlung verdankte er sein erstes Zusammentreffen mit Karl August am Darmstädtischen Hofe. Sie hat auch auf seine Dichtung fördernd eingewirkt, indem sie Schiller auf die großen Tragiker der Franzosen hinwies, welche ihr genau bekannt waren und nun auch für Schiller’s nächstfolgende Dichtung (Don Carlos) von bedeutendem Einfluß wurden. Sie wurde ferner das Vorbild für die Königin im Carlos und noch mehr für die Prinzessin Eboli, welche einen bedeutenden Fortschritt Schiller’s in Darstellung weiblicher Charaktere nicht verkennen lassen. Einen leidenschaftlichen Charakter scheint das Verhältniß erst angenommen zu haben, als Schiller seine Absicht, Mannheim zu verlassen, bekannt gab. Die Jugendgedichte Schiller’s „Freigeisterei der Leidenschaft“ und die „Resignation“ geben den Ton und Charakter seines damaligen Verhältnisses zur Frau v. K. getreu wieder; das letztere stellt nur die Kehrseite einer Liebe hin, deren Ziel die Ewigkeit, deren Hoffnung der Glaube an die Unsterblichkeit war. Der „Riesenkampf der Pflicht“ war durchgekämpft, als Schiller im Frühjahr 1785 Mannheim verließ. Charlotte zog im Frühjahr 1786 auf das Gut ihres Schwiegervaters, Kalbrieth in Thüringen. Eines zunehmenden Augenleidens wegen suchte sie im Frühjahr 1787 in Gotha gesellschaftliche Zerstreuung, um bald darauf nach Weimar überzusiedeln, wo sie wieder mit Schiller zusammentraf. In der Einsamkeit hatte Charlotte das Bild Schiller’s noch mehr in ihrem Herzen befestigt. Sie nahm das alte Verhältniß bei dem Punkte wieder auf, wo es in Mannheim abgebrochen worden war. Schillern dagegen war es nur mehr um unerschütterliche Freundschaft zu thun; er trat ihr gereifter entgegen und wartete vergebens, bis eine ruhigere Stimmung bei Charlotte ihm den Genuß ihrer Freundschaft ermöglichen sollte. Als Schiller’s Absichten auf Lotte v. Lengefeld ernst zu werden begannen, faßte Charlotte, ihres Sieges gewiß, den leidenschaftlichen Entschluß, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen und ein intimeres Verhältniß, wol eine Heirath, mit Schiller einzugehen. Unglücklicherweise war Schillern durch seine nahen Beziehungen zu Lotte Lengefeld, welche vor der Hand Geheimniß bleiben sollten, die Zunge gebunden. Er konnte nichts thun, als der leidenschaftlichen Freundin auszuweichen suchen und ihr damit deutlich zu verstehen geben, daß er mit ihrem Plane nicht einverstanden sei. Aber noch als Charlotte Schiller’s Verlobung erfuhr, konnte sie sein Herz nicht aufgeben. Bis an die Stufen des Traualtars folgt sie ihm mit ihren Plänen und Absichten; wenige Tage vor seiner Hochzeit will sie Schiller oder, da dies fehlschlägt, seine Braut zu einer persönlichen Unterredung zwingen. Als Schiller Mitte Februar von Jena nach Erfurt zu seiner Trauung reiste, scheint er ihr auf seiner Durchreise durch Weimar ihre Briefe zurückgeschickt zu haben. Charlotte verbrannte sie noch in demselben Jahre, nur zwei Briefe haben sich aus der Zeit ihres intimeren Verkehrs mit Schiller erhalten (abgedruckt in Schnorr’s v. Karolsfeld Archiv für Litteraturgeschichte VIII. 423 und in der Neuen freien Presse vom 3. October 1876, Nr. 4349). Bald nach Schiller’s Verheirathung suchte Charlotte auf etwas zudringliche Weise seine alte Freundschaft wieder zu gewinnen. Schiller verhielt sich kalt, und erst als Charlotte [13] ihre Schwärmerei von dem Menschen ab- und auf den Dichter des Wallenstein wandte, trat er ihr einen Schritt entgegen. Er dankt ihr jetzt in gerechter Würdigung ihres früheren Verhältnisses für die Theilnahme, welche sie einst seinem noch unentwickelten, mit dem Stoffe ringenden Talente bewiesen habe. Gegen Ende 1792 verließ Charlotte Weimar und zog sich auf ihr Gut Waltershausen zurück, wo sie mit der Erziehung ihrer Kinder und kleineren ökonomischen Beschäftigungen ihre Zeit ausgefüllt zu haben scheint. Den überspannten Ideen, welche Frau v. K. sich in der Einsamkeit von einem würdigen Erzieher in den Kopf gesetzt hatte, suchte Schiller zu genügen, indem er ihr den Dichter Hölderlin empfahl, der von Ende October 1793 bis Ende 1794 in ihrem Hause lebte und sich durch ihre mütterliche Theilnahme und die Energie ihres Geistes gekräftigt fühlte. Von 1794 bis 1799 lebte sie, der Gefahr des Erblindens nahe, größtentheils in Weimar. Nachdem sie durch den unglücklichen Ausgang ihres Verhältnisses mit Schiller ihre idealischen Ingredienzien eingebüßt hatte, wurde sie (mit Goethe und Schiller zu reden) immer materieller. Zunächst scheint sich ein leidlicheres Verhältniß mit ihrem Gatten hergestellt zu haben, dem sie in den Jahren 1790–1795 drei Kinder gebar. Dann aber warf sie sich dem Dichter Jean Paul, den sie, wie einstmals Schiller, 1796 in die Weimarer Gesellschaft eingeführt hatte und der sie als Titanide verherrlichte, förmlich in die Arme und dachte wieder an eine Trennung von ihrem Gatten. Anfangs 1800 war sie wieder in Meiningen, wo sie sich mit dem Plane trug eine Erziehungsanstalt für Mädchen zu gründen; 1801 lebte sie abwechselnd in Offenbach, Wiesbaden, Erlangen und Mannheim. Im J. 1802 kam sie wieder nach Weimar, zog aber den folgenden Winter nach Homburg. Ihr geistiger Zustand war schon in dieser Zeit ein beklagenswerther und wurde von Seiten der Kalb’s gelegentlich als Narrheit ausgegeben. Immer mehr neigte sie zum Epikuräismus und Hand in Hand damit zum Pietismus. Auch als Schriftstellerin versuchte sie sich in diesen Jahren. Ihr mystischer Roman „Cornelia“ (1851 als Manuscript für Freunde gedruckt), den sie durch eine dritte Hand Schiller zuschicken ließ und mit einer Vorrede ihres alten Freundes ins Publikum bringen wollte, scheint ganz in dem dunklen, verworrenen Tone geschrieben, in welchem sie später die Memoiren dictirte. Auch hier bilden undeutlich dargestellte oder absichtlich verwischte wirkliche Erlebnisse den Inhalt der Erzählung. Traurige Schicksale brachen seit 1804 in rascher Aufeinanderfolge über Charlotte herein. Seit ihrer Vermählung hatte der Präsident v. K. der willensschwachen Frau eine Verschreibung nach der anderen entlockt und ihr ganzes Vermögen auf die Führung eines Processes verwendet, der 1804 definitiv verloren wurde. In demselben Jahre zog sie nach Berlin, wo sie von einem kleinen Handel mit Spitzen, russischem Thee u. dgl. kümmerlich lebte und oft in die drückendste Noth gerieth. 1806 erschoß sich ihr Gemahl in München; der älteste Sohn starb denselben Tod und auch den jüngeren überlebte die Mutter, nur eine Tochter stand Charlotte am Abend ihres Lebens zur Seite. An Hufeland und Fichte fand sie in Berlin treue Freunde; nachdem sie einige Zeit in Frankfurt und Würzburg gelebt hatte, kehrte sie dorthin zurück. 1820 erblindete sie vollständig und erhielt auf Verwendung der Prinzessin Marianne von Preußen im königlichen Schlosse zu Berlin eine Wohnung, in der sie, nahezu 80 Jahre alt, ihre Memoiren dictirte. In einem dunkeln, orakelhaften Stile, dem die pathetisch anhebende invertirte Wortstellung die gewöhnliche ist, erzählt sie frei aus dem Gedächtnisse ihre Lebensgeschichte bis zum Jahre 1791. Die Thatsachen fließen ihr durcheinander; an absichtlicher Verhüllung fehlt es nicht; eine dichterische, fast biblische, mit Citaten durchtränkte Darstellung macht die Benutzung der Memoiren als einer [14] litteratur-geschichtlichen Quelle nur bei strengster Kritik möglich. Charlotte v. K. starb am 12. Mai 1843.

Charlotte (für die Freunde der Verewigten). Gedenkblätter an Charlotte v. Kalb, herausgegeben von Emil Palleske. Stuttgart, Krabbe 1879. Vgl. die Recension im Anzeiger für deutsches Alterthum VI, 181 ff. – Ernst Köpke, Charlotte v. Kalb und ihre Beziehungen zu Schiller und Goethe. Berlin, Hertz 1852. – Hermann Sauppe, Charlotte v. Kalb, Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Litteratur und Kunst, herausgeg. von Hoffmann v. Fallersleben und Oskar Schade, Bd. I S. 372 ff. – A. Stahr, Schiller’s Frauengestalten; Westermann’s illustrirte deutsche Monatshefte 1876, Nr. 245 S. 246 ff. – Palleske, Leben Schiller’s. – Hugo Wittmann in der Wiener Neuen freien Presse vom 3. October 1876 Nr. 4349; 5. October Nr. 4351; 10. October Nr. 4356; 12. October Nr. 4358. (Trotz der heftigen Angriffe, welche Wittmann’s Darstellung in der Einleitung zu den Memoiren von Palleske erfahren hat, wird die unparteiische wissenschaftliche Forschung derselben in ihren Hauptzügen beistimmen müssen). – Edlinger’s Litteraturblatt (Wien), 1879, Bd. III Nr. 3 S. 31 f., Nr. 7 S. 121. – Denkwürdigkeiten a. d. Leben von Jean Paul Friedrich Richter, Bd. II S. 1–93 (Briefwechsel Jean Paul’s mit Charlotte v. K., 1796–1810). – Heinr. Düntzer, Zur deutsch. Litter. u. Geschichte. Ungedruckte Briefe aus Knebel’s Nachlaß. Erstes Bdchn. S. 152 f.; zweites Bdchn. S. 153 f.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 14. Z. 21 v. o.: Briefe von Charlotte von Kalb an Jean Paul u. seine Gattin, herausgeg. von Dr. Paul Nerrlich, Berlin, Weidm. Buchh., 1882. [Bd. 17, S. 795]