ADB:Johann Parricida
Rudolf II. und der böhmischen Königstochter Agnes, Schwester König Wenzels II., geb. 1290, seit 1308 verschollen angeblich als Büßer in Pisa Ende 1313 gestorben). Der drittgeborne Sohn König Rudolf I. von Habsburg, Herzog Rudolf II., hatte in Gemäßheit des Wiener Novemberfriedens vom J. 1276 und des Iglauer Verlobungsactes vom Schlusse des J. 1278 in seinem 19. Lebensjahre die Tochter König Ottokars II. von Böhmen geehelicht (1289). Kurz vor oder nach seinem frühen Tode († am 20. Mai 1290 zu Prag) genas Agnes eines Sohnes, der den Namen Johannes erhielt und seit 1291 urkundlichen Andeutungen zu Folge mit der verwittweten Mutter in den [416] oberen Landen der Habsburger, vorzugsweise in Bruck an der Aar, lebte, woselbst ihn uns eine Schenkungsurkunde vom 1. April 1294 als Herzog aufführt. Seit 1292 scheint Herzog Albrecht als Vatersbruder die Vormundschaft über J. an sich genommen zu haben, doch war ihm die Schwägerin noch mehr abgeneigt als ihr Bruder, der Böhmenkönig Wenzel II. Dieser ließ die Schwester 1296 durch seinen vertrauten Rathgeber, Abt Konrad von Königssaal, aus der habsburgischen Schweiz nach Böhmen geleiten. Es war dies noch vor der Aussöhnung Wenzels II. mit Albrecht und man sprach von der Absicht des Böhmenkönigs, die verwittwete Schwester mit dem verwittweten Arpadenkönige Ungarns, Andreas III., zu vermählen. Es kam nicht dazu, denn Agnes starb nach wenigen Tagen (17. Mai 1296). Sie war eine hochstrebende Frau, die, als das Reich nach Rudolf I. Tode eines neuen Königs bedurfte, ihrem Bruder seine Nichtbewerbung um die deutsche Krone mit den Worten verwies: „Wäre die ganze Welt außer einer Handbreit Landes mein Eigen, so würde ich diese ganze Welt daran setzen, um auch noch diesen Rest meinem Reiche und meiner Herrschaft zu unterwerfen.“ (Chron. aulae regiae I. 56.) Die Gesinnung der Mutter übertrug sich auf den Sohn, welcher bald genug von den Gegnern Albrecht I. und seines Hauses, so zunächst von seinem Ohme König Wenzel II., von Peter Aspelt, dem früheren Kanzler dieses Přemysliden, später Basler Bischofe, dann Erzbischofe von Mainz, dessen Antagonismus seit 1305 immer unzweideutiger wird, ferner von dem Baiernherzoge Otto, von dem württembergischen Landgrafen Eberhard und zunächst wol von den Dienstmannen seines Vaters bald genug auf den kränkenden Gegensatz zwischen seiner Stellung und Zukunft und der seiner Vettern, der Söhne Albrecht I., ferner auf dessen Gebahren und Pläne als Vormund oder „Gerhaber“ (nach dem Sprüchworte: Gerhaber ist Gernhaber – der das gern haben möchte, was dem Mündel gehört) aufmerksam gemacht worden sein mag, wie vorsichtig wir auch die bezüglichen Nachrichten der österreichischen Reimchronik Ottokars behandeln müssen. Man erinnerte ihn daran, daß 1282 sein Vater so gut wie Albrecht I. zu gemeinsamer Hand mit Oesterreich, Steier und Krain belehnt worden sei, und obschon 1283 Albrecht die Alleinverwaltung überkommen, ihr Vater Rudolf I. das Princip des gemeinschaftlichen Besitzes beider darauf festgehalten habe. Daß Albrecht I. die kyburgischen Güter, einst Morgengabe seiner Mutter Agnes, nach deren Tode zu seinen Händen nahm, legte sich der heranreifende Jüngling um so mehr als Beweis der Selbstsucht seines Vormundes zurecht, als seine Bitten um deren Auslieferung erfolglos blieben. 1306, nach dem Aussterben der Přemysliden, war er, der nächste männliche Seitenverwandte des Hauses, von den böhmischen Ständen Angesichts der Königswahl unberücksichtigt geblieben, während es dem Ohme Albrecht I. gelang, seinen Erstgeborenen, Rudolf (III.), auf den böhmischen Thron zu bringen. Andererseits waren seine Hoffnungen, daß Albrecht I. für ihn etwa Meißen erwerben wolle, ohne Verwirklichung geblieben. Sein väterliches Erbe in Schwaben war nicht das Herzogthum von Schwaben, und auch dieses Erbe lag noch nicht in seiner freien Hand. Seit 1306 drängte der Jüngling, der sich als Mann reif genug zur Selbständigkeit fühlte, auf das Ende der Vormundschaft und empfand die Abweisungen und Vertröstungen Albrechts immer mehr als Kränkungen seines guten Rechtes, von dem aufstachelnden Spotte hertzog ânlant („ohne Land“) stets härter getroffen. Wir können nicht in Albrecht I. Seele lesen und das, was die gegnerischen Einflüsterungen als gewiß vorbrachten und auch jetzt von einseitiger Beurtheilung Albrechts I. als ausgemachte Thatsache gilt, – Johanns Erbe habe der königliche Vormund für sich und die Seinigen behalten wollen, für zweifellos ansehen; – immerhin war es auch unter der Voraussetzung gegentheiliger Anschauungen Albrechts I., wonach J. der Vormundschaft erst bei voller [417] physischer und geistiger Reife ledig und der eigene Herr seines Besitzes werden solle, ein verhängnißvoller Starrsinn des Habsburgers, dem 1308 bereits 18jährigen Neffen das Begehrte zu verweigern, ihn, wie es heißt, wieder auf den Zeitpunkt nach dem neu geplanten böhmischen Feldzuge zu vertrösten. Den 1. Mai 1308 reifte der Racheplan Johanns zur unseligen That, die er mit den schwäbischen Adeligen Balm, Eschenbach und Wart an dem ahnungslosen Ohme auf dessen Ritte von der Habsburg über die Reuß zur Begegnung mit der Gattin meuchlerisch vollzog und die ihm den traurigen Beinamen Parricida verschaffte. Ueber die Flucht und den Ausgang des Unseligen sind wir nicht sicher unterrichtet. Eine vielgeglaubte Ueberlieferung läßt ihn als Büßer in Pisa mit König Heinrich VII. von Luxemburg zusammentreffen (1313) und von demselben Gnade erflehen. Er verscholl.
Johannes (Parricida), Herzog in Schwaben, Sohn des habsburgischen Herzogs- Lichnowski, Gesch. des habsb. Hauses, II. (1837); Kopp, Gesch. der eidgen. Bünde, III. 2. Abth. (1862); vgl. dessen Urk. zur Gesch. der eidgen. Bünde und Schweiz. Archiv I. 1843 (Zürich), 3. Abth. Böhmer, Regesten Albrecht I., vgl. Fontes Rer. germ. I. S. 486. Mücke, Albrecht I. (Gotha 1866). Desgl. Wegele, Friedrich der Freidige, Markgr. v. Meißen (Nördlingen 1870). Vgl. die Basler Beitr. z. schweiz. Gesch. IV. Heidemann, Zur Gesch. u. Politik Peters v. Aspelt in d. Forsch. z. deutsch. Gesch. IX. und dessen Monogr. Peter v. Aspelt, als Kirchenfürst u. Staatsmann (Berlin 1875, Apologet dieses Staatsmannes). Krones, Grdr. d. östr. Gesch. (1881), S. 353.