ADB:Jacoby, Johann
v. Schön, gelang es ihm auch letztere zu beseitigen. Als 1833 die Schrift des Ober-Regierungsraths Streckfuß über das Verhältniß der Juden zu den christlichen Staaten erschien, welche den Juden nicht gleiche Rechte wie den übrigen Staatsbürgern einräumen wollte, trat J. in der Flugschrift „Ueber das Verhältniß des königlich preußischen [621] Ober-Regierungsraths Streckfuß zu der Emancipation der Juden“ (Hamb. 1833) für seine Glaubensgenossen auf. Besonders bekämpfte er die Behauptung des Genannten, daß der Jude sich wohl befinden werde, wenn er noch 30–40 Jahre im bisherigen Rechtszustande bleibe und richtete sich mit Entschiedenheit gegen die Auffassung, als flehten die Juden um Begünstigung, während sie ihre Gleichstellung als ein Recht forderten. Die Schrift fand vielen Beifall unter den Liberalen, welche damals die Besserstellung der Juden ohne Bedenken unter ihre Forderungen aufgenommen hatten. Auch an dem 1836 von Lorinser angeregten Schulstreite nahm J. Theil mittelst der Schrift „Der Streit der Pädagogen und Aerzte“ (Königsberg 1836). Er bekämpfte darin die vom Director Gotthold vorgebrachten Gründe gegen Lorinser’s Forderung einer gleichzeitigen harmonischen Ausbildung von Körper und Geist der Jugend und machte Vorschläge über die Vertheilung des Unterrichts an den Gymnasien. Eine Erwiderung Gotthold’s beantwortete er durch die Schrift „Die Apologie des Director Gotthold“ (Königsberg 1836). Von nun an vorwiegend mit politischen Fragen beschäftigt, suchte er im Juli 1838 durch die Schrift „Beitrag zu einer künftigen Geschichte der Censur in Preußen“, wie er sich ausdrückte, „Galle“ hervorzurufen, um „über solch’ anmaßende Vormundschaft sich zu entrüsten, und Muth, dagegen zu kämpfen, damit endlich einmal die deutsche Presse von den schwächlichen Censurwindeln befreit werde.“ Veranlaßt war die Schrift dadurch, daß die Censur eine Erwiderung auf Angriffe, die ein Arzt zu Warschau in Berliner politischen Blättern gegen ihn erhoben, nicht zugelassen und er in Folge dessen das Manuscript 1047 Meilen durch die Post hatte zurücklegen lassen müssen, bevor es zum Druck gelangen konnte. In dieser Schrift trat zum ersten Male eine ungemeine Schärfe und eine gewisse Starrheit in Verfolgung seines Zieles hervor, die später so entscheidend für seine Wirksamkeit wurde. Vermöge besonderer Zeitumstände fand diese Eigenthümlichkeit den größten Beifall und Erfolg bezüglich seiner nächsten Schrift. Der Constitutionalismus, welcher nach 1830 in mehreren deutschen Mittelstaaten Einzug gehalten, ließ in Preußen noch auf sich warten. Auf seine Einkehr daselbst hoffte das ganze liberale Deutschland. Mit größtem Interesse hatte dieses vernommen, daß der Huldigungs-Landtag der Provinz Preußen auf die Frage, welche ihm König Friedrich Wilhelm IV. hatte vorlegen lassen, ob er die Bestätigung etwa noch bestehender Privilegien beantragen wolle, um die Erfüllung der schon durch Verordnung vom 22. Mai 1815 gegebenen Anordnung wegen einer von den Provinzialständen zu wählenden Landesvertretung und einer constitutionellen Landesverfassung gebeten habe. Von allen Seiten waren Bittschriften zu Gunsten dieses Beschlusses gekommen, der König hatte auch im Landtagsabschiede vom 9. September 1840 nicht ungnädig geantwortet. Die Kabinetsordre vom 4. October 1840 schloß aber die Aussicht auf Gewährung der Bitte aus. Da erschien im Februar 1841, als gerade die Provinzialstände von Preußen zum ordentlichen Landtage zusammentreten sollten, in Mannheim die ihnen gewidmete anonyme Schrift Jacoby’s „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen“ mit dem ausgesprochenen Zwecke, jenen Schritt des Provinziallandtags „eindringlich und sinngetreu in die Sprache des Volks zu übertragen“. Die vier Fragen waren folgende: 1) Was wünschen die preußischen (Königsberger) Stände? 2) Was berechtigt sie? 3) Welcher Bescheid ward ihnen? 4) Was bleibt ihnen nun zu thun übrig? Die Antworten lauteten: Zu 1: Sie wünschen Theilnahme der Bürger am Staate. Zu 2: Das Bewußtsein eigener Mündigkeit und ihre bereits am 22. Mai 1815 erfolgte Mündigsprechung berechtigte sie dazu. Zu 3: Als Bescheid ward ihnen Anerkennung ihrer treuen Gesinnung, Abweisung der gestellten Anträge, vertröstende Hindeutung auf einen zukünftigen unbestimmten Ersatz. Zu 4: Dem gegenüber bleibt ihnen nichts übrig, als das, [622] was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als klar erwiesenes Recht in Anspruch zu nehmen. Die Schrift zeichnete sich aus durch Schärfe der Logik, Sachkenntniß, Ernst und große Mäßigung. Sie tauchte gleichzeitig an allen Punkten der preußischen Monarchie auf, zuletzt in Berlin und war, als von hier der Befehl zu ihrer Beschlagnahme ausging, schon weit verbreitet. Sie machte in ganz Deutschland einen überwältigenden Eindruck, weil sie in einer unzweifelhaft zeitgemäß erscheinenden Sache der in der Mehrheit der Bevölkerung herrschenden Stimmung treuen Ausdruck gab, insbesondere neben der Entschiedenheit der Forderung die Grenzen der Loyalität in keiner Weise überschritt. Dies vermochte man auch nicht in den eindringlichen Hinweisen auf die früheren Zusagen zu erblicken. Nichts schien loyaler zu sein als die Berufung auf jene Verordnung von 1815 und auf das die Einführung von Provinzialständen betreffende Gesetz vom 5. Juni 1823, wenngleich diese Berufung die Regierung unangenehm berühren mußte. Jacoby’s Schrift war nichts weiter als ein rechtes Wort zur rechten Zeit, aber bei den damals gering entwickelten Preßverhältnissen und zu einer Zeit, wo noch die Menge nicht unmittelbar hinter ihren vereinzelt sich vorwagenden Sachwaltern stand, politische Vereine nicht bestanden und die Censur eine freimüthige Besprechung einheimischer Zustände nicht gestattete, mußte sie größtes Aufsehen erregen. J. sandte die Schrift an den König von Preußen und sagte im Begleitbriefe: Mit Bewilligung des Censors gedruckt, sei diese Schrift in Leipzig von der Polizei mit Beschlag belegt, weil, wie der Verleger schreibe, das preußische Ministerium nicht wolle, daß über Preußen irgend etwas, gut oder böse, veröffentlicht werde; allein das freie Wort vom Königsthrone habe jedem Unterthan die freudige Ueberzeugung gewährt, daß es nicht Wille des Königs sei, die Stimme des Volkes vom Throne fern zu halten. So gebe er seinem Könige gegenüber die Anonymität auf und wage, dieselbe „gegen jeden Eingriff willkürlicher Deutung unter Sr. Maj. erhabenen Schutz zu stellen.“ Die Schrift, welche in zweiter Auflage zu Straßburg und auch in französischer Uebersetzung des Advokaten Riva 1842 zu Paris erschien, wurde am 13. März 1841 auf Antrag Preußens vom Bundestage verboten, gegen J. selbst aber eine Untersuchung wegen versuchten Hochverraths, Majestätsbeleidigung sowie frechen und unehrbietigen Tadels und Verspottung der Landesgesetze eingeleitet. Die Untersuchung zog sich dadurch in die Länge, daß das Kammergericht zu Berlin sich für unzuständig erklärt, dann die Sache dem Kriminalsenat zu Königsberg übertragen, wegen formeller Schwierigkeiten aber wieder entzogen war. Durch Cabinetsordre vom 11. December 1841 wurde J. die Wahl des Gerichts freigestellt, worauf er das Kammergericht wählte. (Vgl. „Aus den Papieren des Ministers Th. v. Schön“ Bd. III, Berl. 1876, S. 318 u. 336.) Während dieser Zeit übte auch Jacoby’s am 31. December 1841 herausgegebene, in drei Auflagen zu Zürich und Winterthur erschienene und trotz Bundestag und Polizei ihren Weg überall nach Deutschland findende Schrift „Meine Rechtfertigung wider die gegen mich erhobene Beschuldigung des Hochverraths“ etc. agitatorische Wirkung. J. sagte darin: „Mit meinem Rathe, die Stände sollten, was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als erwiesenes Recht in Anspruch nehmen, beabsichtigte ich weiter nichts, als eine durch neue Rechtsgründe unterstützte Wiederholung des früheren Antrags auf Reichsstände“. In der Verhandlung vor dem Kammergerichte erwiderte J., als der Staatsanwalt ihm maßlose Opposition vorwarf, „ja, ich gehöre zur äußersten Opposition gegen Unrecht und gegen Unwahrheit“. Durch Erkenntniß vom 20. April 1842 wurde J. vom Hochverrathe freigesprochen, wegen der übrigen Anklagepunkte jedoch zu 2½ Jahren Festungshaft und Verlust der Nationalkokarde verurtheilt. Unbeirrt hierdurch hielt er durch seine Schrift „Meine weitere Vertheidigung wider die gegen mich erhobene [623] Anklage“ etc. (Zürich u. Winterthur 1842) die allgemeinere Bedeutung der Sache rege. Er versuchte in dieser Schrift die Ungerechtigkeit jenes Urtheils darzuthun, insbesondere, daß den Richter irrthümlich die Voraussetzung einer unlauteren Tendenz geleitet habe und daß auch der ihn freisprechende Theil des Erkenntnisses in einer seinen Charakter verdächtigenden Weise abgefaßt sei. Der Appellationssenat des Geh. Obertribunals sprach ihn denn auch am 20. Januar 1843 gänzlich frei, doch wurde ihm die zugesagte Mittheilung einer Abschrift des Urtheils nebst Motiven vorenthalten und auf seine Beschwerde vom Justizministerium erklärt, daß ihm ein Recht hierauf nicht zustehe. Ein von ihm am 25. April 1843 an den König gerichteter Beschwerdebrief wurde am 1. September zurückgewiesen, worauf er in der Schrift „Das Recht des Freigesprochenen, eine Ausfertigung des wider ihn ergangenen Erkenntnisses zu verlangen“ (Königsb. 1844), ausführte, daß es sich dabei um Rechtssicherheit und Schutz der bürgerlichen Ehre handele. Während der zwei Jahre, welche solchergestalt Jacoby’s Auftreten das allgemeine Interesse erregt, hatte die gesammte liberale Bevölkerung Deutschlands hinter ihm gestanden. Seine Sache wurde für gleichbedeutend mit der Frage einer endlichen Erfüllung der 1815 von den deutschen Fürsten überhaupt ertheilten Zusagen aufgefaßt. Man legte nun auch Jacoby’s seit Februar 1842 in der Königsberger Zeitung veröffentlichten und dann auch in drei Heften unter dem Titel „Inländische Zustände“ 1842 daselbst herausgegebenen Artikeln über Landesangelegenheiten besondere Bedeutung bei. Man glaubte überhaupt in J. einen bedeutenden Politiker erblicken zu müssen. Diese Auffassung fand noch Nahrung dadurch, daß in Folge seiner Freisprechung im J. 1844 ein Gesetz für Preußen erlassen wurde, welches die Unabhängigkeit des Richterstandes wesentlich gefährdete. J. war einer der gefeiertsten Männer in Deutschland geworden, der auch in Gedichten besungen ward. Man veranstaltete Sammlungen, um ihm eine Bürgerkrone zu überreichen, doch wurden die Beträge später dem Sylv. Jordan in Marburg überwiesen. Jährlich wurde Jacoby’s Geburtstag in Königsberg feierlich begangen, wozu Abgeordnete anderer Städte zu erscheinen pflegten. Der von J. gegebene Anstoß wirkte namentlich in Königsberg fort und die meisten dortigen Bewegungen in dieser Richtung, namentlich die ersten Versuche öffentlicher politischer Versammlungen, hatten ihren leitenden Mittelpunkt in dem von J. gestifteten Kränzchen zur Besprechung politischer Fragen. Doch veranlaßt durch die Erfolge seiner „Vier Fragen“ suchte J. die agitatorische Wirksamkeit für weitere Kreise fortzusetzen. So erschienen seine Schriften „Preußen im Jahre 1845. Eine dem Volke gewidmete Denkschrift“ (Glarus 1845) und „Das königliche Wort Friedrich Wilhelms III. Eine den preußischen Ständen überreichte Denkschrift“ (Paris 1845). In der ersteren Schrift behauptete er, die 1841 von den preußischen Provinzialständen verlangten Reformen hätten die Befürchtungen des constitutionellen Deutschland bis zu einem für Preußen gefahrdrohenden Mißtrauen gesteigert; nicht durch halbe Zugeständnisse noch durch Gewährung einer Scheinconstitutionalität könne den Gebrechen des Vaterlandes abgeholfen werden, sondern durch Freiheit der Presse und wahre Volksvertretung. In der letzteren Schrift war ausgeführt, das von Friedrich Wilhelm III. durch Gesetz vom 22. Mai 1815 gegebene, aber in den folgenden 25 Jahren seiner Regierung nicht erfüllte Versprechen einer auf Volksvertretung begründeten Verfassungsurkunde sei für Friedrich Wilhelm IV. gesetzlich und moralisch verbindlich, daher den Provinzialständen die Pflicht obliege, aufs neue auf Erfüllung anzutragen. Wegen der beiden letzten Schriften am 14. März 1845 angeklagt, ergriff er öffentlich das Wort in seiner „Vertheidigung der Schrift: ‚Das königliche Wort‘“ etc. (Mannheim 1846) und in der „Rechtfertigung meiner Schrift: Preußen im Jahre 1845“ (Bergen 1846). Der Kriminalsenat des Oberlandesgerichts [624] zu Königsberg verurtheilte ihn wegen Majestätsbeleidigung und frechen, unehrbietigen Tadels der Landesgesetze zu 2½ Jahren Festungshaft, worauf er auch dieses Erkenntniß durch die Schrift „Ein Urtheil des Königsberger Kriminalsenats“ (Mannheim 1846) einer öffentlichen Kritik unterwarf. In zweiter Instanz sprach ihn das ostpreußische Tribunal frei. Im Juni 1844 gerieth J. mit dem Vorstande des Königsberger Gustav-Adolf-Vereins, der ihn mit Zustimmung der Vereinsversammlung ausgeschlossen hatte, in Streit. Näheres darüber enthält die Schrift von Jachmann „Zur Geschichte des Gustav-Adolf-Vereins in Königsberg“ (Königsb. 1844). Nach Unterdrückung der Bürgergesellschaft und der Versammlungen im Böttchershöfchen zu Königsberg wies J. in der Schrift „Beschränkung der Redefreiheit. Eine Provokation auf rechtliches Gehör“ (Mannheim 1846) nach, daß die Polizei keine Befugniß dazu gehabt. Er konnte nur mit Gewalt an der Ausübung des von ihm behaupteten Rechts zu reden verhindert werden, wurde mit Geldstrafe belegt, wegen deren er sich pfänden ließ. Beim Beginn des Vereinigten Landtags hielt er sich als Rathgeber in Berlin auf, bis die Adreßverhandlungen einen ihm nicht zusagenden Verlauf nahmen. Vor 1848 glaubte man vielfach, J. werde beim Siege der Reformbestrebungen großen politischen Einfluß erlangen und noch beim Ausbruche der Märzbewegung gehörte er zu den anerkannten Führern des preußischen Liberalismus; allein mit diesem Zeitpunkte trat ein Wendepunkt ein. Sobald es sich nicht mehr blos um das Negiren handelte, war Jacoby’s Kraft und Bedeutung dahin. Die auf ihn gesetzten Hoffnungen wurden bereits durch sein Verhalten im Vorparlament und dessen 50er-Ausschuß arg getäuscht. In ersterem mahnte er zwar Hecker und Struve von der Erhebung eines Aufstandes ab, erklärte sich aber für Permanenz der Versammlung und zwar mit dem Beisatze „ohne Gründe“. Im 50er-Ausschuß bildete er neben R. Blum einen Mittelpunkt der Linken und war einer der Hauptvertreter der unpraktischen Richtung, deren Gefährlichkeit nur durch die Klugheit der mehr staatsmännischen Seite mit Mühe verhindert wurde. Er beantragte z. B. am 26. April, durch den Bundestag bei der preußischen Regierung dahin zu wirken, daß mit möglichster Wahrung der deutschen Interessen die gerechten Forderungen der Polen im Posen’schen erfüllt, eine selbständige nationale Verwaltung mit einem selbständigen Ministerium in den überwiegend polnischen Gebietstheilen eingeführt und sobald als möglich ein posen’scher Landtag berufen werde. Gegen den Antrag auf Verstärkung des Bundestags durch drei Mitglieder zur Ausübung der vollstreckenden Gewalt trat J. auf, weil die nur scheintodte Reaction leicht durch den scheinbar regenerirten Bundestag wieder aufleben könne, und in seiner Rede vom 12. Mai über das Lepel’sche Promemoria behauptete er, dieses enthalte nicht einen einzigen Satz, „der nicht der offenbarste Ausdruck des alten schmachvollen Metternich’schen Systems“ sei. Freilich waren es damals nicht Viele, welche die später für das Werk der Nationalversammlung entscheidende Bedeutung der Frage einer Mitwirkung der Regierungen bei Berufung des Parlaments voraussahen; aber mit seinem Satze, daß von der antiquirten Bundesacte nicht mehr die Rede sein könne, stellte sich J. auf den Boden der Revolution. So verband er sich denn auch mit Männern, wie Zitz, zu dem Antrage wegen Beseitigung der Bundestagsmitglieder, welche zu den Ausnahmsbeschlüssen mitgewirkt. Während im Vorparlamente v. Soiron einen Beschluß durchgesetzt hatte, welcher die Mitwirkung der deutschen Fürsten am Verfassungswerke nicht ausschloß, machte J. einen Versuch, dies aus jenem Beschlusse wieder hinauszudeuten, doch lehnte der 50er-Ausschuß seinen Antrag ab. Am Tage der Eröffnung des deutschen Parlaments gab J. in Frankfurt a./M. unter dem Titel: „Deutschland und Preußen! Zuruf an die preußischen Abgeordneten am [625] 18. Mai 1848“ ein Flugblatt heraus, in welchem er sich darüber beklagte, daß die neuen preußischen Minister den Vereinigten Landtag auf dieselbe Zeit einberufen hätten und die preußischen Abgeordneten aufforderte, „dem Könige die Männer ihres Vertrauens zu bezeichnen, diesen eine unbedingte Vollmacht zu ertheilen und dann sofort bis zur Beendigung des Verfassungswerks sich zu vertagen“. Dem deutschen Parlamente wohnte J. als Abgeordneter von Königsberg nur kurze Zeit an. Es behagte ihm nicht, daß sich die maßgebenden Parteien in Frankfurt mit der Idee einer Hegemonie Preußens trugen, weil er hierin eine Gefahr für die Freiheit Deutschlands sah. Auch auf der Linken schien Jacoby’s Ansehen im Abnehmen. Laube in seinem Werke über das deutsche Parlament nennt J. bezüglich seiner Wirksamkeit in Frankfurt einen „Haut- und Knochenpolitiker“, einen „trefflich zersetzenden Verstand, sonst aber nichts, ein Verstand ohne Leib und Leben“. Um dieselbe Zeit wurde J. in den „Grenzboten“ also geschildert: J. ist in seinem Liberalismus dogmatisch, nicht dialectisch und hat zu wenig Objectivität, um über die einfache Behauptung hinaus auf nähere Begründung im Sinne anders Denkender einzugehen; er ist abhängig von dem Inhalte seines Glaubens und versteht seine Gegner nicht. Darum kann er weder ein Volksredner noch eine parlamentarische Notabilität werden, es fehlt ihm Pathos wie Humor. Wenn die Wahrheit sich in die abstracte Form rationeller Decrete bringen ließe, so wäre er ein Politiker, so aber bleibt er immer außerhalb des Staatslebens. J. fühlte sich mehr von einer Wirksamkeit in der preußischen Nationalversammlung angezogen, in welche er am 8. Mai 1848 vom vierten Berliner Wahlbezirke gewählt war. Seine Thätigkeit in Berlin begann er damit, daß er sich am Juni in einer Wahlmänner-Versammlung gegen die ihm zu Theil gewordene Bezeichnung als Wühler und Revolutionär zu vertheidigen veranlaßt fand. Wühler sei er allerdings insoferne, als die Männer des Volks jetzt jeden Schritt und Tritt der Regierenden mit Mißtrauen überwachen müßten; auch erkenne er die Revolution als solche an, denn für ihn sei der Märzkampf die großartigste Volksthat der preußischen Geschichte seit 1813; die republikanische Staatsform erklärte er „für die eines freien, politisch gebildeten Volks würdigste, geeignet, die sociale Frage der Zukunft zu lösen“, doch dürfe sie nicht aufgedrungen, es müsse aber jetzt der ehrliche Versuch gemacht werden, ob die demokratischen Grundsätze sich auf die Dauer mit dem monarchischen Princip vereinigen ließen. Mit dieser Gesinnung trat er in der preußischen Nationalversammlung am 8. Juni für den Antrag auf, zu erklären, daß sich die Kämpfer vom 18. und 19. März um das Vaterland wohl verdient gemacht und begründete am 11. Juli seinen Antrag auf Mißbilligung des die Wahl eines unverantwortlichen Reichsverwesers betreffenden Beschlusses des deutschen Parlaments mit dem Bemerken, daß das Volk, wenn es die bestehenden Throne geschont, doch nicht das Verlangen gehegt habe, neue Throne zu errichten. Die Beschlüsse dieser Versammlung, welche „nicht im Sinne des Volks gehandelt“, seien rechtsungültig. Das widersprach entschieden seinem früheren Auftreten in Frankfurt. Von demselben Geiste war Jacoby’s Auftreten für Verschmelzung der Bürger- und der Landwehr als Anbahnung des Systems der allgemeinen Volksbewaffnung (28. August) und für Abschaffung des Adels (30. October). Wie wenn er selbst ein Gefühl von der Unfruchtbarkeit auch dieses seines parlamentarischen Wirkens gehabt, verlegte er seine Hauptthätigkeit in Volksversammlungen, in welchen sich die erregten unteren Klassen der Berliner Bevölkerung Abends vereinigten. Nach Ernennung des Ministeriums Brandenburg schien er in der Nationalversammlung wieder mehr am Platze; mit diesem Act, erklärte er dort, habe die Krone dem Lande den Fehdehandschuh hingeworfen. Mit Waldeck und Temme beantragte er die Einsetzung einer Commission zur [626] Ausfindigmachung geeigneter Mittel in der bedrohlichen Lage des Landes und bemerkte dabei: „Es handelt sich hier einfach darum, ob wir durch entschiedene Schritte den König warnen oder ob wir durch unsere Unentschiedenheit die Schuld auf uns bringen wollen, daß das Volk, welches bisher unserer Versammlung vertraute, sich selber helfe durch eine zweite Revolution.“ Als Mitglied der Deputation der Nationalversammlung, welche nach Potsdam ging, um in einer Adresse den König zur sofortigen Entlassung des Ministeriums aufzufordern, trug er sehr wesentlich zur Schärfung des Streites bei, indem er den König beleidigte. Als dieser nach Durchlesung der Adresse sich umwandte, fragte J.: „Wollen Ew. Maj. uns nicht weiteres Gehör schenken?“ Als der König mit Nein antwortete, rief J.: „Das eben ist das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen!“ Nach Wagener’s Staats- und Gesellschafts-Lexikon hatte der König, als J. das Wort ergriff, das Zeichen zur Entlassung noch nicht gegeben und haben mehrere Abgeordnete noch in Gegenwart des Königs gegen jene Worte Verwahrung erhoben. Nicht minder bezeichnend für J. ist die Art und Weise, wie er sich, nach dem Berichte von F. Lewald (Erinnerungen, Bd. II S. 310) im November 1848 über die allgemeine Lage mit gleichsam wohlgefälligem Pessimismus aussprach. Die Sachen, meinte er, ständen gut für die Demokratie, denn das Unterthanengefühl sei noch felsenfest in vielen Deutschen, Niemand aber könne dagegen wirksamer ankämpfen als der Absolutismus selbst, und er thue dies jetzt endlich; die Fürsten belehrten das Volk und untergrüben damit den Boden, auf dem sie allein stehen könnten. Nach Auflösung der preußischen Nationalversammlung tröstete er sich, nach derselben Quelle, mit der Idee, daß eben jedes Volk „eine lange Wüstenfahrt aus dem Bereich der Sclaverei in die Segnungen des gelobten Landes“ machen müsse. In die nach Octroyirung der preußischen Verfassung vom 5. December 1848 berufene zweite Kammer gewählt, bestritt er hier in der Adreßverhandlung vom 19. März 1849 die Rechtsgültigkeit dieser Verfassung. Die Wähler des vierten Berliner Wahlbezirks tröstete er in einer Ansprache mit der „Zuversicht auf eine vergeltende Gerechtigkeit“ und erregte in der Kammer nur Aufsehen durch die Mittheilung, daß die Auflösung der preußischen Nationalversammlung von der Krone schon Anfang September 1848 beschlossen, der Belagerungszustand vom November also nicht durch die damaligen Ereignisse hervorgerufen sei. Nach Auflösung dieser Kammer nahm J. im April 1849 seinen Sitz in der deutschen Nationalversammlung wieder ein, in welcher damals die ihm mehr zusagenden radikalen Elemente in den Vordergrund traten. Er nahm Theil an den Sitzungen zu Stuttgart und begab sich nach Sprengung des Parlaments an den Genfer See, kehrte aber im October 1849 nach Königsberg zurück, wo er sich dem Gerichte stellte, bei welchem wegen jener Betheiligung Anklage gegen ihn auf Hochverrath gegen den deutschen Bund und den preußischen Staat erhoben war. Er verwarf die von Freunden zu seiner Flucht getroffenen Anstalten und suchte in seiner mündlichen Vertheidigung wie auch in der Schrift „Hochverrathsproceß gegen Dr. J.“ (Königsb. 1849) die Frage über das Recht der Ortsverlegung des Parlaments mit dessen Rechte selbständiger Erledigung der Verfassung zu begründen. Er bemerkte zum Schluß: „Die Geschichte allein hat zu entscheiden, auf welcher Seite Wahrheit und Recht, auf welcher Seite Untreue und Verrath gewesen sind.“ Am December 1849 wurde er, nachdem „Der Freimüthige“ in drohendem Tone die Verurtheilung gefordert und der an der Spitze des Preußenvereins stehende General v. Plehwe für dieselbe agitirt (s. Politische Todtenschau S. 85), von den fast sämmtlich diesem Vereine angehörenden Geschworenen zu Königsberg frei gesprochen und von aufgeregten Volksmassen gefeiert. Hiernach kehrte er zur ärztlichen Praxis zurück, die er 9 Jahre versah, [627] ohne politisch hervorzutreten. Die erste Periode seiner hiermit beendeten öffentlichen Wirksamkeit wurde in dem Werke von R. Walter (Parlam. Größen) also geschildert: „J. scheut die Phrase als den Tod der Revolution und doch sitzt sie ihm fortwährend im Nacken; er will nicht hinreißen, sondern überzeugen, und doch bleibt er im hohlen Pathos stecken; der Phraseur, der Alles darum gäbe, frei von der Phrase zu sein, das ist Jacoby; hier liegt die Quelle seiner sensationellen Kürze. Der Vertheidiger von Wahrheit und Recht, in abstracto ist J. geblieben von dem ersten bis zum letzten Act seines öffentlichen Auftretens.“ Als mit dem J. 1858 sich wieder eine neue politische Regsamkeit zu entfalten begann, gab er, wie die ganze demokratische Partei, die längere Enthaltsamkeit auf, hielt im November 1858 in den Urwählerversammlungen zu Königsberg wieder Reden, verkündete als sein Programm „verfassungsmäßige Monarchie auf der ächt demokratischen Grundlage der Selbstverwaltung und Gleichberechtigung“ (s. Preuß. Jahrbücher 1858, Bd. II S. 687) und unterzeichnete den Wahlaufruf der Königsberger Demokraten vom 5. November 1859. Während in der langen Zwischenzeit die Umstände sich vielfach geändert, war J. vollständig derselbe geblieben. Er hielt noch jetzt an demokratischen Grundsätzen von 1848 fest, welche selbst die radikalsten Elemente des Abgeordnetenhauses für abgethan hielten. So wurde J. abermals isolirt. Nur in einigen Berliner Bezirksversammlungen feierte man ihn noch als Vorkämpfer der wahren Freiheit. Zwar ward er vom zweiten Berliner Wahlkreise wiederholt ins Abgeordnetenhaus gewählt, am parlamentarischen Leben nahm er jedoch nur wenig Antheil. Er empfahl sodann am 19. April 1861 zu Königsberg den deutschen Nationalverein, zu dessen Ausschußmitgliedern er längere Zeit gehörte, als neutralen Boden für die verschiedenen politischen Parteien, fand aber auch hier wenig Gesinnungsgenossen und stieß in weiten Kreisen an, als er in einem „Mahnrufe an Preußens Vertreter“ (im Königsb. Telegraph) erklärte, in den zwei Jahren seit der Regentschaft des Prinzen von Preußen sei letzteres „seinem großen geschichtlichen Berufe um keinen Schritt näher gerückt.“ Dagegen feierte er seinen besonderen Gesinnungsgenossen, den im August 1860 verstorbenen H. Simon sowol bei der Einweihung des demselben am 5. October 1862 zu Murg am Wallensee gesetzten Denkmals (Gartenlaube 1862, Nr. 46), als auch durch eine besondere Schrift „H. Simon. Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk“ (Berlin 1865). Einflußlos auf politischem Gebiete, gab sich J. philosophischen Studien hin und schrieb „G. E. Lessing, der Philosoph“ in der Biographie Lessing’s von A. Stahr (Berlin 1861, 2. Aufl. Berlin 1863 selbständig erschienen); allein der Streit, in welchen das Abgeordnetenhaus mit der Regierung gerieth, schien ihn wieder anzuregen. Am 17. Mai 1862 wieder zum Abgeordneten gewählt, trat er doch lieber in anderen politischen Versammlungen auf und machte sich bemerklich durch Reden, wie die, welche er am 21. März 1863 in Königsberg über die Unrechtmäßigkeit des Herrenhauses hielt, oder die, in welcher er am 13. November 1863 vor Berliner Wählern erklärte: „Soll Preußen als Rechtsstaat erstehen, muß nothwendig der Militär- und Junkerstaat Preußen untergehen“, dies sei aber nur möglich, wenn das Volk zur Selbsthülfe schreite. Wegen dieser 1863 in Leipzig im Druck erschienenen Rede wurde J. am 1. Juli 1864 vom Kriminalgericht und am 9. Januar 1865 auch vom Kammergericht in Berlin wegen Majestätsbeleidigung und Aufreizung zum Ungehorsam gegen die Steuergesetze zu 6 Monaten Gefängniß verurtheilt. Wie in früheren Zeiten, gab er seine Vertheidigungsreden heraus („Ein Urtheil des Berliner Kriminalgerichts, beleuchtet von J.“, Leipzig 1864, und „Dr. J. vor dem Kriminalsenate des Kammergerichts“, Leipzig 1865). Aehnlich wie oben sprach er sich übrigens auch am 2. December 1863 im Abgeordnetenhause dahin aus, den Schleswig-Holsteinern [628] könne nur geholfen werden, wenn das Volk sich Mann für Mann erhebe; solange das Ministerium Bismarck am Ruder sei, erklärte er am 16. Januar 1864 jedem Budget die Zustimmung zu versagen. Er stand damit ganz allein. Bei der Frage über die Heeresumbildung verlangte er am 29. April 1865 „ein volksthümliches Wehrsystem“ und führte am 12. Juni aus, daß Bismarck’s „verwerfliches Regierungssystem die rechtlichen und sittlichen Grundlagen des Staats auf’s Tiefste erschüttere.“ Auch die Ereignisse von 1866 vermochten Jacoby’s Sinn nicht zu ändern, vielmehr trugen sie nur dazu bei, denselben noch mehr zu verhärten. In der Stadtverordneten-Versammlung zu Königsberg trat er am 22. Mai 1866 für eine an den König zu richtende Bitte um Aufrechthaltung des Friedens und gründlichen Wechsel der Personen wie des Systems der Regierung auf. Als nach der siegreichen Durchführung von Bismarck’s äußerer Politik ein Ausschuß des Abgeordnetenhauses am 23. August 1866 durch Virchow eine Adresse an den König mit der Erklärung beantragte, es sei dem In- und Auslande gegenüber Werth darauf zu legen, zu constatiren, daß die Parteien in Preußen sich in großen Augenblicken auf dem Boden der Verständigung zusammenfinden könnten, opponirte J. dagegen, weil der Krieg ohne, ja gegen den Willen des Volks unternommen sei und der Sieg nur dem unumschränkten Herrscher zu Gute komme. In der Schroffheit, mit welcher er sich selbst weltgeschichtlichen Thatsachen entgegensetzte, erschien J. völlig getrennt von denen, die vor Jahrzehnten sein kühnes Auftreten freudig begrüßt. Er erschien nun an der Seite aller Feinde der Neuordnung Deutschlands und wurde nur von Männern wie Frese als einer der wenigen „Gerechten“ gefeiert. Wiederum schien es, als wolle sich J. von der Politik abwenden. Er gab unter dem Titel „Der freie Mensch. Rück- und Vorschau eines Staatsgefangenen“ (Berlin 1866) eine Sammlung philosophischer Sentenzen aus Schriftstellern aller Zeiten und „Kant und Lessing. Eine Parallele“ (Königsb. 1867) heraus. Aber schon am 6. Mai 1867 erschien er im Abgeordnetenhause wieder mit einer Verwahrung gegen „die gewaltsame Aneignung deutschen Bundesgebiets durch Preußen“, sowie gegen die Genehmigung der Verfassung des Norddeutschen Bundes, weil dieselbe die wesentlichen constitutionellen Rechte des preußischen Volks aufhebe. Dabei legte er sich den Titel „eines der ältesten Kämpfer für den Rechtsstaat Preußen“ bei, der es für Pflicht halte, zu zeigen, daß es noch Männer gebe, „die nicht gewillt sind, Verfassungsrecht wie Freiheit dem Trugbilde nationaler Macht und Ehre zu opfern“ und bezeichnete jene neue Verfassung als „die Schmach freiwilliger Knechtschaft“. Diese Angriffe fanden keinen Wiederhall, er gerieth wegen der von ihm im April 1866 veranlaßten Resolutionen ähnlichen Inhalts einer Berliner Versammlung im März 1867 in gerichtliche Untersuchung und es erhob sich gegen seine Angriffe von liberaler Seite eine lebhafte Verwahrung. In den „Vier Briefen eines Süddeutschen“, welche der Abgeordnete K. Braun (Wiesbaden) zum Nachweis der Widersinnigkeit des föderalistischen Programms der Volkspartei, sowie der geschichtlichen Nothwendigkeit der preußischen Oberherrschaft herausgab, lud er zwar J. zur Umkehr ein, doch trug seine Schilderung desselben und die Darstellung von dessen Richtung als „mindestens Donquichoterie“ nur dazu bei, die J. von der liberalen Partei trennende tiefe Kluft festzustellen. Braun sagte u. A.: „J. ist der Urtypus des abstrakten, unpraktischen, süddeutschen, staatlosen, vormärzlichen Liberalismus, dessen Religion die Opposition war, und zwar die Opposition aus Princip, jenes Liberalismus, welcher stets auf der äußersten Linken sitzen will ohne Rücksicht darauf, was dann den Gegenstand bildet, nach welchem man bemißt, was rechts und was links ist, jenes Liberalismus, welcher aus Consequenz inconsequent wird, weil er nur auf sich und seinen Platz sieht und darüber vergißt, daß die Welt während dessen nicht [629] still steht.“ Weiter schilderte Braun „den traurigen Hergang“, wie ein Mann von bedeutender Befähigung und warmem Herzen, der als beredter Kämpfer für die Unterdrückten und für die nationale Idee eingetreten, die staatlichen Gebilde auf das Entschiedenste befehde, sobald sie in reale Erscheinung getreten und in der von J. begründeten „Zukunft“ die bisherigen Genossen mit Schonungslosigkeit und Unduldsamkeit verfolge, so daß nur die Anhänger des Kleinfürstenthums, der Entthronten und die Ultramontanen auf seiner Seite ständen. Dem Abgeordnetenhause als Vertreter des zweiten Berliner Wahlbezirks während der achten, neunten und zehnten Legislaturperiode (1863–70) angehörend, pflegte J. hier etwa nur einmal in jeder Session in ganz allgemeinen Wendungen „im steinernsten Lapidarstyl“, wie Braun sich ausdrückt, eine ganz kurze Rede zu halten. So sprach er sich noch am 16. Januar 1869 für Verwerfung des Budgets aus, weil „nach wie vor das eines selbstbewußten Volks unwürdige System bureaukratischer Bevormundung“ herrsche. Da er in derselben Stellung auf seinem Sitze zu verharren pflegte, bezeichnete ihn einst der Abgeordnete F. Ziegler als König Rhamses von Aegypten. Man nannte ihn auch wol den Philosophen von Königsberg. Je mehr durch die Erfolge der Bismarck’schen Politik im Volke der Sinn für eine praktische Richtung sich verbreitete, um so greller stach hiergegen die Richtung derjenigen Politiker ab, welche ihre Ideale als die einzig richtigen ausgaben und deren ausgeprägtester Vertreter J. war. Er schien etwas darin zu suchen, den wirklichen Verhältnissen, soweit sie seinen Idealen nicht zustrebten, nicht Rechnung zu tragen und hielt für Entschiedenheit, was Staatsmännern als schwerer politischer Fehler erschien. So kam er dazu, sich schließlich auch mit der Fortschrittspartei zu überwerfen. In einer am 30. Januar 1868 vor seinen Berliner Wählern gehaltenen Rede über „Das Ziel der deutschen Volkspartei“ (2. Aufl. Königsb. 1869) führte er aus, daß zu einem wahrhaft constitutionellen Staatsleben in Preußen Alles fehle, jene Partei sei hier zur Zeit ohnmächtig, die staatlichen Zustände umzugestalten; am Mißlingen aller bisherigen Freiheitsbestrebungen sei der Mangel an Treue gegen die eigenen Grundsätze und der Mangel an Entschiedenheit im Kampfe mit den Gegnern schuld; so lange nicht in allen Angelegenheiten des Staats der Gesammtwille zur vollen Geltung komme statt des Willens eines Einzelnen, sei das Volk nicht Herr seines Geschicks; ein wirklicher, einmüthiger Volkswille wäre nicht möglich, so lange nicht eine gewisse Gleichmäßigkeit in der wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Lebenshaltung der Volksklassen vorhanden sei; ohne Theilnahme des Arbeiterstandes gebe es keine dauernde Besserung der politischen Zustände, die demokratische Partei müsse daher aufhören, eine blos politische zu sein und müsse die Umgestaltung der socialen Mißverhältnisse sich zur Aufgabe machen. Die „Zukunft“ besprach diese Umbildung der Volkspartei näher und suchte eine Verständigung darüber zwischen Nord und Süd herbeizuführen. J. selbst stellte in einer Antwort an den demokratischen Verein zu Hamburg am 24. Mai 1868 als Ziel der Volkspartei hin: „Umgestaltung der bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Zustände im Sinne der Freiheit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschengesicht trägt.“ Unter Berufung auf diese Zuschrift hatte die deutsche Volkspartei im September 1868 auf ihrem Congresse in Stuttgart ein föderatives, großdeutsches Programm beschlossen (Parisius[WS 1], Deutschlands politische Parteien S. 129). Jacoby’s förmlicher Uebertritt zur Socialdemokratie erfolgte 1872, wenngleich er schon am 20. Januar 1870 in einer Rede über das Ziel der Arbeiterbewegung vor seinen Wählern thatsächlich als Socialdemokrat aufgetreten war. Auf seinen Antrag sprach eine Versammlung Königsberger Urwähler am 20. Mai 1870 die Erwartung aus, daß die Abgeordneten den Etat so lange nicht genehmigten, bis gleiches Recht für Alle und eine volksthümliche [630] Reform des Heerwesens durchgeführt sei. Nach dem Kriege von 1870 entsagte J. der parlamentarischen Thätigkeit und erregte noch einmal Aufsehen durch die Verwahrung, welche er am 14. September 1870 in der Versammlung der Königsberger Volkspartei gegen den Anschluß von Elsaß-Lothringen erhob. Es sei, sagte er, „der barste politische Unverstand, zu glauben, aus Unrecht und Gewaltthat könne den Völkern irgend ein Heil erwachsen.“ In Folge dieser Ansprache wurde J. auf Befehl des Generals Vogel v. Falkenstein am 20. September verhaftet und bis zum 26. October in der Feste Boyen bei Lötzen als Staatsgefangener festgehalten. Nachdem, abgesehen von den ersten Schriften in den 1840er Jahren, sein ganzes öffentliches Wirken erfolglos geblieben, gab er doch seine „Gesammelten Schriften und Reden“ (2 Bde. Hamb. 1872) heraus. In der Vorrede führte er aus, daß, obwol die Bedürfnisse sich umgestalteten, Gewohnheit, Unvernunft und Eigennutz fest an den hergebrachten Rechten und Ordnungen hielten und verlangten, daß die Bedürfnisse der Menschen den überkommenen Satzungen sich unterwerfen sollten; es komme aber jetzt darauf an, „den letzten entscheidenden Kampf der unterdrückten, freiheitsbedürftigen Menschheit gegen den dreieinigen Feind (Kirche, Staat und Gesellschaftsordnung) zu kämpfen“. Jacoby’s Absicht, 1872 die demokratische Presse in Berlin umzugestalten, schlug gänzlich fehl. Um dieselbe Zeit mißglückte ein Versuch, ihn im dritten Berliner Wahlkreise als Candidat zum Abgeordnetenhause aufzustellen; dagegen wurde er am 10. Januar 1874 vom 13. sächsischen Wahlbezirk (Leipz. Landbezirk) zum Reichstagsabgeordneten gewählt, ohne jedoch anzunehmen. Nachdem die „Zukunft“ aus Mangel an Theilnahme eingegangen, wurde Jacoby’s Richtung eine Zeit lang von der „Waage“ (Wochenschrift von G. Weiß) vertreten.
Jacoby: Johann J., Arzt, politischer Schriftsteller und preußischer Abgeordneter, geb. am 1. Mai 1805 zu Königsberg i. Pr., † daselbst am 6. März 1877. Von den humansten Gesinnungen für das politische und sociale Wohl der Staatsbürger erfüllt, gewann er durch ein rechtes Wort zu rechter Zeit, sowie durch nachhaltig kühne Geltendmachung zeitgemäßer Forderungen den ungemessensten Beifall der Zeitgenossen, verlor jedoch beim Mangel praktischen Sinnes und wegen steigender Opposition gegen die Folgen geschichtlicher Thatsachen völlig den Zusammenhang mit den Bestrebungen der Mehrzahl des deutschen Volkes. – Sohn eines geachteten jüdischen Geschäftsmannes, erhielt er eine gute Erziehung, besuchte 1815–23 das Collegium Fridericianum in Königsberg und studirte auf dortiger Universität zuerst Philosophie, dann Medicin. Schon als Student von allen humanen Zeitbestrebungen tief erfüllt, gelang seiner Energie die Abschaffung der Einrichtung, daß bei den Studentenbällen seiner Vaterstadt kein Jude an der Spitze stehen durfte. Das frische Zugreifen, durch welches er sich bei diesem Anlaß auszeichnete, blieb charakteristisch für sein ganzes späteres Auftreten. Es verschaffte ihm später die glänzendsten Erfolge und wurde zuletzt doch verhängnißvoll für ihn. Nachdem er 1827 promovirt, 1828 das Staatsexamen in Berlin bestanden, vervollständigte er sein medicinisches Studium in Heidelberg und ließ sich, nach einer größeren wissenschaftlichen Reise durch Deutschland und Polen, 1830 in Königsberg als Arzt nieder, als welcher er sich bald ehrenvoll bekannt machte. Der Eindruck der französischen Julirevolution gab ihm für sein Leben die politische Richtung. Er träumte begeistert von der Freiheit Europa’s und meinte, von nun an dürften die humanen und zeitgemäßen Bestrebungen keine Zurückdrängung mehr erfahren. Seinerseits war er sofort mit größtem Eifer bei der Hand, hierzu beizutragen. Er griff zunächst die Miß- und Uebergriffe der preußischen Verwaltung der medicinischen Staatsanstalten an. In der „Zeitschrift für Staatsarzneikunde“ (1831, Heft 14) schrieb er „Einige Worte gegen die Unentbehrlichkeit der medicinisch-chirurgischen Pepinière zu Berlin“, in denen er mit scharfer Logik und überzeugend gegen Unhaltbares zu Felde zog. Der polnische Aufstand steigerte Jacoby’s Begeisterung für Freiheit und Völkerglück. Als daher der Krieg in Polen entbrannt war und den russischen Streitkräften gegen Polen die Cholera voranzog und auch Preußen bedrohte, erwachte Jacoby’s ganze Thatkraft: er eilte nach Polen, um die Seuche kennen zu lernen und mit den erlangten Kenntnissen seiner Heimath zu nützen. In der Provinz Augustowo, im Cholerahospitale zu Warschau war er unermüdlich und aufopfernd thätig, bis die Gefahr des eigenen Vaterlandes ihn zurückrief. So erschien er im Spätsommer 1831 wieder in Königsberg, als der erste ostpreußische Arzt, der jene Krankheit aus Erfahrung kannte. Er legte das Ergebniß seiner Beobachtungen in einer Vorlesung der dortigen medicinischen Gesellschaft vor (abgedruckt in Bd. I der Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Königsberg) und eiferte mit aller Kraft gegen die preußischen Sperrmaßregeln. Unterstützt vom OberpräsidentenJ. starb in Folge einer Operation wegen Steinleidens. Er war als Mensch und Privatmann von fleckenloser Reinheit des Charakters und auch von Gegnern als überzeugungstreu hochgeachtet, für ein positives Schaffen war ihm aber als bloßen Idealisten jeder Erfolg versagt, mit Ausnahme seiner ersten Schriften, deren Erfolg ihn betäubt zu haben schien. Er selbst hat seinen Idealismus mit dem Bemerken vertheidigt, daß ohne diesen die Menschheit nicht vorwärts komme. Sein Freund, Dr. J. Möller, sagte in der am 28. März 1877 bei Jacoby’s Gedächtnißfeier zu Königsberg gehaltenen Rede von ihm: „Mild, wie sein ganzes Wesen bei aller unbeugsamen Energie seines Charakters war, übte er volle Duldsamkeit; er war ein Vorbild reinen Sinnes, ächten Mannesmuths und hoher Bürgertugend. Aufgewachsen in der strengen Schule Spinoza’s und Kant’s, hatte er sich nicht nur die scharfe Methode des Denkens von denselben angeeignet, sondern mehr noch ihre ernste Sittenlehre.“ Als auf Beschluß der Stadtverordneten von Königsberg 1877 in deren Saale die Büste Jacoby’s aufgestellt war, ordnete die dortige Regierung die Entfernung derselben an, weil der Beschluß das Staatswohl verletze. Auf Beschwerde wurde dies vom Oberpräsidenten bestätigt, weil die Ovation für einen hervorragenden Vertreter der Socialdemokratie als staatsfeindliche Kundgebung angesehen werden müsse. Die Absicht einer solchen wurde in einer weiteren Beschwerde an den Minister des Innern in Abrede gestellt, dieser aber beließ es im April 1879 bei jener Entscheidung.
- Ergänz.-Bl. v. Steger, Bd. I (Leipz. 1846); Die Fortschrittsmänner der Gegenwart. Von Rob. Blum. (Leipz. 1847); Des deutsch. Volkes Erhebung im J. 1848 (Danzig 1848), Cap. 15; W. Piersig, Die Mysterien der Berliner Demokratie (Berlin 1849); Gneist, Berl. Zustände (Berl. 1849); Brustbilder a. d. Paulsk. (Leipz. 1849;); Grenzboten 1848, 1. Sem. u. 1849, 2. Sem.; Polit. Briefe u. Charakt. (Berl. 1849) S. 79; Stahr, Die preuß. Revol. (Oldenb. 1850): Gegenwart, Bd. IV (Leipz. 1850); Braun, Bilder a. d. d. Kleinstaaterei, Bd. I (Leipz. 1869); Grenzboten 1872, Nr. 47; [631] Braun, Aus d. Mappe eines d. Reichsbürgers, Bd. III (Hann. 1874); Das Jahr 1877 (Leipz. 1878); Nekrol. v. Jul. Schmidt in Nat.-Ztg. Nr. 147 v. März 1877; Dr. J. Möller, Rede, gehalten bei der Gedächtnißfeier für Dr. J. J. (Königsb. 1877).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Ludolf Parisius (* 15. Oktober 1827 in Gardelegen; † 11. März 1900 in Berlin), deutscher Jurist, Publizist, liberaler Politiker und Heimatforscher.