ADB:Huygens, Christian
Constantin H.’s (s. u.) Die Mutter, Susanna van Baerle, gebar ihrem Gatten einen älteren Sohn, der wie der Vater Constantin genannt wurde, und einen zweiten Christian, die späteren Kinder sind uns ohne Wichtigkeit. Constantin folgte in seinem Lebenslaufe dem Beispiele des Vaters. Auch er wurde Kabinetssecretär Wilhelm III., während dieser bereits König von England war, starb aber in der Heimath, im Haag 1697. H. sollte nach des Vaters Wunsche gleichfalls eine staatswissenschaftliche Laufbahn einschlagen und studirte demzufolge in Leyden und Breda Jurisprudenz, erwarb sich dann noch 1655 den Doctorgrad beider Rechte an der französischen protestantischen Universität Angers. Er hat auch 1669 einen [481] oranischen Prinzen, Graf Heinrich von Nassau, auf einer Gesandtschaftsreise begleitet, ist mit demselben in Holstein und in Dänemark gewesen und bedauerte nur durch den Ablauf der zur Sendung bestimmten Frist verhindert zu sein einen Abstecher nach Schweden zu machen, wohin Descartes soeben von Holland übergesiedelt war, dessen Bekanntschaft er sehnlichst zu machen wünschte. Huygens’ eigentlicher Lebensberuf lag nicht im diplomatischen Staatsdienste. Er hatte in sich Fähigkeiten, welche seine nächsten Verwandten gleichfalls, aber in minderem Grade, zierten, vereinigt, denen er bald eine Berühmtheit verdankte, welche jeden Gedanken ausschloß, nicht auf der eingeschlagenen Bahn zu verharren. Sein Vater unterrichtete ihn selbst in der Musik, der Arithmetik und der Geographie, worin er schon als Kind die auffallendsten Fortschritte machte. Frühzeitig erwachte auch in H. die Neigung zu mechanischen Beschäftigungen, so daß er im 13. Lebensjahre schon versuchte verschiedene Maschinen nachzumachen. Damals hatte er übrigens von Mathematik noch keine Ahnung. Erst 1644 erhielt er Unterricht in dieser Wissenschaft bei einem Belgier mit Namen Stampioen. Einen berühmteren Lehrer fand er 1645, als er zum Studium der Jurisprudenz die Universität Leyden bezog, in Franciscus van Schooten, und ein fast freundschaftliches Verhältniß entspann sich zwischen Schüler und Lehrer, so daß Letzterer 1656 eine Abhandlung des Ersteren ins Lateinische übersetzte, um sie gemeinschaftlich mit eigenen Arbeiten in einem und demselben Bande dem Drucke zu übergeben. Wir haben nachher näher auf den Inhalt dieser und anderer ihr vorhergehenden und nachfolgenden Leistungen einzugehen. Wir begnügen uns für’s Erste mit der Thatsache, daß H. nunmehr mit Recht unter die großen Gelehrten der mathematisch-physikalischen Wissenschaften gezählt wurde; daß ihn auf Reisen in Frankreich und England, welche zwischen 1660 und 1663 fallen, die Fachgenossen mit den größten Ehrenbezeugungen überhäuften; daß er 1663 Mitglied der Roy.-Societ. von London wurde; daß Colbert, der Gründer der französischen Akademie der Wissenschaften, ihn 1666 berief, an dieser neuen Anstalt einen Platz einzunehmen; daß er als Akademiker in Paris verweilte, bis seine Gesundheit unter den dortigen Verhältnissen leidend ihn nöthigte in die Heimath zurückzukehren. Für kurze Zeit war H. schon 1670 und 1675 nach Holland gereist, 1681 war es eine vollständige Uebersiedelung, welche er vornahm, da neben seiner Gesundheit auch die nachmalig erfolgte Aufhebung des Edikts von Nantes den Protestanten verhinderte seinen Aufenthalt wieder in Paris zu nehmen. Nur eine Reise nach England im J. 1689 ist noch erwähnenswerth, auf welcher H. mit Newton, seinem großen Gegner in der Theorie des Lichtes, persönlich bekannt wurde. H. war nicht verheirathet, aber er entbehrte dadurch nur die Freuden, nicht den Aerger, der mit jedem Familienleben etwas gepaart ist, und der bei ihm ohne das Gegengewicht häuslichen Glückes heftig genug wurde ihm die letzten Lebensjahre zu verbittern. H. vermachte seinen wissenschaftlichen Nachlaß der Universität Leyden und in mehreren zu verschiedenen Zeiten erfolgten Veröffentlichungen wurden wol die wichtigsten Schriftstücke nebst den noch bei seinem Leben erschienenen Abhandlungen gesammelt. Die 1724 erschienenen Theile heißen „Opera varia“; 1728 folgten „Opera reliqua“, in welche auch eine Sammlung verschmolzen wurde, welche 1703 als „Opera posthuma“ gedruckt worden war; endlich 1833 gab Professor Uylenbroek in Leyden noch zwei Bände heraus, als: „Christiani Hugenii aliorumque seculi XVII virorum celebrium exercitationes mathematicae et philosophicae.“ Der Name des großen Gelehrten wird lateinisch stets Hugenius geschrieben. Der eigentliche Familienname kommt neben H. auch als Huyghens vor. Inschriften, welche H. selbst mit Diamant in Glaslinsen eingeschnitten hat, zeigen nur die Rechtschreibung ohne h, deren man sich neuerdings regelmäßig bedient (vgl. Van Tricht in der Nouv. Correspond. Math. III, 209, Brüssel [482] 1877). Gehen wir nun zur Darstellung der wissenschaftlichen Leistungen von H. über, welche wir zur besseren Uebersicht gruppenweise ordnen, so weist die chronologische Reihenfolge der reinmathematischen Gruppe den ersten Platz an, da ihr die frühesten Veröffentlichungen von H. angehören, beginnend mit den „Theoremata de quadratura hyperboles ellipsis et circuli“ von 1651. Gregorius a Sancto Vincentio (s. d.) hatte 1647 sein großes Opus geometricum herausgegeben, eine Fundgrube feinster geometrischer Sätze, zu welchen leider auch einige trügerische gehörten, als deren Folgerung Quadraturen von Curven sich ergaben, welche unrichtig sind. Andererseits war der Jesuit Jean Charles de la Faille (geb. 1597 in Antwerpen, † 1652 in Barcelona), bereits 1632 mit seinen Theoremata de centro gravitatis an die Oeffentlichkeit getreten, in welchen er wol zuerst nachwies, daß die Quadratur einer Figur eine Beziehung zu deren Schwerpunkt besitzen kann. Die vom Zweitgenannten eröffnete Bahn einzuschlagen und den Ersteren zu widerlegen, das war die doppelte Aufgabe, welche der 22jährige H. sich für seine Erstlingsarbeit stellte. Er löste dieselbe in glänzendster Weise, so daß jetzt schon Männer wie Descartes auf den jungen Schriftsteller aufmerksam wurden, zumal als er in Schriften von 1654 und 1656 seine Behauptungen gegen die Angriffe der Schüler von Gregorius siegreich zu vertheidigen wußte. Die Beweise waren mit der geometrischen Eleganz und Sicherheit der Alten geführt; irgend neue Methoden, z. B. der analytischen Geometrie, waren grundsätzlich vermieden. Von ganz anderer Seite erschien hierauf H. 1657 in der Schrift „De ratiociniis in ludo aleae“, welche Fr. van Schooten, wie schon erwähnt worden ist, als Bestandtheil seiner Exercitationes mathematicae dem Drucke übergab. Wol war die sogenannte Wahrscheinlichkeitsrechnung bereits 1654 zwischen Pascal und Fermat entstanden, aber deren Briefwechsel gelangte erst 1679 an die Oeffentlichkeit, und wenn H., dessen Gewissenhaftigkeit in der Angabe etwaiger Vorgänger seinen Schriften neben ihrem mathematischen Werthe auch den guter historischer Arbeiten verleiht, die Erklärung abgibt, jene beiden französischen Mathematiker hätten die Grundlagen ihrer Untersuchungen in tiefes Geheimniß gehüllt, und er behandle hier diese Fragen zum ersten Male deutlich für die Leser, so ist diese Erklärung buchstäblich als wahr anzuerkennen. Eine von den Elementen beginnende Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt es erst seit H., und der Satz, auf welchen er seine Darstellung stützte, ist der vom arithmetischen Mittel. Das mathematische Hauptwerk „Horologium oscillatorium“ gehört dem J. 1673 an, mithin der Mitte seines Aufenthaltes in Paris. Wir nennen gegenwärtig nur den dritten Abschnitt dieses Buches, in welchem die Evolutentheorie begründet und soweit fortgeführt worden ist, als es möglich war, ohne auf deren Zusammenhang mit den Krümmungsmittelpunkten zu kommen. H. erkannte vor Allem, daß bei der Abwickelung gerade Linien hervortraten den abgewickelten Curven an Länge gleich, daß es mithin rectificirbare Curven in großer Anzahl gebe, wovon gewisse parabolische Curven ein Beispiel bieten. Er erkannte ferner die Cycloide als ihre eigene Evolute. Wollen wir über die nächste reinmathematische Arbeit von H. berichten, so müssen wir einen ziemlichen Zeitraum überspringen, welcher an so bedeutenden Ereignissen reich war, daß wir ohne Erwähnung derselben den Einblick in den eigentlichen Werth der Leistungen nicht gewinnen können. Leibnitz war in den J. 1672–76, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, in Paris anwesend und war zu H. in nähere persönliche Beziehung getreten. Diesen Beziehungen entwuchs ein reger Briefwechsel, nachdem Leibnitz Paris verlassen hatte. 1684 erschien Leibnitz’ berühmter Aufsatz in den Acta eruditorum, welcher die erste Veröffentlichung der Differentialrechnung enthält. Die hervorragenden Mathematiker aller Länder beeilten sich der neuen Methode Herr zu werden, sei es, daß sie den Algorithmus Leibnitz’ annahmen, sei es, daß [483] sie dem von Newton den Vorzug gaben. Nur Einer blieb diesen Methoden grundsätzlich fern; nur Einer vertraute lieber dem älteren geometrischen Verfahren, einem Verfahren, welches in seinem Kerne darin bestand, daß Unmöglichkeiten nachgewiesen wurden, mochte man nun größere oder kleinere Werthe als einen bestimmt erkannten für eine gewisse Länge wählen. Dieser Eine war H. Am 24. August 1690 schreibt er an Leibnitz, er habe bisher die Abhandlungen über den neuen Calcul als zu dunkel nicht studirt; es lohne sich aber doch wol der Mühe, wenn Leibnitz im Stande sein sollte mittelst desselben alle umgekehrten Tangentenaufgaben (wir sagen heute: die Integration aller Differentialgleichungen) zu bewältigen. Am 18. November desselben Jahres äußert er sich, wie folgt: „Ihre Untersuchung der Berührungslinien von den Brennpunkten aus scheint mir sehr tief. Sie setzt indessen Dinge voraus, welche als augenscheinlich nicht angenommen werden können. Und wenn auch derlei Schlüsse mitunter zu Entdeckungen führen, für die Beweise muß man sich hinterdrein zuverlässigerer Mittel bedienen.“ Erst im Januar 1692 hat er sich „etwas vertrauter mit dem Calcul gemacht und denselben vortrefflich gefunden, um leicht und deutlich kleinste Werthe zu finden“, aber im Uebrigen mißtraut er noch immer. „Wenn es sich darum handelt, sagt er, den Schwerpunkt der halben Cycloide zu finden, würde Ihr Calcul Sie ohne die tiefen Forschungen der Pascal und Wallis dahin führen? Ihre Ausdrücke mögen kürzer sein, aber der Weg der Auffindung wird, scheint mir, ungefähr derselbe sein.“ Und wenn H. am 29. Mai 1694 wirklich einsieht, daß Leibnitz Geheimnisse kennt, welche Anderen unbekannt sind; wenn er ihn auffordert „Sie könnten einen vortrefflichen Tractat über die verschiedenen Anwendungen dieses Calculs schreiben, und ich ermahne Sie dazu als zu einem sehr schönen und nützlichen Werke, welches eher von Ihnen, als von irgend einem Anderen ausgehen sollte“, so ist diese Bekehrung eine so späte, daß wir sie mit Rücksicht auf die Kränklichkeit von H. in seinem letzten Lebensjahre (1694–95) als zu spät bezeichnen dürfen. Es bleibt daher bei der Behauptung, daß H. niemals der Methoden des Infinitesimalcalculs als solcher sich bediente, sondern daß er bei jenen künstlichen Ersatzmitteln blieb, welche die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts der Mathematik geliefert hatte, und welche statt allgemeiner Lösungen allgemeiner Aufgaben nur mit stets neuem Aufgebote an geometrischem Scharfsinne gelungene Bewältigungen von Sonderfällen hervorbrachten. So fand H. jene merkwürdigen Sätze über die logarithmische Linie, deren Tangente, Subtangente, Quadratur, Cubatur etc., welche er 1691 ohne Beweis veröffentlichte; so fand er gleichzeitig mit Leibnitz und Jacob Bernoulli I. die Kettenlinie und deren hauptsächliche Eigenschaften, wie aus den Acta eruditorum für 1691 und dem Briefwechsel zwischen H. und Leibnitz hervorgeht. Wir übergehen andere Sonderbetrachtungen dieser oder jener Curve, über welche H. brieflich oder mündlich gegen Leibnitz, L’Hospital, Fatio de Duilliers und Andere sich äußerte. Wir heben nur eine letzte mathematische Leistung hervor, welche, in einer nachgelassenen Schrift enthalten, sich einer genauen Datirung entzieht. H. erkannte die sogenannten Nährungswerthe der Kettenbrüche und benutzte dieselben, um für einen Bruch mit sehr großem Zähler und Nenner durch Umwandlung in einen Kettenbruch und Abwickelung der ersten Glieder der Kette einen anderen Bruch mit niedrigeren Zahlen und nur wenig verschiedenem Werthe zu erhalten. Die Anwendung, welche H. von diesem Verfahren bei der Errichtung eines Planetariums zu machen hatte, gab ihm die Gelegenheit es zu beschreiben. Auf der Grenze zwischen mathematischen und physikalischen Forschungen begegnen wir der theoretischen und praktischen Mechanik, und ihnen gehören diejenigen Arbeiten an, welche H. wol am Bekanntesten gemacht haben. Schon 1658 beschrieb er in einer kleinen Abhandlung die Pendeluhr, auf deren Erfindung er bereits ein Jahr früher unter [484] dem 16. Juni 1657 ein Patent erworben hatte. Es ist gleichgiltig, ob Bürgi schon im 16. Jahrhundert Pendeluhren verfertigte, ob Galilei oder dessen Sohn um 1640 den gleichen Gedanken hatten, da es Niemand je eingefallen ist zu behaupten, H. sei nicht selbständig zu seiner Erfindung gelangt, oder er sei es nicht gewesen, durch welchen sie allgemein sich einbürgerte. Dazu mögen zwei Umstände mitgeholfen haben, erstlich daß H. die Benutzung der Uhr zur Auffindung der geographischen Länge in gehöriges Licht setzte, zweitens daß er die Theorie des Pendels als Zeitmesser in seinem schon von der mathematischen Seite her uns wohlbekannten „Horologium oscillatorium“ (Paris 1673) zur höchsten Vollendung brachte. Unter Anwendung nur weniger Hypothesen, unter welchen das sogenannte Gesetz der Trägheit und das Huygens’sche Princip hervorzuheben sind, welches letztere darin besteht, daß bei der durch die Schwerkraft erzeugten Bewegung irgend eines Systemes der Schwerpunkt desselben niemals höher zu liegen kommen kann, als er am Anfang sich befand, hat H. nachgewiesen, daß die Zeit, welche ein Körper braucht, um in cycloidischer Bahn den tiefsten Punkt zu erreichen, unabhängig von dem Anfangspunkte dieser cycloidischen Bewegung sei, daß also ein cycloidischer Pendel isochron schwinge, ob er nun viel oder wenig aus der Gleichgewichtslage entfernt worden sei. Die einzige Schwierigkeit bestand also darin einen Pendel zu nöthigen in cycloidischer Bahn zu schwingen, und dazu diente die Evoluteneigenschaft der Cycloide, von welcher weiter oben die Rede war. In demselben Werke beschäftigt sich H. auch mit dem Schwingungsmittelpunkte des zusammengesetzten Pendels und beweist den Satz, daß Schwingungsmittelpunkt und Aufhängepunkt untereinander vertauscht werden können. In demselben Werke bespricht er die Unveränderlichkeit des Secundenpendels, welche dessen Länge zur Maßeinheit geeignet erscheinen lasse. Demselben Werke fügte er Lehrsätze über die Fliehkraft bei. Aelter als das Horologium oscillatorium sind noch die Untersuchungen über den Stoß, welche H. 1669 der londoner königlichen Gesellschaft einreichte, und welche in der Abhandlung „De motu corporum ex percussione“ enthalten sind. In ihnen findet sich die Erhaltung der lebendigen Kräfte, oder mit anderen Worten der Satz, daß nach einem Stoße die Summe der Produkte der einzelnen Massen in die zweiten Potenzen ihrer Geschwindigkeiten unverändert bleibt. Wir gehen über die Anfeindungen, welche die mechanischen Lehren des H. theilweise recht spät nach ihrem Bekanntwerden erfuhren und welche zu mitunter scharfer Polemik führten, hinweg, um unter den eigentlich physikalischen Arbeiten des H. diejenigen hervorzuheben, welche auf das Licht sich beziehen. Sie sind der Hauptsache nach in dem „Traité de la lumière“ von 1691, welcher aber 1678 bereits vollendet war, enthalten. Gleich auf einer der ersten Seiten sagt H.: „Wenn man erwägt, mit welcher Geschwindigkeit die Lichtstrahlen nach allen Seiten hin sich verbreiten und wie sie von den verschiedensten, ja von entgegengesetzten Orten ausgehend, sich schneiden und sich gegenseitig nicht verhindern, so wird man leicht erkennen, daß leuchtende Körper nicht gesehen werden vermöge eines Stoffes, der von ihnen zu uns gelangt, wie eine Kugel oder ein Pfeil die Luft durchfliegt. Dieser Annahme stehen nämlich die beiden hier angeführten Eigenschaften des Lichtes, insbesondere die zweite, im Wege. Das Licht verbreitet sich also auf andere Weise, und um diese zu erkennen ist es nützlich zu wissen, wie der Schall sich durch die Luft fortpflanzt. Nun wissen wir, daß der Schall von dem Orte, wo er entstanden ist, nach allen Seiten mit Hilfe der Luft sich verbreitet, welche ein Körper ist, den man weder sehen noch tasten kann, durch eine gewisse Bewegung, die allmählich von einem Theile der Luft zu einem anderen fortschreitet. Wir wissen, daß diese Bewegung nach allen Seiten hin mit derselben Geschwindigkeit erfolgt, so daß gewissermaßen Kugeloberflächen entstehen, welche stetig sich erweitern und endlich unser Ohr treffen. Es ist aber [485] kein Zweifel, daß auch das Licht von dem leuchtenden Körper bis zu uns vermittelst einer der zwischenliegenden Materie ertheilten Bewegung gelangt, da nun einmal, wie wir schon gesehen haben, dieses nicht vermittelst eines Körpers geschehen kann, der den Weg von dem leuchtenden Objecte bis zu uns zurücklegt.“ H. führt bei dieser Gelegenheit das Wort Lichtwellen ein. Er nimmt an, die schwingende Materie sei ein besonderer elastischer Aether. Er leitet aus diesen Voraussetzungen die bekannten Erscheinungen der Zurückwerfung und der Brechung des Lichtes ab, auch der doppelten Brechung, wie sie seit 1669 durch Bartholinus am Kalkspathe bekannt geworden war, kurzum er gibt eine Undulationstheorie des Lichtes in bewußtem Gegensatze zu Newton, welcher seit 1672 eine ausgebildete Emanationstheorie vertrat. Nur eine wichtige Erscheinung, welche H. entdeckte, entzog sich noch seiner Erklärung. Es ist das sogenannte Huygens’sche Experiment, welches in der Lehre von der Polarisation des Lichtes vorkommt und darin besteht, daß man einen Punkt durch zwei aufeinander gelegte Kalkspathrhomboeder betrachtet, wobei im Allgemeinen vier Punkte gesehen werden, wovon nur in zwei bestimmten zu einander senkrechten Lagen des einen beweglichen Kalkspaths zwei verschwinden. Diese Erfahrung beschreibt H., gesteht aber ihren Grund nicht einzusehen. Die Brechung des Lichtes hat alsdann H. nochmals ausführlich in seiner nachgelassenen Dioptrik behandelt, in welcher die Anfertigung von Teleskopen beschrieben wird. Auch praktisch hat H. und unter seiner Leitung namentlich sein Bruder, der Staatsmann Constantin H., sich vielfach mit Herstellung von Fernröhren, insbesondere mit Schleifen von Linsen beschäftigt, und die englischen und niederländischen physikalisch-astronomischen Sammlungen bewahren bis auf den heutigen Tag solche Proben der Geschicklichkeit der beiden Brüder. Auch auf anderen Gebieten der Physik hat H. sich Verdienste erworben. Versuche über die Elasticität von Kugeln, welche beim Niederfallen vorübergehend breitgedrückt wurden, wie sich bemerklich machen läßt, sind in der Abhandlung vom Lichte beschrieben. Im December 1672 construirte er ein sehr empfindliches Barometer, dessen schon bei Ortsveränderung um eine gewöhnliche Thurmhöhe bedeutende Veränderung es zur Höhenmessung eignet, welche zwar seit 1648 durch Pascal bekannt, doch in der Ausführung noch manchen Schwierigkeiten unterworfen war. Andere Apparate müssen wir wieder übergehen, da es uns hier nicht auf erschöpfende Vollständigkeit, sondern nur auf Würdigung der bedeutendsten Leistungen von H. ankommt. Zu diesen gehört unstreitig eine astronomische Entdeckung, welche ihm am 25. März 1655 schon gelang und welche 1656 angedeutet, 1659 ausführlich in dem Systema Saturnium geschildert, nicht wenig dazu beitrug den Ruhm des jungen Entdeckers zu erhöhen. Aus dem Namen der betreffenden Abhandlung ist zu entnehmen, daß es sich um den Planeten Saturn und dessen System handelt. Die sonderbare Gestalt dieses Planeten bald mit, bald ohne Anhängsel an beiden Seiten war 1610 durch Galilei erkannt, war durch häufige Beobachtungen eines Fontana, eines Gassendi, eines Hevel und Anderer bestätigt, aber niemals erklärt worden. H. erkannte erstlich einen Mond mit einer Umlaufszeit von beiläufig 16 Tagen und zweitens das merkwürdige Gebilde des Ringes, welcher gegen die Ekliptik geneigt den Saturn umgibt, ohne irgend mit ihm zusammenzuhängen. In derselben Abhandlung bildete H. den Nebel im Gürtel des Orion ab, welcher von Cysat vor 1618 erstmalig bemerkt worden war, und es war wieder H., der die von Fontana bemerkten dunkeln Flecken auf der Marsscheibe in noch jetzt erkennbarer Weise gezeichnet hat. Solche Zeichnungen konnten ohne vorhergegangene Messungen nicht angefertigt werden, und in der That ist der Name von H. der erste, welcher in der Geschichte der Erfindung von Mikrometereinrichtungen genannt wird. Die [486] rechnende Astronomie verehrt alsdann in H. denjenigen, welcher Picard’s Vermuthung, die Erde sei keine vollkommene Kugel, in Zahlen umsetzte und in seiner Abhandlung von 1691 „Discours de la cause de la pesanteur“ aus Betrachtungen über die Einwirkung der Fliehkraft auf einen nicht völlig harten in Drehung befindlichen Körper eine Abplattung der Erde von mindestens 1/578 ableitete, ein Ergebniß, welches nur in der Zahlengröße von den gleichzeitigen unabhängigen Rechnungen Newton’s abweicht. Letzterer fand nämlich 1/229, allerdings in größerer Uebereinstimmung mit der gegenwärtigen Annahme, die in runden Zahlen eine Abplattung von 1/300 feststellt. Eine letzte Schrift, während deren Druck der Tod des Verfassers eintrat, „Κοσμοθεωρος“ betitelt (1698), lehrt uns H. als dichterischen Astronomen kennen, wenn man so sagen darf, welcher die Bewohnbarkeit der Planeten aus ihrer Aehnlichkeit mit der Erde zu beweisen sich zur Aufgabe stellt. Ein wahrhaft frommer Hauch durchweht dieses Werk; aus jeder Zeile geht die anbetende Bewunderung des Geschöpfes für seinen Schöpfer hervor; und es zeigt sich hier wie in so vielen Fällen, daß je umfassender das Wissen, um so stärker der Glaube ist, während nur Halbwissen sich erfrecht des Glaubens entbehren zu können.
Huygens: Christian H., Mathematiker, Physiker und Astronom, geb. am 14. April 1629 im Haag, † ebenda am 8. Juni 1695, Sohn- Vgl. die Biographie von H. an der Spitze seiner Opera varia, bearbeitet von G. J. s’Gravesande. – Condorcet, Éloge d’Huygens. – Oratio de fratribus Christiano atque Constant. Hugenio. Groningen 1838. – P. Harting, Christian Huygens in zijn Leven en Werken geschetst. Groningen 1868. – Joh. K. Fischer, Geschichte der Physik, Bd. I, II, III, IV, VI, VII passim. – M. Chasles, Aperçu historique sur l’origine et le développement des methodes en géométrie etc. passim. – E. Dühring, Kritische Geschichte der allgemeinen Principien der Mechanik, II. Abschnitt Kapitel 2 und III. Abschnitt Kapitel 2. – R. Wolf, Geschichte der Astronomie passim.
- Im Beginn des Artikels auf S. 480, Z. 1 v. u. lies 1649 (st. 1669).