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ADB:Heinrich von Nördlingen

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Artikel „Nördlingen, Heinrich von“ von Philipp Strauch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 7–11, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heinrich_von_N%C3%B6rdlingen&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:32 Uhr UTC)
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Nördlingen, Heinrich von N., deutscher Mystiker des 14. Jahrhunderts. Ueber das Leben des Weltpriesters H. v. N. sind wir unterrichtet durch seine in den Jahren 1332–1350 mit seinem Beichtkinde Margareta Ebner, Dominicanerin zu Maria Medingen (s. A. D. B. XX, 332) geführte Correspondenz sowie der letzteren Offenbarungen, die sich vielfach mit Heinrich, dem „getreuen Freunde Gottes“ beschäftigen. Zu der Zeit, als dieser die Ebnerin kennen lernte (1332), wirkte er als Weltpriester in seiner Heimath Nördlingen, umgeben von einem Kreise frommer, meist adliger Frauen, zu denen auch seine Mutter gehörte. Zu der benachbarten Cistercienserabtei Kaisheim und den ihr untergeordneten Frauenklöstern Ober- und Niederschönenfeld und Zimmern stand er in nahen Beziehungen. In Engelthal war es die gottbegnadete Christina Ebner, mit der er brieflich verkehrte und bei der er in späteren Jahren einmal längere Zeit sich aufhielt. Auch im Frauenkloster zur Klause in Höchstädt sowie im Benedictinernonnenkloster Hohenwart zwischen Augsburg und Ingolstadt scheint H. persönlich bekannt gewesen zu sein. Ein besonders häufiger Gast aber war er bei den Dominicanerinnen von Maria Medingen. Wenn hier M. Ebner als nächste Geistesverwandte seine vertrauteste Freundin wurde, so verstand er es gleichfalls, ihre Mitschwestern dauernd an sich zu fesseln. Auch für diese sowie für viele andere äußere Freunde des Klosters hatte H. in seinen Briefen stets einen herzlichen Gruß, ein freundliches Wort, selbst eine aufmerksame Gabe bereit. Es war ein großer Kreis mystischer Seelen, die schon damals in H. ihren geistlichen Berather und Führer verehrten. Als H., veranlaßt durch die Streitigkeiten zwischen Kaiser und Papst, Ende 1335 eine längere Reise nach Avignon antrat, verabschiedete er sich brieflich von M. Ebner mit der Bitte, recht oft an ihn zu schreiben. Er ermahnte sie, eifrigst für das mystische Leben in Medingen zu wirken und möglichst viele Frauen für ein „gemeines Leben“ zu gewinnen: es war also geradezu auf einen mystischen Verein abgesehen. Auf der Heimreise (Frühjahr 1337) blieb er einige Zeit auf Burg Neuhofen unweit Speier bei einer nicht näher bezeichneten Herzogin und kehrte dann über Speier und Schwäbisch Gmünd nach Nördlingen zurück, ohne daß er Zeit gefunden hätte, unterwegs die Freundin in Medingen zu begrüßen. Als sich H. im Juli 1338 schon zu einem Besuche nach Medingen rüstete, wurde er unerwartet nach Kaisheim zum Abte Ulrich II. berufen, der mit ihm über die Besetzung der zu Kaisheim gehörigen Pfarre Fessenheim, für die H. in Aussicht genommen war, zu verhandeln hatte. Die Besetzung von Fessenheim hatte Zwistigkeiten im Gefolge, über die jedoch Heinrichs briefliche Auslassungen uns nicht genügenden Aufschluß geben; sicher ist, daß außer H. sich noch Andere um die Stelle bewarben. Alles schien ihm günstig, – da wurden mit einem Male Heinrichs Aussichten für die Zukunft jäh durchkreuzt durch das von Kaiser Ludwig auf [8] dem Frankfurter Reichstage erlassene Gesetz vom 6. August 1338, welches befahl, fortan die päpstliche Excommunication und das Interdict unbeachtet zu lassen und den Gottesdienst wieder aufzunehmen bei Strafe der Friedlosigkeit. H., der Kirche treu ergeben und – darin allein bei sonst völliger Meinungsgleichheit in schroffstem Gegensatz zu M. Ebner – ein erklärter Gegner des Kaisers, sah nun seine Tage in der Heimath gezählt. Einstweilen hatte H. noch in Nördlingen die Stimmung für sich und man versprach ihm, so lange als irgend möglich seiner schonen zu wollen. Bald aber wurde Heinrichs Lage kritischer. Er ging nach Augsburg, wo am 22. October vor dem Bischof in Sachen der Fessenheimer Pfarre entschieden werden sollte. Ueber den Ausgang des bischöflichen Schiedsgerichtes verlautet nichts; fest steht nur, daß H. noch Ende 1338 die Heimath verließ, da er sich den Gesetzen des Kaisers nicht fügen wollte. Zuerst wandte er sich nach Konstanz, wo er aber die Verhältnisse nicht günstiger als daheim fand, denn auch Konstanz stand auf Seiten des Kaisers. Auch hier war seines Bleibens nicht; zudem war Heinrich Seuse, den er aufsuchen wollte – später zog sich H. von diesem zurück – nicht anwesend. So ging er denn in den ersten Januartagen 1339 mit guten Empfehlungen nach Kloster Königsfelden im Aargau zur Königin Agnes von Ungarn und da er auch hier nichts ausrichtete, gelangte er schließlich nach Basel, wo das Interdict beobachtet wurde, der Clerus also unbehelligt war. Aus ähnlichen Gründen, die H. hierher führten, hatte auch Tauler Straßburg verlassen und in Basel seinen Aufenthalt genommen. Dieser, Heinrichs „lieber und getreuer Vater“ und gleichfalls ein Verehrer der M. Ebner, nahm sich des flüchtigen Weltpriesters an und erwirkte ihm Herberge im Spital sowie die Befugniß, geistlich zu functioniren. Hier predigte H. nun vom 24. Januar an täglich, ja oft zweimal am Tage, mit ganz ungewöhnlichem Erfolge. Reich und Arm strömte ihm zu. Jeder hätte gern bei ihm gebeichtet, wenn er nur alle hätte hören können. Bei den Deutschherren, wo H. einen Herrentisch hatte, las er täglich Messe und erfreute sich auch bei ihnen zuvorkommendster Behandlung. Die Bürger der Stadt erwarben ihm die Erlaubniß, vierzig Tage lang in seiner Predigt Absolution zu ertheilen. Man bot ihm Pfarren, Capellen und Pfründen an, die Orden suchten seinen Eintritt. H. klagte der M. Ebner, er sei zu sehr beschäftigt mit Beten, Predigen, Messelesen, Beichtehören, Studiren und Schreiben, dabei oft durch Ueberarbeitung krank, er käme vor lauter Predigen und Beichte hören nicht mehr zu sich selbst und zu innerer Andacht. Hie und da versäumte er sogar eine Messe oder Beichte, nur um einmal Briefe schreiben zu können. M. Ebner, die die etwas haltlose, bald überströmende, bald niedergeschlagene Gemüthsart Heinrichs besser als er selbst kannte, hatte gleich im Beginn seiner Basler Wirksamkeit Sorgen, daß dies neue Leben für H. nicht das richtige wäre und er dabei Schaden an sich selbst nehmen würde. H. ließ sich von den Verhältnissen willenlos tragen und beherrschen, ohne ihnen ein inneres Gegengewicht zu bieten. Es konnte natürlich nicht ausbleiben, daß seine Stellung in Basel vielfach beneidet, er selbst bald angefeindet wurde. Das Volk hing ihm an, aber von der Geistlichkeit hatte er wegen des Erfolges seiner Predigt und der Beliebtheit beim Publicum „viel giftige Stöße“ zu erdulden. Heinrichs oft zum Ausdrucke gebrachte Sehnsucht nach Margareta bricht auch in den Briefen dieser Zeit immer wieder hervor. Ginge „der Baier“ aus dem Lande, dessen Nähe ihn hindere, mit ruhigem Gewissen daheim zu sein, so hoffe er Margareta mit Gottes Willen bald zu sehen. Auch aus anderen Gründen mußte H. seinen oft geplanten Besuch in Medingen immer wieder aufschieben. Er war in Basel nicht sein eigener Herr, sondern fühlte sich gegenüber einem ganzen Capitel und der besten Pfarre, [9] die seiner Seelsorge anvertraut waren, gebunden. Auf Margaretas wiederholtes Bitten, nach Medingen zu kommen, suchte er im folgenden Jahre 1340 sich dem Lützeler Abte, der sich nach Kaisheim begab, anzuschließen; allein er bekam keinen Urlaub und fühlte sich überdies wie so oft krank. Erst Anfang November 1341 sah H. nach langer Trennung die Freundin wieder, dann abermals im October 1344, wo er Margareten das Versprechen abnahm, ihre Offenbarungen im Zusammenhange niederzuschreiben. In der ersten Zeit des Jahres 1345 traten für die Diöcese Basel durch päpstliche Gnade Erleichterungen in Bezug auf das Interdict ein. Um Ostern wurde wieder öffentlich Messe gelesen und das Abendmahl konnte allen gereicht werden. Da hatte H. nach dieser Seite hin vollauf zu thun: Tauler schrieb damals an die Ebnerin, H. sei so in Anspruch genommen, daß er über des Papstes Erlaubnis zürnen könne. Es war in Basel eine „heilige vornehme geistliche Gesellschaft“, in der sich H. und seine seit Herbst 1339 bei ihm befindliche Mutter bewegten. Von Jahr zu Jahr steigerte sich die Zahl ihrer Glieder und selbst von Nördlingen aus besuchten zeitweise alte Freunde und Freundinnen den nun in der Ferne wirkenden mystischen Seelsorger. Mit am innigsten aber hatte sich Margareta zum goldenen Ring aus einem Basler Geschlechte und deren Beichtvater Herr Heinrich von Rumerschein zu St. Peter an H. angeschlossen. Sie sind es, durch die später Heinrichs während seiner Basler Zeit entstandene hochdeutsche Uebersetzung der Offenbarungen Mechthilds von Magdeburg (s. A. D. B. XXI, 154) als ein kostbares Vermächtniß an die Waldschwestern nach Einsiedeln kam und dort bis auf unsere Zeit sich erhalten hat. Auch außerhalb Basels knüpfte H. Beziehungen an: zu dem zur Basler Diöcese gehörenden Cistercienserklosier Lützel hatte ihn sein altes Verhältniß zu Kaisheim geführt, andererseits verkehrte er im Frauenkloster Unterlinden zu Colmar, wo sich das mystische Leben zu besonders reicher Blüthe entwickelt hatte. Von dort wie vom Dominicanerinnenkloster Klingenthal zu Basel übersandte man H. öfter Gaben, meist Reliquien, für M. Ebner. – Im J. 1345 war H. in Straßburg, wo er mit Rulman Merswin (s. A. D. B. XX, 459) und dessen Frau bekannt wurde. Anfang 1346 unternahm er eine größere Reise nach Köln und Aachen, um Reliquien zu sammeln. Er brachte viele Heiligthümer mit zurück, von denen er einige Margareta zum Geschenk machte in der Zuversicht, ihr würde durch göttliche Eingebung die Gewißheit werden, ob man ihn auch nicht betrogen hätte. Der Königin Agnes von Ungarn stattete H. gleichfalls in diesem Jahre in Königsfelden einen Besuch ab und verhandelte mit ihr über Medinger Angelegenheiten, namentlich über eine Beisteuer zu einem am dortigen Refectorium vorzunehmenden Bau. Im Juli 1347 erhielt H. vom Basler Bisthum den ehrenden Auftrag, nach Bamberg zu gehen, um vom dortigen Domcapitel Reliquien des heiligen Kaisers Heinrich II. und seiner Gemahlin Kunigunde für das Basler Münster zu erbitten und ihre Ueberführung nach Basel zu leiten. Auf der Hin- und Heimreise sprach H. in Medingen vor. Am 4. November langte H. unter feierlicher Einholung mit den Reliquien wieder in Basel an. Trotz aller Anerkennung, die H. in Basel fand – das dortige Leben und Wirken vermochte seinen unruhigen Sinn nicht auf die Dauer zu fesseln. 1348 oder 1349 wandte er sich zum größten Leidwesen seiner Basler Freunde nach Sulz im Elsaß, wo er ganz auf sich angewiesen war; die so lang ersehnte Einsamkeit erschien ihm nun aber nicht als die selbstgewählte Ruhe und Ausspannung zur Sammlung seiner selbst, sondern er empfand sie gegenüber dem einstigen geräuschvollen Leben als Leere und Oede. Wol hatte ihn seine Mutter auch nach Sulz begleitet und noch andere Kinder Gottes vertrauten sich seiner Führung an: H. wurde in Sulz nicht heimisch, er war neuen Anfeindungen ausgesetzt und noch im J. 1349 finden wir ihn abermals [10] unterwegs und zwar als Wanderprediger, von einer Stadt zur andern ziehend, ohne festen Wohnsitz in einem Convente. Vorübergehend war er jetzt nochmals in Straßburg. In den ersten Monaten des Jahres 1350 endlich betrat H. nach langem Umherirren in der Fremde wieder die Heimath; seine Mutter war kurz vorher gestorben. Von Ulm aus kündigte er M. Ebner sein baldiges Kommen an, aber nicht lange sollte sich H. ungetrübt der wiedererworbenen Heimath und der Nähe Margaretas erfreuen. Als die Medinger Freundin am 20. Juni 1351 starb, fühlte er sich in der durch seine lange Abwesenheit ihm fremd gewordenen Heimath einsam und verlassen. Aufs neue begann er ein Wanderleben und suchte (November 1351) bei der bereits 74jährigen Christina Ebner (1277–1356) in Engelthal Ersatz für das, was er in Margareta verloren hatte. Christinas Visionen bezeugen, wie bedeutsam und eingreifend auch auf sie H. zu wirken verstand. Damit aber verschwindet jede weitere Spur über Heinrichs Leben. Wir wissen nicht, wo und wann er gestorben ist. – Heinrichs Briefe sind nicht nur die Hauptquelle für sein Leben, aus ihnen allein auch gewinnen wir Einsicht in den Verkehr der mystischen Kreise und Gottesfreunde untereinander. So wird z. B. das Verhältniß zwischen Beichtiger und Beichtkind in den Frauenklöstern des Mittelalters nirgends reichhaltiger illustriert als durch Heinrichs Briefwechsel, der zugleich die älteste uns erhaltene Briefsammlung in deutscher Sprache ist, das Wort Briefe im modernen Sinne genommen. Ist auch die Correspondenz im Einzelnen etwas schablonenhaft angelegt, so zeichnet sie sich doch durch Mannigfaltigkeit des Inhalts aus, insbesondere gewährt sie für die Culturgeschichte reiche Ausbeute. Keine Begebenheit, sie mag noch so unbedeutend, keine Stimmung, sie mag noch so vorübergehend sein, wird unberührt gelassen: H. setzt alles in Beziehung zu seiner Freundin. Wo er auch weilt, redet er von ihr und so sind seine Freunde auch die ihrigen und bezeugen nicht selten ihre Verehrung durch Gaben, die dann H. übermittelt. Der häufigste Geber war aber Heinrich selbst, andererseits wurde er wieder von den Medinger Schwestern beschenkt. Groß ist die Zahl und Mannigfaltigkeit der Geschenke, Aufträge und Bestellungen, die in den Briefen namhaft gemacht werden. Jedoch nicht nur durch äußere Dinge, nicht nur durch sein gesprochenes oder geschriebenes Wort war H. bemüht, die Medinger Nonnen in ihrem geistlichen Leben zu festigen: er sorgte auch dafür, daß sie durch gute Lectüre sich für das Ewige vorbereiteten. Er versah Medingen, Schöllenfeld, Kaisheim und Engelthal mit geistiger Nahrung. Er selbst setzte u. a. Mechthilds von Magdeburg niederdeutsche Offenbarungen ins Hochdeutsche um und sandte sein Werk von Basel nach Kaisheim, Medingen und Engelthal. Von einer eigentlichen mystischen Lehre ist in Heinrichs Briefen nichts zu finden: ohne irgend welche Speculation geht bei ihm alles im Gefühle auf. Hie und da wol mystisch angehaucht, ist er doch im Allgemeinen mehr Praktiker und Mystiker vom Hörensagen. Im Umgange mit den Mystikern und mit ihren Schriften vertraut, eignete er sich eine mystische Predigtweise an, die beim Publicum deshalb so großen Beifall fand, weil die mystische Richtung damals in Deutschland, insbesondere bei den Frauen Mode geworden war. H. aber war recht eigentlich ein Frauenprediger; sein frommes, kindliches Gemüth, sein liebenswürdiger, lenksamer weil wenig energischer Charakter gewann ihm in erster Linie die Sympathien des weiblichen Geschlechtes. An Geist und Verstand einem Tauler und Seuse weit nachstehend, fand er für die überschwengliche Inbrunst seines religiösen Empfindens einen neben manchem unklaren und überspannten oft doch auch wirklich schönen und poetischen Ausdruck. Aehnlich wie Mechthild von Magdeburg fließt seine Prosa nicht selten in Reime und Verse über; seine Sprache ist reich an neuen Wortbildungen, die Darstellung meist gewandt und immer lebhaft. [11] Mit Gelehrsamkeit prunkt H. nicht: außer biblischen Citaten, die er gerne paraphrasirt, nennt er nur Gregor, Augustin und vielleicht den h. Anselm. Mechthild v. M., der er größere Stellen entlehnt, hat ihn auch sonst vielleicht hie und da im Ausdrucke beeinflußt; außerdem beruft er sich gern auf Aussagen und Erlebnisse anderer Gottesfreunde.

Litteratur s. unter Margaretha Ebner Bd. XX, S. 334.