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ADB:Heine, Johann Georg

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Artikel „Heine, Johann Georg“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 354–357, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heine,_Johann_Georg&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 20:10 Uhr UTC)
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Heine: Johann Georg H., berühmter chirurgischer Instrumentenmacher und Orthopäde zu Würzburg und im Haag, wurde am 23. April 1770 zu Lauterbach im würtembergischen Schwarzwalde als Sohn einer Bauernfamilie geboren und, da er Neigung zu dem Stande eines Feuerarbeiters verspürte, zu einem Messerschmied in einem benachbarten Städtchen des Schwarzwaldes in die Lehre gethan. Er bildete sich dann für seine Kunst als Instrumentenmacher auf 10jähriger Wanderung, von 1788 an, namentlich in Mainz, Düsseldorf, Göttingen und Berlin aus, indem er sich Zutritt zu anatomischen und chirurgischen Verrichtungen zu verschaffen wußte, und wurde, als die medicinische Facultät von Würzburg 1798 einen Instrumentenmacher für sich und das Juliusspital suchte, von Berlin aus als solcher empfohlen. Nach Ueberwindung von mancherlei ihm von den Beamten der fürstbischöflichen Regierung bereiteten Schwierigkeiten und nach Anfertigung eines Meisterstückes in einem ihm bewilligten Interims-Locale erlangte er die Erlaubniß zur Niederlassung und zur Errichtung einer Werkstätte, deren Aufrechterhaltung in den ersten Jahren nur mit großer Mühe und nur durch die thätige Unterstützung der Professoren v. Siebold (Vater und zwei Söhne), Brünninghausen und Hesselbach gelang. Die Verhältnisse besserten sich jedoch nach und nach, als Heine’s Geschicklichkeit bekannter wurde, und mehr noch mit der 1802, nach der Uebernahme Würzburgs durch die baierische Regierung, erfolgenden Umgestaltung der Universität. Er wurde dabei zum Universitäts-Instrumentenmacher und Bandagisten mit einem kleinen Gehalte ernannt, mit der Verbindlichkeit, die von Zeit zu Zeit nöthigen Reparaturen an den chirurgischen Instrumenten des Juliusspitales zu besorgen. Kein Ort konnte übrigens einem strebsamen Manne von Heine’s Art damals glücklichere Verhältnisse darbieten, als Würzburg. Aus eigenem Antriebe besuchte H. die Anatomie und sah daselbst die Arbeiten Hesselbach’s und seiner Schüler; im Juliusspitale beobachtete er die Operationen Caspar’s und seines Sohnes Barthel’s v. Siebold und lernte die mechanischen Bedürfnisse der Chirurgie bei denselben kennen. Dabei ging kein Instrument aus seiner Werkstatt hervor, das er nicht nachgesehen oder geprüft, kein scharfes, dem er nicht die letzte Schneide eigenhändig gegeben hätte. In wenigen Jahren hatte sich der Ruf seiner Instrumente über Deutschland verbreitet, Bestellungen kamen bereits reichlich an. Inzwischen studirte er, oft mit Zuhülfenahme der Nächte, eifrig Werke über Anatomie, Operationen und Verbände, und gab als eine Frucht seiner historischen Studien über letztere (1807) ein „Systematisches Verzeichniß chirurgischer Instrumente, Bandagen und Maschinen“ heraus, die er zu den beigesetzten Preisen verfertigte. Durch das Lesen der Schriften von Schreger, Scarpa und Jörg über Rückgratsverkrümmungen und Klumpfüße und deren mechanische Behandlung, sowie durch die Anfertigung von Maschinen und Bandagen für Kranke des Juliusspitales, die mit verschiedenartigen [355] Deformitäten behaftet waren, wurde er veranlaßt, sich näher mit der Orthopädie zu beschäftigen, während der freundschaftliche Umgang mit jungen Chirurgen (Barthel und Elias v. Siebold, C. J. M. Langenbeck, Vincenz Adelmann u. A.) nicht wenig seine Anschauungen und Kenntnisse von anatomischen und chirurgischen Dingen förderte. An eigenen Erfindungen sind aus dieser Zeit zu nennen: Der bekannte Tirefond (1808), eine doppelt-konische Trepankrone, eine neue Extensionsmaschine für Beinbrüche und ein künstliches Bein für Ober- und Unterschenkel (1811), Erfindungen, über die er, ebenso wie über die bei Anlegung von Bruchbändern zu befolgenden Prinzipien, in seinem 1811 herausgegebenen „Neuen Verzeichniß chirurgischer Instrumente, Bandagen und Maschinen“ einige Bemerkungen machte. – Der russische Krieg von 1812, in welchem die Rheinbundstruppen mit allen ihren Kriegsrequisiten auch ihre chirurgischen Feldapparate eingebüßt hatten, führte der sich bereits eines ausgebreiteten Rufes und der besten Einrichtungen erfreuenden Werkstätte Heine’s eine solche Fülle von Bestellungen zu, daß dadurch seine bis dahin von Kummer und Sorge keinswegs freie ökonomische Lage mit einem Male sich verbesserte und er sich in die Lage versetzt sah, weitere Studien und Experimente theils an den verstümmelten Gliedern der Kriegsinvaliden, theils an Klumpfüßen und Rückgratsverkrümmungen, auf deren Behandlung er jetzt immer mehr sein Augenmerk richtete, zu machen. Namentlich unter dem an Stelle des früh (1814) verstorbenen Barthel v. Siebold als Oberwundarzt des Juliusspitales getretenen Prof. Dr. Markard, in den Jahren 1814, 1815 erhielt H. besonders viel freie Hand, seine Apparate bei Kranken des Spitals, sogar auch bei frischen Knochenbrüchen, zu erproben. – Im Jahre 1814 wurde H., dessen Ruf als geschickter orthopädischer Mechaniker auch bereits im Auslande sich zu verbreiten angefangen hatte, nach Frankfurt a/M. berufen, um auf Veranlassung von K. v. Wenzel, bei einem Falle von angeborener oder veralteter Verrenkung des Oberschenkelkopfes sein mechanisches Talent in Anwendung zu bringen. Er hatte dabei die Genugthuung, sich den Beifall des berühmten Dupuytren, dem der betreffende Kranke ebenfalls bekannt war, zu erwerben und führte andererseits diese Consultation in Frankfurt zu weiteren, in anderen angesehenen Familien dieser Stadt, die ihm dadurch gewissermaßen zur zweiten Heimath wurde und in ihm den Plan reifte, eine orthopädische Heilanstalt zu errichten. – Ein Besuch, den Graefe, 1815 aus dem Feldzuge in den Niederlanden zurückkehrend, in Würzburg machte, leitete für H. einen Ruf als Instrumentenmacher und Bandagist für die Universität nach Berlin ein, der sich aber zerschlug, als die baierische Regierung durch Erhöhung seines Gehaltes, durch die Verleihung eines Ehrenzeichens, mehr aber noch durch die Einräumung einer Wohnung in einem ehemaligen Kloster (1816) Schritte that, um ihn an Würzburg zu fesseln. Nachdem er schon seit mehreren Jahren orthopädische Kranke des In- und Auslandes behandelt hatte, war er jetzt in die Lage versetzt, eine orthopädische Heilanstalt zu errichten, indem er durch Einschränkung seiner eigenen Wohnung auf den kleinsten Raum, neben der Ausdehnung der Werkstatt, für die Unterbringung von Kranken einige Zimmer gewann, zu denen nach 1½ Jahren noch eine weitere ihm gewährte Reihe von Zimmern hinzutrat. So war ein orthopädisches Institut gegründet und H. hatte nunmehr in größerem Maßstabe Gelegenheit, seine Ideen auszuführen und die von ihm erfundenen Maschinen zu erproben. Die dabei erzielten Erfolge führten ihm bald Patienten auch aus den höheren und höchsten Ständen zu. Mit einer der letzteren, einer jungen Prinzessin, die H., nachdem sie vorher weder stehen noch gehen konnte, durch seine unermüdliche Sorgfalt der Heilung nahe gebracht hatte, ereignete sich der Zwischenfall (1821), daß der bekannte, mit Wunderkuren sich beschäftigende Domcapitular von Bamberg, Fürst Hohenlohe, nebst seinem Jünger [356] oder vielmehr Lehrer, dem Bauern Martin Michel in Heine’s Anstalt sich Zutritt verschaffte und die auf ganz natürliche Weise erfolgte Wiederherstellung der Patientin für eine von ihm bewirkte Wunderheilung aussprengte. Leider aber ließ sich H., dem Wunsche mehrerer Patienten entsprechend, dazu bestimmen, dem geistlichen Fürsten in seinem Institute Heilungsversuche zu gestatten, selbstverständlich ohne daß dieselben von dem geringsten Erfolge begleitet waren. Eine glückliche Kur in der vertriebenen Königsfamilie von Schweden führte dahin, daß die nahe verwandte Königin Caroline von Baiern den Schutz von Heine’s Anstalt übernahm, welche von da an den Namen „Carolinen-Institut“ führte, daß alle seine Wünsche für Erweiterung der innegehabten Räumlichkeiten gewährt, die Lasten, welche darauf noch ruhten, völlig aufgehoben oder vermindert wurden und H. der Titel eines Demonstrators der Orthopädie an der Universität und Assessors der medicinischen Facultät (1824) verliehen wurde. Die erweiterten Räume des Instituts füllten sich bald mit Hülfesuchenden, meistens aus Norddeutschland, Rußland und Polen, in geringerer Zahl aus Süddeutschland; die Leitung der Anstalt und der in ihr vorzunehmenden baulichen Veränderungen in Bezug auf Badeanstalten, Küchen, Zimmer, freie Communication der Gänge, die Leitung der Werkstätten, welche nun nicht mehr blos Feuerarbeiter, sondern auch Schreiner und Sattler beschäftigten, nahmen Heine’s vollste Thätigkeit in Anspruch. Zu dieser Zeit war es auch, wo er an Holzpuppen mit sehr kunstvollen Gelenkverbindungen alle orthopädischen Krankheitsformen darzustellen versuchte und bei diesen, wie bei künstlich nachgeahmten Beinbrüchen und Verrenkungen die den betreffenden Zuständen entsprechenden Heilungsapparate anlegte. Von diesen (1827) in einer besonderen Schrift beschriebenen Modellen blieb eine Sammlung in Würzburg, eine zweite wurde, auf besonderen Wunsch des Kaisers Alexander, nach St. Petersburg abgegeben. – Indessen auf der Höhe eines wohlverdienten Ruhmes stehend, durch die Frequenz seines Institutes in eine glänzende ökonomische Lage versetzt, ließ sich H. durch die Lebhaftigkeit und Unruhe seines Geistes auf Abwege führen, indem er auch für innerliche Krankheiten ein neues therapeutisches System gefunden zu haben glaubte, das, da seine Kenntnisse der inneren Arzneimittel diejenigen eines Laien nicht überstieg, auf Blutlassen, Senfteige, Schwitzen, vorzugsweise aber auf Umschläge und Bäder basirt war, von denen die letzteren ihm einer besonderen Berücksichtigung als das größte Arcanum werth schienen. Auf einem Ausfluge nach Holland 1828, nach dem zu Scheveningen versuchten Selbstgebrauche einiger Seebäder, faßte er eine unwiderstehliche Vorliebe zu diesem Elemente, welches seinem Badesystem einen neuen Vorschub versprach und entschloß sich, sein Institut dorthin zu verlegen. Nachdem er den König Wilhelm I. für seine Person und Sache dergestalt einzunehmen gewußt hatte, daß ihm die möglichste Unterstützung bei Gründung seines neuen Institutes im Haag versprochen wurde, wurde für dasselbe eines der schönsten Häuser daselbst angekauft und zwischen dem Haag und Scheveningen 1829 eine Seebadeanstalt errichtet; das Mutterinstitut in Würzburg übernahm sein Neffe und Schwiegersohn, Bernhard H. (s. diesen). In seinem bald gefüllten neuen Institut beschäftigte sich H. zunächst und ganz sachgemäß vorzüglich mit den Bildungshemmungen oder Entwickelungskrankheiten der unteren Extremitäten, besonders mit lähmungsartigen Zusammenziehungen und angeborenen Hüftgelenksverrenkungen; als er aber anfing, seine excentrischen therapeutischen Ideen und seine Ansprüche auf die Reformation der gesammten Heilkunde den Aerzten gegenüber zur Geltung zu bringen, als er so verwegen wurde, die auch in Scheveningen erschienene Cholera – mit Senfmehlbädern – heilen zu wollen (er schrieb nicht weniger als 8 Schriften über dieselbe von 1833–38), beschränkte dies Alles, zusammengenommen mit den [357] politischen Zeitumständen, dem belgischen Aufstande, seine orthopädische Thätigkeit bald von weiten Räumen auf sehr enge. Den Mißcredit, in welchen seine Anstalt verfallen, für etwas Vorübergehendes haltend, glaubte er durch den Glanz schriftstellerischer Arbeiten einen Zufluß von Heilbedürftigen aller Art wieder herbeiführen zu können und untergrub durch diese ungeordneten Versuche, welche große Summen verschlungen, sein zerrüttetes Hauswesen nur noch mehr. Seine Pläne richteten sich jetzt auf die Gründung einer orthopädischen Anstalt in England; indessen schwere Krankheit, von der er befallen wurde, vereitelte sie. Sein Tod erfolgte am 7. September 1838 an einer Herzkrankheit im Haag; seine Gebeine ruhen auf dem Würzburger Kirchhofe.

H., ein mechanisches Genie, hat mit den Mitteln, welche die Mechanik zu geben vermag, Alles geleistet, was diese in der Orthopädie zu erreichen im Stande ist. Neben den orthopädischen Apparaten auch die Gymnastik, oder gar die erst kürzlich von Stromeyer erfundenen subcutane Tenotomie zu gebrauchen, hielt er, ebenso wie er die Beihülfe der inneren Medicin verachtete, für unter seiner Würde. Trotz dieser Einseitigkeit und trotz der am Ende seines Lebens in die Erscheinung getretenen corrupten Ideen und Bestrebungen, ist ihm das Verdienst nicht abzusprechen, der Begründer der deutschen Orthopädie geworden zu sein.

Vgl. J. G. Heine, nach seinen früheren Lebensverhältnissen und seiner Bildung in der chirurgischen Mechanik sowohl, als in den physischen und medizinischen Wissenschaften zum orthopädischen Heilkünstler, von ihm selbst geschildert. Mit dessen Bildnisse. Würzburg 1827. 4. – Joseph Heine, Physio-pathologische Studien aus dem ärztlichen Leben von Vater und Sohn. Eine Gedächtnißschrift für Joh. Georg Heine, den Orthopäden. Stuttgart und Tübingen 1842. – Joh. Georg Heine’s Schriften s. Callisen, Medicin. Schriftsteller-Lexikon Bd. VIII. S. 279, Bd. XXVIII. S. 447. – W. Engelmann, Bibliotheca med.-chir. S. 235.