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ADB:Heine, Jacob von

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Artikel „Heine, Jacob von“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 351–354, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heine,_Jacob_von&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:12 Uhr UTC)
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Heine: Jacob von H., königl. württembergischer Geheimer Hofrath, Orthopäde, gehört einer Familie an, von der mehrere Mitglieder sich um die Orthopädie, chirurgische Mechanik und Chirurgie große Verdienste erworben haben; er war Neffe von Johann Georg H. (s. diesen), Vetter von Bernhard H. (s. diesen), Vater von Karl v. H. (s. diesen). – Jacob v. H. wurde geboren den 16. April 1800 zu Lauterbach, einem Schwarzwalddorfe in dem jetzt württembergischen Oberamte Oberndorf, wo sein Vater, mit zahlreicher Familie, eine Landwirthschaft betrieb. Nachdem der Knabe bis zum 13. Jahre die Dorfschule besucht hatte, wollte er, da er Lust zum geistlichen Stande verspürte, in das Gymnasium zu Rottweil eintreten, allein er wurde wegen vorgerückten Alters zurückgewiesen, und fühlte sich in Folge dessen sehr unglücklich. In den folgenden Jahren wurde er von seinem Vater zur Landwirthschaft angeleitet und schließlich noch zu weiterer Ausbildung, namentlich zur Erlernung der französischen Sprache, in einem Gasthofe zu Vevey in der Schweiz untergebracht. Als er von dort im J. 1820, um sich zur Conscription zu stellen, in die Heimath zurückkehrte, war aber der Trieb nach wissenschaftlicher Bildung und einem [352] höheren Berufe nicht länger mehr zu unterdrücken, und so trat er als 21jähriger Jüngling in die Lateinschule zu Aspirbach ein, um unter Knaben von 8–14 Jahren die Anfangsgründe der alten Sprachen zu erlernen, bis er nach 1½ Jahren, im Herbst 1822, nun doch die Aufnahme in das Gymnasium zu Rottweil durchsetzte. Strebsam und fleißig wie er war, erlangte er in kurzer Zeit die Reife zur Universität und ging im Herbst 1823 nach Würzburg, woselbst sein Oheim Johann Georg H. ein berühmtes orthopädisches Institut besaß und auch in den Kreisen der Universität eine sehr geachtete Stellung einnahm. Hierdurch wol kam es, daß H. nach Jahresfrist das ursprünglich begonnene Studium der katholischen Theologie mit dem der Medicin vertauschte und diesem mit Fleiß und Eifer oblag, aber auch, von Hause aus nur spärlich unterstützt, mit vielen Entbehrungen zu kämpfen hatte. Während seines im Ganzen 5½jährigen Aufenthaltes in Würzburg war er 4 Jahre in der orthopädischen Anstalt seines Oheims thätig. Nach seiner Promotion zum Doctor der Medicin im Herbst 1827 blieb er noch 1½ Jahr daselbst, um sich in praktischer Hinsicht noch weiter auszubilden, wozu ihm die interimistische Bekleidung der Asistentenstellen der medicinischen und chirurgischen Abtheilung des Juliusspitales, die damals unter Schönlein’s und Textors Leitung standen, sowie die 1jährige Uebertragung aller Leichenöffnungen des Spitales günstige Gelegenheit bot. Gleichen Schritt damit hielt sein Interesse für das Studium der Orthopädie, und suchte er namentlich die pathologische Anatomie der in das Gebiet derselben gehörenden Verkrümmungen des menschlichen Körpers näher kennen zu lernen. Nachdem er noch seine Inaugural-Abhandlung („Ueber die Unterbindung der Arteria subclavia“) geschrieben, verließ er im Frühjahr 1829 Würzburg, bestand darauf in Tübingen und Stuttgart das Facultäts- und das Staats-Examen und erlangte dadurch die Erlaubniß zur Ausübung der Praxis in der Medicin, Chirurgie und Geburtshülfe in seinem Vaterlande Württemberg. – Bald nach seinem Examen kam von Seiten des Directoriums des Medicinalcollegiums in Stuttgart an den jungen Doctor, der durch seine Vorstudien und als Träger des in der damaligen Orthopädie hervorragendsten Namens in dieser Richtung besonderes Vertrauen erweckte, die Anfrage, ob er nicht geneigt sei, mit einer von der Regierung ihm in Aussicht gestellten Unterstützung, jenen Zweig der Heilkunde auch nach Württemberg zu verpflanzen und daselbst eine orthopädische Heilanstalt zu errichten. Obgleich H. das für ein solches Unternehmen erforderliche Vermögen nicht besaß, ging er auf den Vorschlag sofort mit Muth und Energie ein und wählte mit glücklichem Griff als Ort für seine Thätigkeit Cannstatt, das vermöge seiner schönen Lage, seines Klimas, seiner Mineralquellen und Flußbäder, seiner Nähe bei Stuttgart als für die Errichtung einer Heilanstalt ganz besonders geeignet erschien. Dort richtete er, für die ersten Auslagen mit einigen hundert Gulden von der Regierung unterstützt, zuerst im Hintergebäude des Wilhelmsbades einige Zimmer und Badecabinets ein und eröffnete seine Anstalt am Geburtstage des Königs Wilhelm, am 27. September 1829. Der Erfolg der jungen Anstalt war ein glänzender. Schon nach einigen Monaten zählte dieselbe 20 Patienten und bereits im Mai 1830 konnte H. ein eigenes Haus erwerben und beziehen, wozu ihm die Staatsregierung die Mittel in Form eines Darlehens vorgeschossen hatte. Dieses Haus bildete den Grundstock zu dem im Laufe der Jahre um dasselbe allmälig sich entwickelnden Complex von Gebäuden, Anlagen, Werkstätten u. dgl., die alle zum Apparate der Anstalt gehörten. Auch die H. und der Anstalt noch fehlende Frau kam in der Person von Henriette Camerer, der Tochter des Directors des katholischen Kirchenraths in Stuttgart, mit der H. im Jahre 1831 sich vermählte, ins Haus und mit ihr ein überaus glückliches und für das weitere Gedeihen der Anstalt entscheidendes Element. Die Zahl [353] der Patienten aus allen Ständen und Ländern Europa’s wuchs beträchtlich an; 1853 befand sich unter ihrer Zahl auch ein russischer Großfürst, ein Enkel des Kaisers Nikolaus. Als im Jahre 1854, bei der Feier des 25jährigen Bestehens seiner Anstalt der Gründer und Vorsteher derselben öffentlich einen Bericht („Kurzer Bericht über die 25jährige Wirksamkeit der orthopädischen Heilanstalt zu Cannstatt; von dem Gründer und Vorsteher. Mit einer Ansicht der Anstalt“, 1854) über die Leistungen derselben und die in derselben befolgten Principien erstattete, konnte er von 1368 Patienten, die in dieser Zeit daselbst behandelt worden waren, Rechenschaft geben. – Die glücklichen Erfolge, welche H. in seiner orthopädischen Anstalt erzielt hatte, waren nicht allein dadurch zu erklären, daß ihr Leiter eine gründliche medicinisch-chirurgische Bildung besaß und von den chirurgischen Errungenschaften der damaligen Zeit, namentlich der subcutanen Sehnendurchschneidung, einen angemessenen Gebrauch zu machen verstand, sondern auch durch die in der Anstalt geübte methodische Behandlung und die derselben in ungewöhnlich reichem Maße zu Gebote stehenden Kurmittel. Gerade bei der Behandlung der ein besonders großes Contingent bildenden seitlichen Wirbelsäulenverkrümmungen (Skoliosen) junger Mädchen konnte, neben der Bewegung in gesunder Luft, einer kräftigen Kost, nach Umständen auch dem Gebrauche stärkender Arzneimittel oder Trinkkuren und der mechanischen Behandlung durch Extensionsapparate, durch die von H. zuerst in Deutschland geübte orthopädische Gymnastik, verbunden mit geeigneten Manipulationen und Frictionen, und durch die gebotene Gelegenheit zu Eisenquell- und Eisenschlammbädern, selbst in einem im Garten der Anstalt vorhandenen Schwimmbassin, mit Wellenschlag und Douchen, unzweifelhaft mehr erreicht werden als in andern Anstalten, welche diese Kurmittel zum Theil nicht besitzen. Es muß hiernach H. als einer der hauptsächlichsten Förderer der wissenschaftlichen Orthopädie in Deutschland bezeichnet werden. – Obgleich H. bei seiner angestrengten praktischen Thätigkeit nur wenig Zeit zu schriftstellerischen Arbeiten übrig blieb, hat er doch die medicinische Litteratur mit einigen werthvollen Schriften bereichert. Zunächst handelte es sich um eine bis dahin wenig beobachtete Form von Lähmungen bei Kindern, die er später geradezu „Spinale Kinderlähmung“ nannte, über welche er eine Abhandlung schrieb („Beobachtungen über Lähmungszustände der unteren Extremitäten und deren Behandlung“. Mit 7 Tafeln, 1840), die in ihrer zweiten Auflage („Spinale Kinderlähmung. Monographie“. 2. umgearbeitete Auflage. Mit 14 Tafeln, 1860) sich bereits auf ein Beobachtungsmaterial von 130 Fällen stützte. Eine andere inzwischen erschienene Schrift theilte die Erfahrungen, die der Verfasser mit gewissen Arten von Schenkelausrenkungen („Ueber spontane und congenitale Luxationen, sowie über einen neuen Schenkelhalsbruch-Apparat“. Mit 5 Tafeln. 1842) gemacht hatte, mit. – Bei einem so verdienstvollen Wirken konnte es nicht fehlen, daß H. mannichfaltige Auszeichnungen zu Theil wurden. Die erste derselben war das schon 1830 ihm von der Stadt Cannstatt, zu deren Aufblühen Heine’s Anstalt und seine Sorge für die Interessen jener nicht wenig beigetragen hatte, verliehene Ehrenbürgerrecht. Weitere Auszeichnungen waren die Verleihung des Titels als Hofrath, später Geheimer Hofrath, des Ordens der württembergischen Krone und mit ihm des persönlichen Adels, sowie mehrerer auswärtiger Orden. Im Jahre 1865, nach 36jährigem Bestehen der Anstalt, gab H., der damals im Alter von 65 Jahren stand, dieselbe auf, um sich, noch vollkommen rüstig an Körper und Geist, ins Privatleben zurückziehen. Er hatte gehofft, daß sein Sohn Karl (s. diesen) sein Nachfolger werden würde; allein dieser zog es vor, der akademischen Laufbahn zu folgen. Noch eine Reihe von Jahren genoß er im Kreise seiner Familie des Glückes, das ihn in seinem ganzen arbeitsvollen Leben nicht verlassen hatte, [354] bis ihn bald nach einander schwere Schicksalsschläge trafen. Zuerst der im Jahre 1874 erfolgte Tod seiner Gattin, die 43 Jahre lang ihm eine Stütze, Partnerin, sein zweites Ich gewesen war; wenige Jahre später, 1877, mußte er auch seinen talentvollen, noch zu großen Hoffnungen berechtigenden Sohn Karl in ein frühes Grab sinken sehen. Wenn H. auch sich, vermöge seiner ausnehmend kräftigen, bis ins hohe Alter fast ungeschwächt erhaltenden physischen Constitution, von diesen schweren Schlägen einigermaßen wieder erholte, so war es ihm doch nicht mehr beschieden, noch lange unter den Lebenden zu weilen; nach kurzer Krankheit, gegen welche die energische Natur des nahezu 80jährigen Mannes noch tüchtig sich wehrte, verstarb er am 12. Novbr. 1879 zu Cannstatt.

Vgl. Schwäbische Kronik, des Schwäbischen Merkurs 2. Abtheilung. 1880. S. 45. – Correspondenz-Blatt des Württembergischen ärztlichen Vereins 1880. Nr. 3.