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ADB:Häusser, Ludwig

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Artikel „Häusser, Ludwig“ von August von Kluckhohn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 100–112, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:H%C3%A4usser,_Ludwig&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 05:19 Uhr UTC)
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Band 11 (1880), S. 100–112 (Quelle).
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Häusser: Ludwig H. wurde am 26. October 1818 als Sohn eines aus der Pfalz gebürtigen reformirten Predigers in dem elsässischen Dorfe Kleeburg, das damals zu dem französischen Departement des Niederrheins gehörte, geboren. Nach dem frühzeitigen Tode des Vaters begab sich die Mutter, eine geborene Paniel aus Mannheim, mit ihrem erst zweijährigen Knaben, dessen sorgfältige Pflege und Erziehung fortan ihre Lebensaufgabe bildete, nach ihrer Vaterstadt zurück. Auf dem Mannheimer Lyceum hat H., der schon früh sich eben so fähig als lernbegierig zeigte, namentlich unter der Leitung Nüßlin’s, den Grund zu seiner wissenschaftlichen Bildung gelegt. 17 Jahre alt bezog er die Universität Heidelberg, um sich dem Studium der Philologie, die dort durch Creutzer und Bähr vertreten war, zu widmen. Mehr noch zog die Geschichte ihn an, für die Schlosser, dem er auch persönlich nahe trat, ihn begeisterte. Obwol nahezu ein Sechsziger, stand der berühmte Geschichtschreiber noch in der Fülle seiner Kraft und bot seinen Hörern nicht allein durch seine staunenswerthe Belesenheit in alter und neuerer Litteratur, durch die Weite seines Blicks und die Schärfe seines Geistes eine Fülle von Anregung und Belehrung, sondern wirkte auch auf sie durch seine mannhafte Gesinnung und durch seine streng sittliche Auffassung der Geschichte mächtig ein. H. hörte zwar als Schüler Schlosser’s nicht auf, sich mit Philologie fleißig zu beschäftigen, versuchte sich aber schon im Alter von noch nicht 19 Jahren in selbständigen geschichtlichen Arbeiten, indem er 1837 eine von der philosophischen Facultät aufgestellte Preisaufgabe über den Ursprung der Schweizer Eidgenossenschaft und die Erzählung von Geßler und Tell mit Erfolg löste. Im Frühling des nächsten Jahres begab er sich nach Jena; denn er sehnte sich, wie er selbst berichtet, theils nach einer anderen akademischen Luft, theils nach einer mehr philosophischen Thätigkeit, als es der Zustand der Heidelberger philosophischen Fakultät damals möglich machte. Die Philosophie freilich, die ihm in Jena Fries und Reinhold boten, reichte auch nur eben hin, um ihn zu weiterem anzuregen, und Luden’s historische Manier fand er nicht geeignet, Schlosser’s historische Schule in den Hintergrund zu drängen. Dagegen wurde er von Göttling’s ächt wissenschaftlichem Ernste und dessen warmer Begeisterung für die Antike angezogen und auch der Verkehr mit der Burschenschaft, deren Mitglied er wurde, war nicht ohne Anregung und Reiz für ihn. Aber die Bitte der Freunde, im Interesse der Verbindung länger in Jena zu bleiben, konnte ihn nicht abhalten, schon im Herbste des Jahres, als das Triennium beendet war, nach Heidelberg zurückzukehren. Er unterwarf sich der philologischen Staatsprüfung, die er im October 1838 mit Auszeichnung bestand. Nachdem [101] er dann den Winter über sich vorzugsweise dem Studium des Mittelalters gewidmet und von der philosophischen Fakultät unter dem Decanate Schlosser’s gratis und ohne weitere Förmlichkeit ob doctrinae specimina adhibita die Doctorwürde erlangt hatte, hoffte er mit Unterstützung der badischen Regierung eine Reise nach Paris antreten zu können, als er plötzlich die Weisung erhielt, eine Lehrstelle an dem Gymnasium in Wertheim zu übernehmen. „Nicht ohne Widerwillen“, erzählt H., „begab ich mich dahin – auch war der Aufenthalt in einer äußerlich und innerlich unbedeutenden Stadt nicht geeignet, mich mit meiner neuen Stellung zu versöhnen; allein die höchst angenehme Wirksamkeit an der Anstalt, in deren oberster Classe mir Latein, Griechisch, Geschichte und Litteratur zugetheilt waren, das freundliche Benehmen mit meinen neuen Collegen, die eifrige Theilnahme meiner Schüler, machte meine dortige Wirksamkeit zum Gegenstande der freundlichsten Erinnerung“. Auch seinen Schülern blieb der jugendlich begeisterte Lehrer unvergeßlich, wie H. auch am Lyceum zu Heidelberg, an dem er vom Herbst 1840 an eine kurze Zeit wirkte, sich der dankbaren Zuneigung der Jugend in hohem Grade erfreute. Der Aufenthalt zu Wertheim wurde schon im Juli 1839 durch eine zwei Monate dauernde schwere Krankheit, die er sich während der Ferien in Heidelberg zuzog, unterbrochen. Er blieb auch nach seiner Wiederherstellung in Heidelberg und beschäftigte sich mit der Ueberarbeitung der Preisschrift über die Tellsage, nachdem er schon zu Wertheim seine Erstlingsschrift „Ueber die deutschen Geschichtschreiber vom Anfang des Frankenreichs bis auf die Hohenstaufen“ (Heidelberg 1839) veröffentlicht hatte. Diese beiden Arbeiten sind von ungleichem Werth. Was die zuerst veröffentlichte Schrift anbetrifft, so verrieth schon der Versuch des Anfängers, sämmtliche Geschichtschreiber der deutschen Kaiserzeit zugleich in Angriff zu nehmen, daß H. von einer Quellenkritik, wie sie in Ranke’s epochemachender Schule schon damals erfolgreich gelehrt wurde, noch wenig wußte. Er ist denn auch über eine allgemeine Charakteristik der namhafteren Autoren jener Jahrhunderte nicht hinausgekommen und diese Charakteristik verräth eine so lebhafte Abneigung vor der „grausen Barbarei“ des Mittelalters, daß auch in dieser Hinsicht die Schlosser’sche Schule nur zu sehr zu Tage tritt. Besser gelang dagegen die 1840 herausgegebene Arbeit: „Die Sage vom Tell, aufs neue kritisch untersucht“. Sie nimmt in der seitdem massenhaft angewachsenen Telllitteratur noch heute eine geachtete Stellung ein und kann für ihre Zeit als musterhaft gelten. Indem der jugendliche Kritiker die Aussagen der Chronisten über die angeblichen Thaten Tell’s im Einzelnen prüft, die Widersprüche in den späteren Berichten und die Unwahrscheinlichkeiten in der ganzen Tellsage aufdeckt, indem er ferner auf den Zusammenhang mit der nordischen Sage hinweist und nur noch an der Existenz einer Persönlichkeit mit dem Namen Tell festhält, ohne ihr indeß einen Einfluß auf die Befreiung der Schweiz zuzugestehen, zeigt er sich als einen ebenso scharfblickenden als besonnenen und gewissenhaften Forscher, während die übersichtliche, frische und gewandte Darstellung ein nicht gewöhnliches stilistisches Talent verräth. Häusser’s Beruf zum Geschichtschreiber war entschieden. Nachdem er sich seit dem Februar 1840 fast fünf Monate lang in Paris historischen Studien gewidmet und zugleich eine sichere Kenntniß der französischen Sprache erworben hatte, habilitirte er sich im September an der Ruperto-Karolina als Privatdocent. Wieder war es Schlosser, welcher dem aufstrebenden Gelehrten in väterlicher Freundschaft gern die Hand bot und auch unter ungünstigen äußeren Verhältnissen Erfolge auf dem Katheder verhieß. So betrat H., kaum 22 Jahre alt, die Laufbahn, auf der er so glänzende Erfolge erringen sollte. Er begann mit Vorlesungen über die französische Revolution, woran sich die Geschichte der deutschen Litteratur und Kultur, ferner römische und deutsche politische Geschichte [102] anschlossen. Daß der Zuhörer zu Anfang wenige waren und Jahre vergingen, ehe H. neben Schlosser, um von Kortüm und Hagen nicht zu reden, breiteren Boden gewann, lag in der Natur der Sache. Ueberraschen aber kann neben einer so verschiedenartigen Gegenständen zugewendeten Lehrthätigkeit die außerordentliche Fruchtbarkeit, die er als Schriftsteller entfaltete. „Die Geschichte der rheinischen Pfalz nach ihren politischen, kirchlichen und litterarischen Verhältnissen“ darzustellen, war die erste große historiographische Aufgabe, die er sich wählte. Aus den Vorstudien, mit denen er noch im J. 1840 begann, ging vier Jahr später die anziehende, zu Ehren Creutzer’s herausgegebene Schrift: „Die Anfänge der classischen Studien zu Heidelberg, ein Beitrag zur pfälzischen Gelehrtengeschichte“ hervor. Die Geschichte der rheinischen Pfalz erschien in 2 Bänden 1845. Wer diese Leistung heute würdigen will, darf die Schwierigkeiten nicht übersehen, womit vor 30 Jahren der Bearbeiter einer Landesgeschichte zu kämpfen hatte, dem es an brauchbaren Vorarbeiten fast gänzlich fehlte und welcher das weit zerstreute Material erst mühsam in Bibliotheken und Archiven (Karlsruhe und München) sammeln mußte. Und wie die Umsicht und der ausdauernde Fleiß, womit H. den massenhaften Stoff namentlich für die Geschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts, die den stärkeren und werthvolleren zweiten Band ausfüllt, alle Anerkennung verdienen, so nicht minder das Talent der Darstellung, die Frische und Lebhaftigkeit des Ausdrucks, die freimüthige und doch maßvolle, von ächtem Patriotismus getragene Gesinnung. Aber während H. sich mit aller Liebe in die Geschichte seiner Heimath versenkte und namentlich die wechselvollen Schicksale des Landes unter den bald lutherisch, bald calvinisch gesinnten Fürsten der Reformationszeit, ferner die Drangsale des 30jährigen Krieges, sodann die Raubzüge Ludwigs XIV. und endlich den kirchlichen Terrorismus, sowie die Hof- und Beamtenwirthschaft unter den katholischen Kurfürsten des 18. Jahrhunderts mit der Lebhaftigkeit eines Augenzeugen schilderte, verlor er nie den Zusammenhang mit dem deutschen Leben aus dem Auge und sah den letzten Zweck seines Buches darin „zur allmälig reifenden Betrachtung des gesammten Deutschlands einen Beitrag zu geben“. Die Richtung auf das Praktische trat in Häusser’s gelehrter Thätigkeit früh hervor. Er hielt bei aller Hochachtung, die er der Wissenschaft um ihrer selbst willen zollte, dafür, daß sie ihren höchsten Werth erst durch die Verbindung mit dem Leben erhalte. Schon in einer Besprechung der mißlungenen deutschen Geschichte von Pfister, womit er im Jahre 1841 die lange Reihe seiner litterarischen Beiträge für die Beilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung eröffnete, unterschied er zwischen den Historikern der Stube und den noch immer fehlenden oder doch dünn gesäeten Historikern des Lebens. Den letzteren vindicirte er den Beruf, die Nation von der ausschließlichen Herrschaft der Speculation und der Contemplation, die uns dem Kreise des Lebens entrückt, zu befreien und für die Aufgabe der Gegenwart zu erziehen. Darum fragte er auch, wenn er über die bedeutenderen Erscheinungen der historischen Litteratur öffentlich Bericht erstattete, nicht allein nach der Bereicherung, welche die Wissenschaft durch Aufschluß neuer Quellen, durch Verbesserung der Methode der Forschung, durch die Steigerung der Kunst der Darstellung gewonnen habe, sondern auch nach dem Gewinn, welcher der Nation zu Theil geworden, indem sie durch Belebung des historischen Sinnes, durch Einsicht in den Geist der Geschichte sich klar werde über die Mittel zur Lösung der Probleme der Gegenwart.

Das lebhafte Interesse Häusser’s für die öffentlichen Angelegenheiten empfing seine besondere Richtung durch die Strömung der Zeit und die principiellen Verhältnisse, die ihn umgaben. Aufgewachsen in einem Lande, in dem das constitutionelle System auch gegen die bundestägliche Reaction der 30er Jahre [103] sich kräftig behauptete, wurde er als junger Mann Zeuge des heftigen Kampfes, den das Ministerium Blittersdorf gegen den Liberalismus in Baden eröffnete. Man weiß, wie in Folge der Rechtsverletzung und Polizeiwillkür auf der einen und der radicalen Wühlereien auf der anderen Seite in dem kleinen deutschen Grenzstaate mit seiner leicht beweglichen Bevölkerung eine tiefgreifende Gährung entstand. Wie hätte H. theilnahmlos bleiben sollen, wo Alt und Jung leidenschaftlich erregt war? Aber sein gesunder Sinn hielt ihn eben so fern von der Demagogie, wie er der Reaction feind war. Er stand mit seinen Sympathien auf der Seite des gemäßigten Fortschrittes und glaubte an die Möglichkeit und Ersprießlichkeit des ehrlich durchgeführten constitutionellen Systems. In diesem Sinne begann er in der Presse zu wirken. Aber mehr noch als die badischen Angelegenheiten lagen ihm, der von früh auf sich so lebhaft als einen Sohn des großen Vaterlandes fühlte, Deutschlands Wohl und Wehe am Herzen. Es erfüllte ihn mit bitterm Schmerze, daß unsere große und reich begabte Nation politisch nichts bedeutete, daß sie, trotz des Aufschwungs der J. 1813 und 14 in die alte Mattherzigkeit und Ohnmacht zurückfalle und vielleicht sogar zu den alten Verlusten neue Einbußen an Land und Leuten erfahren sollte. Als Dänemark in dem Vertrauen auf unsere Zersplitterung und Schwäche es wagte, die lange mißhandelten Elbherzogthümer im J. 1846 durch den berüchtigten Königsbrief mit der Losreißung von Deutschland zu bedrohen, entflammte ihn sein Patriotismus, offen für die Abwehr der nahen Gefahr in die Schranken zu treten. Er wirkte zu dem Zustandekommen der von Gervinus verfaßten Heidelberger Adresse mit und schrieb, um die Bewegung allgemein zu machen, die Flugschrift „Schleswig-Holstein, Dänemark und Deutschland“, worin er nicht allein in klaren und gemeinverständlichen Sätzen die Rechtsfrage erörterte, sondern auch in lebhaftem Tone die politische Bedeutung des der ganzen Nation hingeworfenen Fehdehandschuhes bespricht. – Um das deutsche Volk vor äußeren Gefahren, wie vor inneren Krisen zu bewahren, sah H. mit älteren Freunden und Gesinnungsgenossen, wie Gervinus, Mathy, Bassermann die Einigung Deutschlands und die Durchführung einer repräsentativen Verfassung in Preußen wie in den übrigen deutschen Staaten für unerläßlich an. Die Gründung einer Zeitung, die für jene Grundsätze Tag für Tag kämpfen sollte, ward noch im J. 1846 beschlossen. Unter Mitwirkung hervorragender liberal und national gesinnter Männer aus allen Gegenden Deutschlands (Dahlmann, G. Beseler u. a) trat die „Deutsche Zeitung“ als Organ der constitutionellen und bundesstaatlichen Partei mit dem 1. Juli 1847 ins Leben. H. lieferte nicht allein zahlreiche Artikel, sondern unterstützte und vertrat auch längere Zeit Gervinus bei der Redaction. Ob er auch an den Heppenheimer Besprechungen (October 1849) theilgenommen, vermögen wir nicht zu sagen; der badischen Kammer, wo am 5. Febr. 1848 Bassermann seinen berühmten Antrag auf Einberufung eines nationalen Parlaments stellte, gehörte er damals noch nicht an: aber die Richtung, in welcher sich dieser Antrag und die Heppenheimer Verhandlungen bewegten, war auch die seinige. Da kam die Pariser Februarrevolution und in ihrem Gefolge die gewaltige Volksbewegung in Baden und ganz Deutschland. Das wüste Gebahren der zügellosen Demagogen konnte unmöglich nach seinem Sinne sein. Um so freudiger begrüßte er den Zusammentritt der deutschen Nationalversammlung, der er mit den Männern der Deutschen Zeitung so energisch die Wege zu ebnen bestrebt war. Daß der jugendliche Politiker noch nicht zu den wenigen staatsmännischen Köpfen gehörte, welche es als den verhängnißvollen Fehler des an glänzenden Talenten so reichen Parlaments erkannten, das Verfassungswerk ohne die Mitwirkung von Vertretern der deutschen Regierungen zu Stande bringen zu wollen, kann nicht überraschen; wer mit vollem warmen Herzen die Begeisterung [104] jener Tage theilte, durfte auch an den Irrthümern und Täuschungen seinen Antheil haben. Aber immer hat H. zu den Besonnenen gehört. So erschien ihm die Annahme der Kaiserkrone von Seiten Friedrich Wilhelms IV. nur wahrscheinlich, wenn der Welcker’sche Antrag vom 12. März 1849 durchging; die Bedenken, die nach dem Fallen jenes Antrags in Berlin für die Ablehnung entschieden, verstand er zu würdigen, wenn er auch der Ueberzeugung blieb, daß auch in diesem Falle die kühnste Politik die einfachste und sicherste gewesen.

Seit dem Herbste 1848 gehörte H. der badischen Kammer an, die nach den Aufständen vom April und September dess. Js. im Verein mit dem freisinnigen Ministerium Bekk die Verwaltung und Justiz nach demokratischen Grundsätzen umgestalten und die Beschlüsse des Frankfurter Parlaments unter allen deutschen Ländern in Baden zuerst zur Durchführung bringen half. Nur um so größer war die Propaganda, welche die revolutionäre Partei machte, und die liberale Kammermajorität sah sich mit dem Ministerium zum Danke dafür, daß sie gutmüthig die Demagogen gewähren ließ, mit Haß und Hohn behandelt. Nicht am wenigsten traf dieser Haß den angehenden Parlamentarier H., welcher u. a. den Petitionensturm, den die Radicalen zu Anfang des J. 1849 gegen die Kammern in Scene setzten, in der ihm eigenen schneidigen Weise beleuchtete. H. erschien auch als einer der Führer der überwiegend constitutionell gesinnten Abgeordneten, als diese für die von Preußen verworfene Reichsverfassung eintraten, freilich ohne damit der radicalen Partei den Vorwand zum Losschlagen zu entreißen. Am 13. Mai brach die häßliche Soldatenemeute[WS 1] aus, womit eine blutige Revolution in Baden ihren Einzug hielt. Die Thätigkeit der Kammern war zu Ende. Auch in Heidelberg fühlte sich H. nicht sicher. Er begab sich zunächst nach Frankfurt a. M. und lernte hier die klägliche Lage des der Auflösung nahen Parlaments kennen. Aber statt sich hoffnungslos von den vaterländischen Dingen abzuwenden oder durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate irre zu werden in dem Glauben an den deutschen Beruf Preußens, schöpfte er neuen Muth, als man in Berlin endlich den Gedanken der Union zu verwirklichen sich anschickte und ein deutsches Parlament nach Erfurt berief. Als Abgeordneter für Heidelberg nahm H. mit anderen Männern der sogen. Gothaer Partei an den Verhandlungen eifrigen Antheil und hielt am 18. April 1850 als Antwort auf eine großdeutsche Herzensergießung Reichensperger’s eine wahrhaft glänzende, von stürmischem Beifall oft unterbrochene Rede, worin er sich als Einen bekannte, der aus der deutschen Geschichte gelernt hat, „daß Preußen der Kern ist, an den der Krystall des deutschen Staates anschließen soll“. Einen Mann, der so fest in dem Vertrauen auf die geschichtliche Sendung Preußens stand, mußte der fruchtlose Ausgang der Unionsverhandlungen schmerzlich genug berühren; noch schmerzlicher freilich die Demüthigung und Schmach, welche der Tag von Olmütz über den Staat Friedrichs d. Gr. verhängte. Bis dahin hatte H. in der badischen Kammer, die nach der Niederwerfung der Revolution durch preußische Truppen wieder eröffnet worden war, treu für das Festhalten Badens an dem Bündnisse mit Preußen gekämpft. Als der Staat, auf den er all sein Hoffen gegründet, sich selbst preisgab, und auch in der engeren Heimath der Einzelne den rückschreitenden Gang der Dinge nicht aufzuhalten vermochte, da trat er von der parlamentarischen Arena zurück und wendete sich eine Reihe von Jahren wieder ungetheilt der Wissenschaft zu, der er auch in Mitten der journalistischen Thätigkeit und der parlamentarischen Kämpfe nie ganz entsagt hatte. Die litterarischen Werke freilich, womit er in den letzten Jahren der Bewegung beschäftigt war, und die er nun rasch vollendete, standen in nächster Beziehung zur Zeitgeschichte: ich meine „Friedrich List’s [105] Leben und Schriften“ und die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte der badischen Revolution“. Dem großen Agitator auf dem Gebiete praktischer Staats- und Wirthschaftsfragen, dem Schöpfer „des nationalen Systems“ war H. in München während seiner Vorarbeiten für die pfälzische Geschichte persönlich nahe getreten; er hegte eine lebhafte Bewunderung für den genialen Mann, welcher ohne Amt und Titel, nur durch die eigene ungestüme und ausdauernde Kraft einen unermeßlichen Einfluß auf den öffentlichen Geist übte, indem er dem Drange der Zeit nach nationaler Selbständigkeit auf wirthschaftlichem Gebiete Ausdruck verlieh und mit der Nothwendigkeit der ökonomischen Reform die Bedingungen eines großen öffentlichen Lebens, Theilnahme der Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten, Selbstverwaltung und Nationalvertretung der Nation zum Bewußtsein brachte. H. war daher auch, als List nach 30jährigem Ringen, körperlich und geistig erschöpft, am 23. Novbr. 1846 bei Kufstein auf tragische Weise aus dem Leben geschieden, auf den Wunsch der Hinterbliebenen gern bereit, aus dem Nachlasse die Biographie des Verstorbenen zu bearbeiten und eine Sammlung seiner Schriften zu veranstalten. Die politische Bewegung der folgenden Jahre verzögerte die Vollendung des Werks. Erst 1850 erschienen List’s gesammelte Schriften in 3 Bänden, wovon der erste die Biographie, der zweite verschiedene Aufsätze und Denkschriften, der dritte das nationale System enthält. Das Leben List’s ist mit eben so viel Wärme, als mit Verständniß für die eigenartige scharf ausgeprägte Natur des Mannes geschrieben; die persönlichen Erlebnisse treten aber mit Recht in den Hintergrund gegenüber dem öffentlichen Wirken. Daß H., welcher der Wissenschaft der Nationalökonomie ferner stand, mit seinem Urtheil in fachwissenschaftlichen Fragen zurückhält und sich hier in der Regel mit einem Referat begnügte, kann man nur billigen. Die Bedeutung dagegen, die List’s weitgreifende Bestrebungen für die Entwickelung unseres Nationallebens haben, ist um so nachdrücklicher hervorgehoben worden. Indeß verkennt H. auch die Mängel und Schwächen nicht, die den Schriften seines Helden anhaften: neben der Einseitigkeit und Leidenschaftlichkeit des großen Pamphletisten die Nachlässigkeiten und Wiederholungen, die aus den Journalartikeln auch in sein Hauptwerk übergingen. Uebrigens ließe sich auch von H. sagen, daß die publicistische Thätigkeit auf seinen Stil nicht wohlthätig eingewirkt habe; denn kleine Nachlässigkeiten und Wiederholungen kommen, wenn auch weniger in dem erzählenden als in den räsonnirenden Partien der Biographie List’s nur zu häufig vor und zeigen, daß der Verfasser sich gewöhnt hatte, im Drange des Schaffens an die rasch hingeworfenen Sätze nicht immer den Maßstab des strengen Stils anzulegen. Noch im J. 1850 folgten die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte der badischen Revolution“, worin H. eingehend berichtet, was er selbst erlebt oder den Mittheilungen sachkundiger Freunde und nicht zum wenigsten amtlichen Akten entnommen. Daß er dabei mit seinen persönlichen Ansichten nicht zurückhält, diese vielmehr oft in scharfer, ja schroffer Fassung zur Geltung bringt, kann nicht überraschen. H. selbst war sich, als er den noch brennenden Stoff zu bearbeiten unternahm, der Gefahr, in seinen Urtheilen fehlzugreifen, wohl bewußt und daher um so mehr bestrebt, die Thatsachen getreu wiederzugeben und die betheiligten Personen aus ihren unmittelbaren Aeußerungen zu charakterisiren. Wenn diese Charakteristiken gleichwol hier und da so ausfielen, daß die Betreffenden, namentlich die Führer der Revolution, in ihrem maßlos eitlen und verbrecherisch leichtsinnigen Treiben dem Gelächter und dem Zorne sich gleichmäßig preisgegeben sahen, so war es nicht des Verfassers Schuld. Ist es diesem aber auch einmal begegnet, daß er als moralische Gesunkenheit oder als Verbrechen brandmarkt, was nur Bethörung oder Verblendung war, so verdiente er deshalb noch nicht den Vorwurf bewußter Entstellung, am wenigsten aber den [106] Vorwurf, daß er im Dienste und unter dem Schutze der wiederkehrenden Reaction geschrieben. Denn mit derselben Offenheit und Unerschrockenheit, womit H. den Radicalen einen Spiegel vorhielt, hat er auch den Männern der kleinstaatlichen Bureaukratie und der vormärzlichen Bundestagspolitik die Wahrheit gesagt und als den letzten Grund für die Gesetzlosigkeit im Volke das Elend der öffentlichen Zustände, den Mangel eines nationalen Staatslebens betont.

Seit dem J. 1850 arbeitete H. rastlos an dem Hauptwerke seines Lebens, an der „Deutschen Geschichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Gründung des Deutschen Bundes“. Es war ein glücklicher Griff, gerade diesen Abschnitt der vaterländischen Entwickelung zum Gegenstande einer quellenmäßigen und umfassenden Darstellung zu machen; denn er kam damit eben so sehr einem wissenschaftlichen, wie einem nationalen Bedürfniß entgegen. Noch herrschte nämlich trotz der neuen Aufschlüsse, welche namhafte deutsche Geschichtswerke lieferten, die französische Auffassung der napoleonisch-rheinbündischen Zeit wenigstens in Süddeutschland vor und fand in Thiers’[WS 2] imposantem Werke, das H. seit dem J. 1845 wiederholt in der Allgemeinen Zeitung beleuchtete, eine nachhaltige Stütze. Was dagegen deutsche Historiker zur Geschichte der Erniedrigung und der Erhebung unseres Volkes Neues boten, konnte den Napoleonskultus um so schwerer verdrängen, als das, was zum Ruhme Preußens gesagt wurde, süddeutschen Ohren verdächtig klang, wenn es aus preußischem oder norddeutschem Munde kam. Häusser’s Absicht war es indeß nicht, lediglich den schon bereit liegenden Quellenstoff und die Einzelarbeiten Anderer zu einer zusammenfassenden Darstellung zu verwerthen, sondern er trachtete von Anfang an nach einer Bereicherung des vorhandenen Materials aus handschriftlichen Quellen und war auch so glücklich, namentlich für die erste Hälfte jenes Zeitraumes reichhaltige diplomatische Correspondenzen zum ersten Male benützen zu können. Dadurch wuchs der an sich schon große Stoff zu einem so bedeutenden Umfange an, daß ein fleißiger und talentvoller Arbeiter eine lange Reihe von Jahren vollauf zu thun gehabt hätte. H. aber entledigte sich der Aufgabe mit einer Raschheit, die Erstaunen, vielleicht auch Bedenken erregen konnte. Dem ersten Bande des Werkes, der im Frühjahre 1854 erschien, folgte schon in Jahresfrist der zweite, und kaum waren zwei weitere Jahre vergangen, so lag außer dem dritten Bande, mit welchem nach dem ursprünglichen Plane das ganze Werk hätte abschließen sollen, auch noch ein vierter gedruckt vor. Gewiß hat der außerordentlich rasche Fortgang der Arbeit, so gewaltig auch Häusser’s Kräfte waren, in dem Werke Mängel zurückgelassen, die bei einem weniger ungestümen Drange des Schaffens hätten vermieden werden können. So hätte der Stoff hier und da schärfer gruppirt und im Einzelnen sorgfältiger bearbeitet werden können; auch ließen Stil und Sprache trotz der hohen schriftstellerischen Begabung des Autors oft die letzte Feile des Künstlers vermissen. Aber dafür war es ein Werk aus einem Gusse, frisch und lebhaft geschrieben, der Spiegel einer gesunden, energievollen patriotisch begeisterten Natur, die in den Tagen des Pessimismus und der Apathie doppelt wohlthätig wirkte. Daher die überaus günstige Aufnahme und die weite Verbreitung, die das Werk trotz seiner vier Bände in drei rasch auf einander folgenden Auflagen fand. Der Verfasser, von so glänzendem Erfolge selbst überrascht, sah darin nur einen Sporn, das Werk in wiederholter Ueberarbeitung nach Form und Inhalt zu vervollkommnen, und auch ehrliche wissenschaftliche Gegner, die seine politischen Ansichten nicht theilten, haben seinen Forscherfleiß, seine Gründlichkeit und seine Wahrheitsliebe rückhaltlos anerkannt. Blinde Parteigänger Oesterreichs freilich wollten in dem Buche nur ein kleindeutsches Machwerk sehen, eiferten aber um so mehr dagegen, je größeren Einfluß auf die öffentliche Meinung sie ihm beilegten. Schon der erste Band rief lauten Unwillen [107] hervor. Was H. über die Entwickelung der deutschen Verhältnisse seit dem westfälischen Frieden, über die Schöpfung des großen Kurfürsten, über den Heldenkönig Friedrich, sowie über die habsburgische Hauspolitik sagte, wurde ihm als Beweis des Hasses gegen Oesterreich ausgelegt, und seine Auffassung der Ereignisse, die zu dem Frieden von Basel führten, als ein Versuch gedeutet, die preußische Politik jener Tage von ihren dunklen Flecken zu reinigen. Und doch ist H. auch in seinem Urtheile über die preußischen Staatslenker, deren Schwächen und Fehler er an keiner Stelle verdeckt, streng und rückhaltlos genug gewesen. Ja, er legt, indem er im zweiten Bande den Ursachen der Katastrophe von 1806 näher tritt, auf die Verschuldung Einzelner größeres Gewicht, als bei objectiver Erwägung zulässig sein mag: aber durch die männliche Gesinnung, die überall hervorleuchtet, wirkt auch die Darstellung der tiefsten Erniedrigung Deutschlands erweckend und erhebend. Wie vielmehr freilich noch die Wiedergeburt Preußens und die Freiheitskriege! Es war das erste Mal, daß ein Süddeutscher, dem seine unabhängige Gesinnung den Anspruch gab, gehört zu werden, der damals noch weitverbreiteten theils französisch, theils österreichisch gefärbten Auffassung des glorreichsten Abschnitts deutscher Geschichte mit Nachdruck entgegentrat und Tausenden von Lesern Auge und Herz öffnete für das Verständniß der unvergeßlichen Tage, in denen der Grund zu unserem neuen nationalen Leben gelegt worden ist.

Nach der Vollendung des besprochenen Werkes beschäftigten H. neben der wiederholten Ueberarbeitung desselben, mancherlei Vorstudien zur Geschichte Friedrichs d. Gr. Einiges ist davon in Abhandlungen niedergelegt worden, die zu dem besten gehören, was seine fruchtbare Feder geschaffen. So veröffentlichte er in v. Sybels Histor. Zeitschrift Bd. I. gegen Macaulay’s[WS 3] wunderlichen Essay über den preußischen König einen Aufsatz, der unter schneidiger Zurechtweisung des brittischen Geschichtschreibers der geistreichen Caricatur in scharfen Rissen das ächte Bild Friedrichs entgegen stellt. Noch derber und kräftiger wies er im VII. Bde. der preußischen Jahrbücher den deutschen Ankläger und Verleumder des Königs, Onno Klopp[WS 4], zurück, und als dieser ihn durch einen „offenen Brief“ noch einmal herausforderte, ließ H. die glänzend geschriebene Schrift: „Zur Beurtheilung Friedrichs d. Gr.“ (Heidelberg 1862) ausgehen, worin er den Gegner bald mit den feinen Waffen des Spottes, bald mit wuchtigen Schlägen heimsucht; denn beides, Witz wie körnige Grobheit, stand ihm nie reichlicher zu Gebote, als wenn er bösen Willen mit anmaßender Beschränktheit vereinigt sah.

Um eine vollständige Uebersicht über die umfassende litterarische Thätigkeit Häusser’s zu gewinnen, müßten wir auch den zahlreichen Beiträgen näher nachgehen, die er für Tagesblätter, wissenschaftliche Zeitschriften und größere Sammelwerke schrieb. Was nach seinem Tode in 2 starken Bden. „Zur Geschichtslitteratur“ fast ganz aus der Beilage des großen Augsburger Blattes zusammengestellt worden ist, umfaßt nicht einmal alles Bemerkenswerthe, was sich dort findet; so z. B. nicht den schönen Nekrolog, den er 1855 über den badischen Staatsmann J. B. Bekk veröffentlichte. Andere umfangreiche historische Artikel gehören zu den Zierden des Conversationslexikons von Brockhaus. – Auch einer Festrede mag hier gedacht werden, die er als Rector der Universität 1864 „Ueber die Regierung Karl Friedrichs“ hielt.

Wir kommen zu der akademischen Wirksamkeit Häusser’s, die ihren Höhepunkt in denselben Jahren erreichte, als er die fruchtbarste litterarische Thätigkeit entfaltete. Nach den mächtigen Erfolgen der ersten Docentenjahre hatten ihm nach und nach ein außerordentliches Gedächtniß und ein rastloser Fleiß zu einer sicheren Herrschaft über den auf vier alljährlich wiederkehrende Vorlesungen beschränkten Stoff und häufige Uebung in freier Rede zu einer bewunderungswürdigen [108] Gewandtheit und Sicherheit im Ausdruck verholfen. Dazu kam noch ein volles warmes Herz, eine freie und starke Gesinnung und endlich ein klangvolles, jeder Modulation fähiges Organ. H. blendete nicht durch den Glanz der Worte, noch riß er fort durch die Größe der Gedanken: aber er begeisterte, weil er selbst ganz in dem lebte, was er erzählte, und weil man aus jedem seiner Worte den Pulsschlag seines Herzens hörte. Daher die mächtige Wirkung, die er übte, wenn er große historische Gestalten, erschütternde Katastrophen oder gewaltige Volksbewegungen schilderte. Es war neben der Geschichte der französischen Revolution ganz besonders die der neueren deutschen Geschichte, in deren Darstellung der Zauber und die Macht seiner Rede Jahr für Jahr in steigendem Maße sich bewährten. Diese Vorträge wurden daher auch von Hunderten junger Männer, die aus allen Gauen Deutschlands in Heidelberg zusammenströmten, mit andächtig empfänglichem Sinne gehört und haben zur Weckung des nationalen Geistes nicht wenig beigetragen. Mehr als ein deutscher Staatsmann, Fürsten selbst, welche später an dem Aufbau des deutschen Staates in hervorragender Weise mitgearbeitet, so wie Tausende von Männern, die in engeren oder weiteren Kreisen den vaterländischen Gedanken genährt, haben zu den Füßen Häusser’s fruchtbare Anregungen empfangen.

Nicht unbefriedigter Ehrgeiz, sondern ein allzu lebhafter Gemeinsinn trieb H., inmitten einer so reichen wissenschaftlichen Thätigkeit noch vor Ausgang der fünfziger Jahre von neuem auch praktisch wirksam in die öffentlichen Angelegenheiten einzugreifen, zunächst auf kirchlichem Gebiete. Um dieselbe Zeit nämlich, als die noch schwebenden Concordatsverhandlungen die öffentliche Meinung in Baden aufzuregen anfingen, argwöhnte ein Theil der protestantischen Bevölkerung auch hinter dem Bemühen des Oberkirchenraths, den evangelischen Gottesdienst durch Anknüpfen an ältere Cultusformen reicher auszustatten, katholisirende Tendenzen. Anderen erschien wenigstens das Streben, die positive Richtung im kirchlichen Leben zum Ausdruck zu bringen, unverträglich mit den Grundsätzen des Fortschritts und der Freiheit, und auch H. haßte, was ihm als „kirchliche Enge“ oder „pfäffischer Geist“ erschien, so gründlich, daß er der Opposition gegen die neue Gottesdienstordnung sich anschloß, um bald mit Schenkel und Zittel die Führung in dem Agendenstreit zu übernehmen. Reden, Adressen, Flugschriften waren die Mittel der mit großem Geschick geleiteten Agitation und erwiesen sich so wirksam, daß die oberste evangelische Kirchenbehörde von der Durchführung der neuen Ordnung abzustehen beschloß. Die katholische Hierarchie dagegen schien in den langen Verhandlungen mit der schwächlichen Karlsruher Regierung einen vollständigen Sieg davon getragen zu haben: das Concordat, das Ende 1859 bekannt wurde, übertraf noch die schlimmsten Befürchtungen. Da schloß sich die kirchlich liberale Partei mit H. an der Spitze in den sogen. „Durlacher Conferenzen“ zum Ansturm gegen Rom zusammen und gab der antirömischen Bewegung einen so kräftigen Impuls, daß die Curie das schon gewonnene Spiel doch noch verlor. Die Kammern, denen das Concordat zur Genehmigung vorgelegt wurde, versagten ihre Zustimmung (März 1860), und der Ministerwechsel, zu dem sich der Großherzog nun entschloß, bedeutete einen vollständigen Umschwung auf politischem wie kirchlichem Gebiete.

Hatte H. an dem Sturze des alten Systems hervorragenden Antheil gehabt und zwar nicht allein als der Wortführer der Opposition, sondern auch durch das hohe Ansehen, in dem er bei dem Landesherrn selbst stand, so war er, als Mitglied der neuen Kammer, auch berufen, in den nächsten Jahren an der bedeutungsvollen Reform der Gesetzgebung und Verwaltung in ausgezeichneter Weise mitzuwirken. Er wurde die Seele der Kammer, die keinen rastloseren, jeder Aufgabe gewachsenen Arbeiter, keinen gewandteren Berichterstatter, keinen [109] schlagfertigeren und schwungvolleren Redner hatte. Es charakterisirt die eigenthümliche Stellung, die H. jetzt einnahm, wenn die Rede ging, daß es nur an ihm liege, seinen Lehrstuhl mit einem Ministersitz zu vertauschen. Aber H. liebte nicht allein die Unabhängigkeit, sondern auch die wissenschaftliche und ganz besonders die Lehrthätigkeit zu sehr, um der Versuchung, wenn sie überhaupt an ihn herantrat, nicht zu verfallen. Hat er es doch nicht einmal über sich vermocht, während der aufreibenden Kammerthätigkeit seine Vorlesungen an der Universität auszusetzen; lieber fuhr er zwischen Karlsruhe und Heidelberg hin und her und eilte, eben auf dem Bahnhofe angekommen, hier in den Hörsaal, dort in die Kammer oder in eine Ausschußsitzung. In den Ferien aber reiste er, um die ihm jetzt erst vollständig zugänglichen Schätze des preußischen Staatsarchivs für die dritte Auflage seiner deutschen Geschichte zu verwerthen, wiederholt auf mehrere Wochen zu neuer Arbeit nach Berlin, statt sich, wie in früheren Jahren, Erholung auf Reisen zu gönnen. Seine Kraft, anscheinend unerschöpflich, ging wenigstens über das gewöhnliche Maß eben so hinaus, wie seine Wirksamkeit und seine Geltung in der Welt die Stellung eines deutschen Professors überragte. H. war ein viel bewunderter und oft beneideter Mann. Auch sein häusliches Leben und seine persönlichen Verhältnisse hatten sich glücklich gestaltet. Seit dem Jahre 1846 mit Eleonore Rettig, einer anmuthigen und liebenswürdigen Frau, vermählt, wuchsen ihm vier Kinder heran, an denen sein Herz hing. In den ersten Jahren hatte er den Lebensunterhalt, von dem Ertrage seiner Vorlesungen abgesehen, größtentheils mit der Feder erwerben müssen. Denn die außerordentliche Professur, die ihm die pfälzische Geschichte (1845) verschaffte, war mit keinem Gehalte verbunden, und die ordentliche Professur, womit ihn die Regierung, nur auf Drängen der Universität, 1850 für einen Ruf nach Zürich entschädigte, nur mit wenigen hundert Gulden ausgestattet. Erst wiederholt an ihn ergehende Rufe (1851 nach Jena, 1856 nach Erlangen) stellten ihn ökonomisch günstiger, so daß er, da nun auch die akademische und litterarische Thätigkeit stetig wachsende Erträge lieferte, das Leben mit der Behaglichkeit genießen konnte, die dem echten Sohne der Pfalz so wohl anstand. H. liebte es, die arbeitsvollen Tage in engerem oder größerem Kreise bei einem ausgesuchten Glase zu beschließen und sah es gern, wenn seine Meisterschaft in Kenntniß des Weins und Bereitung kunstreichen Getränks auch von anderen gewürdigt wurde. Dann entfaltete er neben einer seltenen Gabe der Erzählung einen ebenso liebenswürdigen wie unerschöpflichen Humor; nahm er aber einmal das Wort zu einer längeren Tischrede, so wußte er den ernsten Ton mit nicht geringerem Talent als den heiteren zu treffen.

Wie hätte es fehlen können, daß H., von den Collegen hochgeschätzt und geliebt, von der Stadt mit dem Ehrenbürgerrecht beschenkt, als Zierde und Stolz Heidelbergs galt? Auch von auswärtigen gelehrten Körperschaften, von seinem Landesherrn und anderen deutschen Fürsten wurde er mit Auszeichnungen reich bedacht und dem Geschichtswerke, das seinen Namen in die weitesten Kreise trug, fielen in Göttingen und Berlin hohe wissenschaftliche Preise zu. Aber H. blieb auch als Träger hoher Ehren und Titel immer derselbe schlichte, von Gelehrten-Eitelkeit freie, jedem Prunken abholde Mann. Nur eine Ehre, die zu fruchtbarer Thätigkeit Gelegenheit bot, hatte für ihn wahren und bleibenden Werth. So wußte H. es hoch zu schätzen, daß der König Maximilian II. von Baiern ihn zum Mitglied der historischen Commission ernannte, wie er ihn auch schon zu der vorberathenden Versammlung im Herbste des Jahres 1858 hatte hinzuziehen lassen. Seitdem versäumte der Vielbeschäftigte keine der alljährlich wiederkehrenden Plenarversammlungen und nahm an den Arbeiten thätigen Antheil. Sein besonderes Interesse[WS 5] erregte neben den großen Quelleneditionen von nationaler [110] Bedeutung alles, was auf die Geschichte der Pfalz Bezug hatte; für die „Forschungen zur deutschen Geschichte“ bildete er in Gemeinschaft mit Waitz und Stälin Jahre lang die Redactionscommission. Nicht gering schlug er endlich auch die nahen persönlichen Berührungen an, in die er zu München mit anderen hervorragenden Historikern trat. Auch diejenigen unter ihnen, welche in früheren Jahren den Schüler Schlosser’s auf seine Jugendarbeiten hin nicht als ganz vollgültigen Genossen hatten ansehen mögen, begegneten dem Verfasser der deutschen Geschichte mit hoher Achtung und Verehrung, und neben der Anerkennung, die seinen Talenten und wissenschaftlichen Verdiensten gebührte, machte sich in geselligem Verkehr bald genug auch jene warme Sympathie geltend, die Häusser’s charaktervolle, lebensfrische und lautere Natur überall erwecken mußte. Aber die Liebe und Verehrung der Collegen bildete nicht den Hauptgewinn, den H. aus den Beziehungen zur historischen Commission schöpfte. Schwerer wogen, wenn wir uns nicht täuschen, auch in seinen Augen die wissenschaftlichen Anregungen, die er von dorther empfing. Er trat den Studien auf dem Gebiete des Mittelalters und der dort geübten kritischen Methode näher; er begann nicht allein den historischen Uebungen, die er strebsamen Schülern zu Liebe seit dem Jahre 1855 mit einer Quellenkunde der neueren Geschichte verbunden hatte, auch Quellen der älteren deutschen Geschichte zu Grunde zu legen, sondern man sah ihn auch in seinen Mußestunden nicht selten zu den Monumenta Germaniae historica greifen, als ob er gegen die Beschäftigung mit moderner Geschichte und gegen die publicistische und parlamentarische Thätigkeit, der er sich nun einmal nicht zu entziehen vermochte, in streng wissenschaftlichen Studien ein Gegengewicht gesucht hätte. Daß er hierin seinen eigentlichen Beruf erkannte und daß er, sobald die großen vaterländischen Interessen ihn nicht zu praktischer Thätigkeit zwingend aufforderten, sich ganz auf seine Wissenschaft zu beschränken verlangte, ist nicht zweifelhaft. Aber ein anderes Loos war ihm beschieden. Statt seine Wirksamkeit einzuschränken und die der Erschöpfung nahen Kräfte zu schonen, trieb ihn zu Anfang der sechziger Jahre der Lauf der Dinge, als badisches Kammermitglied auch in die deutsche Frage in dem schwierigsten Stadium ihrer Entwicklung einzugreifen und in ihrem Dienste sich aufzureiben. Nachdem H. schon im Juni 1862 zu Frankfurt den Verhandlungen von Abgeordneten aus verschiedenen deutschen Staaten, welche die einheitliche und freiheitliche Entwicklung Deutschlands anstrebten, beigewohnt und sich im October des Jahres an der Gründung des Abgeordnetentages zu Weimar betheiligt und dort das österreichische Delegirtenproject bekämpft hatte, fiel ihm im August 1863 in der gleichzeitig mit dem Fürstentage zu Frankfurt berathenden Abgeordneten-Versammlung über den neuen österreichischen Reformentwurf die Berichterstattung zu, die er alsbald auch als Flugschrift („Die Reform des deutschen Bundes“, Frankfurt 1863) veröffentlichte. Indem der Berichterstatter die Reformacte einer scharfen Kritik unterwarf und ihr gegenüber mit allen Anhängern der Reichsverfassung von 1849 an der Forderung eines freigewählten Parlaments festhielt, konnte er doch gegen die Bemühungen des Wiener Cabinets sich nicht lediglich verneinend verhalten und gab vor Allem der Hoffnung Ausdruck, daß Angesichts der Initiative Oesterreichs und der Theilnahme fast aller Bundesglieder die Frage der Neugestaltung der Bundesformen vor ihrer Lösung nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden werde. Wie viel freudiger würde es ihn gestimmt haben, wenn an Oesterreichs Stelle Preußen die Initiative ergriffen und nicht, wie die allgemein herrschende Meinung war, die Fähigkeit zur Führung der Nation nach dem großen Ziele unserer politischen Wiedergeburt in dem heftigen Conflict mit dem liberalen Theile des eigenen Volks verloren hätte? Noch schmerzlicher und aufreibender waren die Kämpfe, in welche die schleswig-holsteinische [111] Angelegenheit den Patrioten verwickelte. Man kennt die großartige Agitation, die der Sechsunddreißiger-Ausschuß nach dem Tode des Königs Friedrichs VII. für den Herzog von Augustenburg in Scene setzte. H. war Mitglied des engeren geschäftsführenden Ausschusses und wie immer mit Wort und Feder in vorderster Reihe bei Versammlungen, Erklärungen, Adressen betheiligt. Er empfand daher so tief wie einer den Zwiespalt, in den die ehrlich national gesinnten Vorkämpfer der Sache der Herzogthümer mit sich selbst geriethen, als Bismarcks kühne Politik ihre ersten Erfolge errang. Auch die Betheiligung an den badischen Dingen konnte ihm die Befriedigung früherer Tage nicht mehr gewähren. Zwar wurde an den weitgreifenden Reformen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens rüstig fortgearbeitet und einem Manne der Kammer, welcher dasselbe warme Interesse, womit er für die Emancipation der Juden oder die Selbstverwaltung der Gemeinden sprach, dem Ausbau des Eisenbahnnetzes zuwandte, reichliche Gelegenheit zu fruchtbarer Thätigkeit geboten. Aber keineswegs in allen Fragen war ihm das freisinnige Ministerium rasch und entschieden genug, namentlich nicht in der Ordnung des Schulwesens, und hier war es, wo H. mit der ungestüm vorwärts drängenden Majorität aufhörte einem Staatsmanne wie Roggenbach eine Stütze zu sein. Auch die Führerschaft des liberalen Protestantismus in dem heftiger entbrannten Kampfe gegen die orthodoxe Richtung verursachte ihm an der Seite Schenkel’s ohne Zweifel mehr Arbeit und Aufregung als innere Befriedigung.

Indeß hätten so vielseitige, bis zum Uebermaß gesteigerte Anstrengungen, wie sie H. in den Jahren 1863 und 1864 sich auferlegte, die gewaltigste Kraft vor der Zeit erschöpfen müssen, auch wenn er immer von dem Bewußtsein zweifelloser und glänzender Erfolge getragen worden wäre. Aber während die Freunde baten und warnten, dachte er selbst erst an Schonung seiner gebrochenen Gesundheit, als es zu spät war. Im October 1864 constatirte der Arzt ein Herzleiden, das sich bald als unheilbar erwies; erst im Frühjahr 1865 entsagte der Kranke der politischen Wirksamkeit. Seine akademische und wissenschaftliche Thätigkeit aber gab er auch dann nicht ganz auf, als er unter den unsäglichsten Schmerzen an der Herzwassersucht litt. Und wie hätte er aufhören sollen mit warmer Theilnahme die Geschichte des Vaterlandes zu verfolgen? Daß er dem Kriege von 1866 seinen Beifall nicht schenken konnte, braucht kaum gesagt zu werden; noch weniger, daß er vom Beginne des Kampfes an keinen Augenblick in seinen Sympathien schwankte und die großen und bleibenden Erfolge freudig begrüßte. Im Winter 1866/67 vermochte es der Willensstarke noch einmal, wenn auch mit Unterbrechungen, deutsche Geschichte in seiner Wohnung vorzutragen. „So schwer mir in körperlicher Beziehung die Vorlesungen geworden sind“ – sagte er am 16. März zu seinen tief ergriffenen Zuhörern in den Abschiedsworten –, „so habe ich doch kaum je in einem Semester so viel Trost und innere Befriedigung aus ihnen hinweg genommen als in diesem; sie haben mich wieder in engere Verbindung mit der Wissenschaft gebracht, das ist mit meinem Leben." Schon drei Tage darauf, am 19. März 1867, entschlief er, erst 48 Jahre alt. Um ihn trauerten nicht allein die Universität, die Stadt Heidelberg und das badische Land bis zum Fürsten hinauf, sondern all die Tausende in Süd und Nord, die seinem beredten Munde oder seiner fleißigen Feder patriotische Anregung und wissenschaftliche Belehrung verdankten. Als drei Jahre später (22. December 1870) der Staatsminister Jolly der badischen Kammer den Bündnißvertrag von Versailles vorlegte und dankbar auch derer gedachte, welche die politische Wiedergeburt Deutschlands dadurch vorbereiteten, daß sie in trüben Zeiten treu und muthig den vaterländischen Sinn unseres Volkes großzogen und nährten, brachte er seine Huldigung vor Allem den Manen [112] Häusser’s dar, als des Mannes, „der wie kein Anderer, zumal in Süddeutschland, die Herzen der Jugend patriotisch erwärmte“. Dies Verdienst wird ihm bleiben, auch wenn seine Schriften durch die rasch fortschreitende Wissenschaft überholt sein werden.

Ueber Häusser’s Leben haben nach seinem Tode zahlreiche Blätter berichtet; hier seien nur die Nekrologe von Wattenbach (Heidelberg 1867) und von v. Weech (Aus alter und neuer Zeit, S. 308), sowie die Artikel in der Allg. Zeitung, Beil. 152–54, in v. Weech’s badischen Biographien (Oncken) und in den Preuß. Jahrb. Bd. VII (Kluckhohn) genannt. – Außer den eben besprochenen Schriften erschienen nach Häusser’s Tode: Gesammelte Schriften (zur Geschichtslitteratur), 2 Bde., Berlin 1870. Ferner veröffentlichte Oncken nach stenographischen Aufzeichnungen: „Geschichte der franz. Revolution 1789 bis 1799“ (Berlin 1867) und „Geschichte des Zeitalters der Reformation 1517 bis 1648“ (Berlin 1868, und in 2. Aufl. 1880).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. von „émeute“ = Aufruhr; also: Soldatenrevolte
  2. Adolphe Thiers (1797-1877), französischer Politiker und Historiker.
  3. Thomas Babington Macaulay (1800-1859), britischer Historiker, Dichter und Politiker.
  4. Onno Klopp (1822-1903) (Pseudonym: J. Vota), Publizist und Historiker.
  5. Vorlage: Interesses