Zum Inhalt springen

ADB:Grieß, Peter

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Grieß, Johann Peter“ von Carl Oppenheimer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 547–550, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Grie%C3%9F,_Peter&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 04:26 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Grimm, Joseph
Band 49 (1904), S. 547–550 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Peter Grieß in der Wikipedia
Johann Peter Grieß in Wikidata
GND-Nummer 116835362
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|49|547|550|Grieß, Johann Peter|Carl Oppenheimer|ADB:Grieß, Peter}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116835362}}    

Grieß: Johann Peter G. wurde am 6. September 1829 zu Kirchhosbach, einem Dörfchen in der Nähe von Kassel, als Sohn des Schmiedes Johann Heinrich G. geboren. Sein Vater war ziemlich begütert und besaß außer seiner Schmiede mehrere Aecker. Bereits in der Dorfschule legte der Knabe eine bedeutende Begabung an den Tag, so daß sein Vater sich veranlaßt sah, ihm von dem Dorfgeistlichen einige Privatstunden geben zu lassen. Er beabsichtigte den Sohn zu einem tüchtigen, gebildeten Landwirth zu erziehen und suchte ihn schon frühzeitig für diesen Beruf zu interessiren. Trotzdem Johann Peter den Aufgaben des Ackerbaues gerade keinen besonderen Geschmack abgewinnen konnte, vermochte sein Vater sich nicht zur Aufgabe seines Lieblingsplanes, den Sohn zu einem Landwirth heranbilden zu lassen, zu entschließen; und so finden wir ihn in seinem 15. oder 16. Lebensjahre in einer angesehenen landwirthschaftlichen Privatschule wieder, die der Amtmann Ulrich auf der von ihm gepachteten Domäne Beberbeck bei Hofgeismar errichtet hatte. Von hier siedelte er jedoch bald an die polytechnische Schule nach Kassel über, die damals unter Winkelblech’s Leitung stand, bei dem G. den ersten Unterricht in der Chemie erhielt. Die Nachrichten, die wir über diese Zeit haben, sind sehr spärlich. Sicher ist nur, daß er damals großes Interesse und auch bedeutende Kenntniß der Botanik besaß. Auch soll er sich in Kassel für das Examen vorbereitet haben, um zu dem kurz zuvor in Kurhessen eingeführten einjährigfreiwilligen Dienst zugelassen zu werden. Angeblich soll er auch wenige Monate ohne sonderlichen Gefallen als Husar gedient haben. Dank den in Kurhessen damals herrschenden Zuständen gelang es seinem Vater, ihn für 600 Thaler vom Militärdienste loszukaufen. Sicher wissen wir erst wieder, daß er das Wintersemester 1850/51 und das Sommersemester 1851 an der Universität Jena zubrachte. Hier besuchte er mit Vorliebe die botanischen Vorträge von Matthias Schleiden, sonst scheint er jedoch ganz im Studentenleben aufgegangen zu sein. Ob er auch die Vorlesungen von Wackenroder, der damals Professor der Chemie in Jena war, besucht hat, bleibt zweifelhaft. Sicher ist, daß er großes Interesse für die Chemie nicht an den Tag legte.

Von Jena ging G. im Herbst 1851 nach Marburg, wo er sich indessen auch nicht wesentlich um das Studium der Naturwissenschaften gekümmert zu haben scheint. Fleißiger besuchte er nur die Vorträge des jungen Physikers Hermann Knoblauch, der 1849 von Berlin nach Marburg gekommen war. Mit besonderer Vorliebe gab er sich damals philosophischen Studien unter der Leitung von Eduard Zeller und Theodor Waitz hin. Im übrigen scheint er das lustige Leben auch hier fortgesetzt zu haben. Er war als ein vergnügter Kneipcumpan bekannt, der manchen dummen Streich mit seinen Kameraden verübte, manches Mal auch den Carcer mit seinem Besuche beehrte. Am 1. December 1853 wurde wegen Burgfriedenbruchs über ihn die Relegation auf ein Jahr verhängt.

Er ging dann nach München, wo er einige Zeit bei Liebig und Carriere Vorlesungen hörte, ohne indessen an der Universität immatriculirt gewesen zu sein. Nach kurzer Zeit jedoch kehrte er wieder nach Hessen zurück, wo er sich theils bei seinem Vater, theils wieder in Marburg aufhielt, wozu ihm durch Ministerialerlaß im October 1854 nach Verbüßung einer Carcerstrafe die [548] Erlaubniß ertheilt wurde. 1855 wurde er auch wieder immatriculirt und bald sehen wir ihn wieder in dem alten Freundeskreise. – Er gehörte der seit 1846 bestehenden Fortschrittsverbindung Franconia an. –

Inzwischen hatten sich jedoch seine Geldverhältnisse wesentlich verschlechtert, da sein Vater einen großen Theil seines Besitzthums bereits für ihn verausgabt hatte und nicht mehr in der Lage war, ihn reichlich zu unterstützen. Demgemäß mußte er ernstlich daran denken, sich einen Erwerb zu verschaffen. Jetzt also, im zwö1ften Semester, begann er erst seine Studien auf das Gebiet der Chemie zu concentriren und auch zeitweilig im chemischen Laboratorium zu arbeiten. Auf Empfehlung seines Lehrers Kolle erhielt er im Herbst 1856 eine Stelle in der Oehler’schen Fabrik zu Offenbach a. M., einer der ältesten Anlagen für Theerdestillation in Deutschland. Seine dortige Thätigkeit war jedoch nicht von langer Dauer, da die Fabrik bereits kurze Zeit nach seiner Ankunft infolge einer Entzündung von Benzol völlig abbrannte. Nach seiner Entlassung ging er nach Marburg zurück, wo er wiederum im Kolle’schen Laboratorium arbeitete. Es war inzwischen mit ihm eine völlige Umwandlung vorgegangen. Aus dem leichtlebigen Bruder Studio war ein strebsamer junger Mann von seltenem Eifer und Arbeitskraft geworden, der ganz im Gegensatz zu früher völlig zurückgezogen von jedem Verkehr kümmerlich lebte und nur mit allen Kräften bestrebt war, seine Schulden zu bezahlen. Bei der Erweiterung und Ausbildung seiner chemischen Kenntnisse kam ihm die Freundschaft mit Rudolf Schmitt sehr zu statten, der bisher Repetent am Stuttgarter Polytechnikum, damals als erster Assistent ans Marburger chemische Universitätslaboratorium kam. In dieser Zeit entstand seine erste Veröffentlichung über die Einwirkung von salpetriger Säure auf Amidinitro- und Aminitrophenylsäure. Gelegentlich dieser Arbeiten wurde er durch Kolle mit A. W. v. Hofmann bekannt gemacht, der sich damals zu Besuch in Deutschland aufhielt. Bei seiner Rückkehr nach London nahm dieser G. als supernumerären Assistenten an das Royal College of Chemistry mit. Hier setzte G. seine in Marburg begonnenen Arbeiten zur Erforschung der aromatischen Diazoverbindungen fort, deren endgültiges Ergebniß er der Royal Society im J. 1864 vorlegen konnte. Außerdem arbeitete er mit seinem Freunde Leibius noch über die Verbindung des Cyans mit den Amidosäuren und mit Martius über das Aethylenplatinchlorid.

In London verkehrte G. viel in dem Hause seines Chefs, wo er den in der Brauerei von Alsopp & Sons in Burton angestellten Dr. Heinrich Böttiger kennen lernte. Böttiger weilte oft in London, um mit Hofmann zusammen Untersuchungen für seine Brauerei vorzunehmen, wobei ihnen G. treffliche Dienste leistete. Infolge Böttiger’s eifrigen Bemühungen gelang es G. endlich im J. 1862 als Chemiker zu Alsopp & Sons zu kommen. Dadurch war es ihm nun schließlich gelungen, sich eine Lebensstellung zu schaffen, die ihn vor materiellen Sorgen schützte. Anfangs fiel es ihm herzlich schwer, sich in seine Stellung hineinzufinden, denn es wartete seiner viel Arbeit, die auf einem ganz anderen Gebiete wie seine früheren Studien lag und ihn zeitweise zwang, dieselben ganz aufzugeben. Doch bald hatte er sich vollkommen in seine neue Lage gefunden, und seine in jener Zeit erschienenen Arbeiten legen ein beredtes Zeugniß für seinen Fleiß ab. Im September 1869 vermählte er sich mit der Tochter des in Burton ansässigen Arztes, Louisa Anna Mason. Jedoch nach kurzer Zeit schon begann seine Gattin zu kränkeln und fast andauernd bettlägerig zu werden. So kam es, daß G., der seine Frau zärtlich liebte und seine ganze freie Zeit zu ihrer Pflege und Erheiterung Verwandte, sich fast ganz von jedem geselligen Verkehr zurückzog.

[549] Um so mehr nahm er jedoch Gelegenheit, sich wissenschaftlich zu bethätigen. Sein Hauptverdienst um die Wissenschaft bilden die Entdeckung und genauere Erforschung der aromatischen Diazoverbindungen. Die betreffenden Arbeiten beginnen im J. 1858 und haben ihn mit geringen Unterbrechungen bis an sein Lebensende beschäftigt. Für den Ausbau der aromatischen Gruppe waren sie von unschätzbarem Werth. Seine diesbezüglichen grundlegenden Versuche hat G. in vier großen Abhandlungen beschrieben, welche in den Jahren 1860 bis 1866 in den Annalen der Chemie und Pharmacie erschienen und den Titel führen: „Ueber eine neue Klasse organischer Verbindungen, in denen Sauerstoff durch Stickstoff vertreten ist“. Mit seinen Versuchen hat G. eine so erschöpfende Studie der aromatischen Diazokörper geliefert, daß seinen Nachfolgern nicht viel zu thun übrig blieb. Meist sind seine Methoden in unveränderter Form mit großem Erfolge zum Ausbau der aromatischen Gruppe benutzt, nur in wenigen Fällen sind sie modificirt oder verbessert worden. G. war Mitglied der Royal Society und der englischen und der deutschen chemischen Gesellschaft, bei denen er wiederholt als Vorstandsmitglied fungirte. Im J. 1877 wurde er in München gelegentlich der fünfzigjährigen Jubelfeier der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, der er persönlich beiwohnte, von der Münchener philosophischen Facultät zum Ehrendoctor ernannt.

Von seinen Berufsarbeiten ist keine Kunde auf uns gekommen, aber aus gelegentlichen Andeutungen seinen Freunden gegenüber läßt sich entnehmen, daß er auch auf diesem Gebiete große praktische Erfolge erzielt hatte. Ein Schlaganfall setzte am 30. August 1888 seinem ereignißreichen Leben plötzlich ein Ende, als er sich gerade zur Erholung in dem Seebade Bournemouth aufhielt.

Da seine wichtigen Arbeiten in Zeitschriften zerstreut sind, scheint es angezeigt, sie hier zusammenfassend aufzuführen. Liebig’s Annalen. 1858, 106: „Vorläufige Notiz über die Einwirkung von salpetriger Säure auf Amidinitro- und Aminitrophenylsäure“; 1859, 109: „Neue Abkömmlinge der Phenylsäure“; 1860, 113: „Verbindungen des Cyans mit den Amidosäuren“; 1861, 120: „Ueber Diazobenzoesäure“; 1864, 131 „Zur Kenntniß des Azobenzols“; 1865, 134: „Dem Alizarin isomere Verbindungen aus Naphthalin“, 135: „Hyperbromide der Diazosäuren“; 1870, 154: „Diamidonitrophenylsäure“, „Azobenzolschwefelsäure“, „Diamidobenzoesäure“; 1873, 166: „Bildung der Metanitrobenzoesäure beim Nitriren der Benzoesäure“; 1874, 172: „Entschwefelung der Schwefelharnstoffbenzoesäure (Dicarboxylsulfocarbanilid)“. – London. Phil. Transact. 1865: „New series of bodies in which N is substituted for H“. – London. Royal Soc. Proceedings, 1857/59: „New nitrogenous derivatives of the phenyl and benzoyl series“; 1860: „On a new method of substitution and on the formation of Jodobenzoic, Jodotoluylic and Jodoanisic acids“; 1860: „New compounds produced by the substitution of Nitrogen is substituted for Hydrogren“; 1861: „On a new class of organic Bases in which Nitrogen is substituted for Hydrogen“; 1862: „Reproduction of non-nitrogenous acids from amidic acids“; 1863: „On som new Compounds obtained by Nitrogen-substitution and new alcohols derived therefrom“. – Erlenmeyer’s Zeitschrift. 1862: „Neue Körper aus der Benzoesäuregruppe“; 1865: „Umwandlung der Anthranilsäure in Benzoesäure“, „Jodphenylsäure“; 1866: „Oxybenzaminsäure“; 1866/67: „Neue Substitutionsprodukte der Benzoesäure“; 1867: „Ueber das Triamidoazobenzol als Bestandtheil des Phenylenbrauns“; 1867/68: „Einwirkung des Cyans auf Amidosäuren“. – Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. 1: „Oxyhippursäure und Jodhippursäure; Zwei neue organische Basen“; 2: „Einwirkung des Harnstoffs auf aromatische [550] Amidosäuren und auf Glykokoll“, „Diazocyanbenzol“, „Einwirkung des Cyans auf Anthranilsäure“, „Abkömmling der Uramidobenzoesäure (auch 5)“; 3: „Benzkreatin“; 4: „Isomere Jodbenzoesäure“; 5: „Abkömmling der Uramidodakrylsäure“; 5: „Aromatische Amidosäuren mit Alkoholradicalen (auch 6, 12)“; 6: „Trimethylbenzbetaïn und Trimethylanisbetaïn“; 7: „Einwirkung von Jodmethyl auf Diamidobenzoesäure“, „Einwirkung der salpetrigen Säure auf Aethylanilin“, „Neue Bildungsweise des Benzkreatins“, „Einwirkung von Salpeter-Schwefelsäure auf Orthonitrobenzoesäure“; 7–16: „Ueber Diazoverbindungen“; 8: „Kreatinartige Verbindungen aus der aromatischen Gruppe“, „Nitrobenzoesäure“, „Cyanphenylalkohol“, „Neue Bildungsweise des Metacyananilins“, „Neue Synthese des Betaïns“; 9: „Einwirkung des Blutlaugensalzes auf Diazobenzol, Phenolbidiazobenzol und analoge Verbindungen“, „Zersetzung der Oxäthylcarbimidamidobenzoesäure mit salpetriger Säure“, „Constitution der Diazobenzoesäureverbindungen“; 10: „Einwirkung der Diazoverbindungen auf tertiäre Amine“, „Orthoazobenzoesäure“; 11: „Metadiamidobenzo1 als Reagenz auf salpetrige Säure“, „Benzoesäurederivate“, „Einwirkung einiger Diazosulfosäuren auf Phenole“; 12: „Dreifach methylirte Sulfanilsäure und Amidosalicylsäure“, „Einwirkung von Jodmethyl auf Asparagin“, „Einwirkung von Cyanverbindungen auf Diazobenzol“; 13: „Trimethylphenolammoniumbasen“, „Trimethylnitrophenolammonium“, „Orthobenzglycocyamidin“, „Neue Art von Ammoniumverbindungen“, „β–Naphthalindisulfosäure und Dioxynaphthalindisulfosäure“; 14: „Verbindung der Diazobenzoesäure und anderer aromatischer Diazosäuren mit Phenolen“; 15: „Einwirkung von Cyan auf Picraminsäure“; 18: „Vorkommen von Cholin in Hopfen und Bier“; 20: „Einwirkung der aromatischen Diamine auf die Zuckerarten“; 21: „Versuche über die Verwendbarkeit des Formaldehyds für synthetische Zwecke“, „Zur Kenntniß des Hexamethylentetranim“. – Erdmann’s J. f. prakt. Chemie. 97: „Amidodiphenylimid“; 109: „Neue Zersetzungsproducte der Diazobenzoesäure“, „Neue Abkömmlinge aromatischer Amidosäuren“; 111: „Ein neues Phenylendiamin“; 112: „Uramidobenzoesäure“; 113: „Zwei neue isomere Sulfosäuren der Amidobenzoesäure“, „Derivate der Uramidobenzoesäure“.