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ADB:Gerlach vom Hauwe

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Artikel „Gerlach vom Hauwe“ von Hermann Keussen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 301–303, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gerlach_vom_Hauwe&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:36 Uhr UTC)
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Gerlach: G. vom Hauwe, c. 1365/70–1399, Kölner Stadtschreiber, muß, obwol ihn ein tragisches Geschick noch in jungen Jahren aus dem Leben riß, als eine der interessantesten Persönlichkeiten bezeichnet werden, welche im ausgehenden Mittelalter zu einer politischen Rolle in der rheinischen Metropole berufen waren. Wie sein Beiname vom Anker ausweist, war sein Elternhaus das gleichnamige Haus auf der Johannisstraße. Ein körperliches Gebrechen wird durch den Spitznamen „der schele Gerlach“ angedeutet. Er gehörte zu den ersten Studenten der im J. 1389 eröffneten vaterstädtischen Universität. Seine Studien schloß er ab durch den Erwerb des päpstlichen Notariats und die Weihe zum Cleriker. Alsdann wurde er Schreiber des Schöffengerichts, aus welcher Stellung er später in den städtischen Kanzleidienst übertrat. In diesem erwarb er sich ein unleugbares Verdienst durch die Einführung des Gebrauchs der deutschen Sprache in die Grundbuchacten, die erst mit seiner Thätigkeit als Schreinschreiber einsetzt. Schon damals war G. in die Parteiungen verwickelt, welche die aristokratischen Machthaber Kölns in zwei feindliche Lager schieden. Das Haupt der einen Faction war der hochstrebende Ritter Hilger von der Stessen, den der Stadtschreiber G. bei einer diplomatischen Mission nach Prag an den Hof König Wenzel’s begleitete, und dem er, als Hilger vorzeitig nach Köln zurückkehren mußte, vertrauliche Mittheilungen vom königlichen Hofe zukommen ließ. Als aber im Anfange des Jahres 1396 die gegnerische patricische Partei der „Freunde“ ans Ruder kam, wurde der gewandte Stadtschreiber auch ihr Vertrauensmann, der eine neue Gesandtschaft nach Prag zu begleiten hatte; mit Aufwendung großer Unkosten wurde deren Zweck erreicht: die Billigung des gewaltsamen Vorgehens der „Freunde“ gegen ihre Gegner durch das Reichsoberhaupt. Noch war kein halbes Jahr seit dem Siege der „Freunde“ vergangen, als ein unblutig verlaufender Ausbruch des Volksunwillens die aristokratische Mißwirthschaft über den Haufen warf. Der Wortführer der siegreichen Demokratie war wiederum [302] der in allen Sätteln gewandte jugendliche Schreiber. Er verfaßte die Vertheidigungsschrift des neuen Regiments, das „Neue Buch“; noch ist das Autograph dieser „Legende“ der demokratischen Herrschaft erhalten, das durch die Eigenart der Schriftzüge den ungenannten und daher früher unbekannten Autor erkennen läßt. In dieser geschickten Deduction geißelt G. mit unbarmherzigem, aber durchaus nicht unparteiischem Griffel alle Sünden der aristokratischen Herrschaft gegen „die arme Gemeinde“; sorgsam verschweigt er den eigenen Antheil an den gerügten Ereignissen. Auch die demokratische Verfassungsurkunde der Stadt vom Tage der Kreuzerhöhung des Jahres 1396, die Grundlage der städtischen Verfassung durch vier Jahrhunderte, ist, wie die Kölner Jahrbücher berichten, das Werk Gerlach’s vom Hauwe; verschiedene der noch vorhandenen Originalausfertigungen der Urkunden sind zudem von Gerlach’s eigener Hand geschrieben.

Die Gunst des neuen Rathes blieb nun durch mehrere Jahre dem aufstrebenden Talente Gerlach’s gewogen. Bei seiner Vertrautheit mit den Verhältnissen des königlichen Hofes war er selbstredend der Beirath der Gesandten, welche um theures Geld bei König Wenzel die Anerkennung der gewaltsamen Verfassungsänderung erreichten. Dankbarkeit ist kein Erforderniß der Politik, war aber ebensowenig eine Tugend, welche G. eignete. Und so darf es nicht wundernehmen, daß derselbe Mann, der sich von den königlichen Vertrauensleuten eine warme Empfehlung an den heimischen Rath hatte ausstellen lassen, in kürzester Frist den Uebertritt der Stadt Köln zu den Gegnern des Königs veranlaßte, den wir im Laufe des folgenden Jahres 1397 bemerken. Auf beiden Frankfurter Reichstagen dieses Jahres gehörte er zu den Kölner Vertretern. Die durch den Triumph der Demokratie gestürzten Aristokraten waren mit hohen Geldstrafen und mit Verbannung aus der Vaterstadt gestraft worden. Nur das Haupt des Greifenführers Hilger von der Stessen, der sich trotz seiner Ausweisung heimlich in die Stadt gewagt hatte, fiel im Januar 1398 unter dem Beile des Henkers, und im Mai erfolgte die Hinrichtung des geldrischen und kurkölnischen Vertrauensmannes, des ehemaligen Kanonikus von Kaiserswerth, Hermann v. Goch, und seines Schwagers Goswin von der Kemenaten. Das Verhör Hermann’s v. Goch ließ einen schwarzen Schatten auf den rührigen Stadtschreiber fallen. Man beobachtete ihn seitdem. Nächtliche Ausgänge, die er in einem noch erhaltenen psychologisch interessanten Briefe als fröhliche Aeußerungen jugendlichen Uebermuthes und harmlosen Minnedienstes hinzustellen versuchte, schienen den Verdacht politischer Untreue zu bestätigen. Man vermuthete, daß dem nächtlichen Treiben eine Verschwörung mit den verbannten Patriciern zu Grunde liege, mit denen G. städtische Sendungen nach Frankfurt, Koblenz und Bonn in Verbindung gebracht haben sollten, wie man nun behauptete, und wie er selbst nach seiner alsbald erfolgten Verhaftung im Verhör angeblich ungefesselt und aus freien Stücken zugab. Dagegen bestritten die verdächtigten Aristokraten unter Eid diese Behauptung. Mit dem Charakter des merkwürdigen Schreibers würde freilich dieser Bund mit den alten Freunden durchaus vereinbar gewesen sein. Jedenfalls kostete ihm das Geständniß das junge Leben. Er mochte kaum ein Alter von 30 Jahren erreicht haben, als am 7. Juni 1399 die Hinrichtung stattfand. Der Leichnam wurde nach dem Nonnenkloster Bottenbroich überführt, in das mehrfach Verwandte des Stadtschreibers eingetreten waren und in dem gerade damals eine Base den Schleier trug.

Bald war der vielgewandte Mann, bei dem Talent und Charakterlosigkeit sich die Wage hielten, auf dessen geschichtlichem Bilde Licht und Schatten sich gleichmäßig vertheilten, in seiner Vaterstadt vergessen. Erst in unseren Tagen [303] ist es gelungen, diese eigenartige Persönlichkeit gewissermaßen neu zu entdecken und ihr den Platz wieder anzuweisen, den sie in einer der wichtigsten Epochen der Kölner Vergangenheit, wenn auch nicht immer ruhmvoll, ausgefüllt hat. In einem Roman hat sodann Herm. Cardauns (pseud. H. Kerner, Der Stadtschreiber von Köln. 2. Auflage. Freiburg i. Br. 1900) in freierer Gestaltung der Ereignisse weitere Kreise an dem Schicksale des verschollenen Stadtschreibers interessirt.

Herm. Keussen, Der Verfasser des Verbundbriefes und des „Neuen Buches“. Zur Geschichte der Kölner Revolution 1396 i. d. Mittheilungen aus dem Stadtarchiv von Köln. 15. Heft, S. 1–54 (auch besonders erschienen unter dem Titel: Die Kölner Revolution 1396, ihre Begründung und Darstellung. Köln 1888). Einzelne Nachträge bei Stein, Akten zur Gesch. d. Verfassung u. Verwaltung d. Stadt Köln I, CXXVIII–CXXIX.