ADB:Frank, Franz Hermann Reinhold von
Frank: Franz Hermann Reinhold F., später durch Verleihung des bairischen Civilverdienstordens geadelt († 1894), hervorragender lutherischer Theologe des 19. Jahrhunderts. F. wurde geboren am 25. März 1827. Es war der Sonntag Latäre und zugleich der Tag der Verkündigung Mariä, an dem er früh um ½2 Uhr das Licht der Welt erblickte. Sein Vater Ernst Frank – er stammte aus einer Altenburger Bürgerfamilie – war damals Stiftsprediger und Lehrer am freiadeligen Magdalenenstift in Altenburg. Er wird uns als ein energischer, kluger und tüchtiger Mann geschildert, der gleich eifrig und glücklich seines Amtes als Prediger wie als Lehrer wartete. Und wer in die klaren Augen des scharfgeschnittenen Gesichtes auf seinem Bildniß geblickt, wird dieser Charakteristik gern Glauben schenken. Die Mutter, Charlotte geb. Beuthner, einem alten Pastorengeschlecht entstammend, war eine Frau von tief innigem religiösem Gemüthsleben, die aber mit solchem Mariensinn die Martha-Arbeit in wahrhaft bewunderungswürdiger Weise zu verbinden verstand. Sie hat es nicht leicht gehabt, waren die Verhältnisse des Hauses doch eng und die Mittel oft recht knapp. Aber in rastloser Thätigkeit hat sie für die Ihrigen zu schaffen und zu arbeiten gewußt. Mit tiefster Pietät und Dankbarkeit haben die Kinder sich dessen stets erinnert.
[684] Man kann an dem Bilde unseres F. Züge wahrnehmen, die an beide Eltern erinnern, das tiefe innige Gemüthsleben, das ihm eigen war und das gelegentlich in Gedichten oder in religiösen Ansprachen ergreifenden Ausdruck fand, und die emsige rastlose Pflichttreue einerseits, die Lehrgabe und die Lust am Lehren, sowie die scharf ausgeprägte Richtung seines Wesens auf männliche Tüchtigkeit, Festigkeit und Schneidigkeit andererseits, gemahnen uns unwillkürlich an die beiden Eltern. Aber ein scharfes Auge wird vielleicht noch einen weiteren Gegensatz im Bilde der Eltern wahrnehmen, der für Frank’s Entwicklung von Bedeutung geworden ist. Der Vater war ein frommer, ernstdenkender Rationalist, wie die Mehrzahl der Geistlichen jener Zeit, freilich einer von denen, die, als es Frühling im Lande geworden und das Eis aufgethaut war, den Weg zu den Lebensbächen des evangelischen Glaubens wieder zu finden gewußt haben. Die Mutter dagegen entstammte einer jener Familien, in denen der alte Glaube sich forterhalten hatte, wo die Bibel und Bücher wie Scriver’s Seelenschatz die geistliche Speise geblieben waren. So scheint im stillen Pfarrhause bei Altenburg die damalige Zeit vertreten gewesen zu sein. Der Rationalismus und das Christenthum jener „Stillen im Lande“, die glimmenden Kohlen gleich als ein leuchtender Kreis im Dunkel der Nacht erglänzten. Wissen wir auch nicht, daß die Eltern selbst sich dieses Gegensatzes jemals bewußt geworden, so werden doch die Mächte, welche die Zeit durchzogen, sich in das erwachende Seelenleben des Kindes hineingewoben haben.
F. war das dritte Kind seiner Eltern unter fünf Kindern. Die beiden älteren Geschwister, eine Schwester und ein Bruder haben ihn überlebt. Er war ein kräftiger und gesunder Knabe, dabei gutgeartet und heiter, mitunter etwas schüchtern. – In der Stille des Pfarrhauses wuchs er heran und dieses Haus war seine Welt, wie es so war in der guten alten Zeit. Zu den regelmäßigen Gewohnheiten des Daseins gehörte auch der Besuch der Kirche. Von der frühesten Jugend an wurde der Knabe zum Gottesdienst mitgenommen. Und wie so manchen regte auch ihn die Thätigkeit des Vaters in der ungewohnten Tracht zur Nachahmung an. „Der muß Pastor werden“, sagte man dann, wenn der kleine Knabe irgend ein Mäntelchen um die Schultern geworfen hatte, auf einen Stuhl geklettert war und predigte. Aus dem Scherz wurde Ernst, und anders hat man es nie im Hause gewußt, als daß er Theologe werden würde. Und als er nun doch nicht „Pastor“ wurde, da war es Mutter und Schwester ordentlich wehmüthig zu Sinn.
Im J. 1835 folgte der Vater einem Ruf als Pastor nach Zschernitzsch in der Nähe von Altenburg. In diese Zeit fällt auch der erste Unterricht des Knaben, den er von nun an vom Vater erhielt. Nachmittags war kein Unterricht und auch am Vormittag fehlte es nicht an Unterbrechungen durch die seelsorgerlichen Aufgaben des Vaters, durch Amtshandlungen oder am Sonnabend durch die Vorbereitung auf die Predigt. So blieb unserem F. wie dem älteren Bruder, mit dem er von früh auf eng verbunden war, reichlich Zeit, sich tüchtig im Freien zu tummeln und nach Knabenart die Vorzüge des Landlebens auszubeuten. F. ist ein frischer, fröhlicher Knabe gewesen. Ballspiel oder Schaukeln, Bäumeerklettern und Sprenkelstellen, Schlittschuhlaufen und Schlittenfahren wurden reichlich geübt. Wichtige Jahre der Entwicklung durfte er so auf dem Lande verleben. Die lebendige Anschauung der Natur, der Sinn für des Bauern Art und Arbeit – das ist ihm hier in der ländlichen Einsamkeit geworden. Dazu kam die Nöthigung und die Möglichkeit, sich selbst sein Spielzeug zu fertigen und sich am Selbstgemachten zu freuen.
Zu bald nur fand dieses schöne sorgenlose Leben sein Ende. Schon 1838 [685] war der ältere Bruder auf das Gymnasium nach Altenburg gekommen. Ostern 1839 folgte ihm unser F. Die beiden Brüder lebten zusammen in dem alten Frank’schen Hause in der Jüdengasse zu Altenburg. Die hervorragende geistige Begabung Frank’s zeigte sich schon jetzt in hellem Licht. Er kam schnell vorwärts und machte selbst Classen mit zweijährigem Cursus in einem Jahre durch. Alles wurde ihm leicht. Und selbst in der Mathematik, die ihm weniger zusagte, gelang es ihm, bei der Abiturientenprüfung die beste Arbeit zu liefern.
Das äußere Leben in dieser Zeit brachte freilich manche Schwierigkeiten und Entbehrungen mit sich. Den Mittagstisch hatten die Brüder bei Verwandten, im übrigen mußten sie mit den Vorräthen haushalten, die sie an jedem Mittwoch und Sonntag aus dem nahegelegenen Zschernitzsch heimtrugen. Auch das Taschengeld, das die Knaben erhielten, war klein genug, 34 Pf. bis Prima, dann 50 Pf. wöchentlich, wovon aber auch die Ausgaben für Bier und für Oel zur Lampe bestritten werden mußten. Aber an Appetit fehlte es den gesundheitsstrotzenden Knaben nie, und ebensowenig an Jugendlust und -freudigkeit. Der fröhlichen Turnerei gaben sie sich mit Herzenslust hin und unser F. gab einen kräftigen und stattlichen Vorturner ab. Dazu übte man sich auch im Fechten und Tanzen; und, wurde es Winter, so spottete man der Kälte und bedurfte nicht des schützenden Mantels. In den Ferien vergnügte man sich dann auch auf weiten Fußtouren, das schöne Heimathland durchstreifend, wobei in verwandten und befreundeten Häusern Rast gemacht wurde. Von Krankheit blieben die beiden Brüder verschont, es ist nie vorgekommen, daß sie krankheitshalber eine Unterrichtsstunde hätten versäumen müssen. – Neben den Studien und der körperlichen Uebung lag unser F. aber noch mit großem Eifer der Musik ob. Manche Stunde täglich pflegte er an dem großen Flügel zuzubringen, den der Vater für ihn angeschafft hatte.
So gingen die Jahre schnell vorüber, es waren Jahre einer normalen und kräftigen geistigen wie körperlichen Entwicklung. Am 14. März 1845 hatten die beiden Brüder die Maturitätsprüfung bestanden. Unser F. war aus derselben als erster, sein Bruder als zweiter hervorgegangen. Das erste bedeutendere Ziel des Lebens war erreicht.
Die Augen richteten sich auf die Universität. Man dachte zunächst an Jena, die Landesuniversität. Wegen des dort herrschenden Verbindungswesens wurde der Plan aufgegeben. Dazu kam, daß Leipzig näher lag und durch die Eisenbahn bequemer zu erreichen war. So entschied man sich im Familienrath für Leipzig. Für die geistige Entwicklung Frank’s war das gewiß eine Entscheidung von größter Bedeutung, wie wir alsbald erkennen werden.
Zu Ostern 1845 bezogen die beiden Brüder die Universität Leipzig. Der ältere Bruder widmete sich dem juristischen Studium, Franz F. wandte sich dem Studium der Theologie zu, hörte aber auch von Anfang an regelmäßig philologische und philosophische Vorlesungen. Im Hause Nr. 13 am Markt, dem Rathhaus gegenüber, wohnten die beiden Brüder, 96 Stufen hoch. Durch Stipendien und Freitische unterstützt, und von Hause mit dem Nothwendigen versehen, konnten sie, ohne Schulden zu machen, sorgenfrei sich ihren Studien hingeben, und bei genauem Haushalten sich auch noch manches Vergnügen gestatten.
F. warf sich sofort mit größtem Eifer auf sein Studium. Die Pflichttreue und die peinliche Genauigkeit in der Zeiteintheilung, die wir am Manne so oft bewundert haben, zeichneten schon den Studenten aus. Ein „flotter Student“ im üblichen Sinn ist er nie gewesen, das hätte ihm, wie er war, auch kaum zu Gesichte gestanden. Aber ein Kopfhänger war er erst recht [686] nicht. Und daß auch ihm etwas von der „alten Burschenherrlichkeit“ aufgegangen, kann man an seinem freien und feinen Urteil über studentische Dinge kennen lernen, wie es sich gelegentlich in seinem „Vademecum“ ausspricht oder in seinem Verhältnis zum Erlanger theologischen Studentenverein gezeigt hat. – F. widmete sich mit größtem Fleiß dem Studium. Wer sein noch vorhandenes Collegienbuch einsieht, ist erstaunt über die Menge von Vorlesungen, die er gehört, und sicher ausdauernd und treu gehört hat. So belegte er gleich im 1. Semester nicht weniger als sechs Vorlesungen; Geschichte der Philosophie, Logik, Geschichte der Völker und der Civilisation, theol. Encyklopädie, Johannesevangelium, über Wesen, Gründe und Tendenzen des Protestantismus; dazu kamen Uebungen im Lateinsprechen (worin F. bis in sein Alter ein Meister geblieben ist). Ueberblicken wir kurz noch die übrigen Fächer, die er während des theologischen Trienniums gehört hat, so sind es folgende: Geschichte der orientalischen Poesie, Psychologie und Erkenntnißlehre, Geschichte der Philosophie seit Baco und Cartesius. – Plato Leg. X., Aristophan. Ranae, Pindar Olymp., Juvenal Satir. - Ferner: Hermeneutik, Bibl. Archäologie, Bibl. Theologie, Israelitische Geschichte, Charakteristik Jesu; Römerbrief, Korinther- und Kolosserbrief, Philipper- und Philemon-, Hebraer- und Philipperbrief, Galaterbrief, Apokalypse, Synopse; kleine Propheten, Jesaja, Hiob. – Sodann: Kirchengeschichte in zwei Theilen, Dogmengeschichte, Symbolik, Examinatorium über Kirchengeschichte; Historisch-theol. Gesellschaft. – Weiter: Religionsphilosophie, Dicta probantia, Dogmgtik in zwei Theilen, Theorie der biblischen Beweisführung, populäre Dogmatik, Ethik. – Endlich: Homiletik, Katechetik, Pastoraltheologie.
Während dieser ersten Studiensemester erfolgte aber in F. ein großer innerer Umschwung. Das hängt mit der tiefgreifenden Wirksamkeit von Harleß zusammen. Von diesem empfing F. die über die Ziele seines Lebens entscheidenden Anregungen, so viel er auch der philologischen Methode in der Schriftauslegung Winer’s verdankte. Es bedarf ja keiner Ausführung dessen, daß der alte Rationalismus sich überlebt hatte und daß allenthalben ein Neues sich regte. Man wartete auf die neue Formel, die alle unruhige Sehnsucht und alles unklare Ahnen beantworten sollte. Die neue Formel war für weite Kreise das alte Dogma, das man – noch genauer gesagt – wenigstens vielfach aus der Hand der alten Dogmatiker oder lutherischen Kirche empfing. Hier schien eine feste Formel geboten zu sein, welche, dem Rationalismus überlegen, allem romantischen und pietistischen Ueberschwang Einhalt gebot, den Bedürfnissen des Herzens zu entsprechen schien und doch dem Denken einen weiten Spielraum anwies. Die „Restauration“ des kirchlichen Bekenntnisses war zunächst auch eine Restauration der Dogmatik des 17. Jahrhunderts. Innerlich vom Rationalismus nie überwunden – ihre Problemstellung und ihre Formeln beherrschten auch die rationalistischen Dogmatiker – hat diese Dogmatik ihr Theil beigetragen zum Sturz des Rationalismus.
F. war einer der eifrigsten und treuesten Schüler von Harleß. Wie in so manchem, werden auch in ihm die Samenkörner, die er daheim in der Stille von der Mutter – ihm selbst unbewußt – empfangen hatte, aufgegangen sein. Aus dem eifrigen, doch wesentlich rationalistisch gerichteten, vielleicht auch etwas romantisch-pietistisch angehauchten Jüngling wurde jetzt ein begeisterter bekenntnißtreuer Lutheraner. Daß das bei F. ein tief innerlicher geistiger Vorgang gewesen, dafür bürgt uns die spätere Theologie des Mannes mit ihrer so starken Betonung der geistlichen Erfahrung des Christen.
Einen interessanten Beleg für diese innere Entwicklung Frank’s bietet uns seine erste Predigt, welche er in der Kirche des Vaters nach seinem ersten [687] akademischen Semester – er hörte Harleß erst vom zweiten Semester an – hielt. Die Predigt über Luk. 14, 16–24 hat mir vorgelegen. Der Autor beginnt mit den Vorzügen der Bibel, er handelt „von den vornehmsten Quellen der Gleichgültigkeit in religiösen Dingen“, es sind „der im Irdischen befangene Sinn“, „die stolze Selbstgenügsamkeit“ und „die Verstockung der Herzen“. Formell muß man das Geschick des noch nicht neunzehnjährigen Prädicanten bewundern, inhaltlich bieten seine Ausführungen nichts, was nicht jeder lebendig empfindende Rationalist ebenso hätte sagen können. Zumal im zweiten Theil tritt das hervor: es gilt erkennen, daß in uns nichts Gutes wohnt, den Schild des Glaubens ergreifen und Christo nachfolgen. Aber irgendwie religiös eindringlich und deutlich vermag der Prediger diese Formeln nicht zu machen; sie sind biblisch, daher braucht er sie.
Bald schon wandte sich F. ganz der durch Harleß ihm gebotenen neuen Einsicht zu. Mit dem Feuereifer des Neubekehrten ausgerüstet, mag er nicht selten hart und ungerecht geworden sein, nicht nur gegen die Sache, sondern auch gegen die Vertreter der rationalistischen Ansicht – lassen doch selbst Geschichtsschreiber es hier an der erforderlichen Gerechtigkeit fehlen. Bald merkte man, während der Ferien, im Hause die Umwandlung, die sich in dem jungen Theologen vollzogen. Und wenn der Vater schwer hieran trug, so wurde auch dem Sohne der Glaube des Vaters immermehr fremdartig. Mit seiner Ueberzeugung hinter dem Berge zu halten oder sie sanft und abgeschwächt vorzutragen, war F. nicht gegeben. So stießen zwei Generationen in Vater und Sohn hier auf einander – ein merkwürdiges Gegenbild zu dem bekannten Gegensatz zwischen Schleiermacher und seinem Vater –, nicht immer zur Freude der Geschwister. Es muß aber gesagt werden, daß F. später die Freude zu Theil geworden ist, daß der Vater und die benachbarten Amtsbrüder sich mehr und mehr – mit unter dem Einfluß unseres F. – dem alten Glauben zuwandten. So spielte sich auch hier in der Stille einer Familie das große Drama der Zeit ab: die Jungen siegen über die Alten, indem das Alte über das Neue siegt.
Im J. 1848 bestand F. das theologische Examen vor dem Consistorium in Altenburg mit Auszeichnung. Aber noch drei weitere Jahre hielt er sich in Leipzig, mit ernsten Studien beschäftigt, auf. 1850 wurde er Doctor der Philosophie, 1851 Licentiat der Theologie (auf Grund der Abhandlung: de dogmaticis s. scripturae principiis ad ordinandam administrandamque ecclesiam). In diesen Jahren setzte er auch seine philologischen Studien fort, als Mitglied des philologischen Seminars. Sodann betrieb er eifrig philosophische Arbeiten und legte hier den Grund zu seiner umfassenden Kenntniß der neueren Philosophie. Vor allem aber galten seine Studien der Dogmatik, und dabei fiel das Schwergewicht auf die Durcharbeitung der altlutherischen Dogmatiker. Mit F. ist einer der besten Kenner jener Dogmatiker hingegangen, einer der Wenigen, der sie selbst und im einzelnen studirt hat. Er hat an diesem Studium den Eindruck von ihrer dialektischen Kunst und von der Bedeutung der Treue in der dogmatischen Detailarbeit für immer gewonnen. Hierin haben sie für ihn bleibende Bedeutung gehabt. Ohne diese Studien sowie die ernste philosophische Arbeit Frank’s verstände man die Eigenart seiner systematischen Arbeit nicht. Man wird mit der Annahme kaum irre gehen, daß F. seine Universitätsstudien als begeisterter Anhänger der „Orthodoxie“ des 17. Jahrhunderts beschloß.
Im Lauf seiner Studien hatte sich ihm die Absicht ergeben, sich der Laufbahn eines akademischen Docenten zu widmen. Seine Gabe, mit jungen Theologen zu verkehren, war in den letzten Jahren deutlich hervorgetreten. [688] In Repetitorien, die er hielt, sowie in theologischen Gesellschaften hatte er dieselbe bewährt. Seine Lehrer, besonders Harleß, waren auf ihn aufmerksam geworden.
Es waren zunächst äußere Gründe, die ihn veranlaßten, von einer Habilitation in Leipzig abzusehen und von jenem Ziel, zeitweilig wenigstens, abzustehen. So folgte er denn im Herbst 1851 einem Rufe als Subrector an die Gelehrtenschule zu Ratzeburg. Schon im J. 1853 vertauschte er diese Stellung mit der eines Gymnasialprofessors für Religion an dem Gymnasium zu Altenburg. Hier wie dort hatte er außer in der Religion auch in den alten Sprachen und in der deutschen Litteraturgeschichte zu unterrichten.
Aeußerlich angesehen, könnte man urtheilen, daß sein Entwicklungsgang durch diese Zwischenstufen gehemmt worden sei. Innerlich betrachtet, sind sie doch für seine Entwicklung von positiv fördernder Bedeutung geworden. Einmal fand er Gelegenheit, im beruflichen Verkehr mit der Jugend die gewonnenen theologischen Gedanken religiös fruchtbar zu machen und zu erproben. Sieht man, wie wenig das spätere Leben ihm Gelegenheit zu solcher praktischen Thätigkeit bot, so wird man die Bedeutung jenes Umstandes nicht unterschätzen, wie auch F. stets gern von seinen Erfahrungen als Lehrer sprach. – Sodann fand er jetzt Gelegenheit, eine gewisse Einseitigkeit des Urtheils und Denkens abzustreifen, welche sich in den letzten Leipziger Jahren herauszubilden angefangen hatte. Viel trug hierzu auch der gesellige Verkehr bei, welcher sich ihm in Ratzeburg wie Altenburg bot. Dazu kam das eingehende Studium der deutschen Litteratur, das er behufs seiner Unterrichtsstunden auf diesem Gebiet betreiben mußte, sowie die allgemeineren literarischen und ästhetischen Interessen, die in Altenburg Nahrung und Förderung durch ein Vortragskränzchen und einen Leseverein fanden.
Was durch die Leipziger Zeit in der heißen Entwicklung des inwendigen Menschen von der harmlosen Freude am natürlichen Leben mit seinen Gaben und Kräften etwa verloren gegangen, das haben diese Jahre F. wiedergebracht. Er überwand die Einseitigkeiten der Erweckungs- und Bekehrungszeit, aber er hielt an den Gütern und Interessen, welche dieselbe ihm gebracht hatte, unentwegt fest. Das bezeugt nicht nur der heilige Ernst und Eifer, mit dem er sein Religionslehreramt auffaßte und führte (s. seine „Schulreden“), das zeigt auch seine rege Betheiligung an praktisch-kirchlichen Dingen. Er hat in dieser Zeit öfters und gern gepredigt. Ebenso betheiligte er sich gern an den Conferenzen der Geistlichkeit der Umgebung. Auch ließ er sich die Belebung des Missionssinnes in seiner Heimat angelegen sein, so durch Stiftung eines Missionsvereins.
Vor allem ist hier aber des kräftigen Protestes wider das rationalistische Altenburgische Gesangbuch zu gedenken, in dem Schriftchen: „Das Altenburgische Gesangbuch, beurtheilt nach der Lehre der heil. Schrift“, 1855. Hier wird eine vernichtend scharfe Kritik an dem allerdings unsagbar dürftigen und geschmacklosen Gesangbuch geübt. Daß dasselbe dogmatisch und ethisch mit der Schrift nicht übereinstimme, war ebenso unschwer zu zeigen als die unerträglichen Geschmacklosigkeiten den Spott geradezu herausforderten. Um so größer aber war der Sturm der Entrüstung, der sich wider die Kritik und ihren Verfasser erhob. Das Altenburgische Consistorium reichte bei dem Herzoglichen Criminalgericht eine Klage wegen Beleidigung ein. Obgleich nun sowohl die Erlanger theologische Facultät, als Harleß (damals schon Oberconsistorialpräsident in München), als Ahlfeld in Leipzig in ihren Gutachten der Kritik Frank’s sachlich durchaus beitraten, so wäre F. einer Verurtheilung doch kaum entgangen, wenn nicht von höchster Stelle die ganze Angelegenheit niedergeschlagen [689] worden wäre. Aeußeren Erfolg hat die Frank’sche Kritik übrigens nicht gehabt. Trotz allem blieb das betr. Gesangbuch in Gebrauch.
Dieser Streit hat F. zum ersten Mal mit der theologischen Facultät in Erlangen in Berührung gebracht. Die Facultät war auf ihn aufmerksam geworden. Als nun ein theologisches Extraordinariat zu besetzen war, dachte man an ihn. Warm trat auch Harleß, der ihn bereits früher nach Ratzeburg und Altenburg empfohlen hatte, für ihn ein. So wurde F. im J. 1857 als außerordentlicher Professor für Kirchengeschichte und systematische Theologie nach Erlangen berufen. Im folgenden Jahr (1858) wurde er zum ordentlichen Professor für die genannten Fächer, im J. 1875, nach Thomasius’ Tode, zum ordentlichen Professor der systematischen Theologie ernannt. In dieser Stellung hat er bis an sein Ende verharrt. Fast 37 Jahre über hat er mit allen Kräften und Gaben, die ihm geworden, der Erlanger Universität gedient. Einen in Aussicht stehenden Ruf nach Berlin an Dorner’s Stelle glaubte er ausschlagen zu sollen. Es war eine glänzende Periode in der Geschichte der Erlanger theologischen Facultät, in die F. eintrat: Hofmann auf dem Gipfel seiner unvergleichlichen Kraft, Thomasius und Delitzsch in reichster Wirksamkeit, Schmid und Th. Harnack in voller Manneskraft, an des letzteren Stelle trat später der geistvolle Zezschwitz. Diesen großen Traditionen voll entsprechend hat sich die Wirksamkeit Frank’s gestaltet. Sein Name wird stets in höchsten Ehren in der Geschichte der Erlanger theologischen Facultät genannt werden, zu deren hervorragendsten Mitgliedern er gehört hat.
So war der entscheidende Wendepunkt des Lebens erreicht. Täuscht nicht alles, so hat derselbe auch eine weitere innere Wandlung in F. hervorgebracht. Man wird dieselbe kaum anders als durch die Einwirkung der Hofmann’schen Theologie erklären können. Hofmann hat das Große und Wahre der Schleiermacher’schen Theologie in die bekenntnißmäßige Theologie eingeführt und hat dadurch der bloßen Reproduction der „alten Dogmatiker“ einen Damm gesetzt; und er endlich hat die Theologie gelehrt, welchen Sinn und welche Aufgabe der „Schriftbeweis“ in der Theologie hat. Nach der einen Seite hin ist die Theologie die Aussage von dem gegenwärtig erlebten Christenthum („ich der Christ bin mir dem Theologen Gegenstand des Erkennens“), nach der anderen Seite hin haben die christlichen Gedanken in ihrer Gesammtheit sich am Ganzen der Schrift zu bewähren. In beiden Richtungen hat F. von ihm gelernt. Freilich handelt es sich hier nicht um ein Schülerverhältniß, sondern um geistige Anregungen, wie sie in dem collegialen Zusammenleben mit dem geistesmächtigsten Theologen seiner Zeit sich ganz von selbst ergeben mußten, wie sie sozusagen in Erlangen damals in der Luft lagen.
Zunächst freilich war es F. nicht vergönnt, sich ganz der systematischen Arbeit zu widmen. Das neu angetretene Lehramt wies ihn vor allen Dingen auf die Kirchengeschichte, außerdem hielt er exegetische Vorlesungen. Auch darin wird man eine glückliche Fügung seines Lebens erblicken dürfen. Er sah sich genöthigt reichliche theologische Kenntnisse zu sammeln und im Zusammenhang mit den Mächten und Kräften in der Geschichte der Kirche den systematischen Trieb zu regeln und die dogmatischen Anschauungen sich ausreifen zu lassen. Er wurde nicht zu früh genöthigt, seine Theologie festzulegen.
Mit dem ihm eigenen Fleiß und mit selbstverleugnender Gründlichkeit hat er sich diesen Studien gewidmet. Zumal in der Exegese fesselte sehr bald seine gründliche und scharfsinnige, dabei rege dogmatisch interessirte Auslegung die Zuhörer. Ein Blick in die hinterlassenen Hefte bestätigt durchaus das Urtheil einstiger Zuhörer. Weniger nahe ist er der Kirchengeschichte getreten. [690] Wer die sorgfältig ausgearbeiteten Hefte durchsieht, wird auch auf diesem Gebiet den Fleiß und die Menge der Kenntnisse, sowie die Akribie der Darstellung gern anerkennen. Und doch tritt hier eine eigenthümliche Schranke in der Begabung Frank’s zu Tage. Es hätte wenig Interesse dieses hervorzuheben, wenn nicht von hier aus auch Licht auf manche Eigenthümlichkeit der späteren Arbeit und Wirksamkeit Frank’s fiele. – Wer meint, der große Systematiker habe geistvolle Uebersichten und große historische Conceptionen, geniale geschichtliche Parallelen oder gar Geschichtsconstructionen seinen Zuhörern vorgetragen, findet sich angesichts der detaillirt ausgearbeiteten Hefte enttäuscht. Die starke geschichtliche Ader, die man an Ritschl’s Arbeiten beobachtet, war F. nicht geworden. Dieses Talent der dogmatischen Formel hat historische Formeln nicht zu bilden vermocht, diesem Meister in der Dialektik der Gedanken war die Gabe die Dialektik der Thatsachen zu deuten versagt. Vermißt man so den großen Zug des Historikers in der Darstellung, so nicht minder das eigentliche Talent der historisch kritischen Kleinarbeit. Er hat auf weiten Strecken die Quellen selbst eingesehen, aber die litterargeschichtliche Methode mit ihrer Beobachtung des Einzelnen und Kleinen, mit ihrer abwägenden Combination der verschiedenen Berichte, oder die Sonderung des Großen vom Kleinen, die Gabe, auch dem Geringsten durch Combination eine bedeutsame Stelle anzuweisen, die Fähigkeit, das Große und Bleibende oder auch das Originelle und Einzige sicher zu erkennen – dieses Alles merkt man dieser Geschichtsdarstellung nicht an. Es ist eine sorgsame und wohlgeordnete Zusammenstellung der Thatsachen, aber in das Spiel der Kräfte, das die Geschichte ausmacht, und in den Fortschritt der Entwicklung bekommt man nicht den erwünschten Einblick. Der Vortragende steht schließlich doch dem riesenhaften Stoff fremd und daher unfrei gegenüber. Allerdings, wer billig urtheilen will, wird sich dessen zu erinnern haben, wie groß die Fortschritte in der Aneignung der streng historischen Methode durch die Kirchengeschichtsschreibung in den letzten Decennien und wie mannigfach die Anregungen auf diesem Gebiet in den letzten Jahren gewesen sind. Aber aus dem Dargelegten begreift sich doch der eigenthümliche Umstand, daß der energischste Gegner Ritschl’s und seiner Schule, der doch Historiker von Beruf gewesen ist, den geschichtlichen Combinationen und Urtheilen des Meisters oder seiner Jünger nie eingehender entgegengetreten ist oder sie durch positive Darlegungen aufzulösen oder zu modificiren versucht hat. Und ebenso versteht sich daraus, daß man in seinen großen Werken neben den vorzüglichen exegetischen Erörterungen, geschichtliche Anschauungen und Urtheile doch eigentlich vermißt.
Worauf Frank’s eigentliches Interesse schon in dieser Periode seiner Wirksamkeit sich richtete, das zeigt vor allem sein großes Werk: „Die Theologie der Concordienformel“ (4 Theile, Erlangen 1858–1864). Das Werk ist noch immer eine reiche Fundgrube eingehendster Kenntnisse der reformatorischen und besonders der nachreformatorischen Theologie. Aber der leitende Gesichtspunkt des Autors ist doch durchaus der dogmatische. Das zeigt schon die wenig glückliche Anlage des Werkes, die das Studium so sehr erschwert und einen, beim Suchen nach den treibenden Kräften und Motiven der Lehrbildung jener Zeit, nicht immer befriedigt.
Im J. 1875 wurde F. Professor der systematischen Theologie als Nachfolger von Thomasius. Von jetzt ab datirt sein großer Einfluß auf die Theologie seiner Zeit, sowie die bedeutenden von Jahr zu Jahr sich steigernden Lehrerfolge. F. war in das Fahrwasser gekommen, das seiner besonderen Begabung entsprach, und er hat sich bald als der Meister auf diesem schwierigsten Arbeitsgebiet der Theologie bewährt.
[691] Schon bevor F. seine ganze Kraft der systematischen Theologie widmen konnte, ist das Werk erschienen, welches man als die geistesmächtigste Arbeit des großen Systematikers bezeichnen muß: „Das System der christlichen Gewißheit“ (2 Bde., 1. Aufl. 1870–1873. 2. Aufl. 1881–1883). Unter Gewißheit versteht F. den subjectiven Zustand des Versichertseins bezüglich eines Objectes. Die Gewißheit setzt die Erfahrung als den subjectiven Niederschlag oder Wechselwirkung zwischen Object und Subject voraus. Dort, wo eine sich gleichbleibende und umfassende Erfahrung von einem Object vorliegt, tritt Gewißheit auf. Diese allgemeinen Grundsätze gelten auch von der besonderen Gewißheit des Christen. Der Christ wird nämlich durch die Erfahrung dessen gewiß, daß er ein anderer, ein neues Ich geworden ist und daß er in diesem neuen Zustand erst seinen sittlichen Bedarf gedeckt, sein Wesen als normal und gesund empfindet. Diese Umwandlung des Menschen wird, sofern sie von außen her dem Menschen wurde, als Wiedergeburt, sofern sie sich in der Form des eigenen Wollens realisirt als Bekehrung bezeichnet. Indem wir aber dieses neuen Lebensstandes gewiß werden, erstreckt sich die Gewißheit zugleich auf die wirksamen Causalitäten, die ihn erzeugen und erhalten, sowie auf die besondere Modalität der Einwirkung dieser Causalitäten. Wir werden sonach durch die Erfahrung gewiß der geschichtlichen Ueberliefung und Lehre. So ergeben sich drei Gruppen von Objecten der christlichen Gewißheit: 1. Die immanenten Objecte als die dem Subject inhärenten Wirkungen der zweiten Gruppe, d. h. 2. der transscendenten Objecte, und 3. die transeunten Glaubensobjecte als die besonderen Mittel, durch die diese Causalität jene Wirkungen erzeugt. Diesen drei Gruppen christlicher Erfahrungsobjecte steht nun seitens der natürlichen Betrachtung der Dinge ein dreifacher Gegensatz gegenüber, der sich mit innerer Nothwendigkeit geschichtlich in der gleichen Folge entfaltet hat, in der die denkende Betrachtung jener Objecte habhaft wird. Zuerst hat der Rationalismus jene übernatürlichen Wirkungen im Menschen in Abrede gestellt, dann hat folgerichtig der Pantheismus die Existenz der entsprechenden transcendenten Causalitäten negirt, und schließlich hat der Kriticismus das Christenthum und die Kirche als rein natürliche Größe proclamirt. Darüber hinaus liegt nur noch der Gegensatz des Materialismus, der seinerseits zuwiderläuft der besonderen Betrachtung der natürlichen Objecte, die mit jenem geistlichen Lebensstand gesetzt ist.
Die immanenten Objecte der christlichen Gewißheit sind folgende: 1. Die Sünde und die sittliche Unfreiheit des natürlichen Willens als das Widerspiel des in der Wiedergeburt uns gewordenen Lebensstandes; 2. die von Gott geschenkte Schuldfreiheit als die Voraussetzung des Eintrittes in das neue Leben, die aber nur solange und insofern in Kraft bleibt, als sie von dem Subject im Bekehrungsstand bejaht wird. So tritt neben die habituelle die actuelle Gerechtigkeit. Dieser neue Lebensstand faßt in sich sowohl den Glauben und die ethische Willensfreiheit als auch die Gewißheit von der schließlichen Vollendung des neuen Lebensstandes. – Als Gegensatz wird hier also der Rationalismus behandelt. Es fehlt die Erfahrung der Wiedergeburt, daher fehlt auch das Bewußtsein habitueller ethischer Unfreiheit und habitueller Gerechtigkeit. Und auch hinsichtlich der actuellen Gerechtigkeit und der Unsterblichkeit ist die Uebereinstimmung nur eine mehr scheinbare.
Von den immanenten Objecten als den Wirkungen schreitet die Betrachtung fort zu der transscendenten Causalität derselben. Es ist der schlechthin überweltliche absolute Gott, der sowohl das neue Leben als das Schuldbewußtsein und die Schuldfreiheit bewirkt. Aber die besondere Art der Wirkung jenes Factors veranlaßt andererseits das Urtheil, daß das Absolute persönlich ist. [692] Die genauere Erwägung der transscendenten Heilscausalität zeigt aber weiter, daß sich Gott hier als ein anderer zu erfahren gibt, sofern eine absolute Verschuldung ihm gegenüber stattfindet, als ein anderer, sofern er ein Verhältniß der Schuldfreiheit setzt, und als ein anderer, sofern durch ihn das Einzelsubject in dies Verhältniß gerückt wird. Läßt sich so der Trinitätsgedanke der Gewißheit einordnen, so auch der Gedanke des gottmenschlichen Sühners. Da nämlich einerseits Gott derselbe auch der Sünde gegenüber bleibt, d. h. sein Wesen dem Sünder gegenüber durch die Strafe bewährt, andererseits wir, die Sünder, uns in einem Verhältniß der Schuld- und Straffreiheit Gott gegenüber wissen, so kann dies nur durch eine für uns geschehene Sühnethat vermittelt sein. Ist aber der Bann der Sünde nur durch Gott lösbar und ist die Sühne etwas menschlicherseits Gotte Darzubringendes, so ist im Bewußtsein der Schuldfreiheit die Gewißheit vom gottmenschlichen Sühner mitgesetzt. Genauer noch, wird die Sündlosigkeit des Sühners und seine Stellvertretung für uns ausgesagt werden müssen. Indem aber letzterer Begriff streng gefaßt wird, soll er sich nicht auf die Erleidung der Höllenstrafen, d. h. dessen, was den Menschen erst treffen würde für den Fall, daß keine Sühne einträte, erstrecken. Nun ist aber der Mensch wirklich im Zustand der Schuldfreiheit, also muß die Sühne das in sich befassen, was der Sünder hätte leisten müssen, um durch Strafe und Gericht – nämlich bevor die definitive ewige Strafe eintrat – hindurch in den Zustand der Schuldfreiheit und Seligkeit zu gelangen. Der Sühner hat Gehorsam unter der Repression der Strafe geleistet. Dadurch ist dem Vater die Sühne dargeboten. Indem aber Christus der zweite Adam ist und die Gläubigen im engsten Zusammenhang mit ihm stehen, ist diese von ihm geleistete Sühne die Sühne des Menschengeschlechtes. So soll sich aus der einfachen Thatsache des Bewußtseins von der Schuldfreiheit das Bewußtsein von Christi Sühnethat als nothwendige Folge ergeben, ohne daß freilich diese Consequenz auf alle concreten geschichtlichen Einzelheiten der Sühneleistung erstreckt werden dürfte.
Der Pantheismus überkommt nicht nur die Negationen des Rationalismus, sondern leugnet dazu die göttliche Persönlichkeit, damit aber auch das Absolute als eine reale und thatkräftige Macht. Was er dafür als das Absolute einsetzt, ist ein undenkbares Phantasma, jenes Mittelding zwischen Unendlichem und Endlichem, Unpersönlichem und Persönlichem, das sich realisirt im Einzelnen und doch nie Einzelnes ist. In der Ablehnung der göttlichen Person ist consequent die Leugnung der Trinität begründet. Schließlich fallen auch alle auf die Sühnung bezüglichen Gedanken für den Pantheismus mit der Leugnung der göttlichen Person dahin, da jene Gedanken nur innerhalb eines persönlichen Verhältnisses vollziehbar sind.
Drittens bemächtigt sich die systematische Betrachtung der christlichen Gewißheit der transeunten Objecte derselben. Die transscendente Causalität wird wirksam in den concreten geschichtlichen Formen einer menschlichen Gemeinschaft und ihrer Worte und Handlungen. Aus dem Volke des menschlichen Zeugnisses springt der Funke einer anderen Welt hervor und entzündet das Herz. Nur in der kirchlichen Gemeinschaft mit ihren Gnadenmitteln kann Wiedergeburt und Bekehrung zu Stande kommen. Auf Grund dessen gelangt die christliche Erfahrung zu einer sonderlichen Werthschätzung von Wort, Kirche und Sacrament. Ferner ist daran zu erinnern, daß auch die heilige Schrift mit zu den transeunten Glaubensobjecten gehört, sofern sie die uranfängliche und urkundliche Gestalt des in der Gemeinde wirksamen Wortes darstellt. Vermöge der Erfahrung, die die Kirche an diesem Wort gemacht hat, gilt es ihr als irrthumsfrei, nämlich hinsichtlich der von ihm gebotenen Heilsverkündigung. [693] Und dies bewährt sich an dem Selbstzeugniß dieses Wortes von besonderen Veranstaltungen und Bewahrungen behufs seiner Entstehung. – Aus dem dargelegten Zusammenhang ergibt sich weiter die Gewißheit von der Offenbarung, dem Wunder und der Inspiration. In Christo tritt dies als Einheit gleichsam an den Christen heran. Die Herstellung des persönlichen Christenstandes erlebt die christliche Erfahrung als Wunder. Wie hier in den Naturzusammenhang eine andere Causalität eingreift, so erkennt der Christ, daß Gott den Naturzusammenhang zum Zweck des Heiles in Christo von neuen Potenzen durchdrungen, gleichsam vergeistigt werden läßt. Parallel mit dem Wunder wird der Christ aber auch der Offenbarung Gottes gewiß, als der Form, in welcher die göttlichen Heilsgedanken sich behufs Erfassung seitens der Menschheit verwirklichen. Auf Grund der Erfahrung der eigenartigen Wirksamkeit des Offenbarungswortes kommt der Christ zu der Aussage von der Inspiration desselben als der Form der Verbindung Gottes mit diesem Wort. Dies gilt nun aber von dem Wort in seinem ganzen Umfang als Träger der Offenbarung, in specifischer Weise aber von dem urkundlichen Schriftwort. Es sei ein Fehler, die Inspiration bloß auf die Bibel zu beschränken und sie dann in der unnatürlichen und mechanischen Weise der älteren Dogmatik zu denken. Inspirirt ist die Schrift, sofern sie Heilszeugniß ist.
F. wendet sich jetzt dem Gegensatz zu, den er als Kriticismus bezeichnet. Er denkt dabei an die Richtung von Strauß und Baur. Ein wesentlich pantheistisches System bildet den Hintergrund. Alles Sein und Werden ist natürlich. Eine natürliche Entwicklung der Anschauungen mit natürlichem Erfolg, eine natürliche Gemeinschaft der Kirche sind anzunehmen. Wunder, Offenbarung, die specifische Art der heiligen Schrift zerrinnen vor dieser „voraussetzungslosen Kritik“. Und es kann nicht anders sein; denn wird die übernatürliche Thatsache der Wiedergeburt und Bekehrung als solche nicht anerkannt, so fällt damit auch Alles dahin, was sich aus ihr hinsichtlich der transscendenten Verursachung derselben in den historischen Formen des Menschenlebens ergab.
In dem letzten Theil des Werkes wird noch nachgewiesen, daß der Christ vermöge der Erfahrung des absoluten Gottes auch hinsichtlich des natürlichen Lebens und seiner Güter eine andere Gewißheit hat als die von der gemeinmenschlichen Betrachtung gewährte. Diese endliche Welt ist von Gott und für Gott erschaffen, der Mensch ist nicht nur ein Naturwesen in der Reihe der übrigen, denn ihm haftet, trotz aller Corruption, die Sittlichkeit als die Bestimmung zum geistigen Sein für Gott an. Den Gegensatz zu dieser idealen Werthung des kosmischen Seins bildet der Materialismus mit seiner Leugnung des Geistes und der geistigen Werthe und Zwecke innerhalb der Welt. Auch hier will aber daran erinnert sein, daß der dieser Betrachtungsweise entgegengesetzte christliche Idealismus sich aus jenem grundlegenden Erlebniß der Wiedergeburt und Bekehrung und aus der Erkenntniß der in diesen Wirkungen sich wirksam erweisenden transscendenten Causalitäten, ergibt.
In diesem großen Werk sind die Grundideen der Frank’schen Theologie niedergelegt. Die „Realitäten“ des „geistlichen Kosmos“ sind abgeleitet und als gewiß erwiesen worden aus der Erfahrung der Wiedergeburt und Bekehrung als in ihr gesetzt. Sie gehen aus von der transscendenten göttlichen Causalität und werden von ihr zur Einheit zusammengefaßt. Diese Gedanken erweisen den Zusammenhang Frank’s mit Schleiermacher wie Hofmann. Aber er unterscheidet sich auch von beiden. Nicht nur die Zuständlichkeiten des frommen Subjectes will F. entfalten, sondern sein Absehen ist auf die überirdischen [694] Realitäten gerichtet, als deren Product diese subjectiven Zuständlichkeiten erscheinen. Andererseits vermeidet es F. bis zu einem gewissen Grade, aus dem Thatbestand der Wiedergeburt die Gewißheit aller Thatsachen der „Heilsgeschichte“ sowie der formulirten kirchlichen Lehren abzuleiten. Man wird urtheilen dürfen, daß hier eine noch weit größere Zurückhaltung am Platze sein wird, daß also gewiß an manchem Punkte die Möglichkeit wie die besondere Art dieser Ableitung wird bestritten werden müssen. Es ist bei F. schließlich doch beinahe die ganze detaillirt ausgeführte lutherische Dogmatik, die Zug um Zug von dem unmittelbaren Erleben der Gewißheit umfaßt sein soll. Die Selbstgewißheit des neuen Ich umfaßt die Gewißheit von jenen Realitäten. Die hierwider erhobene Anklage auf Subjectivismus hat F. immer scharf zurückgewiesen, denn weder wollte er bloß Bestimmtheiten des christlichen Bewußtseins schildern, sondern vielmehr einen objectiven Thatbestand darlegen, der freilich nur in seinen Wirkungen im Subject erkannt werde, noch konnte er zugestehen, daß es eine andere Aussage von objectiver Realität gebe als die subjectiv erfahrene und vergewisserte. Hierin hatte er gewiß Recht.
Sind so die Realitäten des christlichen Glaubens gewonnen, so ist die Aufgabe der Dogmatik oder des Systems der christlichen Wahrheit (2 Bde. 1. Aufl. 1878/80, 3. Aufl. 1893/94), wie F. sie nennt, eine verhältnißmäßig einfache. Es handelt sich darum, die so vergewisserten Objecte in ihrem inneren Zusammenhang zu erfassen und darzustellen. Dies geschieht nun nicht mehr von der subjectiven Vergewisserung aus, sondern von der in dem „System der christlichen Gewißheit“ als beherrschend erkannten ersten Ursache der christlichen Realitäten her. Daher wird die Frank’sche Dogmatik von dem Realprincip, dem principium essendi oder Gott her, nicht von einem Erkenntnißprincip oder Mittelbegriff aus, construirt. Die geläufig gewordene Unterscheidung von Materialprincip (Rechtfertigung) und Formalprincip (Schrift) verwirft F. daher als irreführend, sowie auch deshalb, weil die systematische Erkenntniß von der Schrift erst im Zusammenhang des Systems selbst erfaßt werden könne. Neben das principium essendi tritt nach ihm ein principium cognoscendi oder das gläubige Bewußtsein. Nun schließt aber Letzteres sowol die Anerkennung der Autorität der Schrift in sich als die kirchlich confessionelle Bedingtheit. Daher hat F. in reichlicher und sorgfältiger Weise die Schriftgedanken zum Ausbau seines Systems verwerthet. Ebenso hat er seine Lehrentwicklung in genauem Zusammenhang zur lutherischen Kirchenlehre entworfen. Hierbei kam ihm seine genaue Kenntniß der älteren protestantischen Theologie sehr zu Statten, die er sich bei Ausarbeitung seines theologischen Erstlingswerkes („Die Theologie der Concordienformel“. 4 Theile. 1858 ff.) erworben hatte. Aber F. hat dabei die klare Einsicht bezeugt, daß das Dogma als solches nicht die adäquate und abschließende Formulirung des zusammenhängenden religiösen Thatbestandes darstelle, sondern nur den Versuch der Kirche in einer besonderen Lage besonderen Gegensätzen gegenüber eine Glaubenswahrheit als Realität zu bezeugen. Darin sei die Einseitigkeit aller Bekenntnisse begründet. So wenig es Aufgabe der Dogmatik sein kann, einfach die Schriftlehre zu reproduciren, so wenig genügte sie ihrer Aufgabe durch eine systematisch geordnete Wiedergabe des Inhaltes der kirchlichen Dogmen. So angesehen fällt der Dogmatik eine über die biblische und historische Theologie hinausgreifende Aufgabe zu, sie dient an ihrem Theil dem Fortschritt der religiösen Erkenntniß der Kirche.
Ist hiermit die Aufgabe der Dogmatik im Sinne Frank’s erkannt, so ergibt sich aus den obigen Bemerkungen auch die Eintheilung des dogmatischen [695] Systems. Die Dogmatik stellt dar das Werden der Menschheit Gottes. Der erste Theil handelt vom „Princip des Werdens“ und stellt die Lehre von Gott dar. – Der zweite Theil ist dem „Vollzug des Werdens“ gewidmet, der in drei Abschnitten entfaltet wird: Generation (Schöpfung, Welt, Mensch), Degeneration (Sünde, Teufel), Regeneration (nämlich: 1. die Menschheit Gottes als für den Gottmenschen werdende; 2. die Menschheit Gottes als in dem Gottmenschen gesetzte; 3. Die Menschheit Gottes als aus dem Gottmenschen erwachsende, und zwar: a) die Menschheit Gottes als Object des Werdens, d. h. die Lehre von den Gnadenmitteln, b) die Menschheit Gottes als Subject des Werdens, d. h. die Heilsordnung, c) die Menschheit Gottes als Object-Subject des Werdens, d. h. die Kirche. Der dritte Theil schildert „das Ziel des Werdens“ oder die Eschatologie.
Hier ist also die Gesammtheit der Realitäten der christlichen Gewißheit in einem großen Zusammenhang aufgefaßt und dargestellt. Es ist gezeigt, wie es zu einer Menschheit Gottes kommt, nämlich in einem Werdeproceß, dessen wirksames Subject Gott in den geschichtlichen Veranstaltungen seiner Gnade, dessen Object die allmählich Gottes werdende Menschheit ist. Das Princip dieses Werdeprocesses ist die absolute allwirksame göttliche Causalität, das Ziel die Menschheit Gottes.
Im Rückblick auf dieses Frank’sche Werk kann man wol sagen, daß in ihm die geistige Bewegung der Erlanger Theologie, wie sie durch Hofmann und Thomasius hervorgerufen worden ist, zu einem gewissen Abschluß gekommen ist. Es ist ein Versuch der „neuen Weise alte Wahrheit zu lehren“, wie Hofmann ihn forderte. Die Ablehnung der gesetzlichen Auffassung von Schrift und Bekenntniß, die kenotische Christologie, die Grundzüge der Hofmann’schen Versöhnungslehre kommen hier besonders in Betracht. Ausgehend von dem durch Schleiermacher angeregten Gesichtspunkt der geistlichen Erfahrung wird der Bestand der geistlichen Glaubensrealitäten gewonnen und diese werden sodann zu einem System verarbeitet. So sehr dies formell von der Tradition abweicht, so finden doch fast alle überkommenen kirchlichen Begriffe und Formeln in ihm ihren Platz. Diese Theologie ist im Ganzen durchaus kirchlich bekenntnißmäßig, ohne doch nur äußerlich das Bekenntniß reproduciren zu wollen. Mit Hofmann theilt F. den großen systematischen Zug und die formelle Freiheit der Ueberlieferung gegenüber. In dem Bestreben, inhaltlich den Gedankencomplex der kirchlichen Ueberlieferung unverkürzt zu erhalten, aber auch den kirchlichen Formeln, so weit als möglich, dem Wortlaut nach treu zu bleiben, berührt sich F. mit Thomasius, dem er als Systematiker aber in demselben Grade überlegen ist, als der große Dogmenhistoriker ihn an Reichthum des geschichtlichen Stoffes und historischer Anschauungen überragt. Die Dogmatik Frank’s hat die lutherische Kirchenlehre in großem Stil zu reproduciren und zu begründen unternommen. Darin besteht ihre geschichtliche Bedeutung.
Die systematische Lebensarbeit Frank’s fand ihren Abschluß in dem „System der christlichen Sittlichkeit“ (2 Bde. 1884/87). Das „Werden des Gottesmenschen“ ist der leitende Gesichtspunkt in diesem großen Werk. Auch in ihm treten viele besonders charakteristische Züge der Frank’schen Theologie hervor. Einmal der Tiefsinn des in dem Geist Christi gründenden, sich selbst und die Welt Christus erobernden Christen, sodann aber die großartige Freiheit des Christen der Welt und allem Natürlichen gegenüber. „Alles ist euer, ihr aber seid Christi“, das ist der Grundton der Ethik Frank’s. Der freie und tief ernste Geist evangelischer Ethik kommt in diesem Buch zu klarer und scharfer Aussage. Ohne daß je der streng systematische Fortschritt der Gedanken [696] dadurch beeinträchtigt würde, ist eine Fülle feiner und scharfer Beobachtungen und gereifter Lebensweisheit in dem Werk dargeboten. Ist das „System der Gewißheit“ das bedeutendste, das „System der Wahrheit“ das populärste Werk Frank’s , so ist das „System der Sittlichkeit“ sein schönstes Buch.
Es würde zu weit führen, wollten wir hier der sonstigen umfassenden litterarischen Thätigkeit Frank’s im einzelnen gedenken. In der „Zeitschrift für Protestantismus und Kirche“, sowie in ihrer Nachfolgerin, der von ihm mitbegründeten „Neuen kirchlichen Zeitschrift“ entstammt eine große Anzahl von Aufsätzen seiner fleißigen Feder. Alle bedeutsamen Erscheinungen auf dem Gebiet der systematischen Theologie hat er hier Revue passiren lassen und manche brennende Zeitfrage erörtert (vgl. auch aus früherer Zeit seine [anonyme] Schrift: „Die Denkschrift des evang. Oberkirchenraths, betr. die gegenwärtige Lage der evang. Landeskirche Preußens, beleuchtet von einem luth. Theologen“, Erlangen 1867). Hier sei noch das „Vademecum für angehende Theologen“ (Leipzig 1892) genannt.
Vor allem aber galt seine Arbeit in den letzten Jahren der Bekämpfung der Ritschl’schen Theologie (s. bes. „Zur Theologie A. Ritschl’s, 3. Aufl. 1891, sowie auch die „Dogmatischen Studien“, 1892). Seine Auffassung dieser Theologie, sowie die Kritik, die er an derselben geübt hat, hat für ihre Zeit große Bedeutung gehabt. Mit einer Energie und Kraft, die sich mit den Jahren nur gesteigert hat, hat er sie bekämpft, und auch die letzte Arbeit aus seiner Feder galt einer „brennenden Frage“, welche mit der Fragestellung jener Theologie zusammenhängt (s. Neue kirchl. Zeitschrift 1894, S. 183 ff.). F. erblickte in der Ritschl’schen Theologie eine moderne Erneuerung des alten Rationalismus. Dieses zu wiederholen ist er nicht müde geworden. Gegenüber jener Hervorhebung des „historischen“ Menschen Jesus als des Offenbarers Gottes hat er den Verkehr mit dem persönlich gegenwärtigen Gottmenschen betont und gegenüber der bekannten Proscribirung der „Metaphysik“ und „Mystik“ in der Theologie hat er je und je daran festgehalten: „Bei dir ist die lebendige Quelle und in deinem Lichte sehen wir das Licht“ und „mit Christo verborgen in Gott“. Auch das nach seinem Tode herausgegebene Collegheft „Geschichte und Kritik der neueren Theologie“ (Leipzig 1894, 3. Aufl. 1898) gewinnt unter dem Gesichtspunkt dieses Gegensatzes großes Interesse, so viel immer diese Arbeit, als historische Leistung beurtheilt, zu wünschen übrig läßt. Man hat sich über Ungerechtigkeit in Frank’s Polemik beklagt; er hat als Polemiker freilich eine scharfe Klinge geführt, aber die traurige Methode, durch kleinliche Nadelstiche den Gegner zu reizen und zu beleidigen, oder durch unnoble Nörgeleien persönliche Rache zu nehmen, war ihm fremd. Daß er immer gerecht sein wollte, steht fest. Wer mit ihm verkehrt hat, weiß, wie es sich ihm nur um die Sache handelte. Von den Personen pflegte er nicht viel, und dann nicht selten freundlich und mit Anerkennung zu reden.
Er ist in der dogmatischen Entwicklung und den dogmatischen Gegensätzen der beiden letzten Decennien seines Lebens unbestritten einer der mächtigsten Führer gewesen. Will man sein Lebenswerk kurz bezeichnen, so wird man sagen dürfen, daß auch er wie Hofmann „die alte Wahrheit in neuer Form“ hat lehren wollen. Er hat das Evangelium und seine Wahrheit – abzugsfrei – mit den Mitteln und mit den Methoden unsrer Zeit der christlichen Gemeinde verständlich machen wollen. Daß das Christenthum ein Leben mit Gott in Christo ist, daß dieses Leben erlebt und erfahren werden muß, und daß in ihm alle Wahrheit und aller Friede und alle Kraft beschlossen ist, das war der Grundgedanke seiner Lehre. F. ist dabei durch und durch ein moderner Mensch, ein Kind seines Jahrhunderts gewesen, nichts lag ihm so fern [697] als reactionäre Gelüste politischer oder kirchlicher Natur, er lebte in seiner Zeit und mit derselben, die wissenschaftlichen und ästhetischen, die kirchlichen und politischen Interessen der Gegenwart nahmen ihn stets in Anspruch und er hat bis an sein Ende zu lernen und fortzuschreiten mit größtem Fleiß sich bemüht. Seine Theologie war fertig, aber er selbst war nie einer von den „Fertigen“ oder von den laudatores temporis acti. Aber dieser moderne Mensch hat doch nie den Drang oder die Nöthigung in sich verspürt, das „alte Dogma“ preiszugeben, so sehr immer er innerlich frei gegenüberstand den Fragen der biblischen Kritik, wie der Formel des Dogmas als solcher oder den jeweiligen kirchlichen Formen und Tendenzen. Das ist das Eigenartige in der geschichtlichen Erscheinung Frank’s.
Wenden wir uns nun, nachdem wir den Theologen in seiner geschichtlichen Stellung und Bedeutung zu charakterisiren versucht haben, der Persönlichkeit Frank’s, seinem persönlichen Christenthum sowie seiner Thätigkeit als Hausvater, Lehrer und Universitätsmitglied zu.
Man hat nicht ganz selten über eine gewisse Unnahbarkeit, über eine kühle Abgeschlossenheit und antike Ruhe in der Persönlichkeit Frank’s geklagt. Darin liegt in gewissem Sinn etwas Wahres. F. gehörte zu den Naturen, die so zu sagen ihr Lebenlang in zwei Stockwerken wohnen. Ueber sein inwendiges Leben Anderen gegenüber viel Worte zu machen, war nicht seine Art, die Entwürfe oder Absichten der Arbeiten, die ihn gerade beschäftigten, mit Anderen „durchzusprechen“, war ihm nicht gegeben. Die Unterhaltung mit ihm konnte daher leicht in das gewöhnliche Conversationsgebiet hinübergleiten: Familienverhältnisse, Universitätsangelegenheiten, politische Fragen, kirchliche Ereignisse. Gern ging er auf theologische Themata ein, die der Andere etwa anregte, aber in der Behandlung beobachtete er doch eine gewisse Reserve. In rascher Wechselrede die Goldbarren seiner Gedanken in Scheidemünze auszuprägen, durch geistreiche Einfälle und Wendungen zu imponiren, sich schnell in den Gedankenkreis des Anderen hineinzuversetzen und von dessen Boden aus die Sache zu behandeln, lag nicht in seinem Wesen. In der Unterhaltung mit dem scharfen und klaren Denker und dem lebhaft und warm empfindenden Menschen konnte sich daher bisweilen wol eine gewisse Schwerfälligkeit geltend machen. Aber wer ihm irgend nahe trat, gewann den herzerquicklichen Eindruck, es hier mit einem rechten durch und durch ehrwürdigen und wahrhaftigen Mann zu thun zu haben, der mit allen Fasern seines Wesens und Empfindens in der Welt des christlichen Glaubens wurzelte und wirklich wurzelte. Daher der imponirende Eindruck, den seine Persönlichkeit auf die Collegen aller Facultäten wie auf die Studenten, auf ferner und näher Stehende machte, daher die allgemeine Verehrung und das Vertrauen, das man seiner Person entgegenbrachte. Es war eine ethisch verklärte Persönlichkeit, in deren Gegenwart das Gemeine und Nichtige sich nicht hervorwagen durfte.
Und der Grund alles dessen war, daß jeder es ihm anmerken mußte: „ich glaube, darum rede ich“, und daß jeder Christ im Verkehr mit ihm ein Gefühl davon erhielt, hier ist das Christenthum nicht bloße Ausdrucks- und Redeweise, in diesem Menschen ist Jesus Christus wirklich die herrschende Macht geworden. In Christus lebte und webte sein Herz. Die Bibel war sein liebstes Erbauungsbuch. In sie regelmäßig sich sinnend zu versenken, war ihm ein Herzensbedürfniß. Und aus solchem regelmäßigen Verkehr mit Gott quoll das innige Gebetsleben, in dem er stand, und zu dem er sein Haus zu erheben wußte.
Ernst und streng hat er an sich gearbeitet, er hat sein Temperament in [698] Zucht zu halten gewußt, und er hat mit klarem Bewußtsein alle seine Kräfte und Gaben in den Dienst seines Berufes zu stellen verstanden. Das merkte man seinem Leben an. Das leidenschaftliche, rasch verletzte Temperament, das ihm eignete, hat er stets zu zügeln gewußt, so schwer es ihm auch oft wurde. Die eherne Ruhe, die ihn auszeichnete – oder bisweilen auch hemmte –, mag sich mit aus dem Kampf mit dieser Naturanlage erklären. In dieser Kraft der Selbstbeherrschung, die sich schon in seiner äußeren Erscheinung und der gemessenen Art seiner Bewegungen aussprach, lag freilich etwas Antikes, das an seine geliebten Römer gemahnte. – Mit eisernem Fleiß hat er, zum anderen, seines Berufes gewartet. Nur die sorgfältigste Eintheilung und Ausbeutung der Zeit ermöglichte es ihm, trotz großartiger litterarischer Arbeiten, trotz genauen und sorgfältigen Studiums der theologischen und philosophischen Litteratur – er war sicher einer der vielseitigst orientirten und belesenen Theologen seiner Zeit –, trotz der sorgfältigsten Präparation auf seine Vorlesungen, trotz einer überaus ausgedehnten Correspondenz sowie den vielen Besuchern, die in sein Haus kamen – doch auch stets, als Gatte und Vater, Zeit für die Seinen übrig zu haben. Wie oft nahm er sich in früheren Jahren der Arbeiten seiner Söhne an, wie hatte er immer Zeit für die Anliegen der Seinen, wie verstand er es sie um sich zu sammeln am Abend, etwa zu gemeinsamer Lectüre, oder auf Spaziergängen zu ernstem und heiterem Gespräch! Daß der Fleißige immer Zeit hat, das konnte man an Frank’s Privatleben lernen. –
Im J. 1859 verheirathete sich F. mit Sophie Schmid, der ältesten Tochter seines Collegen Heinrich Schmid. Sieben Kinder entsprossen dieser Ehe, von denen zwei vor dem Vater gestorben sind. Ein glückliches, echt christliches Familienleben herrschte im Frank’schen Hause, das zum Mittelpunkt die Person des Vaters hatte. Zwar hat es an mancherlei Sorge und Noth auch hier nicht gefehlt, aber Glaube und Liebe haben alle Anfechtungen und Sorgen überwunden. Neben ihm waltete seine edle Gattin, die schönen geselligen Traditionen des Elternhauses forterhaltend. Konnte F. auf den Fernerstehenden bisweilen den Eindruck einer strengen Persönlichkeit machen, so lag doch Härte und Strenge seinem Walten im Hause ganz ferne. Mild und immer freundlich stand er seinen Hausgenossen gegenüber, durch Liebe sie leitend und gewinnend. Daher hingen die Kinder auch mit Innigkeit und Verehrung am Vater, wußten sie doch, daß sie bei ihm stets Verständniß und Hülfe finden würden in allen kleinen und großen Nöthen, aber ebenso ein fröhliches und dankbares Theilnehmen an allen ihren Freuden oder kleineren und größeren Erfolgen. F. ist jung geblieben im Kreise der Seinen, er hatte etwas Kindliches und Harmloses im Verkehr mit seinen Kindern wie überhaupt mit der Jugend.
Eine große und weit ausgebreitete Geselligkeit hat das Frank’sche Haus wol nie gepflegt. Aber öfters fanden kleinere Gesellschaften statt, und gern kamen die Familien von Freunden und näherstehenden Collegen in das Haus. Regelmäßig kam auch in früheren Jahren an bestimmten Abenden die Familie im schwiegerelterlichen Hause zusammen, besonders auch um litterarischen Interessen gemeinsam nachzugehen. Man erfreute sich da an Shakespeare, an Goethe und Schiller. Oder F. versammelte früher wol auch einen Damenkreis um sich, dem er einzelne biblische Bücher, wie besonders die Psalmen, auslegte. Regelmäßig wurden auch Studenten eingeladen, die ihm empfohlen waren, und in harmloser Freundlichkeit, die den berühmten Theologen bald vergessen ließ, wußte er dann auch mit dem jüngsten Fuchs in Ernst und Scherz zu verkehren.
[699] Im Kreise seiner Collegen, bei Nichttheologen wie Theologen, genoß F., wie bereits gesagt, die höchste Verehrung, wiewol zumal in den letzten Jahren seines Lebens nur Wenige ihm persönlich näher getreten sind. Zwei Mal berief ihn das Vertrauen der Collegen zur Führung des Prorectorates, das er mit der ihm eigenen Umsicht und Sicherheit verwaltet hat. An allgemeinen Universitäts- wie Facultätsangelegenheiten nahm er stets lebhaften Antheil, noch am Abend vor seiner letzten Erkrankung sprach er eingehend über solche Dinge. Als Vorstand der Universitätsbibliothek hat er fast 28 Jahre über die Interessen dieses wichtigen Institutes mit Umsicht und Einsicht vertreten, von anderen Vertrauensämtern, die ihm wurden, zu schweigen. – Auch an der äußeren Anerkennung seiner Wirksamkeit hat es nicht gefehlt. Erwähnt sei nur aus den letzten Jahren der Titel eines Geheimrathes und der Civil-Verdienstorden der bairischen Krone, mit dem der persönliche Adel verbunden ist. – Sein kirchliches Interesse war stets lebendig, so hat er sich auch an kirchlichen Vereinen, besonders an der Missionssache, rege betheiligt. Gepredigt hat er in der Erlanger Zeit nur selten (zuletzt am 1. Adventssonntag 1865), obgleich er eine schöne Gabe hierfür besaß. Aber in dem Maß als die Uebung in der erbaulichen Rede seltener wurde, bereitete sie ihm, der doch nie ausreichende Uebung in ihr gehabt, Schwierigkeiten. Nur bei häuslichen Gelegenheiten, besonders der Aussegnung von Leichen von Verwandten oder nahe befreundeten Collegen, ergriff er wol das Wort zu schönen tief ergreifenden Ansprachen.
Wenden wir uns endlich seiner Lehrthätigkeit zu. Es gibt nicht viele Lehrer, die so dankbare und treue Schüler gehabt haben, wie F. Zunächst stieß den in systematischen Dingen ungeschulten Zuhörer die schwere und wol auch schwerfällige Diction ab, aber bald zog die Feinheit und Geschlossenheit der Dialektik an, dann erwärmte das edle Pathos der vollsten Ueberzeugung die Herzen, und schließlich ließ er seine Zuhörer nicht los, sie fühlten, daß sie von diesen Vorlesungen etwas hatten für das Herz wie für den Verstand, für Leben und Lehre. Vielen ist F. ein Führer geworden zur evangelischen Klarheit, vielen hat er den schwankenden Glauben gefestigt, vielen Handreichung gethan zur wirksamen Glaubenspredigt in der Gemeinde. Dieses Bild von Frank’s Lehrthätigkeit wäre nicht vollständig, gedächten wir nicht noch der Beziehungen Frank’s zu dem von ihm in das Leben gerufenen, und unter seiner Leitung zu schönster Blüthe gediehenen, Erlanger theologischen Studentenverein. Dreißig Jahre lang hat er regelmäßig die wissenschaftlichen Verhandlungen desselben geleitet, Fragen der Dogmatik und Symbolik, exegetische Themata aus dem neuen, hie und da auch aus dem alten Testament, wurden da unter seiner Leitung besprochen. Und wie ein belebender und sittigender Einfluß von seiner Person auf das Vereinsleben ausging und er für alle Vereinsangelegenheiten stets mit Rath und That sein Interesse zu bewähren bereit war, so öffnete er auch allen einzelnen Vereinsgenossen in bereitwilligster Weise sein Haus und sein Herz, er hatte für jeden im Verein ein Herz.
Bei der hervorragenden Gabe Frank’s, die Jugend anzuregen und zum Arbeiten anzuleiten, bei seinem freundlichen Entgegenkommen den Fragen und Bedürfnissen der Studenten gegenüber, bei der großen Zahl von Anhängern in Nord und Süd, kann man wol dazu kommen, die Frage aufzuwerfen, weshalb es F. nicht beschieden gewesen ist, eine theologische Schule zu gründen? Eine eingehende Beantwortung dieser Frage kann hier nicht versucht werden. Aber es darf doch vielleicht an Einiges, was zur Lösung der Frage führen könnte, erinnert werden. Es ist vor allem dies, daß Frank’s Theologie und Lehrthätigkeit den geschichtlichen Tendenzen und Neigungen, die in der Theologie [700] seiner Tage immer stärker wurden, nicht entgegenkam. Er hat die systematischen Interessen isolirt, ihr Zusammenhang mit den Problemen der exegetischen und historischen Theologie hat ihn innerlich doch eigentlich nicht bewegt. Die dogmengeschichtlichen oder biblisch theologischen Fragen so in die systematische Darstellung hineinzuziehen, daß diese ein Licht auf die specifisch geschichtlichen Fragen wirft und einen Antrieb zu der Lösung derselben gewährt, war nicht seine Art. Daher lag es ihm fern zu geschichtlichen oder biblisch theologischen Untersuchungen anzuregen, welche im Zusammenhang zu seinen dogmatischen Principien standen und die Kraft und Bedeutung dieser zu bewähren und zu erproben geeignet gewesen wären. Wenn nun aber die angehenden Systematiker heute ganz von selbst ihre ersten Schritte auf jenen Gebieten thun, so lag es nahe, daß sie entweder die systematischen Gesichtspunkte verloren und ganz in das exegetische oder historische Arbeitsgebiet geriethen, oder dann ihre Anregungen und Ideen von einer anderen Theologie zu beziehen anfingen, die jenen Zusammenhang deutlicher zu wahren schien. So wird es sich begreifen, daß gerade manche wissenschaftlich angeregte Zuhörer Frank’s sich seinem wissenschaftlichen Einfluß, auf mancherlei Umwegen, wieder entzogen haben. Was wir oben über die Schranke Frank’s auf geschichtlichem Gebiet bemerkten, empfinge hier erst sein rechtes Licht und ließe sich in gewissem Sinne als verhängnißvoll bezeichnen.
Aber – diese Beobachtungen seien richtig oder unrichtig – die lutherische Kirche wird sich stets dankbar des reichgesegneten großen Lehrers erinnern, der das Evangelium im Sinne und Geist Luther’s vom Katheder aus fast ein Menschenalter über verkündigt hat. Daß das restaurirte Lutherthum unseres Jahrhunderts nicht versunken ist in eine Repristination der Theologie der Concordienformel und der Dogmatik des 17. Jahrhunderts, das wird einst die Geschichte vor allem unter den Verdiensten der beiden großen Erlanger Theologen, Hofmann und Frank, hervorheben.
F. stand noch in der vollen Kraft und Lust der Arbeit, als plötzlich und Allen unerwartet der Tod an ihn herantrat. Es scheint ein Schlagfluß gewesen zu sein, der in der Nacht auf den 5. Februar des Jahres 1894 F., der am Abend zuvor noch wohl und heiter in einer Gesellschaft geweilt, traf. Das Bewußtsein war sofort geschwunden, und es ist kaum oder doch nur für wenige Augenblicke wiedergekehrt. Durch die Collegen wie die Studenten ging ein jäher Schreck, als sich die Kunde von der Hoffnungslosigkeit seines Zustandes verbreitete. Als ich meinen Zuhörern davon Mittheilung machte, da ging eine tiefe Bewegung – ja ein Schluchzen – durch die Reihen, wie man es selten erlebt. Das war der letzte und vielleicht schönste Triumph, der dem großen Lehrer in diesem Leben geworden ist.
Am Morgen des 7. Februar 1894 ist er sanft entschlafen. Auf dem Neustädter Kirchhof zu Erlangen wurde er am 9. Februar zur letzten Ruhe gebettet. –
- Das vorliegende Lebensbild beruht auf schriftlichen Mittheilungen, die mir seiner Zeit der Bruder Frank’s, Justizrath E. Frank in Altenburg, sowie die Gattin Frank’s gemacht haben, sowie auf persönlicher Bekanntschaft mit Frank.